Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.01.2011, Az. 3 StR 332/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 10504

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Gegenstand

(Anlasslose Vorratsdatenspeicherung: Verwertung der während der Geltungsdauer der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts erhobenen Telekommunkationsdaten im Strafverfahren) 


Leitsatz

1. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08 u.a.) hat der Erhebung von Telekommunikationsdaten und deren Übermittlung zum Zweck der Strafverfolgung während der Geltungsdauer und nach Maßgabe der einstweiligen Anordnung vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1) nicht nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen .

2. Die Verwendung solcher Daten im Strafverfahren durch ihre Einführung in die Hauptverhandlung und Verwertung im Rahmen der Urteilsfindung bleibt auch nach dem 2. März 2010 rechtmäßig .

Tenor

1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 23. April 2010 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen s[X.]hwerer Brandstiftung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und se[X.]hs Monaten verurteilt. Dessen hiergegen geri[X.]htete Revision rügt allgemein die Verletzung materiellen Re[X.]hts und beanstandet das Verfahren. Sie bleibt ohne Erfolg.

2

[X.] Erörterung bedarf ledigli[X.]h die Rüge, das [X.] habe Verkehrsdaten des Mobiltelefons des Angeklagten zu Unre[X.]ht zu seinen Lasten verwertet; im Übrigen ist das Re[X.]htsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.].

3

I. Der Rüge liegt zugrunde:

4

1. Na[X.]h den Feststellungen begab si[X.]h der Angeklagte am 2. November 2009 na[X.]h 19.00 Uhr in die Wohnung des kurzzeitig abwesenden Zeugen E. in S., wo er mit dessen Einverständnis bis zum Vortage gewohnt hatte. Er wollte die Wohnung dur[X.]h Brandlegung zerstören. Um fahrlässiges Handeln des Zeugen vorzutäus[X.]hen, s[X.]haltete er in der Kü[X.]he eine Herdplatte an, auf die er einen ni[X.]ht mehr feststellbaren Gegenstand legte. Sodann setzte er in der [X.] des Wohnraums neben dem Bett Materialien unbekannter Bes[X.]haffenheit in Brand. Das Feuer griff, wie vom Angeklagten beabsi[X.]htigt, auf das Bett über; Hitzes[X.]häden und Rau[X.]hgasablagerungen ma[X.]hten die gesamte Wohnung unbenutzbar. Um 19.39 Uhr verständigte eine Na[X.]hbarin die Feuerwehr. Während der Lös[X.]harbeiten ers[X.]hien der Angeklagte und erklärte einem anwesenden Polizeibeamten, er sei gekommen, um Medikamente zu holen, die er bei seinem Auszug zurü[X.]kgelassen habe.

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2. Der Angeklagte, der na[X.]h seinem Auszug aus der Wohnung des Zeugen ein Hotelzimmer in [X.] bezogen hatte, hat si[X.]h dahin eingelassen, er sei erstmals na[X.]h Beginn der Lös[X.]harbeiten am Gebäude eingetroffen. Um die von ihm benötigten Medikamente zu holen, habe er die Bahn um 18.55 Uhr ab [X.] genommen, könne also ni[X.]ht s[X.]hon zur [X.] der Brandentstehung in S. gewesen sein. Diese [X.]assung hat das [X.] für widerlegt gehalten. Dabei hat es si[X.]h unter anderem darauf gestützt, dass das Mobiltelefon des Angeklagten bereits ab 19.00 Uhr mehrfa[X.]h an einem zwis[X.]hen der Wohnung des Zeugen und dem [X.] stehenden Funkmast eingeloggt war, und zwar um 19.00 Uhr und 19.02 Uhr in einem Abstrahlberei[X.]h in Ri[X.]htung Bahnhof und um 19.36 Uhr und 19.37 Uhr in einem Abstrahlberei[X.]h, der die Wohnung des Zeugen erfasst.

6

3. Die Erhebung der beim Diensteanbieter (§ 3 Nr. 6 Bu[X.]hst. [X.]) gespei[X.]herten Verkehrsdaten des [X.] hatte das [X.] dur[X.]h Bes[X.]hluss vom 15. Februar 2010 mit der Begründung angeordnet, der Angeklagte sei einer Katalogtat na[X.]h § 100a Abs. 2 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.] verdä[X.]htig. Ohne die Datenerhebung, wel[X.]her der Angeklagte zugestimmt habe, werde die Aufklärung seines Aufenthalts zur Tatzeit wesentli[X.]h ers[X.]hwert. Aus den mitgeteilten Daten fertigte die ermittelnde Polizeidienststelle eine Tabelle, die in der Hauptverhandlung am 26. Februar 2010 in Augens[X.]hein genommen und, soweit hier von Bedeutung, verlesen wurde. Im Fortsetzungstermin am 4. März 2010 ordnete der Vorsitzende die Vernehmung der für die Datenauswertung zuständigen Beamten an. Unter Hinweis auf das am 2. März 2010 ergangene Urteil des [X.] zu §§ 113a [X.], 100g [X.] (1 BvR 256/08 u.a., [X.], 833) widerspra[X.]h die Verteidigerin nunmehr der Verwertung der erhobenen Daten. Dur[X.]h na[X.]hfolgenden Geri[X.]htsbes[X.]hluss bestätigte das [X.] die Anordnung des Vorsitzenden und führte zur Begründung aus, die Datenerhebung sei von der einstweiligen Anordnung des [X.] (Bes[X.]hluss vom 11. März 2008 - 1 BvR 256/08, [X.] 121, 1; im Folgenden bis zur Ents[X.]heidung in der Hauptsa[X.]he [Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., [X.], 833] verlängert) gede[X.]kt gewesen. Gegenstand des Verfahrens sei eine s[X.]hwere Straftat, so dass das Strafverfolgungsinteresse Vorrang vor dem S[X.]hutz des Grundre[X.]hts des Angeklagten aus Art. 10 GG habe.

7

II. Entgegen der Auffassung des Bes[X.]hwerdeführers hat das [X.] die Verkehrsdaten des [X.] zu Re[X.]ht verwertet. Die Gewinnung der Beweise weist keinen Re[X.]htsfehler auf (1.); die auf dieser re[X.]htmäßigen Grundlage beruhende Beweisverwendung dur[X.]h Einführung der Daten in die Hauptverhandlung und deren Verwertung im Rahmen der Beweiswürdigung ist ebenfalls ni[X.]ht zu beanstanden (2.).

8

1. Die am 15. Februar 2010 angeordnete Erhebung der Verkehrsdaten des Mobiltelefons des Angeklagten und damit einhergehend deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden dur[X.]h den Diensteanbieter war re[X.]htmäßig (§ 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]; § 113a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Bu[X.]hst. [X.], Abs. 5 [X.]).

9

a) Allerdings hat si[X.]h der Senat na[X.]h Einsi[X.]ht in die vom Anbieter auf Anordnung des [X.]s erteilte Auskunft im Wege des [X.] davon überzeugt, dass dieser - entspre[X.]hend der begleitenden Mitteilung - jedenfalls die Standortdaten ledigli[X.]h no[X.]h aufgrund seiner gesetzli[X.]hen Verpfli[X.]htung na[X.]h § 113[X.] vorgehalten und für eigene Zwe[X.]ke ni[X.]ht mehr benötigt hat; hierfür spri[X.]ht au[X.]h bereits der [X.]ablauf (vgl. [X.]/Bär, [X.], Vor § 100a Rn. 24, 26a [Stand: August 2010]). Ebenso ergibt die Überprüfung der mitgeteilten Datensätze, dass diese, anders als vom [X.] in seiner Antragss[X.]hrift angenommen, nur im Zusammenhang mit Kommunikationsvorgängen gespei[X.]hert waren (§ 113a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Bu[X.]hst. [X.], Abs. 5 [X.]).

b) Zutreffend ist das [X.] indes davon ausgegangen, dass die besonderen Voraussetzungen, an die das Bundesverfassungsgeri[X.]ht in seiner einstweiligen Anordnung vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08, [X.] 121, 1) die Übermittlung von allein na[X.]h § 113[X.] gespei[X.]herten Verkehrsdaten (§ 3 Nr. 30 [X.]) geknüpft hatte, vorliegend erfüllt waren. Gegenstand des Verfahrens ist eine Katalogtat im Sinne von § 100a Abs. 2 Nr. 1 Bu[X.]hst. [X.]. Na[X.]h den [X.] wiegt sie au[X.]h im Einzelfall s[X.]hwer (§ 100a Abs. 1 Nr. 2 [X.]). Ni[X.]ht zu beanstanden ist au[X.]h die vom [X.] im Rahmen des ihm zustehenden [X.] (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 1. August 2002 - 3 [X.], [X.]St 47, 362, 366 f.) gewonnene Eins[X.]hätzung, dass die Erfors[X.]hung des Sa[X.]hverhalts auf andere Weise wesentli[X.]h ers[X.]hwert gewesen wäre (§ 100a Abs. 1 Nr. 3 [X.]).

[X.]) Das Urteil des [X.] vom 2. März 2010 hat der Erhebung sol[X.]her Daten und deren Übermittlung zum Zwe[X.]ke der Strafverfolgung während der Geltungsdauer und na[X.]h Maßgabe der einstweiligen Anordnung vom 11. März 2008 ni[X.]ht na[X.]hträgli[X.]h die Re[X.]htsgrundlage entzogen. Das Bundesverfassungsgeri[X.]ht hat in seiner Hauptsa[X.]heents[X.]heidung vom 2. März 2010 zwar die §§ 113a, 113b [X.] insgesamt und § 100g Abs. 1 Satz 1 [X.] insoweit wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 GG für ni[X.]htig erklärt, als dana[X.]h Verkehrsdaten na[X.]h § 113[X.] erhoben werden dürfen. Dadur[X.]h wird jedo[X.]h die Re[X.]htmäßigkeit des von der einstweiligen Anordnung gede[X.]kten, in der Datenerhebung und -übermittlung liegenden und insoweit abges[X.]hlossenen Grundre[X.]htseingriffs ni[X.]ht berührt (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 4. November 2010 - 4 [X.], Rn. 18 [ni[X.]ht tragend]; [X.], Bes[X.]hlüsse vom 13. April 2010 - 3 Ws 140/10 u.a.; OLG Mün[X.]hen, Bes[X.]hluss vom 27. Mai 2010 - 2 Ws 404/10; [X.]/Bär, § 100g Rn. 40a [X.] [Stand: August 2010]; Marlie/[X.], ZIS 2010, 524, 527 f.; [X.], NStZ 2010, 318, 319 f.; aA, allerdings ohne nähere Begründung, [X.], [X.], 587, 590; Ger[X.]ke, [X.], 281, 283). Einer einstweiligen Anordnung des [X.], die gesetzli[X.]he Regelungen vorläufig aussetzt, außer [X.] setzt oder modifiziert, kommt aus der Natur der Ents[X.]heidung Gesetzeskraft zu ([X.]/S[X.]hmidt-Bleibtreu/[X.]/[X.]/[X.], [X.], § 32 Rn. 173, 190 [Stand: Juli 2002]); sie wird dementspre[X.]hend im [X.] veröffentli[X.]ht (vgl. hier [X.] I 2008, 659, 2239; 2009, 3704). Ungea[X.]htet dessen, dass eine na[X.]hfolgende Feststellung der Ni[X.]htigkeit der Norm (§ 78 [X.]) auf den [X.]punkt deren Inkrafttretens zurü[X.]kwirkt (vgl. Löwis[X.]h, [X.], 731 f.), s[X.]hafft eine sol[X.]he einstweilige Anordnung gesetzesvertretendes Übergangsre[X.]ht und regelt die Re[X.]htslage für die [X.] ihrer Geltung endgültig ([X.]/S[X.]hmidt-Bleibtreu/[X.]/[X.]/[X.], aaO § 32 Rn. 8 f.). Re[X.]htsakte auf der Grundlage und während der Geltung einer vom Bundesverfassungsgeri[X.]ht erlassenen einstweiligen Anordnung behalten deshalb unabhängig vom Inhalt der späteren Hauptsa[X.]heents[X.]heidung grundsätzli[X.]h ihren re[X.]htli[X.]hen Bestand (aaO Rn. 175). Dies findet au[X.]h Bestätigung in der Re[X.]htspre[X.]hung des [X.], wona[X.]h Wahlen, die auf der Grundlage einer die Vors[X.]hriften des Wahlre[X.]hts modifizierenden einstweiligen Anordnung stattfinden, au[X.]h für den Fall einer abwei[X.]henden Hauptsa[X.]heents[X.]heidung als gültig era[X.]htet werden ([X.], Bes[X.]hluss vom 17. Oktober 1990 - 2 [X.] u.a., [X.] 82, 353, 370; Urteil vom 12. Oktober 1989 - 2 [X.], [X.] 81, 53, 56).

2. Die Verwertung der re[X.]htmäßig gewonnenen Beweise dur[X.]h die Strafkammer erweist si[X.]h mit Bli[X.]k sowohl auf das verfassungs- als au[X.]h das einfa[X.]hre[X.]htli[X.]he Regelungsgefüge ebenfalls als re[X.]htsfehlerfrei (im Ergebnis ebenso [X.], Bes[X.]hlüsse vom 13. April 2010 - 3 Ws 140/10 u.a.; OLG Mün[X.]hen, Bes[X.]hluss vom 27. Mai 2010 - 2 Ws 404/10; [X.]/Bär, [X.], § 100g Rn. 40a [Stand: August 2010]; Marlie/[X.], ZIS 2010, 524, 527 f.; [X.], NStZ 2010, 318, 320). Die Einführung der übermittelten Daten in die Hauptverhandlung sowie deren Verwertung im Rahmen der Urteilsfindung waren insbesondere ni[X.]ht deshalb unzulässig, weil na[X.]h neuerem verfassungsre[X.]htli[X.]hen Verständnis jede weitere Verwendung erhobener Daten als eigenständiger Grundre[X.]htseingriff zu werten und die Re[X.]htsgrundlage für die Erhebung und Übermittlung der Daten zum [X.]punkt der Beweisverwertung vom Bundesverfassungsgeri[X.]ht dur[X.]h seine Hauptsa[X.]heents[X.]heidung vom 2. März 2010 für ni[X.]htig erklärt worden ist. Im Einzelnen:

a) Selbst bei re[X.]htswidriger Beweisgewinnung ist dem Strafverfahrensre[X.]ht ein allgemein geltender Grundsatz dahin fremd, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvors[X.]hriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot na[X.]h si[X.]h zieht. Vielmehr ist in diesen Fällen über die Verwertung der Beweise je na[X.]h den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgebli[X.]hen Gesi[X.]htspunkte und der widerstreitenden Interessen zu ents[X.]heiden. Dabei ist in den Bli[X.]k zu nehmen, dass die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentli[X.]hes Prinzip des Strafverfahrensre[X.]hts - den Grundsatz, dass das Geri[X.]ht die Wahrheit zu erfors[X.]hen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsa[X.]hen und Beweismittel zu erstre[X.]ken hat, die von Bedeutung sind - eins[X.]hränkt. Aus diesem Grund stellt ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme dar, die nur bei ausdrü[X.]kli[X.]her gesetzli[X.]her Anordnung oder aus übergeordneten wi[X.]htigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteil vom 14. August 2009 - 3 [X.], [X.]St 54, 69, 87 mwN).

b) Diese Grundsätze beanspru[X.]hen erst re[X.]ht und in verstärktem Maße Geltung, wenn - wie hier - die Gewinnung der Beweise re[X.]htmäßig war. Au[X.]h in diesem Fall s[X.]heidet deren Verwertung im Strafverfahren ausnahmsweise allenfalls dann aus, wenn eine ausdrü[X.]kli[X.]he Vors[X.]hrift dies gebietet oder im Einzelfall übergeordnete wi[X.]htige Gründe entgegenstehen. Diese Voraussetzungen liegen ni[X.]ht vor.

aa) Eine ausdrü[X.]kli[X.]he gesetzli[X.]he Norm in Form eines selbstständigen Beweisverbots (vgl. [X.], [X.], 53. Aufl., [X.]. Rn. 50), wel[X.]he die Beweisverwertung hier verbietet, ist ni[X.]ht ersi[X.]htli[X.]h.

[X.]) Sonstige übergeordnete Gründe stehen einer Verwertung ebenfalls ni[X.]ht entgegen.

(1) Werden Telekommunikationsdaten eines Bes[X.]huldigten für ein gegen ihn geführtes Strafverfahren herangezogen und genutzt, so ers[X.]höpft si[X.]h der Eingriff in sein Grundre[X.]ht aus Art. 10 Abs. 1 GG allerdings ni[X.]ht s[X.]hon in der Erhebung der Daten beim Diensteanbieter und in deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden. Vielmehr sind au[X.]h sämtli[X.]he na[X.]hfolgenden Verwendungen und Verwertungen der dur[X.]h die Datenerhebung gewonnenen Informationen na[X.]h neuerer verfassungsre[X.]htli[X.]her Dogmatik ni[X.]ht mehr nur als Fortsetzung des Ersteingriffs, sondern als neue Grundre[X.]htseingriffe zu bewerten, die jeweils einer eigenen gesetzli[X.]hen Ermä[X.]htigung bedürfen und an diesem Grundre[X.]ht zu messen sind ([X.]/[X.], GG, Art. 10 Rn. 61, 87 [Stand: Januar 2010]; [X.], Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., [X.], 833, 835 f.). Dies gilt au[X.]h für deren Einführung in die Hauptverhandlung na[X.]h den strafprozessualen Regeln über die Beweisaufnahme sowie deren Verwertung bei der Urteilsfindung (vgl. [X.], Urteil vom 27. November 2008 - 3 [X.], [X.]St 53, 64, 68).

(aa) Es kann dahinstehen, ob die fortdauernde Wirkung der die Beweiserhebung re[X.]htfertigenden einstweiligen Anordnung des [X.] au[X.]h die Beweisverwertung legitimiert (vgl. [X.], Bes[X.]hlüsse vom 13. April 2010 - 3 Ws 140/10 u.a.; ähnli[X.]h [X.]/Bär, [X.], § 100g Rn. 40a [Stand: August 2010]). Dies könnte zweifelhaft sein, weil die §§ 113a, 113b [X.], § 100g Abs. 1 [X.] allein die Erhebung und die Spei[X.]herung der Daten beim Diensteanbieter und deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden regeln. Es ist deshalb fragli[X.]h, ob sie na[X.]h Wortlaut und Zwe[X.]k als Grundlage weiterer selbstständiger Grundre[X.]htseingriffe in Betra[X.]ht kommen können. Wie bei jedem im Ermittlungsverfahren unter re[X.]htmäßigem Eingriff in ein Grundre[X.]ht gewonnenen Beweismittel ist Re[X.]htsgrundlage für die Einführung der Verkehrsdaten in die Hauptverhandlung - und damit für die erneute Beeinträ[X.]htigung des Grundre[X.]hts aus Art. 10 Abs. 1 GG - jedenfalls die in § 244 Abs. 2 [X.] statuierte Pfli[X.]ht des Geri[X.]hts, zur Erfors[X.]hung der Wahrheit die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung auf alle im Verfahren gewonnenen Beweismittel zu erstre[X.]ken, die für die Ents[X.]heidung von Bedeutung sind. Die re[X.]htli[X.]he Legitimation für die Verwertung der in die Hauptverhandlung eingeführten Daten zur Urteilsfindung - dem no[X.]hmaligen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG - liefert dagegen § 261 [X.], der dem Tatri[X.]hter gebietet, si[X.]h seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu bilden, mithin insbesondere die dort erhobenen Beweise zu würdigen (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 20. Mai 2010 - 2 BvR 1413/09, [X.], 2937, 2938; [X.], Urteil vom 10. Oktober 1979 - 3 [X.], [X.]St 29, 109, 110; [X.], [X.], 53. Aufl., § 244 Rn. 11 mwN).

([X.]) § 244 Abs. 2 und § 261 [X.] legen Anlass, Verwendungszwe[X.]k und Grenzen des weiteren Grundre[X.]htseingriffs hinrei[X.]hend berei[X.]hsspezifis[X.]h, präzise und normenklar fest (s. dazu [X.], Bes[X.]hluss vom 25. März 1992 - 1 BvR 1430/88, [X.] 85, 386, 403 f.; [X.]/[X.], GG, Art. 10 Rn. 138 [Stand: Januar 2010]). Ni[X.]ht etwa ist es hierzu erforderli[X.]h, alle denkbaren Beweismittel, die im Ermittlungs-, Zwis[X.]hen- oder Hauptverfahren außerhalb der Hauptverhandlung dur[X.]h Strafverfolgungsbehörden und Geri[X.]hte unter Beeinträ[X.]htigung eines Grundre[X.]hts re[X.]htmäßig gewonnen wurden, in die Vors[X.]hriften über die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung und die Verwertung der hierbei gewonnenen Beweisergebnisse für das Urteil (no[X.]hmals) enumerativ aufzuzählen, um die weitere Verwendung der Beweismittel gesetzli[X.]h zu legitimieren. Derartiges würde vielmehr zu einer Gesetzesverästelung und -aufblähung führen, ohne dass hierdur[X.]h dem betroffenen Grundre[X.]htsträger tatsä[X.]hli[X.]h ein Mehr an Grundre[X.]htss[X.]hutz und Re[X.]htssi[X.]herheit gewährleistet wäre.

(2) Im Übrigen ist ein Beweisverwertungsverbot zwar bereits von [X.] wegen zumindest bei s[X.]hwerwiegenden, bewussten oder willkürli[X.]hen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundre[X.]htli[X.]hen Si[X.]herungen planmäßig oder systematis[X.]h außer a[X.]ht gelassen worden sind und deshalb na[X.]h der bisherigen Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] in Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernberei[X.]h privater Lebensgestaltung berührt ist ([X.], Bes[X.]hluss vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, [X.], 61, 64). Jedes Beweisverwertungsverbot s[X.]hränkt allerdings die Beweismögli[X.]hkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verda[X.]hts strafbarer Handlungen ein und beeinträ[X.]htigt so die Findung einer materiell ri[X.]htigen und gere[X.]hten Ents[X.]heidung; au[X.]h von [X.] wegen stellt es mithin eine begründungsbedürftige Ausnahme dar ([X.], Bes[X.]hlüsse vom 15. Oktober 2009 - 2 BvR 2438/08, [X.], 287; vom 20. Mai 2010 - 2 BvR 1413/09, [X.], 2937, 2938).

Eine derartige Ausnahme liegt hier ni[X.]ht vor. Bei der insoweit gebotenen Abwägung der Strafverfolgungsinteressen mit den betroffenen Individualinteressen fällt ins Gewi[X.]ht, dass der mit der weiteren Verwertung der Daten verbundene Eingriff in das Grundre[X.]ht des Angeklagten aus Art. 10 Abs. 1 GG ni[X.]ht besonders s[X.]hwer wiegt; insbesondere wird der Kernberei[X.]h privater Lebensgestaltung ni[X.]ht tangiert. Dabei ist zu berü[X.]ksi[X.]htigen, dass die §§ 113a, 113b [X.] zwar in der vom Gesetzgeber gewählten Fassung für ni[X.]htig erklärt worden sind, eine se[X.]hsmonatige anlasslose Spei[X.]herung von [X.] für eine Verwendung im Rahmen der Strafverfolgung, wie sie diese Vors[X.]hriften vorsahen, mit Art. 10 GG jedo[X.]h ni[X.]ht s[X.]hle[X.]hthin unvereinbar ist ([X.], Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., [X.], 833, 837). Im Übrigen bes[X.]hränkt si[X.]h der Eingriff auf die Feststellung des Aufenthalts des Angeklagten; die Inhalte seiner Telekommunikation sind davon ni[X.]ht betroffen, sondern allenfalls deren Umstände. Die inhaltli[X.]hen Voraussetzungen, an die das Bundesverfassungsgeri[X.]ht eine Verwendung von [X.] für Zwe[X.]ke der Strafverfolgung knüpft, sind vorliegend gewahrt. Gegen den Angeklagten besteht ein dur[X.]h bestimmte Tatsa[X.]hen begründeter Verda[X.]ht einer Straftat, deren Qualifizierung als s[X.]hwer in der Strafnorm - insbesondere dur[X.]h deren Strafrahmen - einen objektivierten Ausdru[X.]k findet (vgl. [X.] aaO 841). Wie bereits dargelegt, wiegt die dem Angeklagten vorgeworfene Straftat au[X.]h im Einzelfall s[X.]hwer (vgl. aaO); deren weitere Aufklärung wäre ohne die Verwertung der Daten wesentli[X.]h ers[X.]hwert. Die Effektivierung der Strafverfolgung ist ein legitimer Zwe[X.]k, der einen Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis grundsätzli[X.]h re[X.]htfertigen kann. Denn au[X.]h wenn die Strafprozessordnung ni[X.]ht auf Wahrheitserfors[X.]hung "um jeden Preis" geri[X.]htet ist, s[X.]hränkt die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentli[X.]hen Prinzipien des Strafverfahrensre[X.]hts ein, nämli[X.]h den Grundsatz, dass das Geri[X.]ht die Wahrheit zu erfors[X.]hen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsa[X.]hen und Beweismittel zu erstre[X.]ken hat, die von Bedeutung sind (vgl. [X.], Bes[X.]hlüsse vom 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07, [X.], 1469, 1474; vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, [X.], 61, 64).

(3) Der Senat sieht si[X.]h in seiner Auffassung dadur[X.]h bestätigt, dass das Bundesverfassungsgeri[X.]ht in seinem Urteil vom 2. März 2010 ledigli[X.]h die Lös[X.]hung von den Diensteanbietern no[X.]h ni[X.]ht übermittelter [X.] angeordnet, si[X.]h indes zur Frage der Verwertbarkeit na[X.]h Maßgabe seiner einstweiligen Anordnung erhobener sowie bereits an die Strafverfolgungsbehörden übermittelter Daten ni[X.]ht verhalten und damit deren weitere Verwertung im Strafverfahren ni[X.]ht ausges[X.]hlossen hat. Der genannten Ents[X.]heidung kann deshalb ni[X.]ht die Intention des [X.] entnommen werden, dass die im Ermittlungsverfahren re[X.]htmäßig gewonnenen Daten im weiteren Strafverfahren eins[X.]hließli[X.]h der Urteilsfindung ni[X.]ht mehr verwertet werden dürfen; auf diese Weise würde im Übrigen der Regelungsgehalt der in ihrer Wirkung fortbestehenden einstweiligen Anordnung letztli[X.]h konterkariert und der Verwertung re[X.]htmäßig gewonnener Beweise in systemwidriger Weise na[X.]hträgli[X.]h der Boden entzogen.

(4) Die Unzulässigkeit der Einführung der Daten in die Hauptverhandlung und ihrer Verwertung im Rahmen der Beweiswürdigung na[X.]h dem Urteil des [X.] vom 2. März 2010 folgt au[X.]h ni[X.]ht aus dem Grundsatz, wona[X.]h bei einer Änderung des Strafverfahrensre[X.]hts anhängige Verfahren na[X.]h der neuen Re[X.]htslage fortzuführen sind (vgl. [X.], Urteil vom 27. November 2008 - 3 [X.], [X.]St 53, 64, 67; [X.], [X.], 53. Aufl., § 354a Rn. 4 je mwN). Selbst wenn man diesen Grundsatz entspre[X.]hend auf die hier vorliegende Konstellation überträgt, dass das Bundesverfassungsgeri[X.]ht eine strafprozessuale Frage im Wege einer einstweiligen Anordnung vorübergehend regelt und der Inhalt der Ents[X.]heidung in der Hauptsa[X.]he zu derjenigen der einstweiligen Anordnung in Widerspru[X.]h steht, führt dies ni[X.]ht zur Unverwertbarkeit der erhobenen Daten. Denn wie bereits dargelegt befassen si[X.]h hier sowohl die einstweilige Anordnung als au[X.]h das Hauptsa[X.]heurteil vom 2. März 2010 allein mit den Vors[X.]hriften der §§ 113a, 113b [X.], § 100g [X.] zur Spei[X.]herung der Daten beim Diensteanbieter sowie deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden und damit mit einem zur [X.] der Hauptverhandlung und Urteilsfindung beendeten prozessualen Ges[X.]hehen. Sie betreffen dagegen ni[X.]ht die für die Verwertung der Beweise im weiteren Strafverfahren relevanten § 244 Abs. 2, § 261 [X.]. Diese Bestimmungen sind vielmehr dur[X.]h das genannte Urteil unberührt geblieben und waren deshalb vom [X.] in der Hauptverhandlung und bei der Urteilsfindung ohne Eins[X.]hränkung zu bea[X.]hten.

3. Na[X.]h alldem bedarf es keiner näheren Erörterung, ob das vom Angeklagten zunä[X.]hst zu der ursprüngli[X.]hen Datenabfrage erklärte Einverständnis au[X.]h unabhängig von obigen Erwägungen die Beweiserhebung über die Verkehrsdaten in der Hauptverhandlung und deren Verwertung bei der Urteilsfindung re[X.]htfertigte oder ob der Angeklagte dieses Einverständnis ni[X.]ht zumindest na[X.]h der Verkündung des verfassungsgeri[X.]htli[X.]hen Urteils vom 2. März 2010 wirksam zurü[X.]kziehen konnte. Keiner Betra[X.]htung bedarf au[X.]h die Frage, ob es von re[X.]htli[X.]her Bedeutung ist, dass die Verkehrsdaten als sol[X.]he s[X.]hon vor dem 2. März 2010 im Wege des [X.] verlesen worden waren, während na[X.]h diesem Tag allein no[X.]h deren Auswertung dur[X.]h die Vernehmung der zuständigen polizeili[X.]hen Ermittlungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt wurde.

[X.]                                Hubert

                     S[X.]häfer                                 [X.]

Meta

3 StR 332/10

13.01.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hannover, 23. April 2010, Az: 46 KLs 6503 Js 92914/09 (31/09), Urteil

§ 100g StPO, § 113a TKG, § 113b TKG, Art 10 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.01.2011, Az. 3 StR 332/10 (REWIS RS 2011, 10504)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10504

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