Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.07.2021, Az. III R 21/18

3. Senat | REWIS RS 2021, 4283

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Gegenstand

Zuständigkeit von Familienkassen für das Erhebungsverfahren


Leitsatz

NV: Die örtlich zuständigen Familienkassen sind in Kindergeldsachen nach dem Grundsatz der Gesamtzuständigkeit auch für das Erhebungsverfahren zuständig; die Konzentration der Aufgaben des Erhebungsverfahrens (z.B. Erlass und Stundung von Kindergeldrückforderungen) beim Inkasso-Service Recklinghausen und der Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord war rechtswidrig (vgl. Senatsurteil vom 25.02.2021 - III R 36/19, BFHE 272, 19).

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 07.03.2018 - 8 K 1527/17 (Kg) wird mit der Maßgabe als unbegründet zurückgewiesen, dass die [X.] Familienkasse und nicht die Familienkasse [X.] Nord die Beklagte ist.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beantragte im Februar 2017 bei der [X.] der [X.] den Erlass einer von dieser mit Rückforderungsbescheid vom 28.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.04.2017 festgesetzten Erstattung von Kindergeld für ihre am 30.11.1994 geborene Tochter [X.] Diesen Antrag lehnte die Familienkasse der [X.] Familienkasse mit Bescheid vom 22.06.2017 "i.S. ... ./. [X.]" ab. Den dagegen eingelegten Einspruch der Klägerin vom 21.07.2017 wies die Familienkasse [X.] Nord der [X.] (Familienkasse) mit Einspruchsentscheidung vom 24.08.2017 als unbegründet zurück.

2

Die daraufhin erhobene Klage führte zur Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung. Das Finanzgericht ([X.]) behandelte die Familienkasse [X.] Nord als Beklagte und entschied, diese sei örtlich unzuständig.

3

Zur Begründung ihrer Revision trägt die Familienkasse [X.] Nord vor, das [X.] beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung von § 16, § 17 ff., § 218 ff. der Abgabenordnung ([X.]) sowie § 5 des Finanzverwaltungsgesetzes ([X.]). Der [X.] sei für den Ablehnungsbescheid vom 22.06.2017 örtlich zuständig gewesen.

4

Das [X.] ([X.]) ist dem Rechtsstreit beigetreten (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) und unterstützt die Rechtsauffassung der Verwaltung. Es führt aus, die [X.] in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 [X.] sei geschaffen worden, um die Effizienz der Verwaltung durch eine selbstständig festlegbare örtliche Zuständigkeit und eine dadurch erreichbare Spezialisierung der Mitarbeiter seitens der [X.] zu erhöhen. Der Wortlaut der Vorschrift sei vor diesem Hintergrund zu sehen; er belege nicht, dass eine abweichende Zuständigkeit nur für den Kindergeldanspruch als Ganzes erfolgen könne, nicht aber für einzelne Teilbereiche. Der Begriff "Anspruch auf Kindergeld" sei ein Oberbegriff; eine Differenzierung nach den einzelnen Verfahrensstadien im Gesetz sei angesichts der vom Gesetzgeber als weitreichende Konzentrationsbefugnis verstandenen Regelung nicht erforderlich gewesen. Soweit das [X.] es für unzweckmäßig halte, dass eine mit den persönlichen Verhältnissen des [X.] nicht vertraute Behörde ermächtigt werde, verkenne es, dass Fragen der Zweckmäßigkeit behördlicher Zuständigkeiten von den [X.] bei der Anwendung von Vorschriften über die behördlichen Zuständigkeiten grundsätzlich nicht zu prüfen seien ([X.] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.06.2020 - 7 K 14045/18, Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1284, Rz 31).

5

Nach einem Hinweis des Senats stimmen die Beteiligten überein, dass das Rubrum des Verfahrens dahin zu berichtigen ist, dass anstelle der Familienkasse [X.] Nord, die über den Einspruch entschieden hatte, die [X.] Familienkasse, welche den Erlass abgelehnt und damit den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hatte (§ 63 Abs. 1 [X.]O), die Beklagte und Revisionsklägerin ist.

6

Die Familienkasse beantragt,
das [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

8

Die Revision ist unbegründet. Sie wird mit der [X.]aßgabe zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 [X.]O), dass das Rubrum des angefochtenen Urteils dahin zu berichtigen ist, dass anstelle der Familienkasse [X.] Nord die [X.] Familienkasse die Beklagte und Revisionsklägerin ist. Das [X.] ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Bescheid über die Ablehnung des Erlasses sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung von unzuständigen Behörden erlassen wurden.

9

1. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung. Das Fehlen der Verzichtserklärung des gemäß § 122 Abs. 2 Satz 4 [X.]O beigetretenen [X.] steht dem nicht entgegen (z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 11.11.2010 - VI R 17/09, [X.], 40, [X.] 2011, 969, und vom 27.05.2020 - XI R 9/19, [X.]E 269,138, [X.] 2020, 802, Rz 45).

2. Die Klage richtet sich infolge rechtschutzgewährender Auslegung gegen die [X.] Familienkasse. Denn diese Familienkasse hat den beantragten Erlass abgelehnt, sodass gemäß § 63 Abs. 1 [X.]O die Klage gegen sie zu richten ist, weil sie den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat. Daher ist sie und nicht die Familienkasse [X.] Nord als Rechtsmittelbehörde beteiligt ([X.] vom 17.08.2007 - XI S 15/07 (PKH), [X.], 2142; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 63 [X.]O Rz 20), weil kein Fall des § 63 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O vorliegt. Die Berichtigung des Rubrums kann auch noch im Revisionsverfahren geschehen; die Beteiligten haben keine Einwendungen erhoben.

3. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass der ablehnende Bescheid vom 22.06.2017 und die Einspruchsentscheidung vom 24.08.2017 aufzuheben sind, weil sie rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen (§ 101 Satz 1 [X.]O). Beide Bescheide wurden von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen.

a) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis können nach § 227 [X.] ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Behörde (grundlegend: Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] vom 19.10.1971 - GmS-OGB 3/70, [X.], 101, [X.] 1972, 603). Dem folgt die ständige Rechtsprechung des [X.] zu § 227 [X.] (z.B. Senatsurteil vom 20.02.2019 - III R 28/18, [X.]/NV 2019, 825, m.w.N.).

Die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Erlass bestimmt sich nach der Verwaltungshoheit, welche sowohl die im Festsetzungsverfahren als auch die im Erhebungsverfahren zu treffenden Entscheidungen umfasst ([X.] in Tipke/ [X.], § 227 [X.] Rz 117).

Die sachliche Zuständigkeit der Finanzbehörden richtet sich gemäß § 16 [X.], soweit nichts anderes bestimmt ist, nach den einschlägigen Regelungen des [X.]. Insoweit sieht § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 1 [X.] in der im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 22.06.2017 und der Einspruchsentscheidung vom 24.08.2017 geltenden Fassung vor, dass dem [X.]zentralamt für Steuern (BZSt) die Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach [X.]aßgabe der §§ 31, 62 bis 78 des Einkommensteuergesetzes (EStG) obliegt. Die [X.]agentur für Arbeit stellt dem BZSt zur Durchführung dieser Aufgaben ihre Dienststellen als Familienkassen zur Verfügung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 2 [X.]). Der Vorstand der [X.]agentur für Arbeit kann innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der [X.] über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse übertragen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 [X.]). Entsprechend bestimmt § 6 Abs. 2 Nr. 6 [X.], dass auch die Familienkassen Finanzbehörden im Sinne der [X.] sind.

b) Die sachliche Zuständigkeit beschreibt gegenständlich den Tätigkeitsbereich einer Behörde, also die Zuordnung einer bestimmten Aufgabe des materiellen Sachrechts an eine Verwaltungseinheit ([X.], [X.], 11. Aufl., vor § 3 Rz 6; [X.]/[X.], Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 21 Rz 47). Sie bestimmt Gegenstand, Inhalt und Umfang der zugewiesenen Aufgaben; dabei kann es sich um die Zuordnung einer bestimmten Aufgabe oder eines beschränkten oder umfassenden Aufgabenbereichs an eine Behördenart oder an eine einzelne Behörde handeln ([X.] in [X.], [X.] § 16 Rz 2). Aus der sachlichen Zuständigkeit folgen das Recht und die Pflicht einer Behörde, innerhalb des ihr zugewiesenen Aufgabenbereichs tätig zu werden ([X.] in [X.], § 16 [X.] Rz 5; [X.] in Tipke/[X.], § 16 [X.] Rz 3). Eine Behörde ist nur für den ihr zugewiesenen Aufgabenkreis zuständig und darf nur im Rahmen ihrer sachlichen Zuständigkeit tätig werden ([X.]-Urteile vom 29.10.1986 - VII R 82/85, [X.]E 148, 108, [X.] 1988, 359, unter [X.], und vom 26.07.1988 - VII R 194/85, [X.]E 154, 304, [X.] 1989, 3).

Die sachliche Zuständigkeit muss wegen des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) und als wesentliche Regelung des Verwaltungsverfahrens in einem grundrechtlich geschützten Bereich --wie er im Fall des Familienleistungsausgleichs vorliegt-- durch Gesetz i.S. des § 4 [X.] geregelt werden ([X.]verfassungsgericht vom 27.11.1990 - 1 BvR 402/87, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 1471, unter [X.]; [X.]-Urteil vom 11.01.2012 - I R 25/10, [X.]E 236, 318, [X.] 2012, 616, Rz 28; [X.] in [X.], [X.] § 16 Rz 2; [X.] in Tipke/[X.], § 16 [X.] Rz 11; [X.] in [X.], § 16 [X.] Rz 5).

Demgegenüber ergibt sich aus den Regelungen über die örtliche Zuständigkeit, welche von mehreren sachlich zuständigen Behörden der gleichen hierarchischen Stufe eines [X.] die Verwaltungstätigkeit durchzuführen hat ([X.] in [X.], § 17 [X.] Rz 2; [X.] in Tipke/[X.], § 17 [X.] Rz 1). Die örtliche Zuständigkeit ist die Kompetenz, in einem räumlich begrenzten Wirkungsbereich (Bezirk) tätig werden zu dürfen und zu müssen, wobei sich die konkret örtlich zuständige Finanzbehörde erst anhand der Regelungen über den Sitz und den Bezirk der jeweiligen Finanzbehörde feststellen lässt ([X.] in [X.], § 17 [X.] Rz 2). Für die örtliche Zuständigkeit gilt nach neuerer Rechtsprechung des [X.] der Grundsatz der [X.] ([X.]-Urteil vom 19.03.2019 - VII R 27/17, [X.]E 263, 483, [X.] 2020, 31, Rz 18, m.w.N.; [X.] in [X.], § 17 [X.] Rz 11; [X.] in Tipke/[X.], § 17 [X.] Rz 5). Umfasst werden daher grundsätzlich alle Verwaltungstätigkeiten der Finanzbehörde, die sich aus dem gesamten Besteuerungsverfahren ergeben (Festsetzung, Rechtsbehelfsverfahren, Erhebung und Vollstreckung; [X.] in [X.] Ab 01.01.2015, § 17 [X.] Rz 2 [Aktualisierung vom 16.05.2018]).

c) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im Streitfall in Bezug auf die [X.] Familienkasse bereits zweifelhaft, ob in organisationsrechtlicher Hinsicht eine Familienkasse eingerichtet wurde.

aa) Zwar sieht § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 2 [X.] vor, dass die [X.]agentur für Arbeit dem BZSt zur Durchführung der diesem obliegenden Aufgaben des Familienleistungsausgleichs ihre Dienststellen als Familienkassen zur Verfügung stellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede Dienststelle der [X.]agentur für Arbeit zugleich eine Familienkasse darstellt. Bereits zum 01.05.2013 wurden die vormals selbstständigen, bei den Agenturen für Arbeit angegliederten 102 örtlichen Familienkassen im Rahmen einer sogenannten Verbundbildung zu insgesamt 14 Familienkassen am Sitz bestimmter Agenturen für Arbeit zusammengefasst. Soweit daneben Dienststellen am Sitz der bisherigen selbstständigen Familienkassen beibehalten wurden, stellten diese fortan unselbstständige Außenstellen der 14 Familienkassen dar (s. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof [X.] vom 23.10.2014 - 18 P 13.2490, Rz 3, juris). Als besondere Dienststelle i.S. des § 367 Abs. 2 Satz 2 des [X.] wurde nur noch die Direktion der Familienkasse fortgeführt (s. [X.] vom 23.10.2014 - 18 P 13.2490, Rz 16, juris). Entsprechend bestand auch gemäß dem nachfolgenden Beschluss des Vorstands der [X.]agentur für Arbeit vom 14.04.2016 (Amtliche Nachrichten der [X.]agentur für Arbeit --[X.]-- Nr. 5/2016) bei der [X.] keine eigenständige Familienkasse, sondern nur eine Außenstelle der Familienkasse [X.] Nord mit Sitz bei der [X.] in [X.] oben ausgeführt, ist die [X.] im Streitfall jedoch nicht als Außenstelle der Familienkasse [X.] Nord, sondern als eigenständige Behörde tätig geworden. Zudem deutet Nr. 2.3. des Beschlusses des Vorstands der [X.]agentur für Arbeit Nr. 23/2018 vom 20.09.2018 ([X.] Nr. 10/2018), wo von "Entscheidungen der [X.]" ausgegangen wird, darauf hin, dass solche Inkasso-Stellen bei mehreren Agenturen für Arbeit betrieben und in [X.] tätig werden sollten, sodass auch nicht ersichtlich ist, woraus sich die Zentralisierung aller [X.] bei der [X.] Familienkasse ergeben soll.

bb) Die vom Senat im Urteil vom 25.09.2014 - III R 25/13 ([X.]E 247, 233, [X.] 2015, 847) aufgestellten Rechtsgrundsätze lassen sich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. In jenem Fall ging es darum, ob sich eine Familienkasse, die bei der Hauptstelle einer [X.] angesiedelt wurde, Realakte zentraler Serviceeinrichtungen --wie z.B. des [X.] oder der [X.] zurechnen lassen muss, die bei einer Außenstelle dieser [X.] bestehen. Im vorliegenden Fall geht es dagegen darum, dass eine Stelle einer [X.] einen Verwaltungsakt in einer Kindergeldangelegenheit erlassen hat und nach außen als Familienkasse aufgetreten ist, obwohl nicht ersichtlich ist, dass bei dieser [X.] eine eigenständige Familienkasse errichtet wurde.

d) Jedenfalls mangelt es aber an einer Regelung, die der [X.] Familienkasse eine sachliche Zuständigkeit für Inkassoangelegenheiten zuweist.

aa) Die sachliche Zuständigkeit für die Durchführung der sich im Rahmen des Familienleistungsausgleichs nach [X.]aßgabe der §§ 31, 62 bis 78 EStG zu erfüllenden Aufgaben obliegt gemäß § 16 [X.] i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Sätze 1 und 2 [X.] dem BZSt, das sich hierfür der von der [X.]agentur für Arbeit eingerichteten Dienststellen bedient. Nach der in [X.] Nr. 5/2016, S. 05/5 veröffentlichten Organisationsentscheidung des Vorstands der [X.]agentur für Arbeit bestanden im Zeitpunkt des Erlasses des [X.] vom 22.06.2017  14 Familienkassen. Diese waren deshalb sachlich zuständig (vgl. Senatsurteil vom 19.01.2017 - III R 31/15, [X.]E 256, 502, [X.] 2017, 642, Rz 15).

bb) Da somit für [X.] im Allgemeinen mehrere sachlich zuständige Behörden gleicher hierarchischer Stufe vorhanden waren, bestimmen die Regelungen über die örtliche Zuständigkeit, welche die für den Kläger im Speziellen zuständige Familienkasse ist. Örtlich zuständig ist grundsätzlich die Familienkasse, in deren Bezirk der [X.] seinen Wohnsitz hat (§ 19 Abs. 1 Satz 1 [X.]; Senatsurteil in [X.]E 247, 233, [X.] 2015, 847, Rz 21). Im Fall der Klägerin, die ihren Wohnsitz in [X.] hat, war dies die [X.]. Aufgrund des Grundsatzes der [X.] umfasste die Zuständigkeit der [X.] nicht nur die Zuständigkeit für die Festsetzung des Kindergeldes, sondern u.a. auch für Entscheidungen im Rahmen des [X.] nach dem Fünften Teil der [X.], wie vorliegend für die Entscheidung über einen Erlass nach § 227 [X.]. Daraus folgt zugleich, dass andere Familienkassen für die Klägerin sachlich und örtlich unzuständig waren.

cc) Nichts anderes ergibt sich aus dem auf § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 [X.] gestützten Beschluss des Vorstands der [X.]agentur für Arbeit Nr. 15/2016 vom 14.04.2016 ([X.] Nr. 5/2016), der ähnliche Regelungen im Vorstandsbeschluss Nr. 21/2013 vom 18.04.2013 ([X.] Nr. 5/2013) übernommen hat.

(1) Nach Nr. 2.4 des Vorstandsbeschlusses vom 14.04.2016 soll die regionale Familienkasse [X.] Nord für die Bearbeitung von Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen des [X.] im Bereich des steuerlichen Kindergeldes zuständig sein. Die Zuständigkeit soll die Bearbeitung von außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren einschließlich der Bearbeitung von sogenannten Nebenverfahren (zum Beispiel Anträge auf Aussetzung der Vollziehung) und Folgearbeiten (zum Beispiel Kostenfestsetzungen) sowie Anträgen auf "schlichte Änderung" gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.] mit Ausnahme der Rechtsmittelverfahren vor dem [X.] umfassen.

(2) Soweit es um die Zuständigkeit der [X.] Familienkasse geht, ist diese Behörde in den vorbezeichneten Beschlüssen weder erwähnt, noch ist eine Zuständigkeit für bestimmte Ausgangsentscheidungen überhaupt geregelt. [X.] ist insbesondere auch, welche Aufgabengebiete und Verwaltungstätigkeiten überhaupt unter den Oberbegriff "Inkasso" fallen sollen. Deshalb fehlt es allein schon aus diesen Gründen an einer wirksamen Zuständigkeitsregelung.

(3) Aber selbst wenn man davon ausginge, dass mit der Erwähnung des "[X.]" eine Ausgangszuständigkeit der [X.] vorausgesetzt wird, fehlte es hierfür an einer wirksamen Zuständigkeitsregelung. Denn die gesetzliche Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 [X.] räumt dem Vorstand der [X.]agentur für Arbeit nur die Befugnis ein, innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der [X.] "über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden" die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse zu übertragen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 [X.]). Die Übertragung der Zuständigkeit für bestimmte Sachaufgaben (z.B. Entscheidungen im Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren) betrifft aber den Gegenstand und Inhalt der der Finanzbehörde zugewiesenen Aufgaben. Dies stellt eine Frage der sachlichen Zuständigkeit der Behörde dar, weil die bisher sachlich zuständige Behörde aufgrund der Übertragung für die betreffende Aufgabe nicht mehr zuständig sein soll, obwohl sie im Übrigen für den betreffenden [X.]n sachlich und örtlich zuständig bleibt.

Eine entsprechende Befugnis zur Aufteilung sachlicher Zuständigkeiten findet sich für Finanzämter in § 17 Abs. 2 [X.]. Danach können Landesregierungen durch Rechtsverordnung die Zuständigkeit von Finanzämtern auf einzelne Aufgaben beschränken oder einem Finanzamt Zuständigkeiten für die Bezirke mehrerer Finanzämter übertragen (ebenso [X.] [X.]ünchen, Urteil vom 07.07.2020 - 5 K 2557/19, juris, Rz 35), also z.B. unter Änderung der sachlichen Zuständigkeit Finanzämter mit Sonderzuständigkeiten gründen ([X.] in [X.], § 17 [X.] Rz 12). [X.] die Auffassung der Verwaltung zu, dass die eine Abweichung von der örtlichen Zuständigkeit erlaubende Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 [X.] auch eine Verlagerung der Zuständigkeit nur für einzelne Verfahrensstadien zuließe, wäre die Regelung des § 17 Abs. 2 Satz 3 [X.] überflüssig, da die Regelung der örtlichen Zuständigkeit der Finanzämter und Bezirksänderungen lediglich eines Organisationsaktes bedürfen ([X.] in [X.], § 17 [X.] Rz 9). Eine dem § 17 [X.] entsprechende Ermächtigung ist indessen für Familienkassen nicht ersichtlich.

Deshalb hätte eine abweichende Regelung über die örtliche Zuständigkeit vorausgesetzt, dass die [X.] für [X.], die bestimmten Bezirken zuzuordnen sind oder sich nach allgemeinen Gruppenmerkmalen bestimmen lassen, auf eine andere Familienkasse übertragen wird.

Hierdurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Sachverhalt, welcher dem Senatsurteil in [X.]E 256, 502, [X.] 2017, 642 zugrunde liegt. In Letzterem wurde die [X.] für das Kindergeldverfahren für Anspruchsberechtigte, die bestimmte Anknüpfungspunkte an den [X.]itgliedstaat der [X.] aufweisen (Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt des Anspruchsberechtigten, des anderen Elternteils oder des anspruchsbegründenden Kindes in [X.], Anwendbarkeit des [X.] Rechtes oder Bezug einer Rente aus [X.]) auf eine bestimmte Familienkasse übertragen. Dagegen sollte im vorliegenden Fall die [X.] aufgespalten werden, indem für Entscheidungen des [X.] weiterhin die [X.], für Entscheidungen des nicht näher beschriebenen "Inkasso-Bereichs" hingegen eine andere Familienkasse zuständig sein sollte.

Nichts anderes ergibt sich auch aus der vom [X.] angeführten Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Familienförderung (BTDrucks 14/1513, S. 18). Danach sollte die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 [X.] eingeführte Ermächtigung dem Ziel der Verbesserung der Durchführung des Familienleistungsausgleichs dienen. [X.]it ihr sollte dem Präsidenten der [X.]anstalt für Arbeit die [X.]öglichkeit gegeben werden, zur Erhöhung der Effizienz der Verwaltung zweckdienliche Zuständigkeitsverlagerungen vorzunehmen. Personal- und betriebswirtschaftliche Gründe erforderten --insbesondere für den Großraum [X.]ünchen-- eine solche [X.]odifizierung der bisherigen, auf der [X.] beruhenden Zuständigkeiten. Aus organisatorischen Gründen bestehe ein dringendes Bedürfnis, eine Rechtsgrundlage für Veränderungen der örtlichen Zuständigkeit möglichst bald zur Verfügung zu stellen. Hieraus ergibt sich ebenfalls, dass es nur um Änderungen der örtlichen Zuständigkeit ging und insbesondere für [X.] in Ballungsgebieten wie [X.]ünchen die Übertragung der Zuständigkeit auf Familienkassen außerhalb dieses Ballungsgebietes ermöglicht werden sollte (z.B. [X.] Süd in [X.] mit verschiedenen Außenstellen).

dd) Auch auf eine andere gesetzliche Grundlage ließe sich eine Zuständigkeitsübertragung durch die erwähnten Beschlüsse des Vorstands der [X.]agentur für Arbeit nicht stützen.

Die sachliche Zuständigkeit für die Durchführung des Familienleistungsausgleichs ist --soweit es nicht um Kindergeldverfahren für Angehörige des öffentlichen Dienstes nach § 72 EStG geht-- in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 [X.] geregelt. Eine Ermächtigung für die abweichende Regelung der sachlichen Zuständigkeit der bei den Dienststellen der [X.]agentur für Arbeit errichteten Familienkassen ergibt sich daraus nicht.

§ 17 [X.] enthält nur eine Bestimmung über Bezirk, Sitz und Aufgaben der Finanzämter. Die in § 17 Abs. 2 Satz 3 [X.] enthaltene Ermächtigung richtet sich daher nur an die Landesregierungen und ist auf Zuständigkeitsübertragungen bei den [X.] beschränkt. Eine allgemeine Ermächtigung für abweichende Regelungen der sachlichen Zuständigkeit bei sämtlichen Finanzbehörden, insbesondere auch [X.]finanzbehörden, ergibt sich daraus entgegen der Auffassung des [X.] nicht.

Auch enthält der Fünfte Teil der [X.] für das Erhebungsverfahren keine Spezialregelung für die sachliche Zuständigkeit, wie sie etwa der Sechste Teil im Hinblick auf das u.a. den Hauptzollämtern übertragene Vollstreckungsverfahren enthält (§ 249 Abs. 1 Satz 3 [X.] i.V.m. § 12 Abs. 2 [X.]), und auch keine Ermächtigung für die Konzentration sachlicher Zuständigkeiten, wie sie etwa im [X.] der [X.] durch § 387 Abs. 2 [X.] für das Steuerstraf- und Bußgeldverfahren vorgesehen ist (s. dazu [X.] in Tipke/[X.], § 17 [X.] Rz 5).

ee) Soweit die [X.] Familienkasse und das [X.] die Zuständigkeitsübertragung auf Ziff. 1.5 der Durchführungsbestimmungen zum Kassen- und Einzugswesen der [X.]agentur für Arbeit ([X.]) stützen will, hat sie hierfür eine gesetzliche Grundlage weder dargelegt noch ist eine solche anderweitig ersichtlich. Insbesondere lässt sie sich für den Bereich der Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs nicht auf Vorschriften des [X.] ([X.]) stützen (s. hierzu BTDrucks 18/10299, S. 6, wonach die [X.] als Durchführungsanweisungen zur [X.]haushaltsordnung und auf der Grundlage der § 76 und § 77a [X.] erlassen wurden).

e) Auch was die durch die genannten Beschlüsse des Vorstands der [X.]agentur für Arbeit begründete Zuständigkeit der Familienkasse [X.] Nord für die Bearbeitung von Rechtsbehelfen gegen die Entscheidungen des [X.] anbelangt, fehlt es an einer wirksamen Übertragung der sachlichen Zuständigkeit. Hier ist zwar die Zuständigkeitsübertragung, anders als bei der [X.], in den Vorstandsbeschlüssen explizit geregelt. Es fehlt aber an einer gesetzlichen Grundlage für die Übertragung der sachlichen Zuständigkeit. So wie die Ausgangsentscheidung über Fragen des [X.] in die [X.] der [X.] fällt, ist dies auch bei der [X.] der Fall. Insoweit wird auf die Ausführungen unter [X.]) verwiesen.

f) Der Verstoß gegen die Regelungen über die sachliche Zuständigkeit führt nicht zur Nichtigkeit der betreffenden Verwaltungsakte nach § 125 Abs. 1 [X.]. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 oder § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b [X.] können Verwaltungsakte aufgehoben oder geändert werden, wenn sie von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden sind. Da die Aufhebbarkeit einen wirksamen Verwaltungsakt voraussetzt, folgt aus den Vorschriften, dass sachlich unzuständiges Handeln grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit führt (von [X.] in [X.], [X.] § 125 Rz 61). Auch sind im Streitfall keine Umstände ersichtlich, die für einen besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler sprechen. Insbesondere werden Aufgaben im Bereich des Familienleistungsausgleichs üblicherweise von Stellen wahrgenommen, die bei der [X.]agentur für Arbeit angesiedelt sind. Der vorliegende Fall ist daher nicht vergleichbar mit einem Fall, in dem ein Bescheid in einer Kindergeldangelegenheit für einen nicht im öffentlichen Dienst beschäftigten [X.]n von einer offensichtlich unzuständigen Behörde (etwa einem Veterinäramt oder einer Bauordnungsbehörde) erlassen würde.

g) Da auch die Familienkasse [X.] Nord für die [X.] sachlich unzuständig war, braucht der Senat nicht weiter auf die Frage einzugehen, ob eine durch die sachlich unzuständige Ausgangsbehörde getroffene Entscheidung durch eine nachfolgende, von der sachlich zuständigen Behörde getroffene Einspruchsentscheidung gemäß § 126 Abs. 2 [X.] geheilt werden kann.

h) Der Aufhebung der angegriffenen Verwaltungsakte steht auch § 127 [X.] nicht entgegen. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 [X.] nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Die Vorschrift erwähnt nur die Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit, nicht dagegen den Verstoß gegen die Regelungen über die sachliche Zuständigkeit. Die Regelungen über die sachliche Zuständigkeit fallen auch nicht unter die in § 127 [X.] genannten Verfahrensvorschriften (Senatsurteil vom 19.04.2012 - III R 85/11, [X.]/NV 2012, 1411, Rz 13, m.w.N.; von [X.] in [X.], [X.] § 127 Rz 7). Überdies handelt es sich bei der Entscheidung über den Erlass um eine Ermessensentscheidung, auf die § 127 [X.] grundsätzlich keine Anwendung findet (Senatsurteil in [X.]/NV 2012, 1411, Rz 11; [X.] in Tipke/[X.], § 227 [X.] Rz 117; Oellerich in [X.], [X.] § 227 Rz 100 ff.).

4. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III R 21/18

07.07.2021

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 7. März 2018, Az: 8 K 1527/17 (Kg), Urteil

§ 16 AO, § 17 AO, § 5 Abs 1 S 1 Nr 11 S 1 FVG, § 5 Abs 1 S 1 Nr 11 S 2 FVG, § 5 Abs 1 S 1 Nr 11 S 4 FVG, § 17 Abs 2 S 3 FVG, § 6 Abs 2 Nr 6 AO, § 125 Abs 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.07.2021, Az. III R 21/18 (REWIS RS 2021, 4283)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4283

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Sachliche Unzuständigkeit des sog. regionalen Inkassoservice im Bereich des steuerlichen Kindergeldes


III R 28/20 (Bundesfinanzhof)

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 25.02.2021 - III R 36/19: Sachliche Unzuständigkeit des sog. …


III R 1/21 (Bundesfinanzhof)

Zuständigkeit von Familienkassen für das Erhebungsverfahren


III R 33/20 (Bundesfinanzhof)

Zuständigkeit von Familienkassen für das Erhebungsverfahren


III R 4/21 (Bundesfinanzhof)

Zuständigkeit von Familienkassen für das Erhebungsverfahren


Referenzen
Wird zitiert von

10 K 1861/19

10 K 2208/19

10 K 1619/19

12 K 234/19

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