Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.09.2006, Az. V ZR 239/05

V. Zivilsenat | REWIS RS 2006, 1713

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.] Verkündet am: 22. September 2006 W i l m s, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1 Dass zur Feststellung der Baulandqualität eines Grundstücks kein Augenschein ein-genommen worden ist, bildet grundsätzlich keinen hinreichenden Grund zur Aufhe-bung des [X.]eils und des Verfahrens und Zurückverweisung des Rechtsstreits. [X.], [X.]. v. 22. September 2006 - [X.] - [X.] [X.]
- 2 - Der V. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2006 durch [X.] und [X.] [X.], [X.], [X.] und Dr. [X.] für Recht erkannt: Auf die Revision des [X.] wird das [X.]eil des 19. Zivilsenats des [X.] vom 15. September 2005 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 5. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen Tatbestand: Mit Notarvertrag vom 10. März 1998 verkaufte der Kläger der beklagten Gemeinde das 3.056 qm große Flurstück 486/3 Flur 145 der Gemarkung [X.]und aus dem angrenzenden Flurstück 486/6 eine Teilfläche von 1.055 qm (im Folgenden: [X.]). Das Flurstück 486/3 ist Bestandteil des so ge-nannten Bössgeländes, für das die Beklagte 1995 im Hinblick auf die beabsich-tigte Aufstellung eines Bebauungsplans eine Veränderungssperre beschlossen hatte. 1 - 3 - Die Beklagte verpflichtete sich im Kaufvertrag zur Bezahlung von 1.050.000 [X.] (255,41 [X.]/qm) sowie dazu, dem Kläger 125 qm ihres an das Flurstück 486/6 angrenzenden Flurstücks 435/2 zu übertragen, um die Bebau-barkeit der aus dem Flurstück 486/3 dem Kläger verbleibenden Fläche zu ge-währleisten, und die Kosten der Erschließung des so zu bildenden Grundstücks zu tragen. Die Beklagte bezahlte den vereinbarten Kaufpreis und wurde als Ei-gentümerin in das Grundbuch eingetragen. Sie vereinheitlichte die [X.] mit angrenzenden Grundstücken und teilte das so entstandene Grundstück neu auf. Im Wesentlichen veräußerte sie die entstandenen Parzel-len. Derzeit ist sie noch Eigentümerin des aus der Teilung hervorgegangenen Flurstücks 486/14, das sie im Oktober 1998 für 800 [X.]/qm zum Kauf anbot. 2 Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe ihn arglistig über die Quali-tät der Grundstücke als Bauland getäuscht und sittenwidrig übervorteilt. Der Wert der verkauften Grundstücke habe bei Vertragsabschluss 800 [X.]/qm betragen. Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, der Berichtigung des Grundbuchs dahin zuzustimmen, dass er Eigentümer des Flurstücks 486/14 sei, und im Wege der Stufenklage die Beklagte zur Auskunft über den aus dem Weiterverkauf der [X.] erzielten Erlös und dessen Verwendung und zur Erstattung des hiernach zu beziffernden Betrages zu verurteilen. Das [X.] hat nach Beweiserhebung zum Wert der [X.] durch Teilurteil dem [X.] stattgegeben und die Beklagte zu der [X.] Auskunft verurteilt. Das [X.] hat das [X.]eil und das Ver-fahren des [X.]s aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landge-richtlichen [X.]eils. 3 - 4 - Entscheidungsgründe: [X.] Das Berufungsgericht hält das Verfahren des [X.]s für fehlerhaft. Es meint, die Feststellung des [X.]s, der vereinbarte Kaufpreis bleibe um mehr als die Hälfte hinter dem Wert der verkauften Grundstücke zurück, erlaube den Schluss auf ein verwerfliches Verhalten der Beklagten nur, wenn keine besonderen Umstände vorlägen, die einem solchen Schluss entgegen stünden. Hierauf habe das [X.] den Kläger hinweisen müssen. Der Hinweis hätte den Kläger zu weiterem Vortrag veranlasst, über den umfänglich Beweis zu erheben gewesen sei. Des Weiteren habe es zur Beurteilung der Bebaubarkeit des Flurstücks 486/3 der Einnahme eines Augenscheins bedurft. 4 I[X.] Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. 5 Die von dem Berufungsgericht ausgesprochene Zurückverweisung ent-spricht nicht dem Verfahrensrecht. Die Revision rügt mit Recht, dass das [X.] selber eine Sachentscheidung hätte treffen müssen, § 538 Abs. 1 ZPO. 6 1. Bei der Beurteilung des Verfahrens des Ausgangsgerichts ist von [X.] materiellrechtlicher Sicht auszugehen (st. Rspr., vgl. [X.], [X.]. v. 7. Juni 1993, [X.], NJW 1993, 2318; v. 19. Mai 1999, [X.], [X.], 1289). Hiernach bestand kein Anlass zu einem Hinweis an den - obsie-genden - Kläger. Das [X.] hat den Kaufvertrag vom 10. März 1998 als nach § 138 Abs. 1 - und Abs. 2 - BGB nichtig erachtet. Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von In-halt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den [X.] nicht zu vereinbaren ist. Hierzu ist weder das Bewusstsein der Sit-tenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich (st. Rspr., vgl. Senat, [X.] 146, 298, 301). Gegenseitige Verträge können vielmehr, auch wenn der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB nicht erfüllt ist, sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den [X.] der subjektiven und objektiven Umstände als sittenwidrig erscheinen lässt. 8 So verhält es sich, wenn eine Vertragspartei die wirtschaftlich schwache Position der anderen [X.] zu ihrem Vorteil ausnutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass die andere [X.] sich nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für sie ungünstigen [X.] hat. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung beson-ders grob, kann dies den Schluss auf die bewusste oder grob fahrlässige [X.] eines den Verhandlungspartner in seiner Entscheidungsfreiheit [X.] Umstandes rechtfertigen. So liegt es, wenn die Leistung der ei-nen Vertragspartei den Wert der Leistung der anderen Vertragspartei um rund das Doppelte übersteigt. Ein derartiges Missverhältnis begründet die tatsächli-che Vermutung verwerflichen Handelns (Senat, [X.] 146, 290, 305). 9 - 6 - Das [X.] hat ein solches Missverhältnis festgestellt. Damit aber oblag es der Beklagten, Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu bewei-sen, die die Vermutung erschüttern, und nicht dem Kläger, einen Sachverhalt vorzutragen, nach welchem derartige Umstände auszuschließen sind. 10 2. Das [X.] war auch nicht veranlasst, das ehemalige Flurstück 486/3 in Augenschein zu nehmen. 11 a) Der Wert dieses Flurstücks bei Abschluss des Kaufvertrags wurde von dessen Bebaubarkeit bestimmt. Insoweit streiten die [X.]en darüber, ob das Flurstück ohne den Beschluss eines entsprechenden Bebauungsplans durch die Beklagte insgesamt oder nur teilweise gem. § 34 BauGB bebaubar war. Diese Frage ist aufgrund der Lage des Grundstücks und der Bebauung der an-grenzenden Grundstücke zu entscheiden. Das [X.] hat die [X.] als insgesamt gegeben angesehen. Zu diesem Ergebnis ist es auf der Grundlage der Feststellungen des von ihm beauftragten Sachverständigen, der von diesem gefertigten Fotografien, der Aussagen eines anderen [X.] in einem anderen Rechtsstreit und den schriftlichen Äußerungen eines Mitarbeiters des zuständigen Landratsamts gekommen. Es hat gemeint, auf dieser Grundlage zur Beurteilung der Qualität des Grundstücks auch ohne die Einholung eines Augenscheins in der Lage zu sein. Das ist nicht zu [X.]. 12 Über die Frage der Einholung eines Augenscheins hatte das [X.] gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ([X.] 66, 63, 68). Die Ermessensausübung des [X.]s lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Ein Antrag, gegenbeweislich durch die Einnahme eines Augenscheins zur Lage des Grundstücks und zur Bebauung der angrenzenden 13 - 7 - Grundstücke Beweis zu erheben, ist von der Beklagten im ersten Rechtszug nicht gestellt worden. b) Nach § 538 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht grundsätzlich die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist eine Ausnahmeregelung, die den Grundsatz der Prozessbeschleunigung durchbricht, wenn die Aufhebung des angefochtenen [X.]eils wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers erfolgt und eine umfangrei-che oder aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Bei der insoweit notwen-digen Abwägung ist in Erwägung zu ziehen, dass eine Zurückverweisung der Sache zu einer erheblichen Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits führt und dies in der Regel den schützenswerten Interessen der [X.]en [X.] (vgl. [X.], [X.]. v. 8. Juli 2004, [X.], NJW-RR 2004, 1537, 1538). Die Aufhebung und Zurückverweisung wegen einer noch [X.] Beweisaufnahme ist deshalb auf Ausnahmefälle zu beschränken, in denen die Durchführung des Verfahrens in der Berufungsinstanz voraussichtlich zu größeren Nachteilen führt als die Zurückverweisung der Sache an das erstin-stanzliche Gericht ([X.], [X.]. v. 16. Dezember 2004, [X.], [X.], 645). Steht die Einnahme eines Augenscheins zur tatsächlichen Situation eines Grundstücks im Hinblick auf die Beurteilung von dessen Bebaubarkeit gemäß § 34 BauGB aus, liegen die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls regelmäßig nicht vor. 14 - 8 - II[X.] Der Verlauf des Berufungsverfahrens und die Begründung der angefoch-tenen Entscheidung geben Anlass, den Rechtsstreit gemäß § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen. 15 [X.]Ri[X.] [X.] ist infolge Urlaubs an der Unterschrift gehindert. [X.], den [X.]Der Vorsitzende Krüger Schmidt-Räntsch [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 20.10.2004 - 11 O 5663/01 - [X.], Entscheidung vom 15.09.2005 - 19 U 5654/04 -

Meta

V ZR 239/05

22.09.2006

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.09.2006, Az. V ZR 239/05 (REWIS RS 2006, 1713)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 1713

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