Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.03.2025, Az. I ZB 68/24

1. Zivilsenat | REWIS RS 2025, 3137

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Gegenstand

Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters bei Nichteinholung einer Vorabentscheidung des EuGH


Leitsatz

1. Es verletzt nicht die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn das erstinstanzliche Gericht vor Erlass eines zweiten Versäumnisurteils aufgrund des Unterbleibens einer erneuten Schlüssigkeitsprüfung nicht eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV einholt oder den Rechtsstreit entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO mit Blick auf ein laufendes Vorabentscheidungsverfahren aussetzt und das Berufungsgericht ein solches zweites Versäumnisurteil aufgrund des nach §§ 345, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf das (Nicht-)Vorliegen einer schuldhaften Versäumung beschränkten Prüfungsumfangs nicht aufhebt.

2. Unter Berücksichtigung der bereits ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unterliegt es keinem Zweifel, dass der nach §§ 345, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO begrenzte Prüfungsumfang gegenüber einem Gewerbetreibenden auch dann angewendet werden darf, wenn die Sachentscheidung, die dann nicht mehr zu überprüfen ist, gegen das Unionsrecht verstieße.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.]- 1. Zivilsenat - vom 9. Oktober 2024 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des [X.]wird auf 11.019 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger hat vor dem [X.]die Rückzahlung von verlorenen Einsätzen in Höhe von 11.019 € geltend gemacht, die er bei Online-Glücksspielen der in [X.]ansässigen Beklagten seit dem 19. März 2021 getätigt hatte. Die Beklagte hat die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der [X.]in der Rechtssache [X.]oder ein eigenes Vorabentscheidungsersuchen des [X.]beantragt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für die Beklagte niemand erschienen. Das [X.]hat auf Antrag des [X.]ein Versäumnisurteil gegen die Beklagte erlassen. Hiergegen hat die Beklagte Einspruch eingelegt. Auch im darauf anberaumten Verhandlungstermin ist für die Beklagte niemand erschienen. Das [X.]hat auf Antrag des [X.]ein zweites Versäumnisurteil erlassen.

2

Mit ihrer gegen das zweite Versäumnisurteil eingelegten Berufung hat die Beklagte eine Vorlage an den Gerichtshof der [X.]mit Blick auf den Erlass des zweiten Versäumnisurteils durch das [X.]beantragt. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.

3

II. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Berufung sei bereits nicht statthaft, da die Beklagte nicht gemäß § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO behaupte, dass kein Fall der schuldhaften Versäumung vorgelegen habe. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil könne weder darauf gestützt werden, dass bei Erlass des ersten Versäumnisurteils ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen habe, noch darauf, dass die Klage nicht schlüssig sei. Dies sei bereits der Prüfung des Gerichts im Einspruchstermin entzogen (arg. e. § 700 Abs. 6 ZPO).

4

Aus dem Unionsrecht ergebe sich nichts Anderes. Die Beschränkung des Umfangs der gerichtlichen Prüfung bei Erlass eines zweiten Versäumnisurteils und nachfolgend in der Berufung berühre nicht den unionsrechtlichen Äquivalenzgrundsatz, weil allein innerstaatlichem Recht unterliegende Sachverhalte und solche mit Auslandsberührung gleichermaßen betroffen seien. Sie verstoße auch nicht gegen den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz. Die Beschränkung diene dem ordnungsgemäßen Ablauf des gerichtlichen Verfahrens und damit dem Recht des [X.]auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes, indem sie auf die Vermeidung einer Verschleppung des Rechtsstreits gerichtet sei. Der Beklagten werde die Ausübung ihrer durch das Unionsrecht verliehenen Rechte, insbesondere der Dienstleistungsfreiheit, weder praktisch unmöglich gemacht noch übermäßig erschwert. Es hätte der anwaltlich vertretenen Beklagten ohne Weiteres offen gestanden, in dem vom [X.]anberaumten Einspruchstermin zu erscheinen und zur Sache zu verhandeln.

5

Eine Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der [X.](Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV) bestehe bezüglich der Frage der Statthaftigkeit der Berufung der Beklagten schon deshalb nicht, weil die Verwerfung des Rechtsmittels durch das Berufungsgericht als unzulässig mit der Rechtsbeschwerde angreifbar sei. Es gehe auch weder um die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, sondern um nationales Verfahrensrecht, das nicht zum Gegenstand einer Vorlagefrage gemacht werden könne. [X.]könne daher auch, ob - wofür einiges spreche - ohnehin kein vernünftiger Zweifel bestehe (sog. acte clair).

6

III. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 577 Abs. 1, § 574 Abs. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.]erfordert.

7

1. Die angegriffene Entscheidung verletzt nicht die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Insbesondere zeigt die Rechtsbeschwerde keine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage auf, soweit sie meint, das [X.]sei vor Erlass des zweiten Versäumnisurteils zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.]gemäß Art. 267 AEUV oder Aussetzung des Rechtsstreits entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO mit Blick auf ein laufendes Vorabentscheidungsverfahren verpflichtet gewesen und das Berufungsgericht hätte das zweite Versäumnisurteil wegen Missachtung dieser Verpflichtung des [X.]aufheben müssen.

8

a) Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand [X.]entzogen werden. Eine Entziehung in diesem Sinn kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden. Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt. Ob ein solcher Verstoß vorliegt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3410 [juris Rn. 51]; NJW 2007, 3771 [juris Rn. 23]). Dieser Maßstab ist aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt.

9

b) Gemäß §§ 345, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterliegt ein zweites Versäumnisurteil der Berufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]hat das Gericht im Einspruchstermin nur noch die Voraussetzungen der wiederholten Säumnis, insbesondere die ordnungsgemäße Ladung zum Termin, zu prüfen, bevor es nach § 345 ZPO den Einspruch durch zweites Versäumnisurteil zu verwerfen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 1999 - V ZB 1/99, BGHZ 141, 351 [juris Rn. 10 bis 14]; Urteil vom 5. Juli 2018 - IX ZR 264/17, NJW 2018, 3252 [juris Rn. 17]; Beschluss vom 18. Februar 2020 - XI ZB 11/19, NJW-RR 2020, 575 [juris Rn. 10 f.], jeweils mwN; zum Umkehrschluss aus § 700 Abs. 6 ZPO vgl. auch MünchKomm.ZPO/Prütting, 7. Aufl., § 345 Rn. 15 mwN). Die Berufung gegen ein gegen den Beklagten ergangenes zweites Versäumnisurteil kann dementsprechend nicht darauf gestützt werden, dass bei Erlass des ersten Versäumnisurteils ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen habe oder die Klage nicht schlüssig sei. Die an die wiederholte Säumnis einer [X.]geknüpfte Sanktion des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO steht in einer Reihe mit weiteren gesetzlichen Regelungen im [X.](§ 708 Nr. 2, § 340 Abs. 3, § 341 Abs. 1 ZPO), die sämtlich darauf hinauslaufen, eine Partei, gegen die ein Versäumnisurteil erlassen ist, im Interesse der Prozessbeschleunigung zu besonders sorgfältiger Prozessführung zu veranlassen. Bleibt die [X.]erneut schuldhaft säumig, ist es nur konsequent, an dieses Fehlverhalten die schärfere Sanktion des endgültigen Prozessverlusts zu knüpfen (vgl. BGH, NJW 2018, 3252 [juris Rn. 18]). Auch auf eine unterbliebene Verfahrensaussetzung kann die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil nicht gestützt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2021 - IV ZB 5/21, juris Rn. 10).

c) Danach hat weder das [X.]bei der Prüfung des Einspruchs der Beklagten noch das Berufungsgericht die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt. Vielmehr haben beide vorinstanzlichen Gerichte im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des [X.]entschieden, indem sie die Schlüssigkeit der Klage - einschließlich der Vereinbarkeit des vom [X.]zuerkannten Anspruchs mit der Dienstleistungsfreiheit der Beklagten aus Art. 56 AEUV - nicht erneut geprüft, dementsprechend auch keine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.]gemäß Art. 267 AEUV eingeholt und den Rechtsstreit auch nicht entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO ausgesetzt haben.

2. Auch mit Blick auf das einschlägige Unionsrecht ergibt sich keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Unter Berücksichtigung der bereits ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.]unterliegt es keinem Zweifel, dass der nach §§ 345, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf das (Nicht-)Vorliegen einer schuldhaften Versäumung begrenzte Prüfungsumfang gegenüber einem Gewerbetreibenden auch dann angewendet werden darf, wenn die Sachentscheidung, die dann nicht mehr zu überprüfen ist und die auch der Senat im Streitfall nicht überprüft hat, gegen das Unionsrecht verstieße.

a) Der Gerichtshof der [X.]hat wiederholt auf die Bedeutung hingewiesen, die dem Grundsatz der Rechtskraft sowohl im Unionsrecht als auch in den nationalen Rechtsordnungen zukommt. Demnach sollen zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege die nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden [X.]unanfechtbar gewordenen Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können. Daher gebietet das Unionsrecht einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund derer eine Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß dieser Entscheidung gegen Unionsrecht abgestellt werden könnte (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Juni 1999 - C-126/97, Slg. 1999, 3055 = GRUR Int. 1999, 737 [juris Rn. 46 f.] - Eco Swiss; Urteil vom 16. März 2006 - C-234/04, Slg. 2006, 2585 = NJW 2006, 1577 [juris Rn. 20 f.] - Kapferer; Urteil vom 3. September 2009 - C-2/08, Slg. 2009, 7501 = EuZW 2009, 739 [juris Rn. 22 f.] - Fallimento Olimpiclub; Urteil vom 6. Oktober 2009 - C-40/08, Slg. 2009, 9579 = EWS 2009, 475 [juris Rn. 35 bis 37] - Asturcom Telecomunicaciones; Urteil vom 17. Mai 2022 - C-600/19, WM 2022, 1320 [juris Rn. 41 f.] - Ibercaja Banco; Urteil vom 9. April 2024 - C-582/21, NJW 2024, 1795 [juris Rn. 37 f.] - Profi Credit Polska; Urteil vom 7. November 2024 - C-178/23, WRP 2025, 59 [juris Rn. 32 f.] - ERB New Europe Funding II; vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. Juli 2024 - XI ZR 78/23, BKR 2024, 964 [juris Rn. 14]). Unter Rechtskraft in diesem Sinn versteht der Gerichtshof auch die Bindungswirkung von Zwischenentscheidungen (vgl. EuGH, NJW 2006, 1577 [juris Rn. 17] - Kapferer).

b) Da auf diesem Gebiet unionsrechtliche Vorschriften fehlen, ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die Modalitäten der Umsetzung dieses Grundsatzes festzulegen. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. nur EuGH, EWS 2009, 475 [juris Rn. 38] - Asturcom Telecomunicaciones; NJW 2024, 1795 [juris Rn. 39] - Profi Credit Polska, jeweils mwN). Was die Einhaltung der Anforderungen betrifft, die sich aus den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität ergeben, so ist diese unter Berücksichtigung der Stellung der betreffenden Vorschriften im gesamten Verfahren, seines Ablaufs und der Besonderheiten dieser Vorschriften vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie zum Beispiel der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (vgl. EuGH, EWS 2009, 475 [juris Rn. 39] - Asturcom Telecomunicaciones; WM 2022, 1320 [juris Rn. 44] - Ibercaja Banco; WRP 2025, 59 [juris Rn. 34] - ERB New Europe Funding II, mwN).

c) Ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz wird von der Rechtsbeschwerde nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich.

d) Auch ein Verstoß gegen den [X.]scheidet im Streitfall aus.

aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.]können die Verfahrensregeln über die Struktur der innerstaatlichen Rechtswege und die Zahl der Rechtszüge, die ein allgemeines Interesse der geordneten Rechtspflege und der Vorhersehbarkeit verfolgen, Vorrang vor Einzelinteressen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - C-413/12, EuZW 2014, 74 [juris Rn. 38] - Asociación de Consumidores Independientes de Castilla y León; Urteil vom 12. Februar 2015 - C-567/13, NJW 2015, 1291 [juris Rn. 51] - [X.]und Vizsnyiczai; Urteil vom 31. Mai 2018 - C-483/16, NJW 2018, 2181 [juris Rn. 51] - Sziber).

Insbesondere kann die Wahrung des Effektivitätsgrundsatzes nicht so weit gehen, dass vom nationalen Gericht verlangt wird, nicht nur das Unterlassen einer Verfahrenshandlung durch einen Verbraucher, der seine Rechte nicht kennt, auszugleichen, sondern auch bei völliger Untätigkeit des Verbrauchers, die zur Rechtskraft einer Entscheidung führt, einem dagegen eingelegten Rechtsbehelf abzuhelfen (vgl. EuGH, EWS 2009, 475 [juris Rn. 47] - Asturcom Telecomunicaciones; EuGH, Urteil vom 10. September 2014 - C-34/13, ZIP 2015, 116 [juris Rn. 56] - Kušionová; Urteil vom 1. Oktober 2015 - C-32/14, juris Rn. 62 - ERSTE Bank Hungary; Urteil vom 17. Mai 2022 - C-869/19, NJW 2022, 2247 [juris Rn. 28] - Unicaja Banco; EuGH, WM 2022, 1320 [juris Rn. 44] - Ibercaja Banco).

Auch die Festlegung angemessener [X.]oder Ausschlussfristen steht grundsätzlich mit dem Erfordernis der Effektivität im Einklang, weil sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist, das zugleich den Betroffenen und die Behörde schützt, selbst wenn der Ablauf solcher Fristen die Betroffenen naturgemäß ganz oder teilweise an der Geltendmachung ihrer Rechte hindern kann (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2020 - C-677/19, DStRE 2020, 1516 [juris Rn. 25] - Valoris; Urteil vom 14. Dezember 2023 - C-655/22, AuR 2024, 139 [juris Rn. 44] - I [Erstattung von Abgaben]). Gleiches gilt für nationale Verfahrensvorschriften, nach denen der Streitgegenstand durch das zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsbehelfs geltend gemachte Vorbringen bestimmt wird, da sie den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens gewährleisten, insbesondere indem sie dieses vor den mit der Prüfung neuen Vorbringens verbundenen Verzögerungen bewahren (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 - C-561/19, NJW 2021, 3303 [juris Rn. 64] - [X.]und Catania Multiservizi; Urteil vom 15. Juni 2023 - C-721/21, NuR 2023, 614 [juris Rn. 23] - Eco Advocacy).

bb) Mit den vorgenannten Grundsätzen steht die Regelung der §§ 345, 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO offensichtlich im Einklang. Sie verfolgt das Ziel, die Partei, gegen die ein Versäumnisurteil erlassen ist, im Interesse der Prozessbeschleunigung zu besonders sorgfältiger Prozessführung zu veranlassen (vgl. Rn. 9). Die Rechte der säumigen Beklagten werden insbesondere gewahrt durch die obligatorische Prüfung der Schlüssigkeit der Klage vor Erlass des ersten Versäumnisurteils nach § 331 Abs. 2 ZPO, die Ausschlusstatbestände des § 335 Abs. 1 ZPO sowie die nach §§ 339, 340, 342 ZPO bestehende Möglichkeit, den Prozess nach Erlass des ersten Versäumnisurteils durch Einlegung eines Einspruchs binnen zwei Wochen in die Lage vor Eintritt der Versäumnis zurückzuversetzen. Das Erfordernis, im Einspruchstermin aufzutreten oder sich ordnungsgemäß vertreten zu lassen, ist kein Hindernis, das die Rechtsdurchsetzung über Gebühr erschwert.

cc) Keine andere Beurteilung folgt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der nationale Verfahrensvorschriften, die die Bindungswirkung nationaler Entscheidungen vorsehen, unter bestimmten Voraussetzungen erweiternd ausgelegt oder unangewendet bleiben müssen, um den Erfordernissen des Verbraucherschutzes nach der Richtlinie 93/13/[X.]über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen gerecht zu werden (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2006 - C-168/05, Slg. 2006, 10421 = NJW 2007, 135 [juris Rn. 25 bis 39] - Mostaza Claro; Urteil vom 18. Februar 2016 - C-49/14, juris Rn. 54 - [X.]EFC; Urteil vom 17. Mai 2022 - C-693/19 und C-831/19, ZIP 2022, 1176 [juris Rn. 66 bis 68] - [X.]1503 [X.]u.a.; EuGH, NJW 2022, 2247 [juris Rn. 38 bis 40] - Unicaja Banco; WM 2022, 1320 [juris Rn. 48 bis 52] - Ibercaja Banco; NJW 2024, 1795 [juris Rn. 68 bis 84] - Profi Credit Polska; WRP 2025, 59 [juris Rn. 35 bis 42] - ERB New Europe Funding II; [X.]von Westphalen, NJW 2022, 2237 Rn. 26 bis 30; BeckOK.BGB/H. Schmidt, 73. Edition [Stand 1. Februar 2025], § 306 Rn. 3 bis 3a). Eine vergleichbare Interessenlage ist im Streitfall nicht gegeben, denn weder kann sich die Beklagte als Gewerbetreibende auf Verbraucherschutz berufen, noch steht ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des [X.]in Rede.

IV. Eine Vorlage an den Gerichtshof der [X.]nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - 283/81, Slg. 1982, 3415 [juris Rn. 21] = NJW 1983, 1257 - [X.]u.a.; Urteil vom 1. Oktober 2015 - C-452/14, GRUR Int. 2015, 1152 [juris Rn. 43] - Doc Generici; EuGH, NJW 2021, 3303 [juris Rn. 32 f.] - [X.]und Catania Multiservizi). Im Streitfall stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Koch    Löffler    Schwonke

    Odörfer    Wille

Meta

I ZB 68/24

27.03.2025

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Karlsruhe, 9. Oktober 2024, Az: 1 U 59/24

Art 267 Abs 1 AEUV, Art 267 Abs 3 AEUV, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 148 Abs 1 ZPO, § 345 ZPO, § 514 Abs 2 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.03.2025, Az. I ZB 68/24 (REWIS RS 2025, 3137)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2025, 3137

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