Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.10.2020, Az. 5 StR 229/19

5. Strafsenat | REWIS RS 2020, 586

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

TELEKOMMUNIKATIONSÜBERWACHUNG STRAFPROZESS BESCHLAGNAHME

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafverfahren wegen verbotener Marktmanipulation: Bestimmung des erlangten Etwas bei Einflussnahme auf Aktienpreise; Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus einer Telekommunikationsüberwachung unter Einschluss beim Provider gespeicherter, gesendeter E-Mails


Leitsatz

1. Zur Bestimmung des erlangten Etwas im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB in Fällen der Marktmanipulation.

2. § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO erlaubt den Zugriff auf beim Provider zwischen- oder endgespeicherte („ruhende“) E-Mails.

Tenor

1. Die Revisionen der Angeklagten sowie der [[X.]] [[X.]], B.           und [X.]   Grundbesitz GmbH gegen das Urteil des [X.] vom 14. November 2018 werden mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Einziehung des Wertes des Tatertrages gegen den Angeklagten B.          in Höhe von 176.385,07 Euro sowie gegen die [[X.]] I.     B.       UG in Höhe von 154.591,77 Euro, B.       in Höhe von 103.348,05 Euro, [X.] in Höhe von 21.793,30 Euro und [X.]    G.        GmbH in Höhe von 14.604,21 Euro angeordnet wird.

Der Angeklagte B.         haftet mit sämtlichen [[X.]], die [X.] zudem mit den [[X.]] B.         in Höhe von 100.970,18 Euro und [X.]    G.      GmbH, die Einziehungsbeteiligte N.    B.                mbH zudem mit der [[X.]] B.          in Höhe von 2.377,87 Euro als Gesamtschuldner.

2. [X.] und die [[X.]] [X.], B.          und [X.]    G.        GmbH haben die jeweiligen Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen; jedoch wird die Gebühr hinsichtlich des Angeklagten B.       um ein Zehntel, hinsichtlich der [[X.]] [X.] um fünf Achtel, hinsichtlich der [[X.]] B.          um drei Fünftel und hinsichtlich der [[X.]] [X.]   G.        GmbH um zwei Drittel ermäßigt. Von den im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen und notwendigen Auslagen des Angeklagten B.          und der vorbenannten [[X.]] fallen der Staatskasse hinsichtlich dieses Angeklagten ein Zehntel, hinsichtlich der [[X.]] [[X.]] fünf Achtel, hinsichtlich der [[X.]] B.          drei Fünftel und hinsichtlich der [[X.]] [X.]   G.        GmbH zwei Drittel zur Last.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen Marktmanipulation in fünf Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von vier Jahren (B.      ) und drei Jahren ([X.]    ) verurteilt. Zudem hat es [X.] gegen den Angeklagten B.         und die [X.] getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten B.         und die mit der Sachrüge geführten Rechtsmittel der [X.] [X.], [X.] und B.         führen zu der aus der [X.] ersichtlichen Änderung der [X.]. Ihre weitergehenden Revisionen sind ebenso wie die des Angeklagten [X.]    unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]).

2

1. Die - dem Grunde nach [X.] - [X.] nach §§ 73 ff. [X.] halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand, weil das [X.] das erlangte Etwas im Sinne des § 73 Abs. 1 [X.] bei - wie den hier abgeurteilten - Straftaten der Marktmanipulation nach § 38 Abs. 2 Nr. 1, § 39 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 11, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 WpHG aF nicht zutreffend bestimmt hat.

3

a) Vermögensvorteile sind im Sinne von § 73 Abs. 1 [X.] und § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] „durch“ die rechtswidrige Tat erlangt, wenn sie dem Tatbeteiligten (§ 73 Abs. 1 [X.]) oder Drittbegünstigten (§ 73b Abs. 1 [X.]) aufgrund der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des [X.] zufließen (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 7. März 2019 - 5 StR 569/18, [X.], 272). Zwischen der Tat und dem [X.] des einzuziehenden Etwas muss mithin ein Kausalzusammenhang bestehen (BT-Drucks. 18/11640, [X.]). Notwendig, aber auch ausreichend ist, dass die rechtswidrige Tat im materiellen Sinn (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 [X.]) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die strafrechtswidrige Bereicherung in Form eines messbaren Vermögensvorteils entfiele (vgl. [X.]/[X.]/[X.]/Tschakert, Handbuch der Vermögensabschöpfung, Rn. 80). Am erforderlichen Kausalzusammenhang mit der rechtswidrigen Tat fehlt es daher für solche Vermögenswerte, die dem Täter erst durch weitere, nicht tatbestandsmäßige Handlungen oder Rechtsgeschäfte zufließen (vgl. SSW-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 73 Rn. 45; [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], [X.], 3. Aufl., § 73 Rn. 23 ff.) oder als Ersatzgegenstände im Sinne von § 73 Abs. 3 [X.] (vgl. BT-Drucks., aaO).

4

b) Für Fälle strafbarer Marktmanipulationen ist zur Bestimmung des erlangten Etwas im Sinne des § 73 Abs. 1 [X.] deshalb - ausgehend von der jeweils verwirklichten Tatbestandsvariante - zu prüfen, ob die Tat ursächlich für einen messbaren [X.] bei einem Tatbeteiligten oder Dritten gewesen ist. Danach ist wie folgt zu differenzieren:

5

aa) In Fällen informations- und handlungsgestützter Marktmanipulationen (§ 38 Abs. 2 Nr. 1, § 39 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 11, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 WpHG aF) ist für die Einziehung nach §§ 73 ff. [X.] die infolge der strafbaren Einwirkung auf den Aktienpreis eingetretene Wertsteigerung der gehaltenen Aktien maßgebend. Denn die betreffende Tathandlung ist ursächlich für einen messbaren [X.] in Form des infolge der Manipulation höheren Wertes der Aktien bei dem Täter. Hinsichtlich des Erlöses aus dem nachfolgenden Verkauf der Aktien fehlt es hingegen an dem erforderlichen Kausalzusammenhang mit der rechtswidrigen Tat. Denn der [X.] wird hier erst durch den insofern nicht tatbestandlichen Aktienverkauf vermittelt ([X.] ebenso Trüg in: [X.]/[X.]/[X.], Handbuch des [X.], 5. Aufl., S. 1454 f.; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], [X.], § 28 Rn. 160, 162 [anders bei einem tateinheitlichen Zusammentreffen mit einem Insiderdelikt]; vgl. zum früheren Recht [X.], Beschluss vom 25. Februar 2016 - 3 [X.] Rn. 33, [X.]R [X.] § 73 Erlangtes 20 [Drittgeschäfte]). Die Höhe der Wertsteigerung und damit des Einziehungsumfangs kann regelmäßig nach dem Veräußerungsgewinn bestimmt werden.

6

bb) In Fällen handelsgestützter Marktmanipulationen (§ 38 Abs. 2 Nr. 1, § 39 Abs. 1 Nr. 1, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG aF) unterliegt der gesamte Erlös aus den Aktienverkäufen durch den Täter der Einziehung nach §§ 73 ff. [X.]. Denn der Zufluss des Verkaufserlöses im Vermögen des Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten beruht hier ursächlich auf der strafbewehrten Manipulationshandlung in Form eines abgesprochenen Eigenverkaufs, ohne dass es einer weiteren - nicht tatbestandlichen - vermittelnden Handlung bedarf. Die rechtswidrige Tat kann in diesen Fällen mithin nicht hinweggedacht werden, ohne dass die strafrechtswidrige Bereicherung entfiele. Die Erwerbskosten für die - wie hier plangemäß - später verkauften Aktien bleiben außer Betracht, weil sie für Vorbereitung der handelsgestützten Marktmanipulation aufgewendet werden und deshalb dem Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 [X.] unterfallen (so [X.] schon zum früheren Recht [X.], Urteil vom 27. November 2013 - 3 StR 5/13, [X.]St 59, 80, 92 [Rn. 28 ff.], [X.] ebenso Trüg, aaO, S. 1454; [X.]/[X.], aaO, 161; weitergehend möglicherweise SSW-[X.]/[X.], aaO; [X.] in [X.] Kommentar, 13. Aufl., [X.], § 73 Rn. 39).

7

cc) Einer differenzierenden rechtlichen Bewertung im beschriebenen Sinne steht auch der Wille des Gesetzgebers nicht entgegen. Zwar weist das [X.] zutreffend darauf hin, dass die Erwerbskosten für Aktien, die Gegenstand einer vorsätzlichen Marktmanipulation sind, dann dem Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 1 [X.] unterfallen, wenn es sich hierbei um bewusste Investitionen in Verbotenes handelt. Dies gilt indes nur bei handelsgestützten Marktmanipulationen. Um eine solche handelt es sich bei der in den Gesetzesmaterialien zitierten Entscheidung des [X.] ([X.], aaO; vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 68).

8

c) Gemessen an diesen Maßstäben haben die getroffenen [X.] nur teilweise Bestand. Denn das [X.] ist davon ausgegangen, dass bei Straftaten der Marktmanipulation in allen Varianten der gesamte Erlös aus den Aktienverkäufen als Tatertrag im Sinne des § 73 Abs. 1 [X.] anzusehen ist. Handelsgestützte Marktmanipulationen in Form von abgesprochenen [X.] (§ 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG) hat es indes nur in einem Tatkomplex festgestellt. Im Übrigen hat es die Handlungen der Angeklagten rechtlich zutreffend als informations- und handlungsgestützte Marktmanipulationen (§ 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 WpHG) gewertet. Insoweit wäre aber die infolge der strafbaren Einwirkung auf den Aktienpreis eingetretene Wertsteigerung der Aktien maßgebend gewesen.

9

2. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende Feststellungen getroffen werden könnten. Er kann die [X.] auf Grundlage der auch insoweit sorgfältigen Urteilsfeststellungen zu den Erwerbskosten, Verkaufserlösen sowie zum Gewinn und zur Kursentwicklung selbst bestimmen und ändert die [X.] in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 [X.]. Auf die nicht revidierende Einziehungsbeteiligte N.    B.             mbH ist die Entscheidung entsprechend § 357 Satz 1 [X.] zu erstrecken (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 357 Rn. 2).

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführer ergeben. Ergänzend zur Antragsschrift des [X.] bemerkt der Senat zu den vom Angeklagten B.         erhobenen Verfahrensrügen:

a) Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, das [X.] habe rechtsfehlerhaft Erkenntnisse aus Telekommunikationsmaßnahmen verwertet, obwohl es am Tatverdacht für eine Katalogtat nach § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. n [X.] aF gefehlt habe, teilt der Senat die Bedenken des [X.] gegen die Zulässigkeit der Rüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Denn der Beschwerdeführer hat außer dem vom [X.] bezeichneten Beschluss vom 9. April 2018 auch die in einem in der Revisionsbegründung mitgeteilten Verteidigungsschriftsatz erwähnten „Fragebögen“ nicht vorgelegt, mit denen die [X.] von den Strafverfolgungsbehörden befragt wurden. Mit Blick auf die der Anordnung nach § 100a Abs. 1 [X.] aF zugrundeliegende Katalogtat eines banden- und gewerbsmäßigen Betruges wäre dies aber für die Überprüfung des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen erforderlich gewesen.

Die Rüge ist aber jedenfalls unbegründet. Denn das [X.] hat sich in mehreren Beschlüssen sorgfältig mit der Frage des Vorliegens eines Anfangsverdachts für die genannte Katalogtat nach § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. n [X.] auseinandergesetzt. Insbesondere hat es zutreffend darauf hingewiesen, dass die für die Verwirklichung des [X.] erforderliche Stoffgleichheit im börslichen Aktienhandel dann gegeben sein kann, wenn - wie hier - der Täter kurz vor der Manipulation eine limitierte Order in den Markt legt (vgl. [X.]/[X.] in: [X.], [X.], [X.]. 3 Rn. 633). Eingedenk des nur eingeschränkten [X.] (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 16. Februar 1995 - 4 [X.], [X.]St 41, 30, 34) ist es daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass das [X.] die Erkenntnisse aus der betreffenden Telekommunikationsüberwachung verwertet hat.

b) Soweit der Beschwerdeführer rügt, dass [X.] habe rechtswidrig bei seinem Provider gespeicherte E-Mails verwertet, die bereits vor der Anordnung der Überwachung des betreffenden [X.] nach § 100a Abs. 1 [X.] aF versandt worden seien, dringt er nicht durch.

Es kann dahinstehen, ob die Rüge bereits unzulässig ist, weil der Beschwerdeführer weder den im Eröffnungsbeschluss insofern in Bezug genommenen Beschluss vom 9. April 2018 noch die in dem in der [X.] vorgelegten polizeilichen Vermerk über die „Auswertung älterer E-Mail-Korrespondenz“ genannten „[X.]“ mitteilt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Denn sie ist - ungeachtet der vom Beschwerdeführer ausgelösten Löschung der E-Mails - jedenfalls unbegründet, da § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] (der § 100a Abs. 1 [X.] aF entspricht) eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für den verdeckten Zugriff auf beim Provider gespeicherte („ruhende“) E-Mails darstellt.

aa) Auch bei E-Mails, die nach Kenntnisnahme beim Provider zwischen- oder endgespeichert werden, handelt es sich um Telekommunikation im Sinne von § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.].

Nach der Rechtsprechung des [X.] muss sich die nähere Auslegung des Begriffs Telekommunikation im Rahmen des § 100a [X.] auch an dem grundrechtlichen Schutz des Betroffenen durch Art. 10 Abs. 1 GG orientieren; denn das Fernmeldegeheimnis ist der verfassungsrechtliche Maßstab für die heimliche Überwachung flüchtiger Daten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Art. 10 Abs. 1 GG nicht dem rein technischen Telekommunikationsbegriff des Telekommunikationsgesetzes folgt, sondern an den Grundrechtsträger und dessen Schutzbedürftigkeit aufgrund der Einschaltung Dritter in den Kommunikationsvorgang anknüpft (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Juli 2016 - 2 BvR 1454/13, NJW 2016, 3508, 3509 Rn. 32). Die spezifische Gefährdungslage und der Zweck der Freiheitsverbürgung von Art. 10 Abs. 1 GG bestehen aber auch dann weiter, wenn die E-Mails nach Kenntnisnahme durch den Empfänger beim Provider gespeichert bleiben. Durch die Endspeicherung wird der von Art. 10 Abs. 1 GG zuvörderst geschützte Kommunikationsinhalt infolge der Nutzung eines bestimmten [X.] auf einem vom [X.] bereit gestellten Speicherplatz in einer von keinem [X.] beherrschbaren Sphäre abgelegt. Weder bei einer Zwischen- noch bei einer Endspeicherung der E-Mails auf dem Mailserver des Providers ist dessen Tätigkeit beendet; der Provider bleibt vielmehr dauerhaft in die weitere [X.] auf seinem Mailserver eingeschaltet. Dies zeigt sich auch daran, dass der Nutzer bei seinem Provider gespeicherte Daten für sich auf einem Bildschirm nur lesbar machen - oder wie hier löschen - kann, indem er eine Internetverbindung zum Mailserver des Providers herstellt (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06; [X.]E 124, 43, 54 ff.).

bb) Die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] erfasst auch beim Provider zwischen- oder endgespeicherte („ruhende“) E-Mails.

(1) Bei einem verdeckten Zugriff auf beim Provider gespeicherte E-Mails handelt es sich um Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation im Sinne des § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.].

Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation sind - regelmäßig ohne Wissen des Betroffenen durchgeführte - Eingriffe der öffentlichen Gewalt in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG, um zur Aufklärung bestimmter schwerwiegender Straftaten oder Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten insbesondere Telekommunikationsinhalte zu erfassen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Oktober 1993 - 2 StR 400/93, [X.]St 39, 335, 338; [X.] in: Löwe/[X.], [X.], 27. Aufl., § 100a Rn. 14). Die Erfassung von E-Mails, die beim Provider und damit nicht in einer ausschließlich vom betroffenen [X.] beherrschten Sphäre abgelegt sind, stellt einen solchen Eingriff dar (vgl. [X.], aaO; [X.], [X.], 96, 100; [X.], [X.], 475, 478). Die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] stellt mithin eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für den Zugriff auf beim Provider gespeicherte E-Mails dar (vgl. MüKo-[X.]/[X.], § 100a Rn. 135 ff. [X.]; KK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 94 Rn. 4a; [X.] in [X.]/[X.], 63. Aufl. § 100a Rn. 6b; HK-[X.]-Gercke, 6. Aufl., § 100a Rn. 14; AnwK-[X.]/Löffelmann, 2. Aufl., § 100a Rn. 13; [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 100a Rn. 17; BeckOK-[X.]/[X.], 37. Edition, § 100a Rn. 64). Soweit hiergegen eingewandt wird, § 100a [X.] „passe“ nicht, weil es der auf eine Kooperation mit den Providern ausgerichteten Befugnisnorm an den für den Zugriff auf bei diesen „ruhenden“ E-Mails typischen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeelementen mangele (vgl. [X.] in: Löwe/[X.], aaO Rn. 77; SK-[X.]/[X.]/[X.], 5. Aufl., § 100a Rn. 33; wohl auch KK-[X.]/Bruns, 8. Aufl., § 100a Rn. 20 f.), stellt dies die Anwendung des § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht in Frage. Zum einen wird der Zugriff auf gespeicherte E-Mails durch die Strafverfolgungsbehörden regelmäßig - wie hier - im Wege einer durch den Provider ermöglichten Ausleitung der Nachrichten und damit in Kooperation mit diesem vollzogen werden (vgl. § 100a Abs. 4 Satz 1 [X.]). Zum anderen bedarf es für den Zugriff auf gespeicherte E-Mails im Rahmen der Überwachung eines bestimmten E-Mail-Accounts gerade keiner Durchsuchung beim Provider.

(2) Dem Zugriff nach § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] steht nicht entgegen, dass beim Provider gespeicherte E-Mails mit der offenen Maßnahme des § 94 [X.] beschlagnahmt werden können ([X.], aaO, [X.] ff.).

Ebenso wenig wie § 94 [X.] von § 100a [X.] verdrängt wird (vgl. [X.], aaO, [X.]), wird § 100a [X.] von § 94 [X.] ausgeschlossen (vgl. AnwK-[X.]/Löffelmann, aaO). Vielmehr ergänzen sich die beiden Ermittlungsmaßnahmen. Während die Beschlagnahme (§ 94 [X.]) nur als offene Maßnahme zulässig ist (vgl. [X.], Beschluss vom 4. August 2015 - 3 [X.], [X.], 704, 705), erlaubt § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] auch den verdeckten Zugriff auf Telekommunikationsinhalte. Die mit der Heimlichkeit der Maßnahme verbundene gesteigerte Eingriffstiefe korrespondiert mit der im Vergleich zu § 94 [X.] deutlich höheren [X.] (vgl. [X.], aaO, S. 62 f.; SSW-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 100a Rn. 7; [X.] in [X.]/[X.], aaO).

(3) Der Eingriff nach § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] ist nicht auf E-Mails beschränkt, die ab dem Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme versandt oder empfangen wurden.

Dies folgt schon daraus, dass beim Provider endgespeicherte - von Art. 10 Abs. 1 GG geschützte - E-Mails grundsätzlich ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt ihrer Speicherung nach § 94 [X.] beschlagnahmt werden dürfen (vgl. [X.], aaO, [X.], 67). Angesichts der im Vergleich zur Beschlagnahme deutlich strengeren Anforderungen muss dieser Zugriff erst recht mit einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] zulässig sein (vgl. auch Brunst, [X.], 591, 592).

Dies ergibt sich auch im Umkehrschluss aus § 100a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 lit. b [X.], wonach eine solche zeitliche Einschränkung nur für die sogenannte [X.] (§ 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 [X.]) gilt. Diese Unterscheidung findet ihre materielle Rechtfertigung darin, dass bei der [X.] - anders als bei der herkömmlichen Telekommunikationsüberwachung - informationstechnische Systeme des Betroffenen infiltriert werden, womit die Gefahr einer Ermittlung von Persönlichkeitsprofilen einhergeht (vgl. [X.], Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370, 595/07; [X.]E 120, 274, 308 f.). Aufgrund dieser Nähe zu einer [X.] hat der Gesetzgeber für die [X.] besondere Zugriffsanforderungen aufgestellt und ein Verbot für rückwirkende Zugriffe festgelegt; für die herkömmliche Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] hat er hingegen keine entsprechenden Regelungen getroffen (vgl. BT-Drucks. 18/12785 S. 50, 53; [X.] in [X.]/[X.], aaO Rn. 6c; [X.], 441, 451, 454).

Das Ergebnis steht schließlich auch im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.] zum Zugriff auf Nachrichten, die (abrufbereit) auf einer Mailbox gespeichert sind. Auch insofern hat der [X.] entschieden, dass es sich bei dem Zugriff auf die Mailbox um eine Überwachung der Telekommunikation handelt (vgl. [X.], Urteil vom 14. März 2003 - 2 [X.], NJW 2003, 2034, 2035; Beschluss vom 31. Juli 1995 - 2 [X.] 94/94-6, NJW 1997, 1934, 1935).

(4) Die Erfassung der betroffenen E-Mails war auch nicht unverhältnismäßig. Zwar kann zum Schutz des Fernmeldegeheimnisses eine zeitliche Eingrenzung der Maßnahme (etwa auf den [X.]) geboten sein (vgl. [X.]E 124, 43, 67 f.). Ausweislich der in Rede stehenden Anordnung der Telekommunikationsüberwachung vom 14. Oktober 2015 bestand der Tatverdacht für Katalogtaten indes bereits seit April 2013, während die betroffenen E-Mails erst aus den der Anordnung unmittelbar vorhergehenden Monaten stammten, nämlich aus dem Zeitraum von Mai bis September 2015.

c) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des § 338 Nr. 8 [X.] behauptet, ist die Rüge jedenfalls unbegründet, weil es an einem in der Hauptverhandlung ergangenen, auf Beschränkung der Verteidigung gerichteten Gerichtsbeschluss fehlt (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Juli 2008 - 3 StR 250/08, [X.]R [X.] § 338 Nr. 8 Beschränkung 9; [X.] in KK-[X.], 8. Aufl., § 338 Rn. 102).

d) Die Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 3 [X.] ist jedenfalls unbegründet.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 [X.].

[X.]   

        

Berger   

        

Ri[X.] Prof. Dr. Mosbacher
ist urlaubsbedingt an der
Unterschrift gehindert.

                          

Ri’in[X.] Resch ist
urlaubsbedingt an der   
Unterschrift gehindert.   

[X.]

        

Köhler   

        

[X.]

        

Meta

5 StR 229/19

14.10.2020

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 14. November 2018, Az: 608 KLs 3/17

§ 73 Abs 1 StGB, §§ 73ff StGB, § 100a Abs 1 S 1 StPO, § 261 StPO, § 20a Abs 1 S 1 Nr 2 aF WpHG, § 20a Abs 1 S 1 Nr 3 aF WpHG, § 38 Abs 2 Nr 1 aF WpHG, § 39 Abs 1 Nr 1 aF WpHG, § 39 Abs 1 Nr 2 aF WpHG, § 39 Abs 2 Nr 11 aF WpHG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.10.2020, Az. 5 StR 229/19 (REWIS RS 2020, 586)

Papier­fundstellen: WM2021,67 REWIS RS 2020, 586

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

StB 47/20 (Bundesgerichtshof)

Telekommunikationsüberwachung: Auskunftspflicht des Betreibers eines E-Mail-Dienstes als TK-Dienstleister


2 BGs 468/20 (Bundesgerichtshof)

Telekommunikationsüberwachung im Ermittlungsverfahren: Voraussetzungen und notwendiger Inhalt einer Anordnung des Ermittlungsrichters auf Überwachung der Mobilfunkanschlüsse …


2 BvR 902/06 (Bundesverfassungsgericht)

Beschlagnahme von E-Mails beim Provider - zur Vereinbarkeit der §§ 94 ff. StPO mit Art. …


StB 26 und 28/14, StB 26/14, StB 28/14 (Bundesgerichtshof)

Nachträglicher Rechtsschutz gegen bereits erledigte verdeckte polizeiliche Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus: …


2 BvR 2377/16 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Zu den Mitwirkung- und Vorhaltungspflichten eines Telekommunikationsdienstleistungsanbieters bzgl einer Telekommunikationsüberwachung gem § 100a StPO …


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.