Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.10.2019, Az. B 14 AS 258/18 B

14. Senat | REWIS RS 2019, 2056

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Entscheidung des LSG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - Ermessensentscheidung - Ermessensfehler - Entscheidung des Sozialgerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung - Einverständnis der Beteiligten - Wirksamkeit der Einverständniserklärung - wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage - absoluter Revisionsgrund


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 13. September 2018 - L 12 AS 278/18 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Streitgegenstand ist ein eine Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt, der für den Zeitraum 10.2.2016 bis [X.] galt (Bescheid vom 10.2.2016; Widerspruchsbescheid vom 13.4.2016).

2

Auf Anfrage des [X.] hat der Kläger am 25.6.2016 erklärt, mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein. Mit gerichtlichem Hinweisschreiben vom [X.] hat das [X.] die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Klage nach Ablauf des Geltungszeitraums des Verwaltungsakts unzulässig geworden sei. Das [X.] hat ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage als unzulässig abgewiesen; ein erneutes Einverständnis hierzu hat es nicht eingeholt (Urteil vom 22.1.2018). Die Berufung des [X.] hat das L[X.] mit Beschluss nach § 153 Abs 4 [X.]G unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des [X.] zurückgewiesen (Beschluss vom 13.9.2018). Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

3

II. Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des L[X.] vom 13.9.2018 ist zulässig, denn er hat mit ihr eine Verletzung von § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G und damit zugleich einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf [X.] nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Die Beschwerde ist insoweit auch begründet.

4

Nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G kann das L[X.] die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, falls die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des [X.] kein Gerichtsbescheid ist. Die Entscheidung nach § 153 Abs 4 [X.]G steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann vom Revisionsgericht nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüft werden (stRspr; vgl nur B[X.] vom [X.] - B 2 U 29/00 R - [X.] 3-1500 § 153 [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/ [X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, § 153 Rd[X.] 16 mwN).

5

Eine solche Fehleinschätzung liegt hier vor. Sie setzt voraus, dass die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung bei Abwägung aller danach zu berücksichtigenden Umstände nicht zu rechtfertigen ist (zuletzt B[X.] vom 18.6.2019 - B 9 V 38/18 B - Rd[X.] 10 mit Nachweis älterer Rechtsprechung). Dies ist ua dann der Fall, wenn (bereits) das [X.] unter Berufung auf § 124 Abs 2 [X.]G ohne mündliche Verhandlung entschieden hatte, obwohl dies nicht zulässig war (ausführlich B[X.] vom 6.4.2011 - B 4 [X.]/10 B - [X.]). Der Verfahrensmangel des erstinstanzlichen Verfahrens wirkt in der Entscheidung des L[X.] fort, wenn dieses ebenfalls ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 [X.]G entscheidet.

6

Die Entscheidung des [X.] durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erfolgte vorliegend verfahrensfehlerhaft, weil es an einem wirksamen Einverständnis fehlte. Mit Ablauf des Geltungszeitraums des streitgegenständlichen Verwaltungsakts hatte sich die Sachlage entscheidungserheblich geändert. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des B[X.], dass die - vorliegend noch im Geltungszeitraum des Verwaltungsakts abgegebene - Einverständniserklärung bei wesentlicher Änderung der Sach- oder Rechtslage ihre Wirksamkeit verliert, weil sie unter dem Vorbehalt der im Wesentlichen unveränderten Prozesslage steht (vgl nur B[X.] vom 6.10.1999 - B 1 KR 17/99 R - [X.] 3-1500 § 124 [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/ [X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, § 124 Rd[X.] f mwN).

7

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger vom [X.] auf die veränderte Sachlage hingewiesen worden war und nicht von sich aus erklärt hatte, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht mehr einverstanden zu sein, sondern stattdessen eine vermeintliche Überlänge des Verfahrens gerügt hat. Da das ursprünglich erteilte Einverständnis nach dem oben genannten Maßstab unwirksam geworden war, musste es erneut "klar, eindeutig und vorbehaltlos" (B[X.] vom [X.] - B 5 R 306/07 B - Rd[X.] 10 mwN) erklärt werden, um gleichwohl eine Entscheidung nach § 124 Abs 2 [X.]G zu ermöglichen. Dies war nicht erfolgt.

8

Wegen des vorliegenden [X.] war das L[X.] bei seinem Beschluss nicht vorschriftsmäßig besetzt. Die Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G wegen der fehlerhaften Ermessensbetätigung führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist (vgl B[X.] vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/16 B und [X.] [X.]/16 B - jeweils Rd[X.] mit Nachweisen älterer Rechtsprechung). Dieser die angefochtene Entscheidung des L[X.] insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 [X.]G).

9

Die zuletzt mit Schreiben des [X.] vom 4.8.2019 persönlich erfolgten Ausführungen können schon wegen des nach § 73 Abs 4 [X.]G geltenden Vertretungszwangs nicht berücksichtigt werden.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des L[X.] vorbehalten.

Meta

B 14 AS 258/18 B

30.10.2019

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Duisburg, 22. Januar 2018, Az: S 41 AS 1963/16, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 124 Abs 2 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.10.2019, Az. B 14 AS 258/18 B (REWIS RS 2019, 2056)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2056

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