Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.07.2010, Az. 5 StR 60/10

5. Strafsenat | REWIS RS 2010, 4600

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

Nachschlagewerk: ja [X.]St : ja [X.] : ja § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB § 66 Abs. 2 StGB Zur Ermessensausübung bei Anwendung der §§ 66b Abs. 1 Satz 2, 66 Abs. 2 StGB nach der Entscheidung [X.], 25. [X.], Beschluss vom 21. Juli 2010 [X.] 5 StR 60/10

LG [X.] (Oder) [X.] 5 StR 60/10 alt: 5 StR 21/09 [X.]BESCHLUSS vom 21. Juli 2010 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der [X.] wahrung

- 2 -Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 21. Juli 2010 beschlossen:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] (Oder) vom 12. November 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben. Der Antrag auf [X.] Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird [X.]. 2. Der Unterbringungsbefehl des [X.] (Oder) vom 11. August 2008 wird aufgehoben. Der Ver-urteilte ist in dieser Sache unverzüglich auf freien Fuß zu setzen. 3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittel-kosten und die notwendigen Auslagen des Verurteilten [X.] der Staatskasse zur Last. 4. Die Entscheidung über die Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem [X.] vorbehalten. G r ü n d e

Das [X.] [X.] (Oder) hat mit Urteil vom 12. [X.] gegen den Beschwerdeführer (erneut) die nachträgliche Unterbrin-gung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbin-dung mit § 66 Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg. 1 - 3 -I. Der wiederholt, unter anderem wegen Sexualdelikten unterschiedli-cher Art und Schwere auch gegen Kinder (vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 2009 [X.] 5 StR 21/09 [X.] Tz. 6 bis 11, insoweit in [X.]R StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 2 nicht abgedruckt) vorbestrafte Verurteilte war durch Urteil des [X.]s [X.] (Oder) vom 7. April 1997 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und se-xuellem Missbrauch von [X.] in acht Fällen sowie wegen sexu-ellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jah-ren verurteilt worden. Die Einzelstrafen für die Vergewaltigungsfälle betrugen jeweils vier Jahre und sechs Monate. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1992 und 1993 in [X.] wieder-holt sexuelle Handlungen an seiner acht bzw. neun Jahre alten Stieftochter vorgenommen hatte. In 20 Fällen vollzog er [X.] zumeist unter Mitwirkung [X.], die das Kind festhielt [X.] den vaginalen Geschlechtsverkehr an dem Mädchen. Den in den ersten acht Fällen von der Geschädigten noch geleisteten Widerstand überwand er mit Gewalt. 2 Das Urteil wurde am 6. Januar 1998 hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs rechtskräftig, hinsichtlich der Frage der Anordnung einer Maßregel [X.] zunächst war der Verurteilte im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden, nach insoweit erfolgter Aufhebung durch den [X.] wurde eine Maßregel nicht erneut angeordnet [X.] trat [X.] am 8. Juli 1998 ein. 3 Die Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verbüßte der Verurteilte vollständig. Seit dem 15. August 2008 befindet er sich aufgrund Beschlusses des [X.]s [X.] (Oder) vom 11. August 2008 im Vollzug der einst-weiligen Unterbringung gemäß § 275a Abs. 5 StPO. 4 - 4 - Mit Urteil vom 2. Oktober 2008 hatte das [X.] [X.] (Oder) auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 18. April 2008 gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hat der Senat durch Beschluss vom 25. März 2009 aufgehoben und die Sa-che zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen. Grund für die Aufhebung war, dass [X.] bei [X.] Bejahung der formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB [X.] die Darlegungen des [X.]s den gebotenen Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose nicht gerecht wurden. 5 6 Mit der angefochtenen Entscheidung hat das [X.] nunmehr erneut die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungs-verwahrung angeordnet. II. Die Revision des Verurteilten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf nach-trägliche Anordnung der Sicherungsverwahrung. 7 1. Das [X.] hat die sachlichen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB [X.] im Ansatz rechtsfehlerfrei [X.] bejaht. Nach dieser am 18. April 2007 in [X.] getretenen Bestimmung kann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch dann nachträglich angeordnet werden, wenn die vom Verurteilten ausgehende Gefahr bereits im Zeitpunkt der [X.] erkennbar war, die Sicherungsverwahrung aber aus rechtlichen Grün-den nicht verhängt werden konnte. Gegen den Verurteilten konnte aus recht-lichen Gründen bei der Verurteilung am 7. April 1997 nicht auf Sicherungs-verwahrung erkannt werden. Die Vorschrift des § 66 StGB war damals auf [X.] wie hier [X.] im Beitrittsgebiet begangene Taten nicht anwendbar (Art. 1a 8 - 5 -Abs. 1 [X.], eingefügt durch Anlage 1 Kapitel III Sachgebiet C Ab-schnitt II Nr. 1a des [X.], [X.] 1990 S. 954). 2. § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB ist grundsätzlich auf Taten anwendbar, die vor seinem Inkrafttreten [X.] mithin vor dem 18. April 2007 [X.] begangen [X.] sind, und ausschließlich auf Straftaten, bei deren Aburteilung die [X.] aus Rechtsgründen ausgeschlossen war. Die Sicherungsverwahrung rechnet zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 Nr. 3 StGB), für die nach § 2 Abs. 6 StGB das zum Zeit-punkt der Entscheidung geltende Recht maßgebend ist. Etwas anderes er-gibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 [X.]. Letzterer kann im Geltungsbereich von § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB angese-hen werden. 9 10 a) Die [X.] wurde als [X.] durch den [X.]gesetzgeber in das [X.] Recht trans-formiert. Innerhalb der [X.]n Rechtsordnung kommt den Regelungen der Konvention der Rang einfachen [X.]rechts zu. Die [X.] ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden ([X.] 111, 307, 317). Dabei sind die Entscheidungen des [X.] heranzuziehen, weil sie den aktuellen Ent-wicklungsstand der Konvention widerspiegeln ([X.] aaO S. 319). b) Nach dem Urteil der Kammer des [X.] (Fünfte Sektion) in der [X.] M. gegen [X.]repu-blik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom [X.] 2009 ([X.], 25) ist die Sicherungsverwahrung [X.] ungeachtet ihrer Einordnung im [X.]n Recht als Maßregel der Besserung und Sicherung [X.] im Sinne der [X.] als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsver-bot des Art. 7 Abs. 1 [X.] gilt (Rdn. 124 bis 133). Der [X.] Gerichts-11 - 6 -hof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung [X.] sei und es in der [X.] keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Siche-rungsverwahrung gebe (Rdn. 127 bis 130). Er hat daher im entschiedenen Fall die [X.] zur Zahlung von Schadensersatz an den Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 ([X.]), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für [X.] von zehn Jahren in § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. teilweise aufgehoben worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 [X.] verstoße (Rdn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der [X.]regierung auf Verweisung der Rechtssache an die [X.] am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 lit. c [X.]). 12 c) Unmittelbar betroffen von der genannten Entscheidung ist nur die rückwirkende Geltung von § 67d StGB. Allerdings stellt die nachträgliche [X.] gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB in ih-ren rechtlichen Voraussetzungen allein auf Straftaten ab, die bereits vor dem Inkrafttreten der Norm begangen wurden. Die durch den Gerichtshof gegen die Anordnung der Rückwirkung angeführten Argumente sind auf die § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB zugrundeliegenden Fallkonstellationen übertragbar (vgl. auch [X.], 233, 239; [X.] 2010, 207, 211 f.; [X.] NJW 2010, 1507, 1509; [X.] 2010, 198, 202 f.; [X.] jurisPR-StrafR 1/2010 [X.]). Es muss davon ausgegangen werden, dass der Gerichtshof einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 [X.] auch insoweit an-nehmen würde. d) Beanstandet eine Entscheidung des Gerichtshofs über den ent-schiedenen Einzelfall hinaus strukturelle Mängel des nationalen Rechts, so gebietet die Verpflichtung der innerstaatlichen Beachtung der [X.] [X.] unge-achtet deren nach Art. 46 [X.] auf den Einzelfall beschränkten [X.] - 7 -kung [X.] eine konventionskonforme Ausgestaltung des nationalen Rechts ([X.] in Löwe/[X.], [X.]. [X.] Verfahren Rdn. 77b). Auch ohne eine dem § 31 Abs. 1 [X.]G vergleichbare Vorschrift, wonach alle Verfassungsorgane des [X.] und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des [X.]verfassungsgerichts gebunden sind, gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, dass Gewährleistungen der [X.]n Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen sind (vgl. [X.] aaO S. 323). Die Rangzuweisung der [X.]n Menschenrechtskonvention als einfaches [X.]recht führt dazu, dass [X.] Gerichte die [X.] wie anderes Gesetzesrecht des [X.] im Rahmen methodisch vertret-barer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben ([X.] aaO). Solan-ge Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, trifft sie die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben. [X.] gilt allerdings dann, wenn die Beachtung der Entscheidung des Gerichtshofs eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht verletzen würde ([X.] aaO S. 329); die Zulässigkeit konventionskonformer Auslegung endet aus Grün-den der Gesetzesbindung der Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers hinreichend deutlich erkennbar wird ([X.] in [X.]/[X.] [Hrsg.], E[X.]/GG Konkordanzkommentar zum [X.] und [X.]n Grundrechtsschutz 2006 Kap. 2 Rdn. 20). e) Nach diesen Grundsätzen kann in den Fällen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB das Rückwirkungsverbot gemäß Art. 7 Abs. 1 [X.] nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung nach § 2 Abs. 6 StGB angesehen werden. Eine Interpretation in diesem Sinne würde zur unmittelbaren [X.] der betroffenen Vorschriften führen und im Ergebnis auf eine vollständige Verwerfung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB hinauslaufen. Anders als bei den übrigen Regelungen des § 66b StGB würde § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB jegli-cher Anwendungsbereich genommen, wenn auf die Geltung der Norm im Zeitpunkt der Begehung der [X.] abgestellt werden müsste. 14 - 8 - Einer Anwendung des Art. 7 Abs. 1 [X.] als abweichende Regelung nach § 2 Abs. 6 StGB stehen der Gesetzeswortlaut des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB sowie der eindeutige Wille des Gesetzgebers entgegen. Die Vorschrift wurde als —Altfallregelungfi geschaffen. Ausdrücklich sollte gewährleistet wer-den, —dass bei der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der [X.] als neu auch solche Tatsachen berücksichtigt werden können, die das Tatgericht aus rechtlichen Gründen bei seiner Entscheidung nicht verwerten durftefi (BTDrucks. 16/4740 S. 23). In die Prüfung sollen [X.] einbezogen werden, —die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits er-kennbar oder sogar bekannt warenfi (BTDrucks. aaO). Beispielhaft verweisen die Gesetzesmaterialen auf die vorliegende Fallgestaltung, in der aufgrund der damals gültigen Fassung des Art. 1a [X.] bei Aburteilung im Bei-trittsgebiet begangener [X.]en Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden konnte (BTDrucks. aaO S. 22). Raum für eine Anwendung des Art. 7 Abs. 1 [X.] ist in diesem Rahmen nicht eröffnet, weil § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB ausdrücklich und ausschließlich für Altfälle gilt. 15 16 f) Entscheidungen anderer Senate des [X.] stehen der Rechtsauffassung des Senats nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 [X.] einer Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB widerstreitet, ist [X.] soweit ersichtlich [X.] vom [X.]gerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 4. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 12. Mai 2010 [X.] 4 StR 577/09 [X.] zur Frage der Anwendung von § 66b Abs. 3 StGB auf Altfälle Stellung genommen. Soweit er die Auffassung ver-treten hat, dass § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 [X.] der Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB in Altfällen zuwiderlaufe, handelt es sich nicht um einen Fall von Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 [X.]. Im Gegensatz zur Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB verbleibt für § 66b Abs. 3 StGB bei der vom 4. Strafsenat vertretenen Auffassung ein Anwendungsbereich in den Fällen, in denen die [X.] nach Inkrafttreten der Norm er-folgte; die Norm erschöpft sich nicht in einer Geltung für Altfälle. Der Senat
- 9 -muss deshalb nicht entscheiden, ob er sich in Bezug auf § 66b Abs. 3 StGB der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats anschließen würde. 3. Angesichts der Entscheidung des [X.] hält indes die Ermessensausübung des [X.]s revi-sionsgerichtlicher Überprüfung nicht Stand. In allen Fällen des § 66b StGB trifft das Tatgericht eine Ermessensentscheidung, im Rahmen derer der Ver-trauensschutz des Verurteilten sowie sein Freiheitsrecht gegen das Schutz-bedürfnis der Allgemeinheit abzuwägen sind. Bei der Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB haben die Strafgerichte darüber hinaus im Blick zu be-halten, dass der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es gebieten kann, über die gesetzlichen Beschränkungen des [X.] der Norm hinaus auf die mit erheblichen Eingriffen in die Freiheitsrech-te des Betroffenen verbundene nachträgliche Anordnung der [X.]wahrung zu verzichten, wenn eine Gesamtabwägung im Einzelfall ein Über-wiegen der Freiheitsrechte gegenüber den [X.] ergibt ([X.] [X.] Kammer [X.] NJW 2009, 980, 982). 17 a) Nach den dargestellten Grundsätzen sind in die [X.] auch die Gewährleistungen der [X.]n Menschenrechtskon-vention in ihrer Ausformung durch den [X.]n Gerichtshof für [X.] einzubeziehen. In die Abwägung muss die vom Gerichtshof ge-forderte konventionsgemäße Gewichtung einfließen ([X.] aaO Rdn. 77a), um eine konforme Anwendung der in Frage stehenden Norm zu gewährleisten. Die Ausführungen des Gerichtshofs zur Vereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 1 [X.] streiten in diesem Rahmen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gewichtig zugunsten des Verurteilten. 18 b) Gleiches gilt für die Erwägungen des Gerichtshofs zu der ebenfalls angenommenen Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 [X.], mithin des Frei-heitsrechts des Verurteilten. Diesbezüglich hält der Gerichtshof in der ge-nannten Entscheidung die Freiheitsentziehung über die ursprünglich für die 19 - 10 -Sicherungsverwahrung geltende Zehnjahresfrist hinaus für nicht nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a [X.] gerechtfertigt. Ein ausreichender Kausalzusammen-hang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers und seinem fortdau-ernden Freiheitsentzug liege nicht vor. Eine Rechtfertigung der Freiheitsent-ziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c [X.] komme ebenfalls nicht in [X.], da die Gefahr weiterer schwerer Straftaten nicht konkret und spezi-fisch genug sei. Diese vom Gerichtshof für § 67d StGB aufgezeigten Bedenken sind ebenfalls auf die Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB zu übertragen. [X.] beruht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht auf einer —Verurteilung" im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a [X.]. Denn diese setzt die Schuldfeststellung wegen einer Straftat und die Auferlegung einer Strafe oder einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme voraus ([X.] aaO Rdn. 87, 95). Die Entscheidung über die nachträgliche Anord-nung der Sicherungsverwahrung enthält indes keine Schuldfeststellung. Auf die [X.] kann hier nicht abgestellt werden, weil [X.] unter Zugrundelegung der vom [X.]n Gerichtshof für Menschenrechte ver-tretenen Grundsätze (aaO Rdn. 100) [X.] ein hinreichender kausaler Zusam-menhang zwischen ihr und der Anordnung der Unterbringung in der Siche-rungsverwahrung nicht besteht. Die Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahr 1997 bedeutete, dass er nach spätestens zwölf Jahren aus der Haft zu entlassen sein würde, und zwar unabhängig von einer bei der Entlassung bestehenden Gefährlichkeit. Ohne die nachträgliche Einführung des § 66b StGB hätte er nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden [X.]; seine Unterbringung wurde nur durch die nachfolgende Gesetzesände-rung im Jahre 2007 möglich und geschah aufgrund eines neuen gerichtlichen Erkenntnisses. 20 4. Vor diesem Hintergrund ist bei [X.] von einem grundsätzlichen Überwiegen des [X.] und des Vertrauensschutzes des Beschwerdeführers auszugehen. 21 - 11 -a) Ungeachtet der Frage, ob § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB insgesamt mit dem im Lichte der Gewährleistungen der [X.]n Menschenrechtskon-vention auszulegenden (vgl. dazu [X.] 74, 102, 128 m.w.N.; [X.] [X.] Kammer [X.] [X.] 2004, 317, 318) [X.] (Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 GG) vereinbar ist (vgl. dazu auch [X.] NJW 2010, 1539, 1542 f.), kann die nachträgliche Anordnung der [X.] auf der Grundlage dieser Vorschrift allenfalls bei höchstgefährlichen Verurteilten in Betracht kommen, bei denen sich die [X.] aus konkreten Umständen in der Person oder ihrem Verhal-ten ableiten lässt. Nur dann erscheint denkbar, dass nach der aus der Ent-scheidung des Gerichtshofs ([X.], 25) folgenden Rechtsauffassung der Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten unter Berücksichtigung [X.] auf höchster Stufe schutzwürdigen Vertrauens in die Unabänderbarkeit der in der [X.] verhängten Rechtsfolge einerseits und der Si-cherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits im Rahmen einer zu sei-nen Lasten getroffenen Abwägungsentscheidung gerechtfertigt ist. 22 23 b) Ein derart schwerwiegendes, sich in konkreten Anhaltspunkten ma-nifestierendes Gefährdungspotential belegen die Feststellungen des Landge-richts nicht. [X.] beraten ist das [X.] zu der Überzeugung ge-langt, dass der 67 Jahre alte und aufgrund eines Schlaganfalls im Jahr 2001 in seiner Beweglichkeit eingeschränkte Verurteilte wegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Sexualstraftaten gefährlich ist. Beim Verurteilten [X.] es sich um eine dissoziale Persönlichkeit, deren Lebensweg auch man-gels eines inneren Wertesystems von starker Egozentrik in der Wahrneh-mung seiner persönlichen, insbesondere sexuellen Bedürfnisse geprägt sei. Die massive Verleugnung sowie die damit einhergehende mangelnde thera-peutische Aufarbeitung der von ihm begangenen Straftaten verhinderten eine selbstkritische Auseinandersetzung mit seiner Persönlichkeit sowie den Auf-bau eines von Empathie getragenen Wertesystems. Da sich die [X.] - 12 -keitsstruktur auch in der nunmehr seit über 13 Jahren andauernden Haftzeit trotz überwiegend guter Führung nicht geändert habe, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Verurteilte im Falle seiner Entlassung aus der Haft auch künftig Sexualstraftaten [X.] gegebenenfalls erneut unter der ent-hemmenden Wirkung von Alkohol [X.] aus dem gesamten Spektrum der seit dem 20. Lebensjahr von ihm begangenen Taten begehen werde. Damit hat das [X.] die fortbestehende Gefährlichkeit des [X.] im Ergebnis aus der dissozialen Prägung seiner Persönlichkeit und seines Lebensweges abgeleitet, die sich in den von ihm begangenen Strafta-ten niedergeschlagen hat, verbunden mit dem Umstand, dass er nie zu einer therapeutischen Aufarbeitung seiner Straftaten bereit war. [X.] Hinweise auf die Begehung künftiger Straftaten von höchster Schwere hat das [X.] demgegenüber nicht festgestellt. Diese sind indes auf der Grundlage der [X.] nach dem angefochtenen Urteil ergangenen [X.] Entschei-dung des [X.] jedenfalls [X.], um die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB rechtfertigen zu können. 25 c) Nachdem das [X.] bereits nach der Zurückverweisung der Sache durch den Senat mit Beschluss vom 25. März 2009 ergänzende Fest-stellungen zum Beleg der Gefahrenprognose getroffen hat, schließt der [X.] aus, dass noch weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die eine auf hinreichend konkreten Anhaltspunkten basierende Gefahren-prognose in der Person des Verurteilten begründen. Er hat wegen der aus Rechtsgründen eingetretenen Ermessensreduzierung von einer Zurückver-weisung der Sache abgesehen. 26 5. Die [X.] war demzufolge aufzuheben und der [X.] in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO zurückzuweisen. Der Verurteilte ist unverzüglich auf freien Fuß zu [X.]. 27 - 13 -6. Die Entscheidung über die Entschädigung des Beschwerdeführers wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem [X.] vorbehalten. 28 [X.] Schneider [X.]

Meta

5 StR 60/10

21.07.2010

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.07.2010, Az. 5 StR 60/10 (REWIS RS 2010, 4600)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4600

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 60/10 (Bundesgerichtshof)

Nachträgliche Sicherungsverwahrung: Beachtung des Rückwirkungsverbots der Europäischen Menschenrechtskonvention bei der Anordnung


5 StR 394/10 (Bundesgerichtshof)


5 StR 440/10 (Bundesgerichtshof)


5 StR 474/10 (Bundesgerichtshof)


5 StR 394/10, 5 StR 440/10, 5 StR 474/10 (Bundesgerichtshof)

Anfrage an die übrigen Senate zur rückwirkenden Anwendung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

5 StR 60/10

4 StR 577/09

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.