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PDF anzeigen[X.]:[X.]:[X.]:2017:300517UVIZR203.16.0
BUN[X.]SGERICHTSHOF
IM NAMEN [X.]S VOLKES
URTEIL
VI [X.]
Verkündet am:
30. Mai 2017
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 823 Abs. 1 Aa
a) Die Entscheidung des Arztes für die Wahl einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode (hier: ganzheitliche Zahnmedizin) setzt eine sorgfältige und gewissenhafte medizinische Abwägung von Vor-
und Nachteilen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und des Wohls des konkre-ten Patienten voraus.
b) Bei dieser Abwägung dürfen auch die Untersuchungs-
und Behandlungs-möglichkeiten der Schulmedizin nicht aus dem Blick verloren werden.
c) Je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist, desto höher sind die Anforderungen an die medizinische Ver-tretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode.
[X.], Urteil vom 30. Mai 2017 -
VI [X.] -
OLG [X.]
[X.]
-
2
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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2017
durch den Vorsitzenden [X.], den
Richter
Wellner, die Richterin
von Pentz, [X.] und die Richterin Müller
für Recht erkannt:
Auf die Revision
des [X.]n wird das Urteil des
5. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts [X.]
vom 19.
April
2016
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das vorbezeichnete Gericht
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegen den
beklagten Zahnarzt Schadensersatzan-sprüche aus fehlerhafter zahnärztlicher
Behandlung geltend.
Die Klägerin besuchte am 14.
September 2006 einen Vortrag des [X.], der in seinem Internetauftritt für eine ganzheitliche Behandlung durch Beseitigung von [X.] im Kiefer wirbt, die er als Ursache von allgemeinen körperlichen Beschwerden sieht. Am 15.
September 2006 führte der [X.] bei der Klägerin eine von ihm so bezeichnete "Herd-
und Störfeldtestung" durch. Er gelangte dabei zu der Diagnose "mehrfaches Zahnherdgeschehen mit Abwanderungen von [X.] in den rechten Schläfen-
und Hinter-1
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kopfbereich und bis in den Unterleib". Darüber hinaus diagnostizierte er ein "Kieferknochenendystrophie-Syndrom" und einen "stillen Gewebsuntergang im Knochenmark". Als Therapie empfahl er der Klägerin die operative Entfernung sämtlicher Backenzähne und die gründliche Ausfräsung des gesamten [X.]. Am 21.
September 2006 entfernte der [X.] bei der Klägerin ope-rativ unter Lokalanästhesie die Zähne Nr.
14, 15, 16 und 17 im rechten [X.] und fräste den Kieferknochen in diesem Bereich
"gründlich"
aus. Den [X.] Zahnersatz holte die Klägerin am 7.
November 2006
selbst
in einem Zahnlabor ab, ohne dass eine Einsetzung, Anpassung oder Einweisung in den Umgang mit der Prothese durch den [X.]n erfolgte. Wegen Problemen
mit der Prothese wandte sich die Klägerin an einen in der Nähe ihres Wohnorts tätigen Zahnarzt, der sich sehr kritisch zu der von dem [X.]n durchgeführ-ten Behandlung äußerte. Bei dem [X.]n stellte sich die Klägerin wegen Schwierigkeiten mit dem Zahnersatz letztmalig am 17.
November 2006 vor. [X.] setzte sie die Behandlung bei ihm nicht mehr fort, so dass es auch zu kei-nen weiteren Zahnentfernungen und Ausfräsungen des Kiefers mehr kam. In der Folgezeit konsultierte sie verschiedene andere
Zahnärzte.
Mit ihrer vorliegenden Klage hat die Klägerin den [X.]n auf Rück-zahlung des geleisteten Honorars (1.187,06
(Folgebehandlungskosten von 10.372,22
5.000
seiner weitergehenden Einstandspflicht in Anspruch genommen.
Das [X.] hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des [X.]n hatte nur in geringem Umfang Erfolg (Rückzahlung des geleisteten Honorars 1.187,06
Folgebehandlungs-kosten
3.219,81
, Schmerzensgeld in Höhe von 12.000
für sämtliche weiteren Schäden). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der [X.] sein Begehren auf vollständige Klageabweisung weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass der [X.] wegen [X.] seiner Pflichten aus dem mit der Klägerin abgeschlossenen Behand-lungsvertrag sowie aus unerlaubter Handlung für die Folgen der bei dieser
am 21.
September 2006
durchgeführten operativen Behandlung haftet. Zwar habe die Klägerin ausweislich der mit dem [X.]n abgeschlossenen Vereinbarung die zahnärztlichen Leistungen zur operativen Herdsanierung ausdrücklich ge-wünscht und eine "Einwilligung zur operativen Herdsanierung" unterzeichnet und ihr Einverständnis mit einer nicht nach den Regeln der Schulmedizin, son-dern nach einer "ganzheitlichen", d.h. naturheilkundlich ausgerichteten Außen-seitermethode erklärt. Gleichwohl seien dem [X.]n jedoch Behandlungs-fehler
zur Last zu legen. Er habe ohne hinreichenden Grund die notwendige interdisziplinäre Befunderhebung sowie eine interdisziplinäre Behandlung der chronischen Schmerzen der Klägerin unterlassen. Der gravierendste Behand-lungsfehler des [X.]n liege aber darin, bei der Klägerin einen äußerst schwerwiegenden
Eingriff (Entfernung von vier Zähnen im rechten Oberkiefer und Ausfräsung des
gesamten Areals) vorzunehmen, ohne das Beschwerdebild vorher ausreichend abzuklären. Dabei sei dem [X.]n
zwar
nicht vorzuwer-fen, dass er die mit der Klägerin vereinbarten (alternativen) [X.] angewandt habe, sondern dass er das multiple Beschwerdebild der Klä-gerin ausgeblendet und sich rein auf die Zahnbehandlung konzentriert und im Rahmen dieser ohne notwendige Gesamtabklärung auf
völlig unsicherer
Grund-lage einen derart drastischen Eingriff bei ihr vorgenommen habe. Der Sachver-ständige habe insoweit auch bestätigt, dass sich auf Basis der durchgeführten Diagnostik keine Indikation für die durchgeführten und geplanten [X.]
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maßnahmen habe ableiten lassen, auch nicht auf der Grundlage der vereinbar-ten alternativen Heilmethode. Der Haftung des [X.]n stehe auch nicht ent-gegen, dass die Klägerin in die Behandlung eingewilligt habe. Denn ein be-handlungsfehlerhaftes Vorgehen werde durch die Einwilligung nicht gerechtfer-tigt. Im Übrigen beruhe die Einwilligung erkennbar darauf, dass der [X.] die Klägerin nicht hinreichend aufgeklärt habe.
II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf Grundlage der vom
Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob
der [X.]
wegen der Behandlung vom 21.
September 2006
der Klägerin gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet ist.
1. Die Anwendung von nicht allgemein anerkannten
Therapieformen
ist
rechtlich grundsätzlich erlaubt (vgl.
etwa Senatsurteile
vom 29. Januar 1991
-
VI
[X.], [X.]Z 113, 297, 301
"Ozon-Therapie"; vom 13. Juni 2006
-
VI [X.], [X.]Z 168, 103 "[X.]" und vom 22.
Mai 2007
[X.], [X.]Z 172, 254 "[X.]", jeweils mwN). Es kann dahingestellt bleiben, ob dies schon deswegen der Fall sein muss, weil sich eine [X.] aus Rechtsgründen als Hemmnis des medizinischen Fortschritts bzw. als Stillstand der Medizin darstellen würde. Entscheidend ist, dass jeder Patient, bei dem eine von der Schulmedizin nicht oder noch nicht anerkannte Methode angewendet wird, innerhalb der durch die §§ 138 BGB, 228
StGB gezogenen Grenzen eigenverantwortlich entscheiden kann, welchen Behandlungen er sich unterziehen will. Schließt aber das Selbstbestimmungs-recht eines um die Tragweite seiner Entscheidung wissenden Patienten die Be-5
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fugnis ein, jede nicht gegen die guten Sitten verstoßende Behandlungsmethode zu wählen, so kann aus dem Umstand, dass der Heilbehandler den Bereich der Schulmedizin verlassen hat, nicht von vornherein auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden
(vgl. zum vorstehenden Senatsurteil vom 29. Januar 1991 -
VI [X.], [X.]Z 113, 297, 301 mwN; vgl. zu dem Thema allgemein: [X.], Alternativmedizin, S. 54, 69).
2. Die Entscheidung des Arztes für die Wahl einer nicht allgemein aner-kannten Therapieform setzt allerdings eine sorgfältige und gewissenhafte medi-zinische Abwägung von Vor-
und Nachteilen unter Berücksichtigung aller Um-stände des Einzelfalles und des Wohls des konkreten Patienten voraus
(vgl. Senatsurteile
vom 13. Juni 2006 -
VI [X.], [X.]Z 168, 103 "[X.]";
vom 27. März 2007 -
VI [X.], [X.]Z 172, 1, 8 "[X.]"
und vom 22.
Mai 2007
[X.], [X.]Z 172, 254 "[X.]"). Bei dieser Abwägung dürfen auch die Untersuchungs-
und Behandlungsmöglichkeiten der Schulmedizin nicht aus dem Blick verloren werden.
Je schwerer und radikaler
der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist, desto höher sind die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behand-lungsmethode
(vgl. zur Vertretbarkeit Senatsurteil vom 10. März 1987 -
VI [X.], [X.], 770, 771).
3. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die
radikale
Be-handlungsmaßnahme des [X.]n bei der Klägerin zu schwerwiegenden, irreversiblen Gesundheitsschäden geführt (Verlust bzw. [X.] der Kau-, Gebiss-
und Implantatfähigkeit). Die Revision rügt mit
Recht, dass das [X.] die verantwortliche medizinische
Abwägung
von
Vor-
und Nachtei-len
auf der Grundlage des Gutachtens eines Sachverständigen
beurteilt hat, der nicht über die erforderliche umfassende Sachkunde verfügt.
Das [X.] hat es verfahrensfehlerhaft unterlassen, einen
auch
mit der ganzheitlichen 7
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Zahnmedizin in Theorie und Praxis vertrauten Sachverständigen zu [X.]. Hierfür bestand umso mehr Veranlassung, weil
der gerichtlich bestellte Sachverständige offengelegt
hat, sich selbst nicht ausführlich mit der Alterna-tivmedizin befasst zu haben,
und
zwei
ihm
geeignet erscheinende Sachver-ständige benannt hat.
4. Das Berufungsurteil erweist sich schließlich
nicht aus anderen Grün-den als richtig, weil -
wie das Berufungsgericht weiter meint -
der [X.] die Klägerin auch nicht hinreichend aufgeklärt hat. Die Frage
einer
hinreichenden
Aufklärung läßt
sich ebenfalls erst nach der
Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens
abschließend
beantworten.
Galke
Wellner
von Pentz
[X.]
Müller
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 19.03.2014 -
4 [X.]/11 -
OLG [X.], Entscheidung vom 19.04.2016 -
5 U 8/14 -
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Meta
30.05.2017
Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat
Sachgebiet: ZR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2017, Az. VI ZR 203/16 (REWIS RS 2017, 10252)
Papierfundstellen: REWIS RS 2017, 10252
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
VI ZR 203/16 (Bundesgerichtshof)
Zahnarzthaftung: Wahl einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode
VI ZR 323/04 (Bundesgerichtshof)
VI ZR 105/18 (Bundesgerichtshof)
Arzthaftung: Voraussetzungen für die Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode
VI ZR 35/06 (Bundesgerichtshof)
Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Pflicht zur Aufklärung über das erhöhte Risiko einer alternativen Operationsmethode