Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2011, Az. 2 StR 446/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 10060

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 446/10 vom 26. Januar 2011 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. - 2 - Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Januar 2011, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Rissing-van Saan und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer, Prof. Dr. Schmitt, Dr. Eschelbach, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts Koblenz vom 22. April 2010 im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an ei-ne andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen. Von Rechts wegen Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Miss-brauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefoh-lenen in zwei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer Vorverurtei-lung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten ver-urteilt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf den Rechts-folgenausspruch beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung im Gesamtstrafenausspruch; im Übrigen ist die Revision unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). 1 - 4 - 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts veranlasste der Angeklagte zwischen Februar 2002 und August 2003 seinen damals 12 bzw. 13 Jahre alten Stiefsohn M. W. in zwei Fällen, an ihm den ungeschützten Analverkehr zu vollziehen. Unter Darlegung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat die Kammer zunächst zwei Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und sechs Monaten gebildet. Im Rahmen der Gesamtstrafenbil-dung hat sie die im Urteil des Landgerichts Koblenz vom 1. September 2005 ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten aufgelöst und die dortigen 114 Einzelfreiheitsstrafen, die sich zwischen neun Monaten und drei Jahren bewegen, einbezogen. Insoweit hat das Landgericht ausgeführt, es habe "unter nochmaliger Abwägung sämtlicher für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände" sowie unter Berücksichtigung des "zeitlichen und situativen Zusammenhangs zwischen den einzelnen Taten" die Einzelstrafen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von (wiederum) sechs Jahren und sechs Monaten zurückgeführt (UA S. 19). 2 Die der Vorverurteilung vom 1. September 2005 zugrunde liegenden Ta-ten betrafen den (teilweise: schweren) sexuellen Missbrauch der weiteren Stief-kinder des Angeklagten, J. und M. C. W. , sowie des Kindes

S. zwischen April 1997 und Dezember 2004. Drei der abgeurteilten Taten, die zwischen August und Dezember 2004 stattfanden, erfolgten im Bei-sein des zu diesem Zeitpunkt 15jährigen M.

W. . Im Rahmen einer verfah-rensbeendenden Verständigung jenes Verfahrens hatte die Staatsanwaltschaft für den Fall der geständigen Einlassung des Angeklagten die "wohlwollende Prüfung" der Einstellung eines weiteren, wegen Verdachts des schweren sexu-ellen Missbrauchs zum Nachteil des M.

W. laufenden Ermittlungsverfah-rens zugesagt. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens stellte die Staatsanwaltschaft dieses Ermittlungsverfahren am 15. September 2005 ge-mäß § 154 Abs. 1 StPO ein. 3 - 5 - Aufgrund einer erneuten Vernehmung des M. W. am 23. April 2009 hat die Staatsanwaltschaft das hiesige Verfahren eingeleitet und insge-samt sechs Taten zum Nachteil dessen angeklagt. Im Hinblick auf vier dieser Taten, die der Geschädigte bereits 2005 geschildert hatte und die Gegenstand des eingestellten Verfahrens waren, hat das Landgericht das Verfahren im Rahmen der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. 4 2. Die Einzelstrafaussprüche weisen keinen durchgreifenden Rechtsfeh-ler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe hält jedoch rechtlicher Überprüfung nicht stand. 5 a) Die Bemessung der Gesamtstrafe ist auch im Falle ihrer nachträgli-chen Bildung nach §§ 55, 54 Abs. 1 StGB ein eigenständiger und zu begrün-dender Zumessungsakt (vgl. Senat, Beschluss vom 5. August 2010 - 2 StR 340/10; BGH, Beschluss vom 13. November 2008 - 3 StR 485/08), der unter zusammenfassender Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Straftaten durch angemessene Erhöhung der höchsten Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) erfolgt. Dabei kann die Erhöhung der Einsatzstrafe geringer aus-fallen, wenn zwischen den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht, da die wiederholte Begehung gleichartiger Taten der Ausdruck einer niedriger werdenden Hemmschwelle sein kann. Ande-rerseits kann hierin aber je nach den Umständen des Einzelfalles auch ein Indiz für eine besondere kriminelle Energie (§ 46 Abs. 2 StGB) gesehen werden. Ge-rade bei Sexualdelikten kann die mildernde Wirkung der sinkenden Hemm-schwelle durch den ständigen Druck ausgeglichen sein, dem das Opfer dadurch ausgesetzt ist, dass es jederzeit mit einer neuen Tat rechnen muss (BGH, Be-schluss vom 25. August 2010 - 1 StR 410/10 mwN). Auch zeitlich weit ausein-ander liegende Taten gegen verschiedene Rechtsgüter sprechen eher für eine deutliche Erhöhung der Einsatzstrafe (Fischer StGB 58. Aufl. § 54 Rn. 10). 6 - 6 - Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das Tatgericht die Gründe für die Zumessung nicht nur hinsichtlich der neu hinzutretenden Einzelstrafen, sondern auch hinsichtlich der Gesamtstrafe nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO im Urteil anzuführen (BGH NStZ 1987, 183; NJW 1953, 1360). Dabei sind an die Begründung der Gesamtstrafenhöhe umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr sich die Strafe der oberen oder unteren Grenze des Zulässigen nähert. 7 b) Diesen Anforderungen wird die Begründung des Landgerichts nicht gerecht. Sie lässt eine Überprüfung der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe, ins-besondere der sie tragenden Strafzumessungserwägungen nicht zu. Der Aus-spruch über die Gesamtfreiheitsstrafe war deshalb aufzuheben, weil nicht si-cher auszuschließen ist, dass er auf dem Rechtsfehler beruht. 8 Die Revision rügt zu Recht, dass es das Landgericht unterlassen hat, entsprechend § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen die Umstände anzuführen, die für die Bemessung der Höhe der Gesamtstrafe bestimmend waren. Die formelhafte Begründung der Kammer lässt nicht erkennen, dass sie gesamtstrafenspezifische strafschärfende Umstände, wie etwa die Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung von insgesamt vier Kindern und den langen Tatzeitraum von über sieben Jahren, berücksichtigt hat. Die Erwähnung des zeitlichen und situativen "Zusammenhangs" lässt besorgen, dass die Kam-mer nur die Vielzahl der gegen das gleiche Rechtsgut gerichteten Fälle und dies mildernd berücksichtigt hat, ohne dabei zu bedenken, dass der sexuelle Miss-brauch in vielfältiger Art und Weise und nicht nur zu Lasten der Stiefkinder statt-fand, er sich gegen Kinder beiderlei Geschlechts richtete und der Angeklagte in unterschiedlichsten Konstellationen teilweise auch mehrere Kinder gleichzeitig missbrauchte. 9 - 7 - Die Begründung des Landgerichts wird auch den vorliegend erhöhten Anforderungen nicht gerecht, die sich daraus ergeben, dass die gebildete Ge-samtstrafe mit sechs Jahren und sechs Monaten die unterste Grenze des Zu-lässigen darstellt, weil die Höhe einer aufgelösten Gesamtfreiheitsstrafe bei der Bildung der (neuen) Gesamtstrafe nicht unterschritten werden darf (BGH, Be-schluss vom 4. Oktober 2001 - 4 StR 329/01; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 55 Rn. 31). 10 Die Bemessung der Gesamtstrafe an der untersten Grenze des Zulässi-gen lässt zudem besorgen, dass sich die Kammer aufgrund der Verständigung in dem vorangegangenen Verfahren an die dort zugesagte Strafobergrenze ge-bunden gefühlt hat. 11 3. Da die Gesamtstrafe wegen eines Wertungsfehlers aufgehoben wird, können - auch im Blick auf die aufrechterhaltenen Einzelstrafaussprüche - die zugehörigen Feststellungen bestehen bleiben. Ergänzende, nicht widerspre-chende Feststellungen durch den neuen Tatrichter sind möglich. 12 - 8 - Der Senat hat nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 354 Abs. 1b StPO den neuen Tatrichter auf eine Entscheidung im Beschlusswege gemäß §§ 460, 462 StPO zu verweisen. In Fällen, in denen - wie hier - dem Tatgericht bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe echte Zumessungsfehler unterlaufen sind, ist das Beschlussverfahren in der Regel ungeeignet (vgl. BGH, StV 2006, 402). 13 Frau VRinBGH Prof. Dr. Rissing-van Saan Fischer Schmitt ist wegen Eintritts in den Ruhestand an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer Herr RiBGH Dr. Eschelbach ist wegen Ott Erkrankung an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer

Meta

2 StR 446/10

26.01.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2011, Az. 2 StR 446/10 (REWIS RS 2011, 10060)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10060

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2 StR 446/10

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