Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.04.2017, Az. B 13 R 339/16 B

13. Senat | REWIS RS 2017, 12320

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Aufklärungsrüge - Sachverständigengutachten - vermeintlicher weiterer Erläuterungs- bzw Aufklärungsbedarf


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 14. September 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Das [[X.].] hat mit Urteil vom 14.9.2016 einen Anspruch des [[X.].] auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint. Der Kläger verfüge noch über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich leichte (bis selten mittelschwere) Tätigkeiten in überwiegend sitzender Position oder wechselnder Körperhaltung mit weiteren qualitativen Leistungseinschränkungen. Bei seiner Leistungsbeurteilung hat sich das [[X.].] im Wesentlichen auf die Gutachten des Facharztes für Orthopädie, Unfallchirurgie und Rheumatologie Dr. O. vom 19.3.2016 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. vom [[X.].] gestützt. Ein Anlass, den Anträgen des [[X.].] zu einer ergänzenden Befragung des Sachverständigen Dr. Sch. nachzugehen, bestehe nicht.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er rügt eine Verletzung der Aufklärungspflicht des [[X.].] nach §§ 103, 118 Abs 1 [[X.].] [X.] iVm § 411 Abs 3 ZPO, hilfsweise eine Verletzung seines Fragerechts nach § 116 [[X.].], § 118 Abs 1 [[X.].] [X.] iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO und damit seines rechtlichen Gehörs nach Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.].

3

II. Die Beschwerde des [[X.].] ist unzulässig. Seine Begründung vom 19.12.2016 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form. Der Kläger hat keinen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [[X.].] [X.] in der erforderlichen Weise bezeichnet (§ 160 Abs 2 [[X.].] iVm § 160a Abs 2 S 3 [X.]).

4

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [[X.].] [X.] vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur ordnungsgemäßen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]) die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [[X.].] - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 [[X.].] Halbs 2 [X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 [[X.].] [X.] und auf eine Verletzung des § 103 [X.] nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [[X.].] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

5

1. Sofern der Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach §§ 103, 118 Abs 1 [[X.].] [X.] iVm § 411 Abs 3 ZPO darin sieht, dass das [[X.].] seinem Antrag, den Sachverständigen Dr. Sch. zur Erläuterung seines Gutachtens zum Termin zu laden ([[X.].] der Beschwerdebegründung), zu Unrecht nicht nachgegangen sei, weist er zwar zu Recht darauf hin, dass die von ihm ausdrücklich gerügte [[X.].] eines Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens in der mündlichen Verhandlung auch ein Aufklärungsmangel des [[X.].] sein kann (vgl [[X.].], [[X.].] 2007, 328, 334). Sein Vortrag erfüllt aber nicht die Anforderungen an eine diesbezügliche Sachaufklärungsrüge.

6

a) Nach § 411 Abs 3 ZPO kann das Gericht das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere.

7

Grundsätzlich steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es einen Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens laden will (vgl [[X.].] Beschluss vom 29.8.1995 - 2 BvR 175/95 - Juris RdNr 29). Die Ermessensentscheidung unterliegt jedoch revisionsrechtlicher Überprüfung dahin, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen rechtsfehlerhaft Gebrauch gemacht hat (stRspr, [[X.].] Beschluss vom 11.10.1988 - 5 BJ 250/88 - Juris RdNr 4; [[X.].] vom [[X.].] - [[X.].] VJ 1/98 B - Juris RdNr 7).

8

Zwar wird mit § 411 Abs 3 ZPO die Befugnis des [[X.].] statuiert, von sich aus, "von Amts wegen", also ohne Anregung oder Antrag eines Beteiligten den Sachverständigen zum Termin zu laden und dort zu hören, um fehlerhafte tatsächliche Annahmen, Lücken oder Widersprüche im Gutachten in Gegenwart der Beteiligten mündlich zu erörtern und nach Möglichkeit auszuräumen ([[X.].] vom 16.1.1986 - 4b [[X.].] - [[X.].] 1750 § 411 Nr 2 [[X.].]; vgl auch [[X.].] vom 11.10.1988 - 5 BJ 250/88 - Juris RdNr 4). Allerdings ist ein Prozessbeteiligter nicht gehindert, ein Tätigwerden des [[X.].] vom Amts wegen nach § 411 Abs 3 ZPO anzuregen. Diese Anregung ("Antrag") muss aber bestimmten Anforderungen entsprechen: Sie muss Ausführungen enthalten, aufgrund derer sich das Gericht schlüssig werden kann, ob es überhaupt Anlass hat, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens zum Termin zu laden; die Anregung muss zumindest bei einem anwaltlich vertretenen Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungsobliegenheit regelmäßig so rechtzeitig nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens beim Prozessgericht eingebracht werden, dass dieses entsprechend der Konzentrationsmaxime (vgl § 106 Abs 2 [X.]) in der Lage ist, den Sachverständigen noch zum nächsten Termin zu laden und die Streitsache in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (vgl [[X.].] vom 16.1.1986 - 4b [[X.].] - [[X.].] 1750 § 411 Nr 2 [[X.].] f). Hinsichtlich der "Rechtzeitigkeit" und der "Begründungstiefe" der Anregung mag dann etwas anderes gelten, wenn das [[X.].] einem Beteiligten erst in der mündlichen Verhandlung eröffnet hat, dass es der für ihn günstigen Beurteilung eines Sachverständigen nicht folgen wolle (vgl [[X.].] vom 25.10.2012 - [[X.].] SB 18/12 B - Juris RdNr 8). Dass diese besondere Fallkonstellation hier vorliegt, behauptet der Kläger aber nicht.

9

Einen Antrag, der den vorgenannten Anforderungen nicht genügt, kann das Prozessgericht ablehnen, ohne dass es das ihm durch § 411 Abs 3 ZPO eingeräumte Ermessen überschreitet (vgl [[X.].] vom 16.1.1986 - 4b [[X.].] - [[X.].] 1750 § 411 [[X.].] 3).

b) Der Kläger hat die Voraussetzungen, unter denen das [[X.].] nur ermessenswidrig von einer Ladung des Dr. Sch. zur Erläuterung seines Gutachtens hätte Abstand nehmen können, nicht schlüssig dargetan. Es mangelt bereits daran, dass er nicht dargelegt hat, dass und wann er dem [[X.].] welche Gesichtspunkte mitgeteilt hat, die das Gericht im Rahmen seiner Ermessensprüfung hätte berücksichtigen müssen.

aa) Soweit der Kläger sich auf seine Schriftsätze vom 14.7. und 22.7.2016 bezieht, mit denen er jeweils beantragt habe, den Sachverständigen Dr. Sch. zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zum Termin zu laden, hat er schon nicht aufgezeigt, welche konkreten Gesichtspunkte ausgehend von der Rechtsauffassung des [[X.].] noch "erläuterungsbedürftig" sein sollten. Dass er im Schriftsatz vom 14.7.2016 überhaupt Gründe für eine weitere Aufklärung durch den Sachverständigen formuliert oder zumindest umschrieben hat, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht. Sofern der Kläger auf seinen Schriftsatz vom 22.7.2016 verweist, in dem er beantragt habe, dem Gutachter in der mündlichen Verhandlung "die [[X.].] gemäß Beweisbeschluss vom 18.04.2016 zu [[X.].] ausschließlich Ziffer 1-6 sowie Ziffer V, 1, [[X.].], [[X.].], [X.]" zu stellen, behauptet er nicht, dass sich der Sachverständige überhaupt nicht oder ungenügend zu diesen ihm bereits vom [[X.].] in der vorgenannten Beweisanordnung vorgelegten [[X.].] geäußert habe. Dies ist jedoch erforderlich, denn eine nochmalige mündliche Befragung des Sachverständigen zu bereits schriftlich im Rahmen der Gutachtenerstattung vorgelegten und beantworteten Fragen muss im Rahmen einer auf §§ 103, 118 Abs 1 [[X.].] [X.] iVm § 411 Abs 3 ZPO gestützten Aufklärungsrüge nicht schon deshalb erfolgen, weil der Kläger subjektiv noch weiteren Erläuterungs- bzw Aufklärungsbedarf zu bereits beantworteten Fragen gesehen haben mag (vgl [[X.].] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 1522/12 - Juris RdNr 2). [X.] ist insoweit vielmehr, dass der erkannte weitere Aufklärungsbedarf in Auseinandersetzung mit dem (bzw den) bereits vorliegenden Gutachten näher erläutert und auf noch konkret erläuterungsbedürftige Punkte, die das [[X.].] in seine Ermessensprüfung hätte einbeziehen müssen, hingewiesen wurde (vgl [[X.].] Beschluss vom 29.8.1995 - 2 BvR 175/95 - Juris RdNr 29). Auch hieran fehlt es.

bb) Soweit der Kläger sich auf die auf [[X.].]5 f der Beschwerdebegründung unter 1. bis 9. wiedergegebenen Fragen beruft, hat er nicht - anders als erforderlich - dargelegt, dass er dem [[X.].] gegenüber in inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem bereits vorliegenden Gutachten schlüssig aufgezeigt habe, dass und warum die von seiner Prozessbevollmächtigten erstmals in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gereichten Fragen an den Sachverständigen Dr. Sch. nicht bereits von diesem im Rahmen der vom Berufungsgericht mit der Beweisanordnung vorgegebenen Fragestellungen hinreichend (mit-)beantwortet seien und inwiefern das [[X.].] von einer erneuten Äußerung des Sachverständigen neue Erkenntnisse hätte erwarten können. Es reicht bei einer Sachaufklärungsrüge nach §§ 103, 118 Abs 1 [[X.].] [X.] iVm § 411 Abs 3 ZPO nicht aus, entsprechende Ausführungen erst im [X.] "nachzuholen".

2. Sofern der Kläger - "hilfsweise" ([[X.].] und 42 der Beschwerdebegründung) - die gleichzeitig mögliche Rüge der Verletzung des Fragerechts nach § 116 [[X.].], § 118 Abs 1 [[X.].] [X.] iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO erhebt (vgl [[X.].], [[X.].] 2007, 328, 335), erfüllt die Beschwerdebegründung auch deren Darlegungsanforderungen nicht. Da das Fragerecht an den Sachverständigen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, muss eine entsprechende Rüge aufzeigen, dass der Beteiligte alles getan hat, um die Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Hierzu gehört ua auch, dass in der Beschwerdebegründung dargelegt wird, dass er einen hierauf gerichteten Antrag mit objektiv sachdienlichen Fragen - wobei es hier im Gegensatz zur Aufklärungsrüge nicht allein auf den Rechtsstandpunkt des [[X.].] ankommt (vgl Senatsbeschluss vom 16.6.2016 - [X.] R 119/14 B - Juris RdNr 12 f; [[X.].], [[X.].] 2007, 328, 335) - innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Erstattung des Gutachtens und hier insbesondere rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellt hat (zu diesem und zu den weiteren Darlegungsanforderungen an eine Rüge der Verletzung des Fragerechts vgl zB Senatsbeschlüsse vom 20.12.2012 - [X.] R 333/12 B - Juris RdNr 8; vom [X.] - [X.] R 71/12 B - Juris RdNr 17; vom 7.8.2014 - [X.] R 439/13 B - Juris RdNr 10 und vom 15.9.2015 - [X.] R 201/15 B - Juris RdNr 7; [[X.].] vom 12.4.2000 - [[X.].] V[[X.].]/99 R - Juris RdNr 20; [[X.].] in [X.]/[[X.].]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 118 RdNr 12e). Dies hat der Kläger aber gerade nicht getan. Er zeigt keine Gründe dafür auf, warum seine Prozessbevollmächtigte dem Berufungsgericht den an den Sachverständigen Dr. Sch. zu richtenden Fragenkatalog trotz des bereits unter dem [[X.].] erstatteten Gutachtens erst in der mündlichen Verhandlung am 14.9.2016 vorlegen konnte und ihr dies nicht schon früher möglich gewesen war.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 [[X.].] Halbs 2 [X.]).

4. Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 [[X.].] Halbs 2 iVm § 169 [[X.].] und 3 [X.] durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

5. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.].

Meta

B 13 R 339/16 B

19.04.2017

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Hannover, 1. April 2014, Az: S 6 R 694/10, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 62 SGG, § 103 SGG, § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 397 ZPO, § 402 ZPO, § 411 Abs 3 ZPO, § 411 Abs 4 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.04.2017, Az. B 13 R 339/16 B (REWIS RS 2017, 12320)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12320

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