Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2021, Az. 3 StR 485/20

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 2140

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Gegenstand

Absoluter Revisionsgrund vorschriftswidriger Gerichtsbesetzung: Terminierungen des Strafkammervorsitzenden in Verhinderungs- und Vertretungsfällen; Grenzen revisionsgerichtlicher Prüfung der Einhaltung des Gebots des gesetzlichen Richters


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 1. Juli 2020 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in Tateinheit mit Geldwäsche und mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen und [X.] getroffen. Die auf eine Verfahrensrüge sowie die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten lässt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil erkennen; sie ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

Der Erörterung bedarf allein die Verfahrensrüge, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Die Revision macht insofern - ohne Erfolg - einen Verstoß gegen § 21e Abs. 1 [X.] in Verbindung mit § 338 Nr. 1 [X.] aF geltend.

3

1. Der Besetzungsrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

4

In der Hauptverhandlung war die [X.] mit drei Berufsrichtern besetzt, und zwar dem Vorsitzenden [X.] am [X.] S.            , der [X.]in am [X.] A.       und dem [X.] am [X.] M.    . Der Angeklagte beanstandet, anstelle von [X.] am [X.] M.    hätte [X.]in am [X.] B.    mitwirken müssen.

5

Die Hauptverhandlung in der [X.] mit drei Angeklagten hatte ursprünglich am 8. Juli 2019 begonnen, musste aber aufgrund einer langfristigen Erkrankung einer Beisitzerin ausgesetzt werden. Wegen deren Ausfalls wurde - wogegen sich die Revision ausdrücklich nicht wendet - der Geschäftsverteilungsplan des [X.]s geändert; der [X.] waren nunmehr Vorsitzender [X.] am [X.] S.           , [X.]in am [X.] A.        und [X.]in am [X.] B.     als ordentliche Mitglieder zugewiesen. Daraufhin terminierte der Vorsitzende das Verfahren beginnend ab dem 23. September 2019 neu, und zwar unter Nutzung von 21 Terminstagen, die für die ursprüngliche Hauptverhandlung angesetzt und mit den seinerzeit sechs Verteidigern abgesprochen worden waren. Zudem wurden für die anschließende [X.] ab Anfang Februar 2020 ergänzend neue weitere Hauptverhandlungstage bestimmt.

6

[X.]in am [X.] B.      war jedoch an drei sowohl ursprünglich als auch erneut vorgesehenen Hauptverhandlungstagen im Oktober und November 2019 wegen bereits zuvor bestimmter [X.] in einer anderen [X.], der sie vorrangig zugewiesen war, anderweitig gebunden. Zudem war ihr bereits ein vierwöchiger Erholungsurlaub ab Anfang Februar 2020 genehmigt worden. Deshalb wurde die Hauptverhandlung nicht mit [X.]in am [X.] B.     , sondern mit dem ausweislich des gerichtlichen [X.] im konkreten Fall als ihr Vertreter zuständigen [X.] am [X.] M.    durchgeführt.

7

2. Die Revision trägt vor, diese - als solche nicht in Frage gestellten - Umstände hätten den Verhinderungsfall nicht begründet und die Nichtmitwirkung von [X.]in am [X.] B.      als ordentliches [X.]mitglied nicht gerechtfertigt. Die [X.] sei mithin nicht vorschriftsgemäß besetzt gewesen; dem Angeklagten sei [X.]in am [X.] B.      als gesetzliche [X.]in entzogen worden.

8

Denn die drei [X.] im Oktober und November 2019, an denen [X.]in am [X.] B.    wegen ihrer nach dem Geschäftsverteilungsplan vorrangigen Tätigkeit in einer anderen [X.] verhindert war, hätten nicht zwingend stattfinden müssen. Sie hätten auch ohne Bestimmung anderer Termine im Oktober und November 2019 ersatzlos entfallen und damit "abgesagt" werden können, weil sie zur Wahrung der Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 [X.] nicht erforderlich waren. Um [X.]in am [X.] B.    als der gesetzlich zuständigen [X.]in eine Mitwirkung an der Hauptverhandlung zu ermöglichen, hätte die Hauptverhandlung nicht auch auf diese drei Termine im Oktober und November 2019 angesetzt werden dürfen. Jedenfalls aber hätte geprüft werden müssen, ob die [X.]in an diesen drei Tagen ganztägig verhindert war oder in der anderen [X.] nur kurze Verhandlungen angesetzt waren, so dass ihr eine Mitwirkung in der vorliegenden Sache auch an diesen Tagen, gegebenenfalls bei einem zeitlich reduzierten [X.], möglich gewesen wäre.

9

Soweit [X.]in am [X.] B.    für den Februar 2020 ein vierwöchiger Erholungsurlaub genehmigt worden war, hätte die Hauptverhandlung für diesen [X.]raum unterbrochen werden können und müssen, um ihre Mitwirkung als gesetzlich zuständige [X.]in zu ermöglichen. Denn zu diesem [X.]punkt sollte die Hauptverhandlung nach der vorgesehenen Terminierung bereits an mehr als zehn Hauptverhandlungstagen durchgeführt worden sein, so dass sie nach § 229 Abs. 2 [X.] für einen - ausreichenden - [X.]raum von einem Monat hätte unterbrochen werden dürfen.

3. Die Besetzungsrüge ist statthaft und zulässig erhoben, indes unbegründet.

a) [X.] ist statthaft. Denn die Hauptverhandlung hat am 23. September 2019 begonnen, also vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung des Verfahrens über einen Besetzungseinwand durch das [X.] vom 10. Dezember 2019 ([X.] 2019 I, [X.]) am 13. Dezember 2019. Mithin hat vorliegend das neu geschaffene Vorabentscheidungsverfahren nicht durchgeführt werden können und kommt § 338 Nr. 1 [X.] in seiner alten, zum [X.]punkt des Beginns der Hauptverhandlung geltenden Fassung zur Anwendung.

Der Angeklagte hat am ersten Hauptverhandlungstag noch vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache einen den gesetzlichen Anforderungen genügenden Besetzungseinwand erhoben. Diesen hat die [X.] mit Beschluss vom 25. September 2019 zurückgewiesen.

b) Die Rüge dringt in der Sache nicht durch.

aa) Ein Vorsitzender ist nicht von Rechts wegen generell gehalten, im Rahmen der gesetzlichen Unterbrechungsfristen auf die Bestimmung von [X.]n an Tagen und in [X.]räumen zu verzichten, an beziehungsweise in denen ein eigentlich nach dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan und dem spruchkörperinternen Mitwirkungsplan zuständiges reguläres richterliches Mitglied der [X.] wegen Urlaubs, Krankheit oder aus dienstlichen Gründen an einer Mitwirkung verhindert ist. Vielmehr kann es im Einzelfall rechtlich zulässig sein und liegt insbesondere nicht per se ein Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen [X.]s vor, wenn eine Hauptverhandlung ohne eine durch die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 und 2 [X.] begründete Notwendigkeit an Terminen angesetzt wird, an denen ein originär zur Entscheidung berufendes Mitglied des Spruchkörpers verhindert ist, und so ein Vertretungsfall ausgelöst wird.

(1) Wäre die gegenteilige Rechtsauffassung der Revision richtig, bedeutete dies, dass eine Hauptverhandlung nicht während einer urlaubs- oder krankheitsbedingten Abwesenheit eines originär zuständigen [X.]s unter Heranziehung eines Vertreters durchgeführt werden dürfte. Bei jeder Terminierung müssten urlaubs- oder krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten ausgespart werden; gegebenenfalls müsste - wenn die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 und 2 [X.] nicht ausreichen - mit dem Beginn einer Hauptverhandlung bis zur Rückkehr des regulär zuständigen [X.]s zugewartet werden.

Eine solche Rechtsansicht, die auf einen absoluten Vorrang der Mitwirkung des nach dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan und dem spruchkörperinternen Mitwirkungsplan originär zuständigen [X.]s hinausliefe und den Einsatz von geschäftsverteilungsplanmäßigen Vertretern weitestgehend ausschlösse, geht fehl (vgl. [X.], Urteil vom 14. September 2016 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 21f Abs. 2 Satz 1 Verhinderung 1). Sie ist nicht von Verfassungs wegen geboten und findet auch keinen Rückhalt im einfachen Recht.

Ein derartiger absoluter Vorrang des regulär zuständigen [X.]s wäre weder mit dem in Strafsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatz noch mit der Konzentrationsmaxime und dem Gebot der effizienten Nutzung begrenzter justizieller Ressourcen vereinbar (vgl. [X.], Urteil vom 14. September 2016 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 21f Abs. 2 Satz 1 Verhinderung 1). Er hätte zur Folge, dass - auch in dem besonderen Beschleunigungsgebot unterliegenden Haftsachen - mit einer Hauptverhandlung nicht begonnen werden dürfte, obgleich dies unter Mitwirkung eines Vertreters möglich wäre, oder längere Unterbrechungen hingenommen werden müssten, obwohl eine Hauptverhandlung bei Heranziehung eines Vertreters zügig zum Abschluss gebracht werden könnte. Gegebenenfalls könnten zur Verfügung stehende personelle Ressourcen anderer nicht verhinderter [X.] nicht genutzt werden, weil diese allein aufgrund der Abwesenheit eines anderen [X.]s daran gehindert wären, Hauptverhandlungen durchzuführen. Zu bedenken ist zudem, dass es in der gerichtlichen Praxis - wie auch das vorliegende Verfahren zeigt - insbesondere in Strafsachen mit mehreren Angeklagten und umfangreichem Verfahrensstoff regelmäßig nicht einfach ist, mit Verteidigern [X.] abzusprechen. Versagte man den Gerichten weitestgehend, unter Heranziehung von Vertretern zu verhandeln, erschwerte das ohnehin aufwändige und schwierige Terminabsprachen mit den Verfahrensbeteiligten zusätzlich und hätte vielfach weitere Verfahrensverzögerungen oder notwendige [X.] gegen den Willen von Angeklagten zur Konsequenz.

(2) Dementsprechend ist in der Rechtsprechung des [X.] anerkannt, dass eine Verhinderung eines originär zuständigen Mitglieds eines Spruchkörpers durch Urlaub und in der Folge ein Vertretungsfall auch dann eintreten kann, wenn von dem Urlaub nur einzelne Sitzungstage betroffen sind, wobei darunter nicht notwendigerweise der erste Hauptverhandlungstag einer auf mehrere Tage anberaumten Hauptverhandlung fallen muss ([X.], Beschlüsse vom 18. März 2020 - 4 StR 374/19, [X.], 757 Rn. 17, 19; vom 25. Juni 2002 - 5 StR 60/02, [X.]R [X.] § 338 Nr. 1 Vertreter 6; vom 5. April 1989 - 2 StR 39/89, [X.]R [X.] § 338 Nr. 1 Vertreter 2; [X.]/[X.], [X.], 10. Aufl., § 21e [X.] Rn. 144; [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 338 Rn. 8a). Ein Verhinderungsfall kann zudem dadurch entstehen, dass einem regulär zuständigen [X.] erst nach erfolgter Terminierung Urlaub bewilligt wird, der lediglich einzelne Sitzungstage betrifft ([X.], Beschluss vom 18. März 2020 - 4 StR 374/19, [X.], 757 Rn. 17). Ebenso ist anerkannt, dass ein Vorsitzender nicht gehalten ist, den Eintritt eines Verhinderungsfalls durch kurzfristige Änderung der Terminierung zu vermeiden ([X.], Beschlüsse vom 18. März 2020 - 4 StR 374/19, [X.], 757 Rn. 18; vom 28. Januar 2010 - 4 [X.], [X.], 184; [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 338 Rn. 8a).

(3) Das Gebot des gesetzlichen [X.]s (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.]) zwingt nicht zur Annahme eines absoluten Vorrangs des regulär zuständigen [X.]s. Denn auch ein durch den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan und gegebenenfalls die spruchkörperinternen [X.] und damit vorab nach abstrakt-generellen Regelungen bestimmter Vertreter ist gesetzlicher [X.] - und zwar der im Vertretungsfall zur Mitwirkung berufene gesetzliche [X.].

bb) Ist ein [X.] lediglich an einzelnen Tagen nicht in der Lage, an einem Verfahren mitzuwirken, begründet diese zeitweise Verhinderung jedoch nicht notwendigerweise den Vertretungsfall ([X.], Beschlüsse vom 10. Dezember 2008 - 1 [X.], [X.]St 53, 99 Rn. 16; vom 14. Mai 1986 - 2 StR 854/84, [X.], 518, 519). Namentlich bei der Terminierung umfangreicher Verfahren erfordert der Grundsatz des gesetzlichen [X.]s, auf einzelne Verhinderungstage eines originär zuständigen [X.]s Rücksicht zu nehmen. In solchen Fällen wird es vielfach ohne Beeinträchtigung der Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime möglich und daher rechtlich geboten sein, von der Anberaumung von [X.]n auch an einzelnen Verhinderungstagen abzusehen und so den Eintritt eines Vertretungsfalles zu vermeiden.

cc) Mithin hat der Vorsitzende im jeweiligen Einzelfall bei der Terminierung abzuwägen zwischen einerseits dem aus dem Grundsatz des gesetzlichen [X.]s resultierenden Gebot, möglichst unter Mitwirkung der regulär zuständigen [X.] zu verhandeln ([X.], Beschluss vom 8. März 2016 - 3 [X.], [X.]St 61, 160 Rn. 5), und andererseits den ebenfalls verfassungsrechtlich fundierten Anforderungen des Beschleunigungsgrundsatzes, der Konzentrationsmaxime, dem Gebot der effizienten Nutzung justizieller Ressourcen und dem berechtigten Interesse des Angeklagten an einer Vertretung durch einen Verteidiger seines Vertrauens. Dabei gilt: Das Beschleunigungsgebot lässt das Recht auf den gesetzlichen [X.] nicht vollständig zurücktreten. Vielmehr besteht Anspruch auf eine zügige Entscheidung durch diesen. Daher muss das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen [X.] mit dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz, aber auch der Konzentrationsmaxime und dem rechtsstaatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden ([X.], Beschlüsse vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09, [X.], 1734 Rn. 26; vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690; [X.], Beschlüsse vom 25. März 2021 - 3 StR 10/20, juris Rn. 36; vom 12. Januar 2016 - 3 StR 490/15, [X.], 623, 625; vom 12. Mai 2015 - 3 StR 569/14, NJW 2015, 2597 Rn. 8; Urteil vom 9. April 2009 - 3 [X.], [X.]St 53, 268 Rn. 9).

Fällt die Abwägung zu Gunsten einer Terminierung aus, die einem originär zuständigen [X.] eine Mitwirkung unmöglich macht, liegt ein Verhinderungsfall vor und ist der zuständige Vertreter gesetzlicher [X.] im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.]. Dies gilt auch dann, wenn die Fristen des § 229 Abs. 1 und 2 [X.] eine Unterbrechung der Hauptverhandlung über den Verhinderungszeitraum des regulär zuständigen [X.]s hinaus zuließen.

dd) [X.] des Vorsitzenden, die keiner schriftlichen Dokumentation und Begründung in den Akten bedarf, und der daraus resultierende Eintritt eines Vertretungsfalles sind vom Revisionsgericht - und ebenso vom Rechtsmittelgericht im Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 [X.] (vgl. BT-Drucks. 19/14747, [X.]; [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 222b Rn. 19) - nur begrenzt überprüfbar:

(1) Das Revisionsgericht prüft nicht, ob die tatsächlichen Voraussetzungen einer Verhinderung des originär zuständigen [X.]s an den vom Vorsitzenden bestimmten Sitzungstagen vorgelegen haben, sondern ist auf die Kontrolle beschränkt, ob der Rechtsbegriff der Verhinderung verkannt worden ist (vgl. KK-[X.]/Diemer, 8. Aufl., § 21e [X.] Rn. 10; SK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 338 Rn. 38; KK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 338 Rn. 36; [X.]/[X.], [X.], 10. Aufl., § 21e [X.] Rn. 147; [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 338 Rn. 8, jeweils [X.]).

(2) Die Abwägung der grundrechtsgleichen Rechte des Angeklagten auf den gesetzlichen [X.] einerseits und ein beschleunigtes Verfahren sowie sonstiger widerstreitender Interessen andererseits bei der Terminierung unterfällt keiner umfassenden revisionsrechtlichen Überprüfung, zumal die Terminierung gemäß § 213 Abs. 1 [X.] ohnehin eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden ist ([X.], Beschlüsse vom 18. März 2020 - 4 StR 374/19, [X.], 757 Rn. 19; vom 21. März 2018 - 1 StR 415/17, [X.]R [X.] § 213 Terminierung 2 Rn. 9; KK-[X.]/Gmel, 8. Aufl., § 213 Rn. 1, 4), bei der eine Rechtskontrolle nicht über eine Prüfung auf Ermessensfehlerfreiheit hinausreichen kann.

(a) Insofern ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Vorsitzende bei der Terminierung eine Vielzahl abwägungsrelevanter Entscheidungsgrundlagen zu berücksichtigen hat, die dem sachverhaltsferneren Revisionsgericht durch dienstliche Äußerungen und andere Mittel des Freibeweises nur unvollkommen vermittelt werden könnten. Dies gilt etwa für die konkrete Belastungssituation des Spruchkörpers, Art und Umfang der Befassung der [X.] mit anderen Verfahren, den zu erwartenden zukünftigen Geschäftsanfall, die Verfügbarkeit von Verteidigern sowie Abwesenheitszeiten von Kammermitgliedern wegen Urlaubs, Fortbildungen, Krankheit oder aus sonstigen Gründen. Zudem enthält jede Terminierungsentscheidung notwendigerweise prognostische Elemente, etwa zur voraussichtlichen Dauer einer Hauptverhandlung und dem zukünftigen Arbeitsanfall in der betreffenden Strafsache und anderen anhängigen Strafverfahren, die ihrer Natur nach eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle nicht zulassen.

(b) Zum anderen ist in Bezug auf die hier inmitten stehende Rechtsfrage zu bedenken, dass ein Verstoß gegen das Prinzip des gesetzlichen [X.]s nicht schon bei jeder abwägungsfehlerhaften richterlichen Terminierungsentscheidung vorliegt, die zur Nichtmitwirkung eines regulär zuständigen Spruchkörpermitglieds führt. Eine Entziehung des gesetzlichen [X.]s und damit ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.] durch eine richterliche Entscheidung in Auslegung und Anwendung geltenden Rechts einschließlich gerichtlicher Geschäftsverteilungspläne ist vielmehr nur bei einer objektiv willkürlichen Entscheidung gegeben ([X.], Beschlüsse vom 20. Februar 2018 - 2 BvR 2675/17, NJW 2018, 1155 Rn. 20; vom 16. Januar 2017 - 2 BvR 2011/16 u.a., [X.], 1233 Rn. 27; vom 16. Dezember 2014 - 1 BvR 2142/11, [X.]E 138, 64 Rn. 71 [X.]; vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690; [X.], Beschluss vom 19. Januar 2021 - 5 StR 401/20, NStZ 2021, 434, 435; [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., Art. 101 Rn. 17 [X.]; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 16. Aufl., Art. 101 Rn. 17 [X.]). Die Revisibilität von [X.] nach § 338 Nr. 1 [X.] dient, soweit es - wie hier - nicht um die Anwendung einfachgesetzlich ausdrücklich geregelter Zuständigkeitsvorschriften geht, der Gewährleistung des gesetzlichen [X.]s im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.] und damit einem Schutz vor objektiv willkürlicher Rechtsanwendung.

(c) Daher beschränkt sich auch die revisionsrechtliche Überprüfung einer Terminierungsentscheidung unter dem Blickwinkel einer etwaigen vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts wegen Mitwirkung eines Vertreters auf eine Willkürkontrolle (vgl. [X.], Beschluss vom 18. März 2020 - 4 StR 374/19, [X.], 757 Rn. 19 f.: "willkürlicher Ermessensfehlgebrauch"; Urteil vom 14. Juli 1964 - 1 [X.], [X.]St 19, 382, 385 f.; KK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 338 Rn. 18; s. - mit speziellem Bezug zum Maßstab der Überprüfung von [X.] zur richterlichen Geschäftsverteilung - auch [X.], Beschluss vom 25. März 2021 - 3 StR 10/20, juris Rn. 40 ff. [X.]; kritisch SK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 338 Rn. 38 [X.]. 240; MüKo[X.]/[X.]/[X.], § 338 Rn. 19). Insofern gilt der gleiche begrenzte Prüfungsmaßstab wie bei der revisionsrechtlichen Kontrolle der vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts im Falle des Eintritts eines Ergänzungsrichters oder [X.] in das Quorum (vgl. hierzu [X.], Beschlüsse vom 2. Februar 2021 - 5 StR 400/20, juris Rn. 8 f.; vom 5. September 2018 - 2 [X.], [X.]R [X.] § 192 Abs. 2 Ergänzungsrichter 2 Rn. 7; vom 8. März 2016 - 3 [X.], [X.]St 61, 160 Rn. 4 [X.]; vom 10. Dezember 2008 - 1 [X.], [X.]St 53, 99 Rn. 17; Urteil vom 23. Januar 2002 - 5 StR 130/01, [X.]St 47, 220, 222; [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 192 [X.] Rn. 7 [X.]).

(d) Objektiv willkürlich ist eine Entscheidung über die Gerichtsbesetzung oder mit unmittelbaren Auswirkungen auf diese nur, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruht, schlechthin unvertretbar ist oder wenn sie die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf den gesetzlichen [X.] grundlegend verkennt, also die Entscheidung sich so weit von dem die Bestimmungen über die Besetzung des Gerichts beherrschenden Grundsatz des gesetzlichen [X.]s entfernt hat, dass sie nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2014 - 1 BvR 2142/11, [X.]E 138, 64 Rn. 71 [X.]; [X.], Beschlüsse vom 19. Januar 2021 - 5 StR 401/20, NStZ 2021, 434, 435; vom 2. November 2010 - 1 [X.], juris Rn. 41; Urteil vom 13. August 1985 - 1 StR 330/85, [X.]St 33, 290, 293 f.; MüKo[X.]/[X.]/[X.], § 338 Rn. 18). Schon eine nur vertretbare Terminierungsentscheidung mit daraus resultierenden Folgen für die Gerichtsbesetzung verstößt weder gegen den sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.] ergebenden Anspruch auf Mitwirkung des gesetzlichen [X.]s, noch wird dadurch eine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts im Sinne von § 338 Nr. 1 [X.] herbeigeführt (vgl. [X.], Beschluss vom 2. November 2010 - 1 [X.], juris Rn. 41; Urteil vom 22. Juni 1982 - 1 StR 249/81, [X.], 476, 477).

ee) Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Vorsitzenden, die neue Hauptverhandlung auch ganztägig auf drei bereits mit den Verteidigern abgesprochene Tage im Oktober und November 2019 zu terminieren, an denen [X.]in am [X.] B.      - wenn auch möglicherweise nur für begrenzte [X.] - vorrangig anderweitig dienstlich gebunden war, sowie weitere Termine für den Februar 2020 anzusetzen, an denen [X.]in am [X.] B.    urlaubsbedingt verhindert war, und somit einen Verhinderungsfall auszulösen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Anhaltspunkte für eine objektiv willkürliche Entscheidung lassen sich dem [X.] und dem Urteil nicht entnehmen. Ausweislich des Urteils befanden sich die drei Angeklagten seit dem 22. November 2018 und damit zu Beginn der neuen Hauptverhandlung seit zehn Monaten in Untersuchungshaft. Der Vorsitzende war deshalb verpflichtet, für einen möglichst baldigen Neubeginn der Hauptverhandlung zu sorgen. Zudem war er von Rechts wegen gehalten, dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen, das grundsätzlich eine Verhandlungsdichte von mehr als einem Sitzungstag pro Woche gebietet ([X.], Beschluss vom 25. März 2021 - 3 StR 10/20, juris Rn. 52 [X.]; KK-[X.]/Gmel, 8. Aufl., § 213 Rn. 4a [X.]), auch angesichts der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft durch eine enge Terminierung Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund erweist es sich jedenfalls als frei von Willkür, unter Inkaufnahme des Eintritts eines Vertretungsfalles sämtliche bereits mit den Verteidigern abgesprochenen Termine ab dem 23. September 2019 ganztägig für die neue Verhandlung vorzusehen und auch für den Februar 2020 [X.] anzusetzen.

Die Vorgehensweise des Vorsitzenden lässt mithin keinen Rechtsfehler erkennen. Insbesondere ist das Gericht mit [X.] am [X.] M.    nicht vorschriftswidrig besetzt gewesen (§ 338 Nr. 1 [X.]) und der Angeklagte nicht seinem gesetzlichen [X.] entzogen worden (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

Schäfer     

        

Paul     

        

Anstötz

        

Kreicker     

        

Voigt     

        

Meta

3 StR 485/20

05.10.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Karlsruhe, 1. Juli 2020, Az: 620 Js 43227/16 - 5 KLs

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 213 Abs 1 StPO, § 229 Abs 1 StPO, § 229 Abs 2 StPO, § 338 Nr 1 StPO, § 21e Abs 1 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2021, Az. 3 StR 485/20 (REWIS RS 2021, 2140)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2140

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