Landgericht Paderborn, Beschluss vom 07.10.2020, Az. 1 S 39/19

1. Zivilkammer | REWIS RS 2020, 6064

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Tenor

Die Kammer weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

Gründe

Gründe:

I.

Die Klägerin macht gegen den Beklagten im Wesentlichen Ansprüche auf Rückzahlung von Provisionen für die Vermittlung von Versicherungsverträgen geltend, die nach Behauptung der Klägerin nicht so ausgeführt worden sind, wie ursprünglich abgeschlossen. Das Amtsgericht Lippstadt hat die Klage mit Urteil vom 16.05.2019 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig sei (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Streitgegenstand des Verfahrens sei zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits in einem anderen Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf (Az. 35 O 114/17) rechtshängig gewesen.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts Lippstadt hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 19.06.2019 Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 02.01.2020 ist das Berufungsverfahren vor dem Landgericht Paderborn auf Antrag beider Parteien ruhend gestellt worden. In der Folgezeit konnte das Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf durch einen Vergleich beendet werden. Dieser umfasst nach übereinstimmender Auskunft beider Parteien jedoch nicht die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Provisionsrückforderungsansprüche.

II.

Nach vorläufiger Rechtsauffassung der Kammer hat die Berufung der Klägerin offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

1.

Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Klage – jedenfalls nach Abschluss des Verfahrens vor dem Landgericht Düsseldorf – zulässig ist, da eine anderweitige Rechtshängigkeit nicht (mehr) gegeben ist. Jedoch stellt sich die Klage nach einer vorläufigen Bewertung durch die Kammer nach dem Inhalt der gewechselten Schriftsätze als unbegründet dar. Nach vorläufiger Auffassung der Kammer ist es dogmatisch möglich, das erstinstanzliche Prozessurteil trotz der mit diesem Urteil verbundenen, auf die Frage der Zulässigkeit beschränkten Rechtskraft durch einen Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO mit einer sich auch auf die Frage der Begründetheit erstreckenden materiellen Rechtskraft zu ersetzen (so auch OLG Rostock, Beschluss vom 07.04.2003, Az. 6 U 14/03, juris Rn. 10 ff.; MüKo ZPO/Rimmelspacher, 5. Auflage 2016, § 522 Rn. 21). Dabei ist die Kammer insbesondere von folgenden Überlegungen ausgegangen:

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist dem Berufungsgericht die Möglichkeit eröffnet, eine in der ersten Instanz durch Prozessurteil abgewiesene Klage in der zweiten Instanz durch ein Sachurteil abzuweisen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20.12.1956, Az. III ZR 97/55, juris Rn. 31; OLG Rostock, Beschluss vom 07.04.2003, Az. 6 U 14/03, juris Rn. 11 m.w.N.).

Ferner ist anerkannt, dass ein Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO an die Stelle des Berufungsurteils tritt (BeckOK ZPO/Wulf, 38. Ed. 1.9.2020, ZPO § 522 Rn. 24; MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020 Rn. 32, ZPO § 522 Rn. 32). Deshalb ist der Zurückweisungsbeschluss – wie auch das Berufungsurteil selbst – hinreichend zu begründen (§ 522 Abs. 2 S. 3 BGB), um durch das Rechtsmittelgericht entsprechend überprüft werden zu können (§ 522 Abs. 3 ZPO).

Zudem ist in der Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass ein Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht nur formelle, sondern auch materielle Rechtskraftwirkung entfaltet (Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage 2020, Vor § 322 Rn. 8 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH). Beschlüsse sind der materiellen Rechtskraft fähig, wenn sie in formelle Rechtskraft erwachsen und inhaltlich eine der Rechtskraft fähige Entscheidung enthalten (BGH, Beschluss vom 03.03.2004, Az. IV ZB 43/03, juris Rn. 6 m.w.N.; Urteil vom 13.07.2007, Az. I ZR 64/16 juris Rn. 13 m.w.N.). Ob ein Beschluss eine inhaltlich der Rechtskraft fähige Entscheidung enthält, ist am Zweck des in den §§ 322, 325 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens, einen kontradiktorischen Parteienstreit endgültig zu befrieden, zu messen (BGH, Beschluss vom 03.03.2004, Az. IV ZB 43/03, juris Rn. 9 m.w.N.). Ein Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO beendet aufgrund seiner urteilsersetzenden Wirkung einen kontradiktorischen Parteienstreit (MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020 Rn. 38, ZPO § 522 Rn. 38). Er soll zudem dazu dienen, den Parteienstreit endgültig zu befrieden und eine fortwährende Befassung der Gerichte mit demselben Streitgegenstand verhindern. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der in der Berufungsinstanz bereits eingeschränkten Möglichkeit, zurückgewiesene und neue Angriffs-und Verteidigungsmittel vorzubringen (§§ 529, 531 ZPO).

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass nur der Tenor des klageabweisenden Prozessurteils bzw. des die Berufung zurückweisenden Beschlusses in Rechtskraft erwächst, nicht jedoch die Gründe. Um die Reichweite der jeweiligen materiellen Rechtskraft zu bestimmen, ist es jedoch zwingend erforderlich, den Tenor in Ansehung des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts sowie der Urteils– bzw. Beschlussgründe zu würdigen (BGH, Urteil vom 07.05.1981, VII ZR 366/80, juris Rn. 13 m.w.N.; Beschluss vom 12.12.1990, Az. VIII ZB 42/90, juris Rn. 9 f.; Beschluss vom 23.09.1992, Az. I ZB 2/92 juris Rn. 9). Angesichts der vorzunehmenden Auslegung der Entscheidungsformel mithilfe des Tatbestandes und Entscheidungsgründe wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung betont, dass es hinsichtlich der Grenzen der Rechtskraftwirkung des Zurückweisungsbeschlusses auf die Umstände des Einzelfalls ankomme (BGH, Urteil vom 07.05.1981, VII ZR 366/80, juris Rn. 12).

Die dogmatische Zulässigkeit der Ersetzung des klageabweisenden Prozessurteils durch den berufungsabweisenden Zurückweisungsbeschluss ergibt sich aus einer Kombination der vorgehend dargestellten Grundsätze. Da es möglich ist, ein klageabweisendes Prozessurteil in der zweiten Instanz durch ein klageabweisendes Sachurteil zu ersetzen, der Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO das klageabweisende Sachurteil ersetzt, der Beschluss weiterhin - wie auch das Sachurteil - der materiellen Rechtskraft fähig ist und sowohl die Grenzen der materiellen Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses als auch des Sachurteils durch Auslegung der Entscheidungsformel anhand des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts sowie der Gründe zu bestimmen sind, ist es nach Auffassung der Kammer im Ergebnis dogmatisch zulässig und konsequent, ein klageabweisendes Prozessurteil durch einen Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zu ersetzen, der sich nicht auf die Unzulässigkeit, sondern die Unbegründetheit der Klage stützt.

2.

(...)

Meta

1 S 39/19

07.10.2020

Landgericht Paderborn 1. Zivilkammer

Beschluss

Sachgebiet: S

Zitier­vorschlag: Landgericht Paderborn, Beschluss vom 07.10.2020, Az. 1 S 39/19 (REWIS RS 2020, 6064)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 6064

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