Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.07.2018, Az. XII ZB 138/18

12. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 6170

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Gegenstand

Ersatzzustellung in einer Gemeinschaftseinrichtung: Beweiskraft der Postzustellungsurkunde; Entgegennahme eines Schriftstücks zum Zwecke der Zustellung durch einen Klinikmitarbeiter


Leitsatz

1. Die Beurkundung des Zustellungsvorgangs nach § 182 ZPO dient nur dem Nachweis der Zustellung und ist nicht konstitutiver Bestandteil der Zustellung (im Anschluss an BGH Versäumnisurteil vom 19. Juli 2007, I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218).

2. Die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde erfasst zwar nicht den Umstand, ob die zur Entgegennahme bereite Empfangsperson im Sinne von § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bevollmächtigt ist. War jedoch ein Klinikmitarbeiter ausweislich der Urkunde bereit, ein Schriftstück zum Zwecke der Zustellung entgegenzunehmen, hat dies aber eine starke Indizwirkung für das Bestehen einer solchen Vollmacht. Diese muss der Zustellungsadressat, der die Zustellung nicht gegen sich wirken lassen will, durch eine plausible und schlüssige Darstellung von abweichenden Tatsachen erschüttern (Fortführung von BGH Beschlüsse vom 6. Mai 2004, IX ZB 43/03, NJW 2004, 2386 und vom 17. Februar 1992, AnwZ (B) 53/91, NJW 1992, 1963).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des [X.] vom 28. Februar 2018 aufgehoben, soweit mit diesem die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des [X.] vom 8. August 2017 verworfen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Die angefochtene Entscheidung, mit der das [X.] die [X.]eschwerde des [X.]etroffenen gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung seiner Unterbringung für ein weiteres Jahr verworfen hat, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn die der Verwerfung zugrunde liegende Annahme, die einmonatige [X.]eschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG sei bei [X.] abgelaufen gewesen, beruht nicht auf ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen. Das [X.] hat sich für den Nachweis der Zustellung des amtsgerichtlichen Genehmigungsbeschlusses vom 8. August 2017 auf die Postzustellungsurkunde gestützt, aus der sich als Tag der Zustellung der 11. August 2017 ergebe, und ist aufgrund dessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die am 1. Dezember 2017 eingelegte [X.]eschwerde verfristet sei. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.

2

1. In der vom [X.] in [X.]ezug genommenen Zustellungsurkunde hat der Zusteller des Postunternehmens angegeben, er habe, "weil er den Adressaten … in den Geschäftsräumen nicht erreicht habe", das zuzustellende Schriftstück "einem dort [X.]eschäftigten", nämlich [X.], übergeben. Als Zustelladresse des [X.]etroffenen weist die Postzustellungsurkunde die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie aus, in der der [X.]etroffene untergebracht war.

3

2. Entgegen der vom [X.] offensichtlich vertretenen Auffassung kann hieraus nicht auf eine wirksame Zustellung im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG, §§ 166 ff. ZPO geschlossen werden, deren es nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG bedurft hätte, um die einmonatige [X.]eschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG in Gang zu setzen (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2015 - [X.] 491/14 - FamRZ 2015, 1374 Rn. 6 f. mwN).

4

a) Allerdings erlauben §§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG, § 178 Abs. 1 ZPO dann, wenn die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen wird, die Ersatzzustellung an bestimmte Dritte. Das mithin erforderliche Merkmal des "Nichtantreffens" des [X.]en als Voraussetzung etwa für eine Ersatzzustellung in Geschäftsräumen ist bereits erfüllt, wenn der Adressat von einer dort beschäftigten Person als abwesend oder verhindert bezeichnet wird; weitere Nachforschungen des Zustellers sind dann regelmäßig nicht veranlasst (vgl. [X.] [X.]eschlüsse vom 29. März 2017 - [X.] - NJW 2017, 2472 Rn. 29 und vom 4. Februar 2015 - [X.] - NJW-RR 2015, 702 Rn. 10 ff. mwN).

5

Die [X.]eurkundung des [X.] nach § 182 ZPO dient nur dem Nachweis der Zustellung und ist nicht konstitutiver [X.]estandteil der Zustellung ([X.] Versäumnisurteil vom 19. Juli 2007 - I ZR 136/05 - NJW-RR 2008, 218 Rn. 26 mwN). Die über die Zustellung aufgenommene Urkunde begründet gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO den vollen [X.]eweis der darin bezeichneten Tatsachen (§ 418 ZPO). Diese [X.]eweiskraft reicht jedoch nur so weit, wie gewährleistet ist, dass die zur [X.]eurkundung berufene Amtsperson die Tatsachen selbst verwirklicht oder aufgrund eigener Wahrnehmungen zutreffend festgestellt hat. Sie erfasst keine außerhalb dieses [X.]ereichs liegenden Umstände. Daher vermag beispielsweise die Urkunde über eine Ersatzzustellung nach § 178 ZPO nicht den [X.] dafür zu erbringen, dass der Adressat unter der Zustellungsanschrift wohnt oder eine Person, die in Geschäftsräumen zur Entgegennahme des Schriftstücks bereit war, dort auch tatsächlich beschäftigt im Sinne des § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO war. Sie begründet insoweit jedoch ein erhebliches [X.]eweisanzeichen (vgl. [X.] [X.]eschlüsse vom 6. Mai 2004 - [X.] 43/03 - NJW 2004, 2386, 2387 und vom 17. Februar 1992 - [X.] ([X.]) 53/91 - NJW 1992, 1963).

6

b) Vorliegend war der [X.]etroffene in dem psychiatrischen Krankenhaus, mithin in einer Gemeinschaftseinrichtung, untergebracht. Sofern er vom Zusteller dort nicht angetroffen wurde, konnte nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eine Ersatzzustellung an den Leiter der Einrichtung oder einen dazu ermächtigten Vertreter erfolgen. Ob die zur Entgegennahme bereite [X.] entsprechend bevollmächtigt ist, wird als außerhalb der Wahrnehmung des Zustellers liegender Umstand zwar nicht von der [X.]eweiskraft der Postzustellungsurkunde erfasst. Wenn ein Klinikmitarbeiter ausweislich der Urkunde bereit war, ein Schriftstück zum Zwecke der Zustellung entgegenzunehmen, hat dies aber eine starke Indizwirkung für das [X.]estehen einer solchen Vollmacht, die der [X.], der die Zustellung nicht gegen sich wirken lassen will, durch eine plausible und schlüssige Darstellung von abweichenden Tatsachen erschüttern muss (vgl. [X.] [X.]eschlüsse vom 6. Mai 2004 - [X.] 43/03 - NJW 2004, 2386, 2387 und vom 17. Februar 1992 - [X.] ([X.]) 53/91 - NJW 1992, 1963; vgl. auch [X.]Häublein 5. Aufl. § 182 Rn. 16 mwN).

7

So liegt es hier aber nicht. Denn die Postzustellungsurkunde weist nicht eine Ersatzzustellung an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter des Einrichtungsleiters aus. Vielmehr ist eine Ersatzzustellung gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO beurkundet. Dies ist aber offensichtlich unzutreffend, weil der [X.]etroffene in der Klinik weder Geschäftsräume unterhält noch im Rahmen eines Geschäftsbetriebs dort Personen beschäftigt. Unabhängig davon, dass es sich beim Ankreuzen der falschen Zustellungsvariante um ein Versehen des Zustellers gehandelt haben dürfte, fehlt es damit an einem sich aus der Urkunde ergebenden [X.]eweisanzeichen für die [X.]erechtigung der als tatsächlicher Empfänger benannten Person, das Schriftstück entgegenzunehmen. [X.]ei dieser [X.]eweislage konnte das [X.] mithin nicht von einer wirksamen Ersatzzustellung ausgehen. Mangels Feststellungen zum Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs des [X.]eschlusses an den [X.]etroffenen ist auch für eine Heilung gemäß §§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG, 189 ZPO derzeit nichts ersichtlich.

8

c) Durch den [X.]eurkundungsmangel wird allerdings nicht die - ggf. vorliegende - Wirksamkeit der Zustellung selbst berührt (vgl. [X.] Versäumnisurteil vom 19. Juli 2007 - I ZR 136/05 - NJW-RR 2008, 218 Rn. 26). Es bedarf nun weiterer tatrichterlicher Ermittlungen - etwa der Einvernahme des Zustellers - dazu, ob eine wirksame Ersatzzustellung nach §§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG, 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgt ist. Der angefochtene [X.]eschluss ist daher aufzuheben, soweit mit ihm die [X.]eschwerde des [X.]etroffenen verworfen worden ist, und die Sache ist insoweit an das [X.] zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 2 FamFG).

9

Von einer weiteren [X.]egründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher [X.]edeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose     

        

     Schilling     

        

Nedden-[X.]oeger

        

Ri[X.] Dr. [X.]otur ist im Urlaub
und kann deswegen nicht
unterschreiben.

        

[X.]     

        
        

Dose   

                          

Meta

XII ZB 138/18

11.07.2018

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG München I, 28. Februar 2018, Az: 13 T 2397/18

§ 178 Abs 1 Nr 3 ZPO, § 182 ZPO, § 418 ZPO, § 15 Abs 2 S 1 FamFG, § 41 Abs 1 S 2 FamFG, § 63 Abs 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.07.2018, Az. XII ZB 138/18 (REWIS RS 2018, 6170)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 1398-1399 REWIS RS 2018, 6170

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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