Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.12.2010, Az. 6 AZR 433/09

6. Senat | REWIS RS 2010, 300

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Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 17. März 2009 - 13 [X.] 1472/08 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin eine Abfindung nach dem Tarifvertrag vom 2. Juli 1997 über Rationalisierungs-, Kündigungs- und Einkommensschutz ([X.]) in rechnerisch unstreitiger Höhe von 3.009,02 Euro brutto zusteht.

2

Die 1943 geborene Klägerin war seit dem 21. Juni 1978 bei den [X.] in [X.] gegen eine monatliche Bruttovergütung iHv. zuletzt 1.504,51 Euro als [X.] beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden [X.]. die Bestimmungen des Tarifvertrags für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im [X.]ebiet der [X.] vom 16. Dezember 1966 ([X.]), des Tarifvertrags zur [X.] Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im [X.]ebiet der [X.] vom 31. August 1971 ([X.]) und des [X.] Anwendung.

3

Das [X.], US Army Installation Management Command Headq[X.]rters, United States Army [X.]arrison, [X.] ([X.]), kündigte mit einem Schreiben vom 28. März 2007 das Arbeitsverhältnis ordentlich wegen Schließung der [X.] und Wegfalls des Arbeitsplatzes der Klägerin aus dringenden betriebsbedingten [X.]ründen zum 31. Oktober 2007. Die Klägerin wurde in dem [X.] unter der Überschrift „Abfindungsanspruch wegen betriebsbedingter Kündigung gemäß § 1a KSch[X.]“ darauf hingewiesen, dass sie bei [X.] der dreiwöchigen Klagefrist eine Abfindung beanspruchen kann, die Höhe der Abfindung mindestens 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses beträgt und Zeiträume von mehr als sechs Monaten in diesem Zusammenhang auf ein Jahr aufgerundet werden. Zur Höhe der Abfindung nach § 1a KSch[X.] und zur Abfindung gemäß § 7 [X.] heißt es in dem [X.] ferner:

        

„Nach unserer obigen Berechnung ergibt sich daher bei Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage ein Abfindungsanspruch für Sie in Höhe von € 21.450,72.

        

Zum Vergleich: Der tarifliche Anspruch auf Abfindung gemäß § 7 [X.] beträgt 2 Monatsverdienste.

        

Mit der Zahlung des [X.] in Höhe von € 21.450,72 sind sämtliche wechselseitigen finanziellen Ansprüche, gleich aus welchem Rechtsgrund, einschließlich des Anspruches auf eine Abfindungszahlung gemäß § 7 [X.], erledigt.

        

...“   

4

Der [X.] regelt [X.].:

        

„§ 2   

        

Sachlicher [X.]eltungsbereich

        

1.    

Anspruch auf Leistungen nach §§ 4 bis 7 dieses Tarifvertrages haben Arbeitnehmer, wenn sie infolge einer organisatorischen Maßnahme (Ziffer 2) auf Veranlassung der Stationierungsstreitkräfte ihren bisherigen Arbeitsplatz verlieren (auch durch Verdrängung infolge von [X.]) oder wenn sich aus diesen [X.]ründen die Wertigkeit ihres Arbeitsplatzes mindert.

        

2.    

Organisatorische Maßnahmen im Sinne dieses Tarifvertrages sind

                 

…       

                 

e)    

Maßnahmen, die die Voraussetzungen des § 2 Ziffer 1 des Tarifvertrages vom 31. August 1971 zur [X.] Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im [X.]ebiet der [X.] ([X.]) erfüllen.

                 

...     

        
        

§ 7     

        

Abfindungszahlung

        

...     

        

2.    

Wird das Beschäftigungsverhältnis aus den in § 2 Ziffer 1 [X.] genannten [X.]ründen (§ 2 Ziffer 2e) durch Kündigung seitens des Arbeitgebers oder durch schriftlichen Aufhebungsvertrag beendet, so erhalten Arbeitnehmer, die am Tage der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses

                 

-       

das 40. Lebensjahr vollendet haben,

                 

-       

eine anrechenbare Beschäftigungszeit von mindestens 10 Jahren erreicht haben,

                 

-       

seit mindestens einem Jahr vollbeschäftigt im Sinne des § 2 Ziffer 2a [X.] sind und denen

                 

-       

keine anderweitige zumutbare Verwendung im Sinne des § 2 Ziffer 3 [X.] angeboten worden ist,

                 

abweichend von vorstehender Ziffer 1 eine einmalige Abfindung in Höhe von drei Monatsbeträgen — Beschäftigte bei den US-Stationierungsstreitkräften in Höhe von zwei Monatsbeträgen — ihres letzten regelmäßigen Arbeitsverdienstes [§ 17 TV AL II/TV AL II ([X.])].

        

...     

        
        

7.    

Auf die Abfindungszahlung besteht kein Anspruch, wenn dem Arbeitnehmer durch Urteil oder Vergleich eine Abfindung wegen der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zugesprochen worden ist.

        

…“    

        

5

§ 2 [X.] bestimmt [X.].:

        

„§ 2   

        

Anspruchsvoraussetzungen

        

Anspruch auf Leistungen nach diesem Tarifvertrag haben Arbeitnehmer, die

        

1.    

wegen Personaleinschränkung

                 

a)    

infolge einer Verringerung der Truppenstärke

                 

b)    

infolge einer aus militärischen [X.]ründen von der obersten Dienstbehörde angeordneten Auflösung von Dienststellen oder Einheiten oder deren Verlegung außerhalb des Einzugsbereichs des bisherigen ständigen Beschäftigungsortes

                 

entlassen werden, wenn sie

                 

...“   

6

Die Klägerin erhob keine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28. März 2007 nicht aufgelöst ist. Sie erhielt mit der Vergütung für Oktober 2007 eine Abfindung iHv. [X.] Euro brutto. Dieser [X.] entspricht dem im [X.] genannten zuzüglich einer 1,7%igen Tariferhöhung. Mit einem Schreiben vom 13. November 2007 verlangte die Klägerin ohne Erfolg gemäß § 7 Ziff. 2 [X.] bis zum 26. November 2007 die Zahlung von zwei Bruttomonatsgehältern als weitere Abfindung iHv. 3.009,02 Euro brutto.

7

Die Klägerin hat gemeint, die [X.] im [X.] stehe ihrem Anspruch auf die tariflich vorgesehene Abfindung nicht entgegen. Es handele sich nicht um eine vertragliche, sondern eine unverbindliche einseitige Erklärung des [X.]. Da die Abfindungsangebote in den [X.] letztlich aufgrund von Verhandlungen mit den jeweiligen Betriebsvertretungen zustande gekommen seien, sozusagen als Ersatz für den nach dem [X.]esetz nicht durchsetzbaren Sozialplan, die ihr gezahlte Abfindung somit eine Sozialplanabfindung ersetzt habe, sei der [X.] des § 7 Ziff. 7 [X.] nicht erfüllt. Diese Vorschrift erfasse keine Sozialplanabfindungen. Aus der Regelung in § 7 Ziff. 7 [X.] werde deutlich, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht jede anderweitige Abfindungsregelung den Verlust des tariflichen Abfindungsanspruchs bewirken solle. § 7 Ziff. 7 [X.] sei eng am Wortlaut auszulegen. Abfindungen aus einem gerichtlichen Urteil oder aus einem von den Parteien geschlossenen Vergleich hätten gemeinsam, dass sie nach gerichtlichen oder außergerichtlichen Verhandlungen festgelegt würden. Eine Abfindung nach § 1a KSch[X.] lege der Arbeitgeber einseitig fest. Die Höhe der Abfindung müsse zwar den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, nicht jedoch den Umständen des Einzelfalls.

8

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihr eine weitere Abfindung gemäß § 7 [X.] iHv. von 3.009,20 Euro (richtig wohl 3.009,02 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Oktober 2007 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, § 7 Ziff. 7 [X.] schlösse den Anspruch der Klägerin auf eine weitere Abfindung aus. Ein Verständnis, Abfindungen nach § 1a KSch[X.] würden im [X.]egensatz zu Abfindungen aus einem Urteil oder einem Vergleich von § 7 Ziff. 7 [X.] nicht erfasst, würde die Intention des [X.]esetzgebers, [X.] zu vermeiden, konterkarieren, weil dann erst ein Kündigungsschutzprozess geführt werden müsse, bevor § 7 Ziff. 7 [X.] zur Anwendung kommen könnte. Maßgebend sei, dass der in § 1a KSch[X.] vorgesehene Abfindungsanspruch die wirtschaftlichen Nachteile des Arbeitsplatzverlustes ausgleichen solle und die in dieser Vorschrift geregelte Abfindung ihrem Charakter nach einer einzelvertraglich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die Hinnahme der Kündigung vereinbarten Abfindung entspreche.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren tariflichen Abfindungsanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht über die ihr gezahlte Abfindung iHv. [X.] Euro brutto hinaus keine weitere Abfindung zu.

I. Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 3.009,20 Euro (richtig wohl 3.009,02 Euro) brutto als weitere Abfindung folgt nicht aus § 2 Ziff. 1, § 7 Ziff. 2 [X.] iVm. § 2 Ziff. 1 [X.]. Zwar besteht kein Streit darüber, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des [X.] vom 28. März 2007 aus den in § 2 Ziff. 1 TV Soziale Sicherung genannten Gründen zum 31. Oktober 2007 beendet worden ist. Unstreitig ist auch, dass die anderen in § 7 Ziff. 2 [X.] genannten Voraussetzungen für den Anspruch auf eine einmalige Abfindung iHv. zwei Monatsbeträgen des letzten regelmäßigen Arbeitsverdienstes erfüllt sind. Die Parteien streiten nur darüber, ob der [X.] in § 7 Ziff. 7 [X.] den Anspruch der Klägerin auf die in § 7 Ziff. 2 [X.] vorgesehene Abfindung hindert. Dies ist entgegen der Ansicht der Klägerin der Fall.

II. § 7 Ziff. 7 [X.] regelt, dass auf die Abfindungszahlung kein Anspruch besteht, wenn dem Arbeitnehmer durch Urteil oder Vergleich eine Abfindung wegen der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zugesprochen worden ist.

1. Die Vorschrift enthält damit ihrem Wortlaut nach keine Auffangregel, nach der alle Abfindungen, die dem Arbeitnehmer aus einem anderen Rechtsgrund zustehen, den Anspruch auf die tarifliche Abfindung ausschließen. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien des [X.] durch die Nennung konkreter Rechtsgrundlagen für die Abfindung die Ausschließungsgründe bestimmt und abschließend festgelegt, dass die tarifliche Abfindungszahlung nicht zusteht, wenn dem Arbeitnehmer durch Urteil oder Vergleich eine Abfindung wegen der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zugesprochen worden ist.

2. Der Wortlaut des § 7 Ziff. 7 [X.] würde aber nur dann zu der Annahme zwingen, dass die in § 7 Ziff. 2 [X.] vorgesehene Abfindung zusätzlich zu der nach § 1a [X.] zustehenden Abfindung zu zahlen ist, wenn die Tarifvertragsparteien des [X.] die Ausschließungsgründe für den Abfindungsanspruch in Kenntnis der in § 1a [X.] getroffenen Regelung festgelegt und bewusst von einer Aufnahme der in § 1a [X.] vorgesehenen Abfindung in den Katalog der Ausschließungsgründe abgesehen hätten. Dies ist jedoch nicht der Fall. § 1a [X.] ist erst am 1. Januar 2004 in [X.] getreten. Die in dieser Vorschrift getroffene Regelung war für die Tarifvertragsparteien bei Abschluss des [X.] am 2. Juli 1997 auch nicht absehbar.

3. Allerdings rechtfertigt die fehlende Kenntnis bzw. Absehbarkeit der in § 1a [X.] getroffenen Regelung bei Abschluss des [X.] allein noch nicht den Schluss, dass die Tarifvertragsparteien des [X.] vereinbart hätten, dass eine Abfindung nach § 1a [X.] den Anspruch auf die tarifliche Abfindung ausschließt, wenn diese Bestimmung bereits bei Abschluss des [X.] gegolten hätte. [X.] Regelungen sind einer ergänzenden Auslegung grundsätzlich nur dann zugänglich, wenn damit kein Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie verbunden ist. Eine ergänzende Auslegung eines Tarifvertrags hat daher außer Betracht zu bleiben, wenn die Tarifvertragsparteien eine regelungsbedürftige Frage bewusst ungeregelt lassen und diese Entscheidung höherrangigem Recht nicht widerspricht. Voraussetzung einer ergänzenden Auslegung ist, dass entweder eine unbewusste Regelungslücke vorliegt (Senat 20. Mai 1999 - 6 [X.] - [X.] 91, 358) oder eine Regelung nachträglich lückenhaft geworden ist ([X.] 3. November 1998 - 3 [X.] - [X.] BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 41 = EzA [X.] § 1 Auslegung Nr. 31). In einem solchen Fall haben die Gerichte für Arbeitssachen grundsätzlich die Möglichkeit und die Pflicht, eine Tariflücke zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien ergeben ([X.] 27. April 2004 - 9 [X.] - [X.] 110, 208, 216). Auch haben die Tarifvertragsparteien in eigener Verantwortung darüber zu befinden, ob sie eine von ihnen geschaffene Ordnung beibehalten oder ändern. Solange sie daran festhalten, hat sich eine ergänzende Auslegung an dem bestehenden System und dessen Konzeption zu orientieren (vgl. Senat 23. November 2006 - 6 [X.] - Rn. 20, [X.] 2007, 365; 29. April 2004 - 6 [X.] - [X.] 110, 277, 284; [X.] 21. Juni 2000 - 4 [X.] - [X.] BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 276 = [X.] §§ 22, 23 [X.] Nr. 1; 21. März 1991 - 2 [X.] (A) - [X.] 67, 342). Diese Möglichkeit scheidet erst aus, wenn den Tarifvertragsparteien ein Spielraum zur Lückenschließung bleibt und es ihnen wegen der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie überlassen bleiben muss, die von ihnen für angemessen gehaltene Regelung selbst zu finden (vgl. Senat 29. April 2004 - 6 [X.] - aaO; 20. Mai 1999 - 6 [X.] - [X.] 91, 358, 367). Als Mittel der Lückenschließung kommen - wie bei Gesetzen - Analogie, Umkehrschluss und teleologische Reduktion in Betracht ([X.]/[X.] 7. Aufl. § 1 [X.] Rn. 1040 mwN).

4. Daran gemessen gibt es hinreichend klare Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien des [X.] bei einem Anspruch des Arbeitnehmers auf Abfindung nach § 1a [X.] den tariflichen Abfindungsanspruch ausgeschlossen hätten, wenn die in dieser Vorschrift getroffene [X.] bereits bei Abschluss des [X.] gegolten hätte oder absehbar gewesen wäre. Für diesen mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien spricht, dass sich der Zweck und die Ausgestaltung der Abfindung, die einem Arbeitnehmer nach § 1a [X.] zusteht, in aller Regel nicht wesentlich von dem Zweck und der Ausgestaltung einer von den Arbeitsvertragsparteien in einem Vergleich vereinbarten Abfindung unterscheidet.

a) Nach der Legaldefinition in § 779 Abs. 1 BGB ist ein Vergleich ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen [X.] beseitigt wird. Kündigt ein Arbeitgeber im Anwendungsbereich des [X.]es ein Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen, ist der Arbeitnehmer, wenn er die Kündigung für unwirksam hält oder an deren Wirksamkeit jedenfalls zweifelt, in der Praxis regelmäßig nur dann bereit, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung anzuerkennen, wenn ihm der Arbeitgeber im Wege eines Vergleichs für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung zusagt. Die Höhe der in einem Abfindungsvergleich zugesagten Abfindung wird häufig nach einer sog. „Faustformel“ unter Zugrundelegung des Monatsverdienstes des Arbeitnehmers und der Anzahl der Beschäftigungsjahre, gegebenenfalls unter Berücksichtigung weiterer Umstände, wie zB Prozessrisiken, ermittelt (vgl. [X.]/[X.] 3. Aufl. § 129 Rn. 17). Eine von den Arbeitsvertragsparteien in einem Abfindungsvergleich vereinbarte Abfindung bezweckt damit einerseits die Vermeidung des Risikos für den Arbeitgeber, dass sich die Kündigung in einem Kündigungsschutzprozess als unwirksam erweisen könnte. Andererseits soll die Abfindung die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen oder jedenfalls abmildern (vgl. zu diesen Funktionen einer individualrechtlichen Abfindung [X.] 31. Mai 2005 - 1 [X.] [X.] 115, 68, 74). Nach Erklärung einer Kündigung durch den Arbeitgeber sind [X.] zur Vermeidung oder Beendigung eines [X.] zulässig. Dem Arbeitnehmer bleibt die freie Entscheidung, ob er sein Klagerecht (weiter)verfolgt oder für die Nichtwahrnehmung dieser Möglichkeit als Gegenleistung des Arbeitgebers eine Abfindung erhält ([X.] 6. Dezember 2006 - 4 [X.] - Rn. 33, [X.] 120, 281).

b) Die in § 1a [X.] geregelte Abfindung entspricht ihrem Charakter nach einer einzelvertraglich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die Hinnahme der Kündigung vereinbarten Abfindung ([X.] 31. Mai 2005 - 1 [X.] [X.] 115, 68, 74).

aa) Dafür ist zunächst der Normzweck maßgebend. Mit der Regelung in § 1a [X.] wollte der Gesetzgeber eine „einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess“ schaffen (vgl. BT-Drucks. 15/1204 S. 12). Die formalisierten Voraussetzungen für den Abfindungsanspruch und die gesetzlich festgelegte Höhe der Abfindung sollen es den Arbeitsvertragsparteien erleichtern, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung außergerichtlich kostengünstig zu klären. Mit der Einfügung des am 1. Januar 2004 in [X.] getretenen § 1a in das [X.] durch Art. 1 des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 ([X.] 3002) war die Erwartung verbunden, dass Arbeitgeber bereit sein würden, die gesetzlich vorgegebene Abfindungssumme zu zahlen, wenn sie Risiken und Kosten eines Kündigungsschutzprozesses in Betracht zögen, und Arbeitnehmer, die an ihrem Arbeitsverhältnis nicht zwingend festhalten wollen, die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses akzeptieren würden, wenn sie den im Gesetz vorgesehenen [X.] erhielten (vgl. BT-Drucks. 15/1204 S. 12). Damit verfolgen die in § 1a [X.] geregelte und die in einem Vergleich der Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Abfindung denselben Zweck. Beide Abfindungen dienen der Vermeidung der für den Arbeitgeber mit einem Kündigungsrechtsstreit verbundenen Risiken und dem Ausgleich oder der Abmilderung der für den Arbeitnehmer mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen wirtschaftlichen Nachteile.

bb) Auch bezüglich der Ausgestaltung der in § 1a [X.] geregelten und der in einem Vergleich der Arbeitsvertragsparteien vereinbarten Abfindung bestehen keine Unterschiede solcher Art und von solchem Gewicht, dass sie der Annahme entgegenstehen, die Tarifvertragsparteien des [X.] hätten bei einem Anspruch des Arbeitnehmers auf Abfindung nach § 1a [X.] den tariflichen Abfindungsanspruch ausgeschlossen, wenn die in dieser Vorschrift getroffene [X.] bereits bei Abschluss des [X.] gegolten hätte oder absehbar gewesen wäre. Allerdings muss eine in einem Abfindungsvergleich vereinbarte Abfindung anders als die nach § 1a [X.] zustehende Abfindung nicht mindestens 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses betragen. Den Arbeitsvertragsparteien steht es frei, in einem Vergleich auch einen höheren oder niedrigeren [X.] zu vereinbaren. Dieser Unterschied hindert eine Gleichstellung beider Abfindungen in Bezug auf den Ausschluss des tariflichen Abfindungsanspruchs jedoch nicht. Denn § 7 Ziff. 7 [X.] knüpft den Ausschluss des tariflichen Abfindungsanspruchs nicht an eine bestimmte Mindesthöhe der in einem Vergleich vereinbarten Abfindung. § 1a [X.] schließt von dieser Vorschrift abweichende Abfindungsvereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien im Zusammenhang mit einer betriebsbedingten Kündigung auch nicht aus. Der Arbeitgeber kann einen Hinweis nach § 1a Abs. 1 Satz 2 [X.] unterlassen und dem Arbeitnehmer stattdessen einen beliebigen, auch niedrigeren Betrag als Abfindung für den Fall anbieten, dass er keine Kündigungsschutzklage erhebt ([X.] 19. Juni 2007 - 1 [X.]/06 - Rn. 18 mwN, [X.] 123, 121). Wenn aber auch ein Abfindungsvergleich, der zB eine Abfindung iHv. 0,25 Monatsverdiensten für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses vorsieht, nach dem Willen der Tarifvertragsparteien des [X.] den tariflichen Abfindungsanspruch ausschließt, ist anzunehmen, dass dies erst recht bei einer höheren Abfindung wie der in § 1a [X.] geregelten Abfindung der Fall sein soll.

c) Für das Verständnis, dass die in § 1a [X.] geregelte Abfindung ihrem Charakter nach einer einzelvertraglich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die Hinnahme der Kündigung vereinbarten Abfindung entspricht, ist der Streit im Schrifttum über die Rechtsnatur des Abfindungsanspruchs nach § 1a [X.] ohne Bedeutung (vgl. dazu die Nachweise im Urteil des [X.] des [X.] vom 19. Juni 2007 - 1 [X.]/06 - Rn. 24, [X.] 123, 121 und in [X.]/Spilger 9. Aufl. § 1a [X.] Rn. 34 ff.). Ob der Anspruch auf Abfindung nach § 1a [X.] durch zweiseitiges Rechtsgeschäft aufgrund eines vom Arbeitnehmer durch Verstreichenlassen der Klagefrist konkludent angenommenen Angebots des Arbeitgebers zustande kommt (vgl. v. [X.]/[X.] [X.] 14. Aufl. § 1a Rn. 8) oder durch einseitiges Rechtsgeschäft aufgrund einer entsprechenden Willenserklärung des Arbeitgebers, zu der das Verstreichenlassen der Klagefrist als rein tatsächlicher Umstand hinzutritt (vgl. [X.]/[X.] 10. Aufl. § 1a [X.] Rn. 8 und 13), begründet wird oder ob es sich um einen gesetzlichen Abfindungsanspruch handelt (vgl. [X.]/Spilger aaO; [X.]/Quecke 4. Aufl. § 1a [X.] Rn. 5), wovon die Gesetzesbegründung ausgeht (vgl. BT-Drucks. 15/1204 S. 12), kann deshalb unentschieden bleiben. Maßgebend sind vielmehr die gemeinsame [X.] der in § 1a [X.] geregelten und der in einem Vergleich der Arbeitsvertragsparteien vereinbarten Abfindung sowie der Umstand, dass es den Arbeitsvertragsparteien nicht nur frei steht, einen Abfindungsvergleich zu schließen, sondern auch, ob sie sich auf die [X.] in § 1a [X.] einlassen. Auch dann, wenn keine rechtsgeschäftlichen Erklärungen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers angenommen werden, sondern der in § 1a [X.] geregelte Abfindungsanspruch als gesetzlicher Abfindungsanspruch verstanden wird, steht es doch im Belieben des Arbeitgebers, ob er den in § 1a Abs. 1 Satz 2 [X.] vorgesehenen Hinweis erteilt. Ebenso ist der Arbeitnehmer bei einem solchen Hinweis des Arbeitgebers nicht gehindert, innerhalb der dreiwöchigen Frist des § 4 Satz 1 [X.] Klage zu erheben. Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gemäß § 1a Abs. 1 Satz 2 [X.] darauf hin, dass er bei Verstreichen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann, und hält der Arbeitnehmer die ihm bei Hinnahme der Kündigung zustehende Abfindung für angemessen, besteht keine Notwendigkeit für Verhandlungen. Deshalb trägt das Argument der Klägerin nicht, Abfindungszahlungen gemäß einem Vergleich oder Urteil gingen im Gegensatz zu einer Abfindungszahlung nach § 1a [X.] Verhandlungen der Arbeitsvertragsparteien voraus.

5. Auch der Hinweis der Klägerin, der tarifliche Abfindungsanspruch würde nach § 7 Ziff. 7 [X.] nicht durch in einem Sozialplan oder in einer vergleichbaren Vereinbarung zwischen einem Arbeitgeber und einer Betriebsvertretung geregelte Abfindungen ausgeschlossen, hilft ihr nicht weiter. Anders als bei einer in einem Abfindungsvergleich vereinbarten oder der in § 1a [X.] vorgesehenen Abfindung steht es zwar bei einer Sozialplanabfindung nicht im Belieben des Arbeitgebers, ob er sich auf diese einlässt. Vielmehr begründet die Betriebsänderung einen - erforderlichenfalls über die Einigungsstelle erzwingbaren - Anspruch des Betriebsrats auf einen Sozialplan. Auch geht ein Sozialplan, der für den Verlust der Arbeitsplätze Abfindungen vorsieht, anders als die [X.] in § 1a [X.] von der Wirksamkeit der Kündigungen aus ([X.] 31. Mai 2005 - 1 [X.] [X.] 115, 68, 74). Jedoch handelte es sich bei der der Klägerin im Kündigungsschreiben in Aussicht gestellten und ihr unter Berücksichtigung einer Tariflohnerhöhung gezahlten Abfindung iHv. [X.] Euro brutto auch dann nicht um eine Sozialplanabfindung oder eine einer solchen gleichstehende Abfindung, wenn die Hinweise gemäß § 1a Abs. 1 Satz 2 [X.] in den Kündigungsschreiben „auf Druck“ der Betriebsvertretung erteilt worden sein sollten, wie dies die Klägerin behauptet hat. Maßgebend ist, dass der Hinweis des [X.] im Kündigungsschreiben, die Klägerin erhalte bei Verstreichenlassen der Kündigungsfrist die in § 1a [X.] vorgesehene Abfindung, für die Klägerin ein Anreiz sein sollte, keine Kündigungsschutzklage zu erheben. Im Gegensatz zu einer Sozialplanabfindung bezweckte die vom [X.] in Aussicht gestellte Abfindung damit nicht nur den Ausgleich bzw. die Abmilderung der für die Klägerin mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen wirtschaftlichen Nachteile, sondern vor allem auch die Vermeidung der für das [X.] mit einem Kündigungsrechtsstreit verbundenen Risiken.

6. Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, bei der Regelung in § 7 Ziff. 7 [X.] handle es sich um eine eng auszulegende Ausnahmebestimmung.

a) § 7 Ziff. 7 [X.] bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die tarifliche Abfindung nicht zustehen soll. Liegt eine der genannten Voraussetzungen vor, ist ein [X.] für den Anspruch auf die tarifliche Abfindung erfüllt. Die [X.] legt damit negative Anspruchsvoraussetzungen fest. Für die Frage einer ergänzenden Tarifauslegung ist unerheblich, ob eine Regelung mit positiven oder negativen Anspruchsvoraussetzungen nachträglich lückenhaft geworden ist. Das in der Regelung [X.] kann in beiden Fällen zur Lückenschließung weitergedacht werden, wenn die Voraussetzungen einer ergänzenden Tarifauslegung erfüllt sind und das Auslegungsergebnis dem mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien entspricht.

b) Aber auch dann, wenn die Regelung in § 7 Ziff. 7 [X.] gemäß der Rechtsauffassung der Klägerin als Ausnahmeregelung verstanden würde, wären die aufgrund der nachträglich entstandenen Tariflücke gebotene ergänzende Tarifauslegung und die Gleichstellung der in § 1a [X.] vorgesehenen Abfindung mit einer in einem Abfindungsvergleich vereinbarten Abfindung nicht ausgeschlossen. Wie bei Gesetzen kommt bei [X.] als Mittel der Schließung einer Regelungslücke neben dem Umkehrschluss und der teleologischen Reduktion auch die Analogie in Betracht ([X.]/[X.] 7. Aufl. § 1 [X.] Rn. 1040). Gegen eine Lückenschließung im Wege einer Analogie kann nicht von vornherein eingewandt werden, es handele sich bei der tariflichen Regelung um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, die einer Analogie nicht zugänglich sei. In der juristischen Methodenlehre ist heute anerkannt, dass der Satz, [X.] seien eng auszulegen und nicht analogiefähig, so nicht zutreffend ist ([X.] 22. Juli 2008 - 3 [X.] - Rn. 8 mwN, [X.] 127, 173). Auch [X.] sind vielmehr in den Grenzen ihres Sinnes und Zweckes der Analogie fähig (Senat 18. November 2004 - 6 [X.] - [X.] 112, 351, 358).

7. Schließlich überzeugt auch das Argument der Klägerin nicht, die Höhe der tariflichen Abfindung, die nur zwei Monatsbeträge des letzten regelmäßigen Arbeitsverdienstes ausmache, stehe der Annahme eines Abfindungsausschlusses in entsprechender Anwendung von § 7 Ziff. 7 [X.] entgegen. Gegen diese Erwägung spricht bereits der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien den Ausschluss des Anspruchs auf die tarifliche Abfindung nicht daran gebunden haben, dass die im Vergleich vereinbarte oder durch Urteil zugesprochene Abfindung eine bestimmte Mindesthöhe erreicht. Bei [X.] Verständnis stünde die tarifliche Abfindung nach § 7 Ziff. 7 [X.] selbst dann nicht zu, wenn die im Vergleich vereinbarte oder durch Urteil zugesprochene Abfindung niedriger ist als die tariflich vorgesehene. Hinzu kommt, dass Arbeitnehmer, denen eine Abfindungszahlung nach § 7 Ziff. 2 [X.] zusteht, regelmäßig auch Anspruch auf Leistungen nach dem [X.], insbesondere auf Überbrückungsgeld, haben.

III. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Fischermeier    

        

    Brühler    

        

    Spelge    

        

        

        

    Klapproth    

        

    Jerchel    

                 

Meta

6 AZR 433/09

16.12.2010

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Gießen, 18. Juni 2008, Az: 6 Ca 73/08, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.12.2010, Az. 6 AZR 433/09 (REWIS RS 2010, 300)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 300

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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