Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.10.2013, Az. 2 StR 119/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 2187

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 119/13

vom
9. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.

-
2
-

Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 9. Oktober
2013, an der teilgenommen
haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. [X.],
[X.],
[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
[X.] am Bundesgerichtshof
Zeng,

Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger des Angeklagten,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-

1.
Auf die
Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19.
Oktober 2012 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels,
an eine andere Strafkammer des [X.].
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Landfriedensbruchs in [X.] in drei Fällen
-
wobei es in einem Fall beim Versuch blieb
-
und mit Widerstand
gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt sowie die Einziehung eines
bei der Tat verwendeten Messers angeordnet. Ferner hat es den Angeklagten veru[X.]teilt, an die Nebenkläger jeweils ein Schmerzensgeld zu zahlen,
und [X.], dass der Angeklagte verpflichtet ist, den [X.] sämtliche immate-riellen und materiellen Schäden
zu ersetzen, soweit die Ersatzansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

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4
-

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.

I.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s nahm der Angeklagte am 5. Mai 2012 an einer Demonstration gegen eine Wahlkampfkundgebung der [X.] P.

in B.

teil. Als der Angeklagte erfuhr, dass Teil--[X.] hochhielten, begannen er und eine Gruppe gewaltbereiter De-monstranten, Steine und andere Gegenstände auf die Polizeibeamten zu [X.], die zur Absperrung einer Straßenkreuzung eingesetzt
waren.
Der Zugfüh-rer der eingesetzten Polizeihundertschaft, der Zeuge [X.]

, gab daraufhin den Befehl, vor die Absperrgitter zu rücken
und den Kreuzungsbereich zu räumen. Während die Beamten des [X.] die gewalttätige Menschenmenge unter Einsatz von Reizgas zurück drängten, gelang es dem Angeklagten, hinter die Kette der vorrückenden Beamten zu gelangen. Er zog das von ihm mitgeführte Messer und lief damit auf einzelne Polizeibeamte zu. Er stach zuerst in [X.] der Oberschenkel des Zeugen [X.]

, der in eine Auseinandersetzung mit anderen
Demonstrationsteilnehmern verwickelt war. Dieser konnte den Stich abwehren. Daraufhin eilten weitere Beamte herbei und versuchten, den Ange-klagten aus dem Kreuzungsbereich zu vertreiben. Der Angeklagte lief nun auf den Polizeibeamten S.

zu, der als Mitglied des [X.] das Geschehen filmte, und stach diesem in den linken Oberschenkel. Anschließend warf er Steine gegen weitere in der Nähe stehende Polizeibeamte. Die Polizei-beamtin
M.

, die ihn zurückdrängen wollte, stach er in beide Obe[X.]2
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schenkel. Die Beamtin erlitt eine zehn
cm
und eine drei cm lange Schnittwunde. In der Folge konnte der Angeklagte überwältigt und festgenommen werden.

2. Das [X.] hat die Tat als Landfriedensbruch gemäß §
125 Abs.1, §
125a Satz
2 Nr. 2 und Nr. 3 StGB, als gefährliche Körperverletzung gemäß §
224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB zum Nachteil der Geschädigten S.

, M.

und [X.]

, wobei es bei der Tat zum Nachteil des Geschä-digten [X.]

beim Versuch blieb, sowie als Widerstand gegen [X.] gemäß § 113 Abs.1, § 113 Abs. 2 Satz
2 Nr. 1 und
Nr.
2 StGB gewe[X.]tet.

II.
Die Revision des Angeklagten ist teilweise begründet.

1. Die Nachprüfung des Schuldspruchs, der Einziehung sowie der Adhä-sionsentscheidung hat keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben.

Der tateinheitlichen Verurteilung des Angeklagten wegen Landfriedens-bruchs
und zugleich wegen gefährlicher
Körperverletzung steht auch die [X.] des § 125 Abs. 1 StGB nicht entgegen, wonach der Täter we-gen Landfriedensbruchs
nur bestraft wird, wenn die Tat nicht in anderen [X.] mit schwererer
Strafe bedroht wird. Zwar greift die Subsidiaritätsklau-sel des §
125 StGB auch dann ein, wenn -
wie hier und unter II.2.a) ausgeführt
-
ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs nach §
125a StGB vo[X.]liegt. Maßstab für den vorzunehmenden Vergleich ist dann aber der Strafrah-4
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6
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men der als Strafzumessungsregel ausgestalteten Bestimmung des §
125a Satz 1 StGB, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren androht ([X.], Urteil vom 24. März 2011 -
4 StR
670/10, [X.], 576, 577
mwN). Wegen übereinstimmender Strafrahmen des
§ 125a Satz 1
StGB und des § 224 Abs. 1 StGB steht daher die Subsidiaritätsklausel einer tateinheitlichen [X.] nicht entgegen.

2. Der Strafausspruch hält indes rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.

a) Die zu Lasten des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung e[X.]folgte Berücksichtigung der Erfüllung zweier Regelbeispiele des besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs (§
125a Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 StGB) ist nicht zu beanstanden.

Der Angeklagte, der zunächst gemeinsam mit anderen aus einer gewalt-bereiten Gruppe von Demonstranten heraus Steine und Gegenstände in [X.] der vorrückenden Polizeibeamten warf, blieb auch nach dem [X.] dieser Menschenmenge. Bei seinem Angriff gegen die drei Polizeibeamten, bei dem er die Regelbeispiele des §
125a Satz
2 Nr.
2 und Nr.
3 StGB erfüllte, handelte
es sich daher noch um eine Gewalttätigkeit
im Sinne des §
125 Abs. 1 StGB, die
heraus begangen
wurde.

Dem steht nicht entgegen, dass sich der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt räumlich von der Gruppe entfernt hatte. Maßgebend für die Beurteilung, ob es sich bei einem Angriff um eine Einzelaktion eines Täters

g-keit handelt, ist, ob die konkret
ausgeführte Gewalttätigkeit von der in der ge-8
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waltbereiten Menge vorhandenen Grundstimmung und zustimmenden Haltung getragen wird (vgl. Lenckner in [X.]/[X.], StGB
28.
Aufl.
§
125 Rdn.
10; [X.] in [X.] Kommentar,
StGB
2. Aufl. §
125 Rdn.
17). In diesem Fall ist der Angriff eines Täters
als Ausdruck des die Menge [X.] feindlichen Willens und damit als ein mit vereinten Kräften aus der Menschenmenge heraus begangener Angriff anzusehen.

So war es nach den Feststellungen hier. Zwar hatten
sich durch das [X.] von der zuvor kompakten
Menge der Demonstranten Kleingruppen abgespalten. Mindestens eine dieser Gruppen ging aber im Kreu-zungsbereich
und ebenfalls im Rücken der Polizei weiterhin gewalttätig vor. Für die Messerangriffe des Angeklagten bildete sie sowie die von den Polizeibeam-ten zurückgedrängte Menge, aus der heraus sich der Angeklagte erst unmittel-bar zuvor räumlich gelöst hatte, daher nicht nur Kulisse, sondern durch ihre feindliche Haltung gegen die eingesetzten Beamten weiterhin die Basis (vgl. [X.], Urteil vom 20. Juli 1995 -
1 [X.], NJW 1995, 2643, 2644,
insoweit in [X.]St 41, 182 nicht abgedruckt;
Lenckner
aaO, § 125 Rdn. 10). Die Mes-serangriffe des Angeklagten, die sich -
entsprechend der Grundstimmung in der zurückgedrängten Gruppe von
gewaltbereiten Demonstranten -
gegen die [X.] Polizeibeamten richteten, waren Teil der von dieser Gruppe ausge-henden
Gewalttätigkeiten, so dass er
den Tatbestand des §
125 Abs.
1 StGB verwirklichte.

b) Bei der Bemessung der Freiheitsstrafe hat das [X.] jedoch auch zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass sich seine Angriffshandlungen

richteten[X.] hatten. Diese Erwägung stößt
auch unter Berücksichtigung des einge-schränkten revisionsgerichtlichen [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 12
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-

17.
September 1980 -
2 StR 355/80, [X.]St 29, 319, 320; [X.], Beschluss vom 24. Mai 2006 -
5 StR 158/06
Rn.
4 juris) auf durchgreifende rechtliche Beden-ken.
Schon die strafschärfende Erwägung, dass sich die Angriffe

e-n, ist mit im Blick auf
das Doppelverwe[X.]tungsverbot (§
46 Abs. 3 StGB)
nicht unbedenklich. Sie lässt besorgen, dass das [X.] den Umstand, dass es sich bei den Geschädigten um [X.] handelte, noch einmal zu Lasten des Angeklagten eingestellt hat, ob-gleich schon der Tatbestand des §
113 StGB eine gegen einen Amtsträger der [X.] gerichtete Handlung voraussetzt. Im Übrigen wird man auch kaum annehmen können, Gewalttätigkeiten,
die im Rahmen eines
(schweren) Landfriedensbruchs gegen Unbeteiligte oder sonstige Dritte begangen werden,

Jedenfalls erweist sich die Erwägung, dass die Geschädigten dem [X.] einen Angriff gegeben hätten, als rechtsfehlerhaft. [X.] hatten, als sie ihn unter Einsatz unmittelbaren Zwangs aus den Kreu-zungsbereich wegdrängten
bzw. dies absicherten, kann das [X.] bei dieser Erwägung nur darauf abgestellt haben, dass es keinen berechtigten
oder sonst verständlichen Anlass für den Messereinsatz gab. Dabei handelt es sich aber letztlich um eine strafschärfende Berücksichtigung des bloßen Fehlens eines strafmildernden Umstands.

Zwar schlagen nach allgemeinen Strafzumessungsgrundsätzen nach-vollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung
strafmildernd zu Bu-che, wie z.B. eine Tatverstrickung durch Dritte oder
der Umstand, dass das Op-fer selbst zu der Situation beigetragen
hat, aus der heraus die Tat begangen 14
15
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wird. Das Fehlen solcher mildernden
Umstände berechtigt indes nicht, dies zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. [X.], Beschluss vom 17. [X.] 2012 -
2 StR 73/12, [X.], 46). Daher kann der Umstand, dass ein Täter "grundlos" gegen das Tatopfer vorgeht (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Mai 1993
-
4 StR 207/93
Rn.
6 juris;
[X.], Beschluss vom 11.
Februar 1998 -
2 StR 668/97
Rn.
3 juris)
oder, dass geboten hat (vgl. [X.], Beschluss vom 27. April 2010 -
3 [X.]; [X.],
Urteil vom 20.
November
1992 -
2 StR 392/92),
grundsätzlich nicht strafschä[X.]fend berücksichtigt werden, weil damit lediglich das Fehlen von Umständen
be-schrieben wird, die sich -
wenn sie vorlägen -
strafmildernd auswirken könnten.

Zwar darf der Grundsatz, wonach das Fehlen eines [X.] keinen Strafschärfungsgrund darstellt, nicht dahin missverstanden we[X.]den, dass die Einbeziehung gegebener Tatsachen in die Abwägung der Um-stände, die für die Strafzumessung von Bedeutung sind, stets dann rechtsfeh-lerhaft sei, wenn sie im Urteil in negativer Formulierung umschrieben sind. Die revisionsrichterliche Überprüfung der Strafzumessung hat sich vielmehr am sachlichen Gehalt der Ausführungen des Tatgerichts und nicht an dessen
-
möglicherweise
missverständlichen oder sonst unzureichenden -
Formulierun-gen zu orientieren
([X.], Beschluss vom 10. April 1987 -
GSSt 1/86, [X.]St 34, 345, 349 f.;
vgl. auch im Ergebnis: [X.], Urteil vom 21. November 1993 -
1 StR 384/93
Rn.
15 juris). Nur wenn die Strafe tatsächlich an bloß fiktiven Erwägun-gen oder an einem nur hypothetischen Sachverhalt gemessen wird, der zu dem zu beurteilenden keinen Bezug hat, wird ein rechtlich fehlerhafter Maßstab an die Wertung des Verhaltens des
Angeklagten angelegt (vgl. [X.], Urteil
vom 28. Mai
1980
-
3 StR 176/80, NStZ 1981, 60 mwN; Beschluss vom 13. August 2013 -
4 [X.]/13
Rn.
7 juris; Beschluss vom 24. Oktober 2012 -
4 [X.], [X.], 81, 82).

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10
-

Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Ausgangspunktes hat das
im Ergebnis
allein darauf abge-stellt, dass
der Angeklagte von der Tat hätte absehen können
und müssen,
weil [X.]. Dies stellt eine strafschärfende Verwertung des [X.] dar, dass die Tat überhaupt rechtswidrig begangen wurde.

c) Bedenken begegnet im Übrigen die Erwägung des [X.]s, der Angeklagte befinde sich zwar erstmals in
Haft, diese Erfahrung habe ihn aber

Es fehlt hier an einem sachlichen Zusammenhang zwischen dem grundsätzlich strafmildernden Umstand
der Erstverbüßung und seiner weitgehenden Relativierung.

Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfeh-lerfreier Strafzumessung zu einer geringeren Strafe gelangt wäre.

Fischer [X.]

Eschelbach

[X.] Zeng
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20

Meta

2 StR 119/13

09.10.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.10.2013, Az. 2 StR 119/13 (REWIS RS 2013, 2187)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2187

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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