Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.04.2018, Az. V ZB 164/16

5. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 10870

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Gegenstand

Zurückweisungshaftsache: Umfang der Prüfungspflicht der Haftgerichte bei der Anordnung von Zurückweisungshaft


Leitsatz

1. Die Haftgerichte haben bei der Anordnung von Zurückweisungshaft nicht zu prüfen, ob dem Ausländer aufgrund des Asylgesetzes der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist.

2. Bei der von Verfassungs wegen gebotenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Zurückweisungshaft haben die Haftgerichte von der Entschließung der beteiligten Behörde auszugehen, die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung durch Abschiebung des Ausländers in sein Heimatland oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat zu vollziehen. Ob diese Entscheidung sachlich richtig ist, haben nicht die Haftgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte zu prüfen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 14. November 2016 wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass [X.] nicht zu erheben sind.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein burkinischer Staatsangehöriger, reiste 2015 nach [X.] und stellte dort am 17. September 2015 einen Asylantrag, den das zuständige [X.] ([X.]) mit Bescheid vom 27. Juli 2016 als offensichtlich unbegründet ablehnte. Es forderte den Betroffenen auf, [X.] innerhalb einer Woche zu verlassen, und drohte ihm die Abschiebung nach [X.] an. Dieser Bescheid ist nach der Abschlussmitteilung des [X.] vom 5. September 2016 seit dem 10. August 2016 unanfechtbar.

2

Am 2. Oktober 2016 wurde der Betroffene in einem Zug auf der Fahrt von [X.] nach [X.] bei der Grenzkontrolle von Beamten der beteiligten Behörde vorläufig festgenommen, weil er keine gültigen Papiere bei sich führte. Mit Bescheid vom gleichen Tag wurde ihm die Einreise in das [X.] verweigert. Gegen ihn wurde durch einstweilige Anordnungen des für den Festnahmeort zuständigen Amtsgerichts vom 3. und 12. Oktober 2016 Haft zur Sicherung seiner Zurückweisung durch Abschiebung nach [X.] bis längstens 18. Oktober 2016 anordnet. Die für den 17. Oktober 2016 geplante Abschiebung scheiterte, da sich der Betroffene an der [X.] weigerte, in das Flugzeug einzusteigen, und der Pilot daraufhin die Mitnahme des Betroffenen ablehnte.

3

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das (für den Haftort zuständige) Amtsgericht die [X.] im ordentlichen Verfahren bis zum 25. November 2016 verlängert. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] die Haft unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels bis zum 19. November 2016 begrenzt. Der Betroffene ist am 18. November 2016 begleitet nach [X.] abgeschoben worden. Mit der Rechtsbeschwerde strebt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft an.

II.

4

Nach Auffassung des [X.] durfte das Amtsgericht gegen den Betroffenen (weitere) [X.] gemäß § 15 Abs. 5 [X.] anordnen, da er gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 [X.] rechtlich noch nicht nach [X.] eingereist sei. Bei der Anordnung von [X.] komme es nicht darauf an, ob er vollziehbar ausreisepflichtig sei. Es könne deshalb auch dahinstehen, ob und wann ihm der Bescheid des [X.] wirksam zugestellt worden sei.

5

Die Anordnung der [X.] sei rechtmäßig. Ihr habe ein zulässiger Haftantrag zu Grunde gelegen. Die Staatsanwaltschaft habe der geplanten Zurückweisung zugestimmt. Die beteiligte Behörde habe am 2. Oktober 2016 eine Einreiseverweigerung ausgesprochen. Die gegen diese erhobenen formellen Einwände des Betroffenen seien unbegründet. Er habe keinen Aufenthaltstitel für [X.] und dürfe auch aufgrund seines in [X.] bestehenden Aufenthaltsrechts zu Erwerbszwecken nicht nach [X.] einreisen. Die Haft sei verhältnismäßig, da die Zurückweisung des Betroffenen nach [X.] nicht unmittelbar durchführbar sei. Mildere Mittel stünden nicht zur Verfügung. Allerdings sei die Haft auf den 19. November 2016 zu begrenzen, da der Betroffene am 18. November 2016 nach [X.] begleitet abgeschoben werden solle.

III.

6

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

7

1. Entgegen der Ansicht des Betroffenen ist die Haftanordnung nicht deshalb rechtswidrig, weil, wie er meint, der Bescheid des [X.] vom 27. Juli 2016 über die Ablehnung seines Asylantrags nicht wirksam bekannt gemacht worden, ihm als Folge dessen weiterhin gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 [X.] der Aufenthalt im [X.] gestattet gewesen sei und er deshalb nach § 15 Abs. 4 Satz 2 [X.] nicht habe zurückgewiesen werden dürfen. Die Haftgerichte haben bei der Anordnung von [X.] nicht zu prüfen, ob dem Ausländer aufgrund des Asylgesetzes der Aufenthalt im [X.] gestattet ist.

8

a) Nach der Rechtsprechung des Senats darf zwar Haft zur Sicherung einer Zurückschiebung nicht angeordnet werden, solange einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nach § 55 Abs. 1 [X.] der Aufenthalt im [X.] gestattet ist (Beschluss vom 25. Februar 2010 - [X.], [X.] 2010, 150 Rn. 20). Das beruht aber darauf, dass die Zurückschiebung eine Maßnahme zur Durchsetzung der Ausreisepflicht ist. Sie setzt eine unerlaubte Einreise des Ausländers in das [X.] und dessen vollziehbare Pflicht zur Ausreise voraus [X.]/[X.], Ausländerrecht, 12. Aufl., § 57 [X.] Rn. 3, 11; [X.][X.]/Kluth, Ausländerrecht, § 57 [X.] Rn. 10 f., 21). Die Haftgerichte haben deshalb bei der Anordnung von Zurückschiebungshaft das Entstehen der Ausreisepflicht und in diesem Rahmen auch zu prüfen, ob dem Ausländer aufgrund eines gestellten Asylantrags nach § 55 Abs. 1 [X.] der Aufenthalt im [X.] (noch) gestattet ist.

9

b) Das ist bei der Einreiseverweigerung gemäß Art. 14 [X.] ([X.]) ebenso wie bei der Zurückweisung nach § 15 [X.] (oder § 18 Abs. 2 [X.]) anders.

aa) Diese Maßnahmen dienen nicht der Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers, sondern dazu, schon dessen (unerlaubte) Einreise in das [X.] und so zu verhindern, dass die Ausreisepflicht erst entsteht und dann gegen ihn durchgesetzt werden muss. Damit dient auch die Haft zur Sicherung einer Zurückweisung oder Einreiseverweigerung nicht der Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers, sondern der Sicherung des [X.] oder der Zurückweisung an der Grenze. Die Haftgerichte haben deshalb bei der Anordnung von [X.] nur den Erlass und den Fortbestand einer solchen Entscheidung, nicht dagegen zu prüfen, ob dem Ausländer der Aufenthalt im [X.] gestattet ist.

bb) Daran ändert es nichts, dass die Grenzbehörde einen Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nach § 15 Abs. 4 Satz 2 [X.] an der Grenze nicht zurückweisen darf, solange ihm der Aufenthalt im [X.] nach den Vorschriften des Asylgesetzes gestattet ist. Hierbei handelt es sich nämlich um eine gewissermaßen negative Voraussetzung der Zurückweisung bzw. - nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 [X.] i.V.m. § 15 Abs. 4 Satz 2 [X.] - der Einreiseverweigerung; sie betrifft damit deren Rechtmäßigkeit. Diese Prüfung ist nach der Aufgabenverteilung zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der ordentlichen Gerichtsbarkeit aber allein Aufgabe der Verwaltungsgerichte. Die Haftgerichte haben deshalb vorbehaltlich abweichender Entscheidungen der Verwaltungsgerichte von der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung oder Einreiseverweigerung auszugehen (Senat, Beschlüsse vom 16. Dezember 2009 - [X.] 148/09, [X.] 2010, 50 f. [Rn. 12] und vom 30. Juni 2011 - [X.] 274/10, [X.] 2011, 315 Rn. 21 für die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung nach § 18 Abs. 2 [X.] und Beschluss vom 20. September 2017 - [X.] 118/17, NVwZ 2018, 349 Rn. 18 für die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung nach Art. 14 [X.], § 15 [X.]).

2. Die Anordnung der [X.] ist nicht deshalb unverhältnismäßig, weil der Betroffene statt in sein Heimatland, in das er zurückgewiesen werden sollte, aufgrund einer Erwerbserlaubnis möglicherweise auch nach [X.] hätte zurückgewiesen werden können.

Bei der von [X.] wegen gebotenen (vgl. [X.], [X.] 1994, 342, 344; 2008, 358, 359 für die Abschiebungshaft und für die [X.] nach § 57 Abs. 2 [X.]; Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - [X.] 127/10, NVwZ 2010, 1318 Rn. 26 für die Zurückschiebung und Beschluss vom 30. Oktober 2013 - [X.] 90/13, [X.] 2014, 57 = juris Rn. 9 für den Transitaufenthalt) Prüfung der Verhältnismäßigkeit der [X.] haben die Haftgerichte von der Entschließung der beteiligten Behörde auszugehen, die Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung durch Abschiebung des Ausländers in sein Heimatland oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat zu vollziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2016 - [X.] 13/10, juris Rn. 17 für die Zurückschiebung). Ob diese Entscheidung sachlich richtig ist, haben nicht die Haftgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte zu prüfen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. Dezember 2009 - [X.] 148/09, [X.] 2010, 50 Rn. 12, vom 30. Juni 2011 - [X.] 274/10, [X.] 2011, 315 Rn. 26 und vom 20. September 2017 - [X.] 118/17, NVwZ 2018, 349 Rn. 18).

Nach den Feststellungen des [X.] hat sich die beteiligte Behörde hier in Abstimmung mit dem [X.] entschlossen, die dem Betroffenen erteilte Einreiseverweigerung durch die aufgrund des Bescheids über die Zurückweisung seines Asylantrags ohnehin geplante Abschiebung in sein Heimatland zu vollziehen. Von dieser Vollzugsentschließung war für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auszugehen. Die von dem Beschwerdegericht auf dieser Grundlage vorgenommene tatrichterliche Würdigung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt überprüfbar und in diesem Rahmen nicht zu beanstanden.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

[X.]    

        

Schmidt-Räntsch    

        

Kazele

        

Haberkamp    

        

[X.]    

        

Meta

V ZB 164/16

12.04.2018

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Traunstein, 14. November 2016, Az: 4 T 3700/16

§ 15 Abs 5 AufenthG, § 55 AsylVfG 1992, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.04.2018, Az. V ZB 164/16 (REWIS RS 2018, 10870)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 10870


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. V ZB 164/16

Bundesgerichtshof, V ZB 164/16, 12.04.2018.


Az. 4 T 3700/16

LG Traunstein, 4 T 3700/16, 14.11.2016.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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