Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.09.2015, Az. 5 StR 363/15

5. Strafsenat | REWIS RS 2015, 5452

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Gegenstand

Unterlassene Hilfeleistung: Prüfung der Erforderlichkeit und Möglichkeit der Hilfeleistung im Falle der Nichtfeststellbarkeit des Todeszeitpunkts des Verunglückten


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. März 2015, soweit dieser Angeklagte betroffen ist, nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s befand sich der Angeklagte am Tattag mit dem [X.] [X.]in der Einzimmerwohnung des [X.]. Der Angeklagte und das Tatopfer tranken beträchtliche Mengen Alkohol, was beim Angeklagten zu einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 3,71 %o und beim Opfer zu einer Blutalkoholkonzentration von 1,92 %o führte. Zwischen dem [X.] und dem Opfer entstand ein Streit, in dessen Verlauf der Nichtrevident das Opfer zu Boden brachte. Er trat für den Angeklagten auch hinsichtlich der Gefährlichkeit erkennbar auf das wehrlos am Boden liegende Opfer mindestens fünfmal kräftig ein und verursachte schwerste innere Verletzungen. Dann half er dem Opfer auf, legte es auf das Sofa und deckte es zu. Um 21.35 Uhr rief er die Polizei an und teilte mit, dass das Opfer soeben gestorben sei. Der Notarzt dokumentierte um 21.45 Uhr den eingetretenen Tod. Der Angeklagte hatte nichts getan, um dem Opfer zu helfen.

3

2. Das [X.] hat angenommen, dass es dem von der Tat „überrumpelten" ([X.]) Angeklagten nicht zumutbar gewesen sei, gegen den „gewaltsam wütenden" [X.] einzuschreiten, weil er ihm auch wegen seiner eigenen desolaten körperlichen Verfassung von vornherein nicht gewachsen gewesen sei ([X.]). Jedoch sei es ihm, der nicht mit einem Mobiltelefon ausgestattet gewesen sei, zumindest möglich und zumutbar gewesen, die Wohnung zu verlassen und Nachbarn zu Hilfe zu rufen oder über Nachbarn die Polizei zu verständigen.

4

3. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die [X.] hat das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit der Hilfeleistung im Sinne des § 323c StGB nicht erkennbar und das Merkmal der Möglichkeit der Hilfeleistung nicht hinreichend erwogen, obwohl hierzu nach den gegebenen Umständen besonderer Anlass bestand.

5

Nach ständiger Rechtsprechung muss einem Verunglückten selbst dann die dem Täter mögliche Hilfe geleistet werden, wenn sie schließlich vergeblich bleibt und sich die befürchtete Folge des Unglücks aus der Rückschau als von Anfang an als unabwendbar erweist; jedoch besteht keine [X.] mehr, sobald der Tod des Verunglückten eingetreten ist (vgl. [X.], Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 [X.], [X.]St 32, 367, 381 mwN; siehe auch Urteil vom 24. Februar 1960 - 2 StR 579/59). Die [X.] hat sich außerstande gesehen, die Tatzeit und den Zeitpunkt des [X.] exakt festzustellen. Allerdings hat der Nichtrevident dem Opfer nach Abschluss der Gewalthandlungen gemäß den Urteilsgründen „aufgeholfen“ ([X.]). Diese Feststellung, die freilich im Rahmen der Beweiswürdigung keine Grundlage findet, könnte darauf hindeuten, dass die [X.] davon ausgeht, das Opfer habe noch gelebt, bevor es auf das Sofa gelegt worden ist. Selbst wenn man dies annimmt, kommt in Betracht, dass es unmittelbar danach an seinen schweren inneren Verletzungen verstorben ist. Im Blick darauf wäre dem von der Tat „überrumpelten“ Angeklagten über die ihm zuzubilligende „Schrecksekunde“ hinaus (vgl. [X.], Urteil vom 12. Januar 1993 - 1 StR 792/92, [X.]R StGB § 323c Unglücksfall 3) nur eine äußerst knappe und wegen seiner hochgradigen Alkoholisierung sowie der hinzukommenden körperlichen Beeinträchtigung („offenes Bein“) ersichtlich nicht ausreichende Zeitspanne verblieben, der ihm durch die [X.] angesonnenen [X.] nachzukommen. Nicht ausgeschlossen ist auf der Basis der Feststellungen ferner, dass der Anruf des [X.] bei der Polizei sogleich nach dem Ablegen des vielleicht noch lebenden Opfers erfolgt ist, wonach sich eine Hilfeleistung durch den Angeklagten aus diesem Grund erübrigt hätte.

6

In beiden gemäß den Feststellungen möglichen Sachverhaltsvarianten wäre der Angeklagte straffrei. Unter solchen Vorzeichen steht einem Schuldspruch der Zweifelssatz entgegen.

7

4. Der Senat schließt aus, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung zulassen. Da lediglich ein Mangel in der rechtlichen Würdigung vorliegt, entscheidet er in der Sache selbst und spricht den Angeklagten gemäß § 354 Abs. 1 StPO frei.

Sande                    Schneider                       König

              Bellay                          Feilcke

Meta

5 StR 363/15

15.09.2015

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dresden, 20. März 2015, Az: 1 Ks 307 Js 38571/13

§ 323c StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.09.2015, Az. 5 StR 363/15 (REWIS RS 2015, 5452)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5452

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