Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.01.2013, Az. VI ZR 103/12

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 9074

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI ZR 103/12
Verkündet am:

15. Januar 2013

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar
2013
durch den Vorsitzenden [X.] [X.], den
[X.] Zoll,
die [X.]in [X.], den [X.] [X.] und die [X.]in
von Pentz
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten zu 1 gegen das Urteil des 27.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm
vom 19. Januar 2012
wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der
Kläger verlangt
von der
in der [X.] ansässigen Beklagten
zu 1 (künftig: Beklagte) gesamtschuldnerisch mit dem
Beklagten zu 2, gegen den
der Rechtsstreit rechtskräftig beendet ist, Schadensersatz wegen des Erwerbs von Beteiligungen an der [X.] S.A.
Luxemburg.
Nach Eingang der Klage vom 8. Dezember
2009
hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Zivilkammer des [X.]
durch
Beschluss
vom 20. Januar
2010
in Zusammenhang mit der Zustellung der Klageschrift nach § 183 ZPO angeordnet, dass der Beklagten im Hinblick auf das angeordnete schriftliche Vorverfahren eine Notfrist von einem Monat
zur Anzeige der Vertei-digungsbereitschaft und von einem
weiteren Monat zur Klageerwiderung ge-setzt werde sowie dass sie innerhalb eines Monats
gemäß §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO einen
im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen habe. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen Folgen
der Zustellung von 1
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Schriftstücken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Beklagten
hat der Vorsitzende hingewiesen.
Die Verfügung
und
die Klageschrift
sind der Beklag-ten am 30.
Juli 2010
nach Maßgabe des [X.] über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil-
und Handelssachen vom 15.
November 1965 ([X.] 1977 II S.
1452, 1453; im Folgenden [X.]) zugestellt worden. Am 11. November 2010 hat das [X.] ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren erlassen. Dieses ist auf-grund richterlicher Verfügung vom 16. November 2010 durch am 19. November 2010 erfolgte Aufgabe zur Post der Beklagten zugestellt worden.
Auf
Verlangen
des [X.], das Urteil der Beklagten förmlich nach dem [X.] Übereinkommen
zuzustellen, hat der Vorsitzende der Zivilkammer mit Verfügung vom 14.
Dezember 2010 darauf hingewiesen, dass die Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post als Inlandszustellung wirksam und für die Berechnung der Einspruchsfrist bedeutsam sei. Um der klagenden [X.] die Vollstreckung in der [X.] zu ermöglichen, solle das [X.] förmlich nach dem [X.] Übereinkommen zugestellt werden.
Die Beklag-te
hat am 30.
März
2011 Einspruch eingelegt
und vorgetragen, ihr sei das [X.] am 23. März 2011 zugestellt worden.
Mit
Urteil vom 13.
April

2011
hat das [X.]
den Einspruch als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, das Berufungsurteil und das Urteil des [X.] vom 13. April 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das [X.] habe den [X.] gegen das Versäumnisurteil zu Recht als unzulässig verworfen, weil er nicht fristgemäß eingelegt worden sei. Das Versäumnisurteil sei der Beklagten mit Wirkung zum 3. Dezember 2010
zugestellt worden. Maßgeblich sei die vom Gericht festgesetzte Einspruchsfrist von einem Monat.
Bei der Zustellung des Versäumnisurteils handle es sich nicht um eine Auslandszustellung, sondern um eine fingierte Form der Zustellung im Inland, so dass keine rechtlichen Be-denken im Hinblick auf Art.
25 GG gegen die Vereinbarkeit der Norm mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts beständen. Das
Abkommen vom 28. Mai 1929 über den Rechtsverkehr in Zivil-
und Handelssachen sowie das spätere [X.] Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtli-cher Schriftstücke im Ausland in Zivil-
und Handelssachen vom 15. November 1965 (sog.
[X.] Zustellungsübereinkommen -
[X.] 1965; [X.] 1977 II S.
1452, 1453) stünden einer Anwendung des §
184 Abs.
1 Satz 1 ZPO nicht entgegen, weil dort nur die Modalitäten einer Auslandszustellung geregelt [X.], nicht aber die Frage, ob überhaupt eine förmliche Zustellung im Ausland vorzunehmen sei. Die Abkommen gäben den Prozessparteien in Fällen mit Auslandsbezug nicht das Recht auf eine bestimmte Form der Urteilszustellung; vielmehr bestimme sich allein nach autonomem
[X.]
Prozessrecht, in welchen
Fällen die Zustellung im Ausland bewirkt werden müsse.
Durch die gemäß §
184 ZPO erfolgte Zustellung habe
die Beklagte [X.] gehabt, sich gegen die Klage zu verteidigen. Die Anordnung nach §
184 Abs.
1 Satz 1 ZPO sei nicht ermessensfehlerhaft. Sie solle den [X.] begegnen, die durch eine Vielzahl von notwendigen Auslandszustellun-gen innerhalb eines Verfahrens sonst entstünden. Die Klageschrift vom 8. De-4
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zember 2009 sei der Beklagten erst am 30. Juli 2010, mehrere Monate nach der am 23. Dezember 2009 begründeten Anhängigkeit,
förmlich zugestellt [X.]. Für die Anordnung nach §
184 ZPO genüge die Anordnung des [X.]. Durch die spätere förmliche Auslandszustellung werde die einmal abgelau-fene Einspruchsfrist nicht noch einmal in Gang gesetzt.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
1. Das [X.] hatte
auf den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil gemäß §
341 Abs.
1 Satz
1 ZPO zunächst nur zu prüfen, ob der Einspruch an sich statthaft und in der ordnungsgemäßen Form und Frist eingelegt worden ist. Da die Beklagte die Einspruchsfrist nicht gewahrt hat, musste der Einspruch gemäß §
341 Abs.
1 Satz
2 ZPO ohne Sachprüfung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des [X.] verworfen werden ([X.], Beschluss vom 5.
März 2007 -
II
ZB
4/06, NJW-RR 2007, 1363 Rn.
9
ff.; [X.]/Pukall, ZPO, 4.
Aufl., §
341 Rn.
1).

2. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Anordnung, einen Zustel-lungsbevollmächtigten zu benennen, durch den Vorsitzenden der zuständigen Zivilkammer des [X.] für wirksam erachtet.
Die Regelung des §
184 Abs.
1 Satz 2 ZPO, die eine Zustellung durch Aufgabe zur Post unter der An-schrift des außerhalb des Bundesgebiets und außerhalb des [X.] der Verordnung ([X.]) Nr. 1393/2007 des [X.] und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und au-ßergerichtlicher Schriftstücke in Zivil-
oder Handelssachen in den Mitgliedstaa-ten ("Zustellung von Schriftstücken")
und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 1348/2000 ([X.]. 2007 L 324, S.
79; im Folgenden: [X.]) ansässigen Zu-6
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stellungsadressaten erlaubt, ist im Streitfall weder durch völkerrechtliche Ver-einbarungen ausgeschlossen noch verletzt sie Verfahrensgrundrechte der [X.] oder verstößt gegen Art.
6 Abs.
1 [X.]. Rechtlich ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Zustellung des Versäumnisurteils im Inland durch Aufgabe zur Post für wirksam erachtet hat, obwohl der [X.] und nicht der Spruchkörper der zuständigen Zivilkammer, die Anord-nung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, getroffen hat. Zur [X.], auf deren Klärungsbedürftigkeit die Zulassung der Revision gestützt worden ist, ob der Vorsitzende der zuständigen Kammer oder
der Spruchkörper die An-ordnung nach §
184 Abs.
1 ZPO zu treffen habe, hat sich der erkennende [X.] zwischenzeitlich in mehreren Urteilen umfassend geäußert (vgl. Urteile vom 26. Juni 2012 -
VI
ZR 241/11, [X.], 1499; vom 3. Juli 2012 -
VI
ZR 227/11 und
-
VI
ZR 239/11 sowie vom 17. Juli 2012 -
VI
ZR 222/11, -
VI
ZR 226/11 und -
VI
ZR 288/11, juris). Insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen (so -
VI
ZR 226/11, juris Rn.
14 bis 22
und -
VI
ZR 288/11, juris Rn.
18 bis 27, vom 18.
September 2012 -
VI
ZR 223/11) zur Vermeidung gleichlautender Wiederholungen Bezug genommen.
3. Entgegen der Auffassung der Revision vermochte der Hinweis des [X.], dass sämtliche Zustellungen förmlich erfolgen müssen (auch [X.]e), da ansonsten Probleme bei der Anerkennung der Entschei-dung im Anerkenntnisverfahren in der [X.] entständen, nicht einen Ermes-sensfehler des nicht an die Anregung der [X.] gebundenen [X.]s bei der Anordnung gemäß §
184 Abs.
1 ZPO zu begründen. Zutreffend weist das [X.] darauf hin, dass den Prozessparteien in Fällen mit Auslandsbezug nicht das Recht auf eine bestimmte Form der Urteilszustellung zusteht,
vielmehr sich allein nach dem autonomen [X.] Prozessrecht bestimmt, in welchen Fällen die Zustellung im Ausland bewirkt werden muss. Da die förmliche Zustel-lung zu erheblichen Verzögerungen im Prozessablauf führen kann, wodurch der 9
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Justizgewährungsanspruch der betroffenen [X.] maßgeblich beeinträchtigt würde, ist der [X.] gehalten, vermeidbaren Verzögerungen mit den ihm ge-gebenen prozessrechtlichen Möglichkeiten entgegen zu wirken.
4. Die förmliche Zustellung vermag die bereits eingetretene Rechtskraft des Versäumnisurteils nicht zu durchbrechen. Die Anordnung der erneuten
Zu-stellung lässt die Wirkung der zuvor erfolgten Zustellung gemäß §
184 Abs.
2 ZPO unberührt; sie setzt eine
bereits abgelaufene
Frist nicht nochmals in Lauf (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20.
Oktober 2005 -
IX
ZB 147/01, NJW-RR 2006, 563, 564; vom 20.
November 2006 -
NotZ
35/06, juris Rn.
7; Urteil vom 15.
Dezember 2010 -
XII
ZR 27/09, [X.], 522 Rn.
20; [X.], NJW-RR 2011, 1631, 1632; [X.], Urteile vom 10.
August 2011 -
I-8
U 3/11, juris Rn.
40 und -
8
U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Entgegen der [X.] der Revision ändert daran nichts, dass mit der förmlichen Zustellung auch eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung über die Möglichkeit des [X.]s erteilt worden ist. Einem Vertrauensschutz der im Ausland ansässigen [X.] aufgrund der unrichtigen Belehrung steht zwingend die eingetretene for-melle Rechtskraft entgegen, die ohne rechtlichen Grund im Hinblick auf die [X.] der Gegenpartei nicht durchbrochen werden darf. Daran ändert sich nichts dadurch, dass das am 3. Dezember 2010 zugestellte Urteil nicht mit einer Übersetzung der Entscheidung verbunden war. Die Beklagte war über den In-halt des Rechtsstreits hinreichend durch die förmliche Zustellung der [X.] informiert. Trotz Kenntnis der gegen sie rechtshängigen Klage und der Hinweise des
Gerichts auf die Folgen bei Nichtbenennung eines Zustellungsbe-vollmächtigten ist die Beklagte nach dem nicht zweifelhaften Zugang des [X.]s untätig geblieben. Von einer bewussten Irreführung der Beklag-ten durch das Berufungsgericht aufgrund einer mit der förmlichen Zustellung

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fälschlich verbundenen Rechtsmittelbelehrung kann unter diesen Umständen nicht die Rede sein.
[X.]
Zoll
[X.]

[X.]
von Pentz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.04.2011 -
I-3 [X.]/09 -

[X.], Entscheidung vom 19.01.2012 -
I-27 [X.] -

Meta

VI ZR 103/12

15.01.2013

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.01.2013, Az. VI ZR 103/12 (REWIS RS 2013, 9074)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 9074

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