Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.03.2017, Az. 3 StR 38/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 13625

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Gegenstand

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und Zurückstellung der Strafvollstreckung: Erfolgsaussicht der Therapie; Zurückstellung der Vollstreckung bei aussichtsloser Therapie


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. November 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der allgemeinen Sachbeschwerde. Sie hat nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

2

1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 [X.]).

3

2. Die Entscheidung, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hat hingegen keinen Bestand.

4

a) Die sachverständig beratene [X.] ist davon ausgegangen, dass beim Angeklagten eine langjährige polyvalente Substanzabhängigkeit (Heroin, Kokain, Cannabis, Alkohol) besteht, und hat daher einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 64 Satz 1 StGB bejaht. Sie hat überdies festgestellt, dass der abgeurteilte Diebstahl mit Waffen auf diesen Hang zurückgeht, weil der Angeklagte von dem Erlös aus der [X.] auch Betäubungsmittel beschaffen wollte. Ferner hat sie, namentlich in Anbetracht der Vorstrafen, die Gefahr prognostiziert, der Angeklagte werde (hangbedingt) künftig weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen.

5

Die [X.] hat indes eine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg im Sinne des § 64 Satz 2 StGB verneint. Es bestehe die Gefahr, dass der Angeklagte nach der Entlassung aus der Entziehungsanstalt zurück in ein Asylbewerberheim ziehe und wieder in seinen Suchtmittelkonsum und damit in den Hang zurückfalle. Zugleich hat die Kammer - "schon jetzt" ihre Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG erteilt ([X.] 11).

6

b) Das Absehen von der Unterbringungsanordnung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

7

Zwar nimmt die [X.] zutreffend an, dass sich aus den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten einige gewichtige prognoseungünstige Faktoren (ungeklärter Aufenthaltsstatus, fehlende Arbeitserlaubnis, nicht vorhandener [X.] Empfangsraum, prekäre Wohnsituation vor der Inhaftierung) ergeben, die gegen einen mehr als nur kurzfristigen Behandlungserfolg sprechen (s. MüKoStGB/[X.], StGB, 3. Aufl., § 64 Rn. 64 f. mwN). Der hieraus gezogene Schluss, dass die Gefahr bestehe, der Angeklagte könne keine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt werden, verfehlt jedoch den gesetzlichen Maßstab; denn nicht jedes Risiko, dass in einer Entziehungsanstalt ein nachhaltiger Behandlungserfolg nicht erzielt wird, bedeutet zugleich, dass keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht besteht. Die [X.] wäre gehalten gewesen, das Risiko eines Scheiterns der Behandlung - als mehr oder weniger hoch bzw. gering - zu gewichten, um die [X.] nachvollziehbar zu bewerten. Dabei wären auch mögliche prognosegünstige Faktoren (mögliche [X.], [wohl] keine vorausgegangenen erfolglosen Therapieversuche, "relativ gute" Deutschkenntnisse) festzustellen und in die Beurteilung mit einzubeziehen gewesen.

8

Einer eingehenderen Auseinandersetzung mit der Erfolgsprognose hätte es insbesondere deshalb bedurft, weil die [X.] bereits mit dem angefochtenen Urteil der Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zugestimmt hat. Hiermit hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie den Angeklagten grundsätzlich für therapiebedürftig und für nicht therapieunfähig hält; denn die Zurückstellung lässt sich - wenngleich sie nicht auf Fälle günstiger Therapiechancen beschränkt ist - nicht rechtfertigen, wenn die Behandlung von vornherein als völlig oder nahezu aussichtslos erscheint (vgl. MüKoStGB/[X.], 2. Aufl., § 35 BtMG Rn. 141; [X.], BtMG, 4. Aufl., § 35 Rn. 156 ff.). Diesen ermessensleitenden Umstand hat nicht nur die die Zurückstellung anordnende Vollstreckungsbehörde, sondern auch das zustimmende Gericht zu beachten (vgl. MüKoStGB/[X.] aaO, Rn. 117; [X.] aaO, Rn. 132). Dass die [X.] von anderen rechtlichen Vorgaben für ihre Zustimmung ausgegangen sein könnte, ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

9

Im Einzelfall kann zwar nach Bewertung der Erfolgsaussicht - auf Grund der unterschiedlichen Maßstäbe, die an die Behandlungsprognose anzulegen sind (s. [X.], Beschluss vom 22. Juli 2010 - 3 [X.], [X.], 271, 272; MüKoStGB/[X.] aaO, Rn. 76) - eine Entscheidung dahin in Betracht kommen, dass allein eine Zurückstellung der Vollstreckung gemäß § 35 BtMG möglich ist, wohingegen eine Maßregel nach § 64 StGB ausscheidet. Ohne nähere Erörterung versteht sich dies hier jedoch nicht von selbst. Vielmehr lassen die insoweit knappen Ausführungen in den Urteilsgründen besorgen, dass die [X.] den Vorrang des § 64 StGB gegenüber § 35 BtMG (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 19. Juni 2012 - 3 StR 201/12, juris Rn. 4; vom 11. Juli 2013 - 3 [X.], juris Rn. 5; vom 5. April 2016 - 3 StR 554/15, [X.], 209, 210; vom 31. Januar 2017 - 4 StR 597/16, juris Rn. 14; s. nunmehr allerdings 5. Strafsenat, Beschluss vom 8. Juni 2016 - 5 [X.], [X.], 431 [nichttragend]) aus dem Blick verloren hat und davon ausgegangen ist, im Einzelfall das aus ihrer Sicht unter einem pragmatischen Gesichtspunkt geeignetere Vorgehen wählen zu können.

c) Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a [X.]) - neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht ([X.], Beschluss vom 11. Juli 2013 - 3 [X.], juris Rn. 6). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch den Tatrichter auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. [X.], Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, [X.]St 38, 362; KK-Gericke, [X.], 7. Aufl., § 358 Rn. 23 mwN).

3. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist auszuschließen, dass das [X.] bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine mildere Freiheitsstrafe erkannt hätte.

Becker     

       

Spaniol     

       

Tiemann

       

Berg     

       

Hoch     

       

Meta

3 StR 38/17

22.03.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hannover, 22. November 2016, Az: 33 KLs 15/16

§ 35 BtMG, § 64 S 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.03.2017, Az. 3 StR 38/17 (REWIS RS 2017, 13625)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13625

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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