Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2015, Az. 2 BvR 1180/15

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2015, 8593

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verlängerung einer Zwangsbehandlung mit Neuroleptika für eine Dauer von zwei Jahren ist unverhältnismäßig und entbehrt gesetzlicher Grundlage (§ 29 Abs 5 S 6 MVollzG TH iVm § 312 S 2, § 329 Abs 1 S 2, Abs 2 S 1 FamFG) - schwerwiegender Eingriff in Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art 2 Abs 2 S 1 GG) - hier jedoch Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels Fristwahrung, Rechtswegerschöpfung und Beschwerdebefugnis


Gründe

1

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen; die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. [X.] 90, 22 <26>; 96, 245 <250>; [X.]K 12, 189 <196>). Zwar begegnet zumindest der Beschluss des [X.] vom 17. April 2015 schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unzulässig.

2

a) Bei der medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten mit Neuroleptika handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. [X.] 128, 282 <302>). Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird der auf der Grundlage von § 29 Abs. 5 ThürMRVG ergangene Beschluss vom 17. April 2015, mit dem das [X.] der "am 15.11.2014 begonnenen Zwangsmedikation […] für die Dauer von weiteren 2 Jahren zugestimmt" hat, nicht gerecht.

3

Insbesondere hätte das [X.] seine Zustimmung zu der Verlängerung der Zwangsbehandlung nicht für eine Dauer von zwei Jahren erteilen dürfen. Gemäß § 29 Abs. 5 Satz 6 ThürMRVG in Verbindung mit § 312 Satz 2, § 329 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 FamFG darf die Zustimmung zu der Verlängerung einer Zwangsbehandlung jeweils nur für die Dauer von sechs Wochen erteilt werden (vgl. auch [X.], Beschluss vom 11. Februar 2015 - 1 Ws 40/15 -, Rz. 18, juris). Auch unabhängig von dieser gesetzlichen Regelung erscheint eine Verlängerung um zwei Jahre unverhältnismäßig. Außerdem ist der Tenor des Beschlusses zu unbestimmt, da sich hieraus nichts zu der Art und Weise der Zwangsbehandlung ergibt (vgl. § 29 Abs. 5 Satz 6 ThürMRVG [X.]. § 312 Satz 2, § 323 Abs. 1 Nr. 1 FamFG; siehe hierzu BTDrucks 17/11513, S. 8 mit Verweis auf [X.], Beschluss vom 1. Februar 2006 - [X.] 236/05 -, Rz. 27, juris). Auch den Gründen des Beschlusses lässt sich zu der Art und Weise der Behandlung nur entnehmen, dass die Medikation "mit den Medikamenten Ciatyl-Z-Accuphase, und sobald möglich Fluanxol depot" durchgeführt werde. Darüber hinaus fehlt es an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit den Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 ThürMRVG. Insbesondere lässt sich dem Beschluss nicht explizit entnehmen, ob der Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 1 ThürMRVG krankheitsbedingt nicht in der Lage war, die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahmen zu erkennen oder nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. hierzu [X.] 128, 282 <304 ff.>; 129, 269 <281 f.>; 133, 112 <134>).

4

b) Indes ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Im Hinblick auf die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen ergibt sich die Unzulässigkeit bereits daraus, dass die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 [X.] nicht gewahrt worden ist. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Anordnung von Zwangsbehandlungsmaßnahmen durch den Chefarzt sowie deren Durchführung wendet, hat er den Rechtsweg nicht erschöpft (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Gegen diese Maßnahmen kann der Beschwerdeführer einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 138 Abs. 3 in Verbindung mit §§ 109 ff. [X.] stellen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Februar 2015 - 1 Ws 40/15 -, Rz. 6, juris; [X.], Beschluss vom 26. Februar 2015 - 1 Ws 72/15 -, Rz. 3, juris; vgl. auch [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. September 2014 - 2 BvR 1899/14 -, Rz. 2 m.w.N., juris). Soweit der Beschwerdeführer die Regelung in § 29 Abs. 5 ThürMRVG angreift, fehlt es ihm an der Beschwerdebefugnis. Er ist von der gesetzlichen Regelung nicht unmittelbar betroffen, da es weiterer Vollzugsakte bedarf, um seine Rechtsstellung zu verändern (vgl. [X.] 110, 370 <381 f.>; 125, 39 <75 f.>; 126, 112 <133>). Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, inwieweit die Verfassungsbeschwerde den Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] genügt.

5

2. Durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

6

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

7

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1180/15

07.07.2015

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Mühlhausen, 17. April 2015, Az: 10 StVK 33/14, Beschluss

Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 312 S 2 FamFG, § 323 Abs 1 Nr 1 FamFG, § 329 Abs 1 S 2 FamFG, § 329 Abs 2 S 1 FamFG, § 29 Abs 2 Nr 1 MVollzG TH, § 29 Abs 5 S 6 MVollzG TH, §§ 109ff StVollzG, § 109 StVollzG, § 138 Abs 3 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2015, Az. 2 BvR 1180/15 (REWIS RS 2015, 8593)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8593

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Referenzen
Wird zitiert von

1 Vollz (Ws) 311/18

Zitiert

2 BvR 1899/14

Zitieren mit Quelle:
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