Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.03.2016, Az. II ZR 119/14

II. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 14527

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2016:150316UII[X.].14.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
II ZR
119/14
Verkündet am:

15. März 2016

Vondrasek

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
GmbHG § 64 Satz 1
Auf den Direktor einer private company limited by shares, über deren Vermögen in [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, kommt §
64 Satz
1 GmbHG zur Anwendung.

[X.], Urteil vom 15. März 2016 -
[X.] -
OLG [X.]

LG [X.]

-
2
-
Der [X.]
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 15.
März 2016
durch
den
Vorsitzenden
Richter Prof.
Dr.
Bergmann
und den
Richter Prof.
Dr.
Strohn, die Richterin [X.], sowie die Richter [X.] und Sunder

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 2.
Zivilsenats des
Thüringer [X.]s in [X.] vom 17. Juli 2013 wird auf Kosten der [X.]n zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der K.

Ltd. (im Folgenden: Schuldnerin). Das Verfahren ist am 27. November 2007 vom [X.] eröffnet [X.]. Die Schuldnerin ist als private company limited by shares
(im Folgenden: [X.]) in dem für [X.] und [X.] zuständigen Handelsregister in [X.] eingetragen. Eine [X.] Zweigniederlassung ist in dem zunächst vom 1
-
3
-
[X.], jetzt vom Amtsgericht [X.] geführten [X.]. Die [X.] ist Direktorin der Schuldnerin.
Die Schuldnerin war überwiegend in [X.] tätig. Ihr Unterneh-mensgegenstand bestand in der Montage von Lüftungsanlagen und damit [X.] Dienstleistungen.
Mit der Behauptung, die Schuldnerin sei spätestens seit dem 1.
November 2006 zahlungsunfähig und die [X.] habe in der [X.] vom 11.
Dezember 2006 bis zum 26.
Februar 2007 Zahlungen der Schuldnerin in Höhe von 110.151,6e-ses Betrages nebst Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten in Anspruch ge-nommen.
Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der [X.]n zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zu-gelassenen Revision verfolgt die [X.] ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Der Senat hat dem [X.] zur Auslegung der Art. 49, 54 AEUV und des Art. 4 der Verordnung ([X.]) Nr. 1346/2000 des Rates
vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren

EuInsVO

in Bezug auf § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG in der Fassung vor Inkrafttreten des [X.]
(MoMiG, inhaltsgleich mit der Neufassung)
folgende Fragen vorgelegt ([X.] vom 2. Dezember 2014

[X.], [X.], 92):
a)
Betrifft eine Klage vor einem [X.]n Gericht, mit der ein Direktor einer [X.], über deren Vermögen in [X.] nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO das [X.] eröffnet worden ist, vom Insolvenzverwalter auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen wird, die er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach 2
3
4
5
-
4
-
Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet hat, das deut-sche Insolvenzrecht im Sinne des Art. 4 Abs. 1 EuIns-VO?
b)
Verstößt eine Klage der vorstehenden Art gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV?

Der Gerichtshof hat dazu festgestellt ([X.], 2468):
1.
Art. 4 EuInsVO ist dahin auszulegen, dass in seinen An-wendungsbereich eine Klage vor einem [X.]n Ge-richt fällt, mit der der Direktor einer Gesellschaft engli-schen oder [X.] Rechts, über deren Vermögen in [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, vom Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft auf der Grundlage einer nationalen Bestimmung wie § 64 Abs. 2 Satz
1 [X.] auf Ersatz von Zahlungen in [X.] genommen wird, die der Direktor vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach dem [X.]punkt, auf den der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit festgesetzt [X.], geleistet hat.
2.
Die Art. 49 AEUV und 54 AEUV stehen der Anwendung einer nationalen Vorschrift wie §
64 Abs.
2 Satz
1 [X.] auf den Direktor einer Gesellschaft engli-schen oder [X.] Rechts, über deren Vermögen in [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, nicht entgegen.

Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg. Die [X.] ist verpflichtet, die Klagefor-derung an den Kläger zu zahlen.
6
7
-
5
-
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die
[X.] sei nach §
64 Abs.
2 [X.] zur Zahlung von [X.] in [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, anwendbar. Das ergebe sich aus Art.
4 Abs.
1 EuInsVO und verstoße nicht gegen den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 49 AEUV.
Die [X.] habe in der [X.] vom 11.
Dezember 2006 bis zum 26.

Inhaberin des "Auftrags-
und Montageservice S.

K.

". Den entsprechenden Vor-trag des Klägers habe die [X.] nicht substantiiert
bestritten. Das hätte sie aber tun müssen, nachdem sie beim Kläger Einblick in die Geschäftsunterlagen genommen habe.
Die Schuldnerin sei ab dem 1. Oktober 2006 zahlungsunfähig. Das [X.] sich aus den vom Kläger vorgelegten [X.] zum 1. Oktober und 1. November 2006. Dagegen habe die [X.] nichts Erhebliches vorgebracht. Jedenfalls habe der Kläger aufgrund von Indizien nachgewiesen, dass die Schuldnerin ihre Zahlungen ab dem 1. Oktober 2006 eingestellt habe. An der Zahlungsunfähigkeit ändere auch der Umstand nichts, dass die Schuldnerin

Der Anspruch sei nicht verjährt.
[X.] Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
1. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG aF sind die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung der Gesellschaft

oder nach Eröffnung 8
9
10
11
12
13
14
-
6
-
des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter

zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet worden sind. Zu Recht hat das Berufungsgericht diese Vorschrift auf die [X.] als die Direktorin einer
[X.] angewandt.
a) Der Zweck der Vorschrift besteht darin, Masseverkürzungen im [X.] des Insolvenzverfahrens zu verhindern und für den Fall, dass der [X.] seiner Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im [X.] zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesell-schaftsgläubiger zur Verfügung steht (ständige Rechtsprechung, siehe etwa [X.], Urteil vom 29.
November 1999

II
ZR
273/98, [X.]Z
143, 184, 186; Urteil vom 14.
Mai 2007

II
ZR
48/06, [X.], 1265, 1266; Urteil vom 5.
Mai 2008

II
ZR
38/07, ZIP
2008, 1229 Rn.
10; [X.]/[X.], ZHR
178 [2014], 387, 390
ff.). Damit wird von §
64 Abs.
2 Satz
1 [X.] im Regelfall nicht ein Schaden der Gesellschaft erfasst, sondern ein Schaden der künftigen [X.]. Die verbotswidrigen Zahlungen dienen in der Regel der Erfül-lung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft und führen bei dieser nur zur [X.] der Bilanzsumme, nicht aber zu einem Vermögensschaden. Verringert wird nur die Insolvenzmasse in dem nachfolgenden Insolvenzverfahren, was zu einem Schaden allein der Insolvenzgläubiger führt ([X.], Urteil vom 20.
September 2010

II
ZR
78/09, [X.], 1988 Rn.
14

Doberlug;
[X.]/[X.], [X.], 957, 959; [X.] in [X.][X.], GmbHG, 18. Aufl., § 64 Rn. 4). Die Haftung nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG aF setzt im Regelfall die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus. Es ist dann Sache des Insolvenzverwalters, den Anspruch geltend zu machen.

15
-
7
-
Dieser Gesetzeszweck trifft auf beide Gesellschaftsformen zu. Sowohl in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung als auch in der [X.] haften die Gesellschafter grundsätzlich nicht mit ihrem persönlichen Vermögen für die Ge-sellschaftsschulden. In beiden Gesellschaftsformen werden die Geschäfte von einer dafür verantwortlichen, nicht notwendig auch als Gesellschafter beteiligten Person geführt. Bei beiden Gesellschaftsformen besteht die Gefahr, dass der Geschäftsführer oder der Direktor nach Insolvenzreife Zahlungen zu Lasten der späteren Insolvenzgläubiger leistet und damit die Insolvenzmasse verkürzt. Diese Umstände rechtfertigen es, den Geschäftsführer [X.]n Rechts und den Direktor [X.] oder [X.] Rechts in
Bezug auf die Haftung bei derartigen Zahlungen gleichzubehandeln (zustimmend [X.], [X.] 2015, 1087 ff.; Schall, [X.], 289 ff.; [X.], [X.] 2016, 281 ff.; von
Wilcken, [X.] 2016, 225 f.; [X.]/[X.], NJW 2016, 225; [X.], EWiR 2016, 67).
b) Diese Rechtsanwendung steht nicht in Widerspruch zum Unionsrecht.
Der [X.] hat vielmehr festgestellt, dass § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG
aF
auch auf Direktoren einer
[X.] anwendbar sei, über deren Vermögen im Inland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
2. Die übrigen Voraussetzungen einer Haftung aus § 64 Abs. 2 GmbHG aF sind erfüllt.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die [X.] die streitigen Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen zu einer [X.] veranlasst hat, zu der die Schuldnerin schon zahlungsunfähig und damit insolvenzreif war. Es hat [X.] nicht festgestellt, dass die Zahlungen ausnahmsweise mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns im Sinne des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG aF vereinbar waren oder aus sonstigen Gründen nicht zu einer Haftung nach §
64 Abs. 2 Satz 1 [X.] geführt haben. Das Verschulden des Geschäfts-16
17
18
19
20
-
8
-
führers wird bei dieser Sachlage vermutet (vgl. [X.], Urteil vom 19.
Juni 2012

[X.], [X.], 1557 Rn. 10).
Dagegen wehrt sich die Revision nicht. Auch sonst sind insoweit keine Rechtsfehler zu erkennen.
Der Anspruch ist auch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist beträgt nach §
43 Abs. 4 GmbHG in Verbindung mit § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG [X.]. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Normen kommt entgegen der [X.] der Revision eine analoge Anwendung der drei-
bzw. zehnjährigen [X.] nach den allgemeinen Bestimmungen der §§
195, 199 BGB nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die [X.] durch die Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs gehemmt worden ist.

Bergmann

Strohn

[X.]

[X.]

Sunder
Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 07.09.2012 -
9 O 441/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 17.07.2013 -
2 U 815/12 -

21

Meta

II ZR 119/14

15.03.2016

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.03.2016, Az. II ZR 119/14 (REWIS RS 2016, 14527)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14527

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II ZR 119/14 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzverschleppung bei einer private company limited by shares: Persönliche Haftung ihres Directors


II ZR 119/14 (Bundesgerichtshof)

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung der EG-Verordnung über das Insolvenzverfahren und zur Niederlassungsfreiheit: Anwendbarkeit …


II ZR 119/14 (Bundesgerichtshof)


II ZR 171/10 (Bundesgerichtshof)

Haftung des GmbH-Geschäftsführers bei Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit: Pflicht zur Einholung fachkundiger Beratung bei …


II ZR 243/11 (Bundesgerichtshof)

Haftung des GmbH-Geschäftsführers: Pflicht zur laufenden Beobachtung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

II ZR 119/14

II ZR 243/11

II ZR 78/09

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.