Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2013, Az. I ZB 39/13

I. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2863

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I [X.]
vom
12. September 2013
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
nein

Klageerhebung an einem dritten Ort
ZPO §§ 32, 35, 91 Abs. 2 Satz 1
Ein die Kostenerstattung gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausschließender Rechtsmissbrauch liegt nicht allein darin, dass der im Ausland ansässige Kläger das ihm gemäß § 35 ZPO zustehende Wahlrecht dahin ausübt, dass er weder am Gerichtsstand des Beklagten noch am Sitz seines Prozessbevollmächtigten klagt, sondern bei einem dritten, sowohl vom Sitz des klägerischen Prozessbevollmäch-tigten als auch vom Wohnsitz des Beklagten weit entfernten Gerichtsort.
[X.], Beschluss vom 12. September 2013 -
I [X.] -
LG [X.] I

AG [X.]

-
2
-

Der I.
Zivilsenat des [X.] hat am
12.
September
2013
durch [X.]
Dr.
Dr.
h.c.
[X.] und [X.],
Prof. Dr.
Schaffert,
Dr.
Koch
und Dr.
Löffler
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des [X.]
wird der
Beschluss des Land-gerichts [X.] I
-
13. Zivilkammer
-
vom 21. März 2013
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht
zurückver-wiesen.
Gegenstandswert:
251 .
Gründe:
I.
Der in [X.] ansässige Kläger hat den
Beklagten, der seinen Wohnsitz im Bezirk des [X.] hat, vor dem Amtsgericht [X.]
Filmwerks in einem dezentralen Computernetzwerk in Anspruch genommen. Mit der Prozessvertretung beauftragte der Kläger einen in [X.] ansässigen [X.]. Nach dem zwischen den [X.]en zustandegekommenen Vergleich
hat der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
1
-
3
-

Im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens hat der Kläger Fahrtkosten in

h-Festsetzung von Fahrtkosten für eine Geschäftsreise bei Nutzung eines eigenen Kraftfahrzeu--

Das Amtsgericht hat die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten abgelehnt. Die dage-gen gerichtete sofortige Beschwerde des [X.] hat das [X.]. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt
der Kläger
sein
Be-gehren weiter.
II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die Reisekosten des Pro-zessbevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht [X.] waren und deshalb nicht erstattungsfähig sind. Der im Ausland ansässige Klä-ger habe das ihm gemäß § 35 ZPO zustehende Wahlrecht dahin ausgeübt, dass er weder am Gerichtsstand des Beklagten noch am Sitz seines Prozessbevoll-mächtigten geklagt habe, sondern bei einem dritten, sowohl vom Sitz des klägeri-schen Prozessbevollmächtigten als auch vom Wohnsitz des Beklagten weit ent-fernten Gerichtsort. Ein derartiges Vorgehen müsse als rechtsmissbräuchlich an-gesehen werden. Es sei regelmäßig davon auszugehen, dass eine Sachaufklä-rung bei allen zur Wahl stehenden Gerichtsständen in gleicher Weise geschehen könne. Deshalb sei als Kriterium für die Ausübung des
Wahlrechts
allein der Ge-sichtspunkt der kostengünstigsten Geltendmachung maßgebend.
III. [X.] ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
ZPO) und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie
ebenfalls Erfolg.
Die
Beurteilung
des [X.]
hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1.
Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind Reisekosten eines Rechtsanwalts
der obsiegenden [X.], der nicht in dem Bezirk des [X.] niedergelas-2
3
4
5
-
4
-

sen ist und am Ort des [X.] auch nicht wohnt,
nur insoweit zu erstat-ten, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechts-verteidigung notwendig war. Bei der Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Pro-zesskosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, kommt es darauf an,
ob eine verständige und wirtschaftlich ver-nünftig handelnde
[X.] die die Kosten auslösende Maßnahme aus der Sicht ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die [X.] ihr berechtigtes Inte-resse verfolgen und
die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Sie ist lediglich gehalten,
unter mehreren gleichartigen [X.] die kostengünstigste auszuwählen. Bei der Prüfung der Notwendigkeit ei-ner bestimmten Maßnahme ist zudem eine typisierende Betrachtungsweise gebo-ten. Denn der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten wer-den kann, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs-
oder Verteidi-gungsmaßnahme zu erstatten sind oder nicht ([X.], Beschluss vom [X.] 2004 -
I [X.], [X.], 505, 507 =
NJW-RR 2005, 725

Baseball-Caps,
mwN).
2.
Nach diesen Maßstäben
kann die
Erstattungsfähigkeit der geltend ge-machten Kosten nicht deswegen verneint werden, weil der im Ausland ansässige
Kläger
keinen am Gerichtsstand des Beklagten ansässigen Prozessbevollmächtig-ten gewählt hat (dazu unter a). Er war auch nicht gehalten, die
ihm nach den Fest-stellungen des [X.] zustehende Wahlfreiheit gemäß §§ 32, 35 ZPO dahin auszuüben, die Klage am Sitz seines Prozessbevollmächtigten
oder am Gerichtsstand des Beklagten
zu erheben (dazu unter b).
a) Es entsprach den berechtigten Interessen des [X.], einen
in [X.] [X.] Rechtsanwalt mit der Prozessvertretung zu betrauen. Für eine ausländi-6
7
-
5
-

sche [X.] ist es grundsätzlich unzumutbar, zunächst das für den Fall örtlich zu-ständige Gericht zu ermitteln und hiernach ihren [X.] Rechtsanwalt auszu-suchen ([X.], Beschluss vom 1.
Dezember 2008
17
W
211/08, juris Rn.
18).
Die ausländische [X.] kann die Auswahl ihres inländischen [X.] vielmehr -
wie die inländische [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 16.
April 2008 -
XII [X.], [X.], 2122 Rn.
14; Beschluss vom 13. Sep-tember 2011 -
VI [X.], NJW 2011, 3520 Rn.
8; [X.].ZPO/[X.], 4.
Aufl.,
§ 91
Rn. 62) -
nach dem Gesichtspunkt des Vertrauens
in die Bereitschaft und Fähigkeit des Rechtsanwalts zur optimalen Vertretung
ihrer Belange vor [X.] vornehmen, ohne dass ihr daraus grundsätzlich kostenrechtliche Nachteile erwachsen.
Dabei kommt bei einer ausländischen [X.] naturgemäß eine Decke-lung der zu erstattenden Reisekosten dahingehend, dass eine Erstattung nur bis zur Höhe der
fiktiven Reisekosten eines am Wohn-
oder Geschäftsort der [X.] ansässigen Rechtsanwalts vorgenommen wird (vgl. [X.], NJW 2011, 3520 Rn. 9 mwN), nicht in Betracht. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise ist regelmäßig
davon auszugehen, dass eine ausländische [X.] ihren inländischen Rechtsanwalt auswählt, weil sie sich von ihm eine
vertrauensvolle Zusammenar-beit und
optimale Prozessvertretung verspricht. Konkrete Anhaltspunkte,
die im Streitfall dafür sprechen könnten, dass der Kläger die Auswahl seines [X.] vorwiegend aus anderen, sachfremden Erwägungen vorgenommen hat, sind vom Beschwerdegericht nicht festgestellt
worden.
b) Die Erstattung der geltend gemachten Reisekosten ist auch nicht deswe-gen zu verneinen, weil der Kläger sein im Streitfall gemäß §§ 32,
35 ZPO [X.] Wahlrecht nicht dahin ausgeübt hat, die Klage entweder am Wohnsitzge-richtsstand des Beklagten
oder am Sitz seines Prozessbevollmächtigten zu erhe-ben.
8
-
6
-

aa) Gemäß § 35 ZPO hat der Kläger die Wahl unter
mehreren zuständigen Gerichten, ohne dass das Gesetz das Wahlrecht an weitere Voraussetzungen knüpft. Die Wahlfreiheit besteht deshalb bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs im Einzelfall
unabhängig
davon, welcher Gerichtsstand die geringsten Kosten für den
Gegner verursachen würde (vgl. [X.].ZPO/[X.] aaO §
35 Rn.
3; [X.]/[X.], ZPO, 30. Aufl., § 35 Rn. 4; [X.], ZPO, 22.
Aufl., §
35 Rn. 5; [X.] in [X.], ZPO, 34.
Aufl., § 35 Rn. 1; Musielak/[X.], ZPO, 10. Aufl., § 35
Rn. 4). Dies ist bei der Frage zu berücksichtigen, ob der Anspruch des [X.] auf Erstattung von Prozesskosten
typischerweise be-reits deshalb zu kürzen ist, weil er nicht den
Gerichtsstand gewählt hat, der für den Fall seines Obsiegens die geringsten Kosten
für die beklagte [X.] verursachen würde
([X.], [X.] 1999, 638;
[X.], Beschluss vom 1. Dezember 2008 -
17 [X.], juris Rn. 23; [X.], [X.], 749). Um einen Wertungswiderspruch zur
gesetzlich eingeräumten
Wahlfreiheit nach § 35 ZPO zu vermeiden, kommt eine Versagung
der Kostenerstattung vielmehr erst dann
in Be-tracht, wenn sich die [X.] des [X.] im Einzelfall als rechtsmiss-bräuchlich darstellt.
bb) Von diesen
Grundsätzen ist im Ausgangspunkt auch das Beschwerdege-richt ausgegangen. Seine Annahme, eine
rechtsmissbräuchliche
Ausübung des Wahlrechts sei
unter Kostengesichtspunkten bereits dann zu bejahen, wenn der Rechtsstreit bei einem Gericht anhängig gemacht werde, das sowohl vom Sitz des klägerischen Prozessbevollmächtigten als auch
des Beklagten weit entfernt liege, hält einer rechtlichen Überprüfung allerdings nicht stand.
Das Beschwerdegericht berücksichtigt nicht hinreichend, dass die
kosten-rechtliche
Obliegenheit der möglichst sparsamen Prozessführung
nicht uneinge-schränkt
gilt. Wie bereits dargelegt wurde, darf die [X.] vielmehr ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen 9
10
11
-
7
-

Schritte ergreifen. Sie ist lediglich gehalten, unter mehreren gleichartigen
[X.] die kostengünstigste auszuwählen. Insoweit sind Gesichtspunkte denk-bar, die aus der Sicht ex ante einer verständigen
und wirtschaftlich vernünftig handelnden
[X.] eine Klageerhebung an einem dritten Ort
als sachdienlich er-scheinen lassen. So kann es zu
den berechtigten
Interessen des [X.] gehören, bei der ihm gesetzlich eingeräumten
Wahl des Gerichtsstandes zu berücksichti-gen, ob ein
Gericht
nach Einschätzung seines Prozessbevollmächtigten bereits Erfahrungen in dem für sein Klagebegehren maßgebenden Sach-
oder Rechtsge-biet aufweist oder sogar spezialisierte Spruchkörper gebildet hat. Dass eine Spe-zialisierung des Gerichts der sachlichen Förderung oder schnelleren Erledigung von Rechtsstreitigkeiten dienen kann, ist vom Gesetzgeber ausdrücklich aner-kannt (vgl. § 140 Abs. 2 [X.]; § 105 [X.]; § 92 GWB; § 143 Abs. 2 [X.]; § 13a [X.]) und kann
von der klagenden [X.] auch sonst bei der Auswahlent-scheidung gemäß §
35 ZPO zugrunde gelegt werden, ohne dass dies zu [X.] führt.
Ebenso ist es grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich,
sondern entspricht seinem berechtigten Interesse an einer erfolgreichen Rechtsdurchset-zung, wenn der Kläger
aus prozesstaktischen Erwägungen einen Gerichtsstand wählt, an dem nach Einschätzung seines Prozessbevollmächtigten für sein kon-kretes Begehren voraussichtlich die besten Erfolgsaussichten bestehen (vgl. [X.], NJW-RR 2007, 763, 764; [X.]/[X.] aaO § 35 Rn. 4). Dass auch der Gesetzgeber eine [X.] bei dem für den Kläger günstigs-ten Gericht nicht bereits für sich genommen als
rechtsmissbräuchlich ansieht, ergibt sich daraus, dass er -
allein für urheberrechtliche Klagen gegen
Verbrau-cher
-
plant, durch die Einführung eines § 104a [X.] den durch §§ 32, 35 ZPO eröffneten

abzuschaffen
(vgl. Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes gegen unseriöse [X.], BT-Drucks. 17/14216, Seite 9).
-
8
-

Da der nach diesen Gesichtspunkten vom Kläger ausgewählte Gerichtsstand
naturgemäß auch ein Ort
sein
kann, der weder mit dem Gerichtsstand des [X.] noch mit dem des Sitzes seines
Prozessbevollmächtigten übereinstimmt, son-dern unter Umständen weit von diesen entfernt liegt, ist dieser Umstand für sich allein nicht geeignet, eine
rechtsmissbräuchliche
Ausübung des Wahlrechts ge-mäß §
35 ZPO
anzunehmen. Es fehlt auch im Übrigen an Gesichtspunkten, die für einen Rechtsmissbrauch sprechen. Bei der gebotenen typisierenden Betrach-tungsweise ist regelmäßig davon auszugehen, dass die klagende [X.] ihre
Aus-wahlentscheidung gemäß § 35 ZPO an ihren
berechtigten Interessen ausrichtet.
Die ausnahmsweise Annahme eines
rechtsmissbräuchlichen Vorgehens
bedarf der Feststellung von sachfremden Erwägungen, die nach allgemeinen Grundsät-zen vom Prozessgegner
konkret dargelegt werden müssen (vgl. [X.] in [X.]/[X.], UWG, 31. Aufl., §
8 Rn.
4.25). Im Streitfall sind solche Umstände vom Beschwerdegericht nicht festgestellt worden.
12
-
9
-

IV. Das Beschwerdegericht hat -
von seinem Standpunkt aus folgerichtig -
keine Feststellungen dazu getroffen, ob die vom Kläger geltend gemachten Reise-kosten hinreichend belegt worden sind. Es wird dies nunmehr unter Berücksichti-gung des Vortrags der [X.]en nachzuholen haben.
[X.] Pokrant Schaffert

Koch

Löffler
Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 04.10.2012 -
142 C 3168/12 -

LG [X.] I, Entscheidung vom 21.03.2013 -
13 [X.] -

13

Meta

I ZB 39/13

12.09.2013

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2013, Az. I ZB 39/13 (REWIS RS 2013, 2863)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2863

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I ZB 40/13 (Bundesgerichtshof)


I ZB 42/13 (Bundesgerichtshof)


I ZB 39/13 (Bundesgerichtshof)

Reisekostenerstattung: Rechtsmissbräuchliche Ausübung des Wahlrechts unter mehreren Gerichtsständen durch ausländischen Kläger - Klageerhebung an einem …


XI ZB 13/11 (Bundesgerichtshof)


XI ZB 13/11 (Bundesgerichtshof)

Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten: Rechtsanwalt am dritten Ort


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

I ZB 39/13

VI ZB 9/10

17 W 211/08

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.