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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Lückenhafte Beweiswürdigung im Strafverfahren: Möglichkeit eines alternativen Handlungsablauf
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.]vom 18. September 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.]dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des [X.]zurückverwiesen.
Das [X.]hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; denn die Beweiswürdigung des [X.]enthält eine rechtlich erhebliche Lücke.
Das [X.]hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau Nuran C., dem späteren Tatopfer, kam es zum wiederholten Male in der Ehewohnung zu einem Streit. Der Angeklagte zog sich daraufhin in das Schlafzimmer zurück. Der gemeinsame [X.]Akin C. beschloss, mit dem Angeklagten über den Vorfall zu reden, und begab sich zu diesem. Zwischen beiden entwickelte sich eine tätliche Auseinandersetzung, bei der Akin C. dem Angeklagten durch Schläge mit einer Ketchupflasche eine Platzwunde an der Stirn beibrachte. Sodann floh Akin C. in das Kellergeschoss des Hauses. Der Angeklagte holte eine mit acht Patronen geladene Pistole aus dem Schlafzimmerschrank, um seinem [X.]damit Angst einzujagen. Er bemerkte sodann, dass dieser die Wohnung bereits verlassen hatte, und begab sich in das Badezimmer, um seine heftig blutende Wunde zu versorgen. Der schon stark erregte Angeklagte empörte sich beim Anblick seiner Verletzung noch mehr und ärgerte sich nunmehr auch über seine Ehefrau, weil er fälschlicherweise davon ausging, sie habe den [X.]auf ihn gehetzt. Daraufhin steigerte sich das ohnehin bereits vorhandene [X.]gegen seine Ehefrau und er beschloss, sie mit der Pistole zu erschießen. Er verließ das Bad und traf im [X.]auf seine Ehefrau. Diese wich in das Kinderzimmer zurück. Der Angeklagte folgte ihr und schoss [X.]auf sie. Während des Tatgeschehens schrien der Angeklagte sowie Nuran C. laut, wobei der Angeklagte ausrief "Ich bring Dich um!". Nuran C. wurde von sechs Kugeln getroffen und verstarb trotz einer Notoperation an den Schussverletzungen. Nach der Tat warf der Angeklagte die Pistole auf das Bett im Schlafzimmer und verließ die Wohnung.
1. Die Beweiswürdigung, auf der die tatgerichtliche Überzeugung beruht, der Angeklagte habe entgegen seiner Einlassung den [X.]bereits im Badezimmer getroffen, hält [X.]Nachprüfung nicht stand.
a) Die Würdigung der erhobenen Beweise obliegt allein dem Tatrichter; sie kann vom Revisionsgericht auf die Sachrüge nur darauf überprüft werden, ob sie Rechtsfehler aufweist (zum Maßstab revisionsrechtlicher Kontrolle vgl. im Einzelnen BGH NJW 2005, 2322, 2326). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist und das Tatgericht sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt.
b) So liegt der Fall hier. Das [X.]hat ausgeschlossen, dass der Angeklagte den Vorsatz, seine Ehefrau zu töten, erst dann fasste, nachdem er das Badezimmer verlassen hatte. Zur Begründung hat es lediglich darauf abgestellt, die Einlassung des Angeklagten sei widerlegt, seine Ehefrau habe ihn zu diesem Zeitpunkt mit den Worten "Ich scheiß dir in den Mund! Verrecke!" beleidigt, worauf er "schwarz gesehen" habe. Dies reicht hier nicht aus. Das [X.]hätte aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles auch die Möglichkeit in seine Würdigung einbeziehen müssen, dass der ohnehin stark verärgerte Angeklagte sich erst zur Tötung seiner Ehefrau entschloss, als er nach Verlassen des Badezimmers im [X.]auf diese traf, ohne dass sie den Angeklagten beleidigte. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte die Pistole ursprünglich mit sich, um seinem [X.]zu drohen. Objektive Anhaltspunkte dafür, wann er dieses Vorhaben aufgab und den Vorsatz fasste, seine Ehefrau zu erschießen, sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. Das Tatgeschehen im engeren Sinne weist - auch nach der Wertung des [X.](s. UA S. 58) - deutliche Merkmale einer Spontantat auf. Unter diesen Umständen liegt die Möglichkeit, dass der Angeklagte auch ohne zusätzliche Provokation durch seine Ehefrau den Tötungsvorsatz erst nach Verlassen des Badezimmers fasste, jedenfalls nicht ferner als diejenige, dass er sich bereits zuvor zu ihrer Tötung entschlossen hatte.
2. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Rechtsfehler. Nach der Würdigung des [X.]handelte der Angeklagte gerade deshalb heimtückisch und erfüllte damit ein Tatbestandsmerkmal des § 211 StGB, weil er den Tötungsvorsatz fasste, während er im Badezimmer verweilte. Nuran C. sei arglos und aufgrund der räumlichen Verhältnisse in der Wohnung auch wehrlos gewesen. Der Angeklagte habe diese Umstände bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt. Als er sich vor der Tat im Badezimmer überlegt habe, seine Ehefrau zu erschießen, sei ihm klar gewesen, dass diese nicht mit einem Angriff gerechnet und, sobald der Angeklagte das Badezimmer verlassen habe, keine Fluchtmöglichkeit mehr haben werde. Ein sonstiges Mordmerkmal ist nicht festgestellt.
Becker von Lienen Sost-Scheible
Schäfer Mayer
Meta
04.02.2010
Bundesgerichtshof 3. Strafsenat
Beschluss
Sachgebiet: StR
vorgehend LG Hildesheim, 18. September 2009, Az: 12 Ks 17 Js 7092/09, Urteil
§ 261 StPO, § 211 StGB, § 212 StGB
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.02.2010, Az. 3 StR 564/09 (REWIS RS 2010, 9685)
Papierfundstellen: REWIS RS 2010, 9685
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
3 StR 564/09 (Bundesgerichtshof)
1 StR 647/12 (Bundesgerichtshof)
Rücktritt vom Tötungsversuch: Abgrenzung zwischen beendetem, unbeendetem und fehlgeschlagenem Versuch bei einem durch Zäsuren gekennzeichneten …
2 StR 26/11 (Bundesgerichtshof)
1 StR 647/12 (Bundesgerichtshof)
5 StR 80/23 (Bundesgerichtshof)
Bedingter Tötungsvorsatz bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen
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