Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2017, Az. 1 StR 367/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 6268

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:230817B1STR367.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 367/17

vom
23. August
2017
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchten Mordes u.a.

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und des [X.]

zu 2. auf dessen Antrag

am 23.
August
2017
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. Januar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in [X.] mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun [X.] und zehn Monaten verurteilt und von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
1
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3
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Die [X.] der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ge-mäß § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil zu besorgen ist, dass das [X.] rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
1. Der vom [X.] beauftragte Sachverständige hat bei dem Ange-klagten einen Missbrauch im Sinne eines schädlichen Gebrauchs von Alkohol diagnostiziert, der die Schwelle zum Abhängigkeitssyndrom (noch) nicht errei-che. Im Falle des Aufstauens unverarbeiteter Eindrücke bewirke der Alkohol bei ihm eine Mobilisierung der Gefühle. Dies begründe eine hohe Affinität des [X.] zu Alkohol. Unter Alkoholeinfluss zeigten sich bei ihm wesensfremde aggressive Verhaltensweisen, über die er sich auch durchaus im Klaren sei. Der Angeklagte konsumiere regelmäßig an den Wochenenden Alkohol. Bei ihm bestehe bereits eine deutliche Toleranzentwicklung bezüglich
alkoholbedingter Auswirkungen; diese setze sich allerdings nicht bis in höchste Konsumbereiche fort, sondern verbleibe im Bereich einer Alkoholisierung zwischen 1,5 und
2 Promille. Es fehle außerdem an einem überdauernden starken Suchtdruck und einer ausgeprägten Einengung des eigenen [X.]. Die zen-tralen Lebensbereiche des Angeklagten

Arbeit, Fußball und Führerschein

würden nicht von seinem Alkoholkonsum dominiert. Bemerkenswert sei auch seine Fähigkeit, den Alkoholkonsum in diesen Bereichen zu begrenzen und so auch über längere Zeiträume hinweg abstinent zu bleiben. Dennoch spiele der Alkohol im Leben des Angeklagten eine wichtige Rolle. Eine Grundbereitschaft zur Abstinenz bestehe trotz negativer Erfahrungen und aggressiver [X.] nicht. Zu [X.] komme es nur dann, wenn der Ange-klagte bestimmte Ziele verfolge, die ihm wichtiger als der Alkoholkonsum seien ([X.]). Zwar habe der Alkoholkonsum keinerlei Auswirkungen auf die Gesundheit, Arbeits-
und Leistungsfähigkeit des Angeklagten gehabt. Aller-2
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4
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dings sei die Tat ohne die Alkoholisierung des Angeklagten nicht vorstellbar und widerspreche seinem übrigen bürgerlichen Lebensentwurf. Vor dem [X.] seiner Persönlichkeit, seiner hohen Affinität zu Alkohol, der Wirkung von Alkohol auf ihn und seiner Weigerung,
dauerhaft auf Alkohol verzichten zu wollen, insbesondere trotz bürgerlicher Sozialisation, [X.] Ächtung und strafrechtlicher Konsequenzen, lägen die Voraussetzungen einer [X.] Ge-fährlichkeit vor ([X.]
45).
2. Gleichwohl hat das [X.]

entgegen der Einschätzung des Sachverständigen

von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entzie-hungsanstalt nach § 64 StGB abgesehen, weil es einen übermäßigen Konsum von alkoholischen Getränken durch den Angeklagten nicht festzustellen ver-mochte. Insbesondere sei der Angeklagte in Anbetracht der konkreten [X.] weder sozial gefährdet noch gefährlich. Seine Neigung zu wesensfremdem und aggressivem Verhalten unter Alkoholeinfluss begründe seine [X.] Ge-fährlichkeit nicht. Er sei auch im alkoholisierten
Zustand in der Lage gewesen, oder Mannschaftsmitglieder attackiert und daher nicht haltlos und vollkommen unberechenbar agiert
([X.] 48).
3. Diese Ausführungen sind infolge eines zu engen Verständnisses eines Hanges im Sinne des § 64 StGB nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Für einen
Hang
ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung
noch nicht den Grad einer physischen Ab-hängigkeit
erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des
§
64
StGB
ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf 4
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5
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Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich [X.] (vgl.
[X.],
Beschluss
vom 14. Oktober 2015

1 StR 415/15;
Urteile
vom 10.
November 2004

2 [X.], NStZ 2005,
210 und vom 15. Mai 2014

3 [X.], [X.], 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den [X.] bereits die Gesundheit, Arbeits-
und Leistungs-fähigkeit
des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeu-tung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 1.
April 2008

4 StR 56/08, [X.], 198 und vom 14. Dezember 2005

1 [X.], NStZ-RR 2006,
103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem [X.] einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Han-ges aus ([X.], Beschlüsse vom 1. April 2008

4 StR 56/08, [X.], 198;
vom 2. April 2015

3 [X.]; vom 12. Januar 2017

1 [X.], [X.], 198 und vom 26. Januar 2017

1 [X.], [X.], 239).
b) Die Ausführungen des [X.] zum Hang begegnen [X.] rechtlichen Bedenken. Das [X.] hat hier die Anforderungen an das Vorliegen einer [X.] Gefährlichkeit
des Angeklagten überspannt. So-ziale Gefährlichkeit liegt typischerweise im Falle von Beschaffungskriminalität vor, ist hierauf jedoch nicht beschränkt. Denn es kommen auch andere Delikte als solche der Beschaffungskriminalität als Hangtaten in Betracht, wenn sich in ihnen die hangbedingte besondere Gefährlichkeit des [X.] zeigt (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 10. November 2015

1 [X.], [X.], 113 mwN). Vor diesem Hintergrund hätte die hohe Alkoholaffinität des Angeklagten und seine signifikant gesteigerte Aggressionsbereitschaft schon bei mittleren Alkoholmengen berücksichtigt werden müssen und zwar auch dann, wenn der Angeklagte zu längeren Abstinenzintervallen in der Lage ist. Er ist ausweislich 7
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der landgerichtlichen Feststellungen unter Alkoholeinfluss bereits zweimal straf-rechtlich in Erscheinung getreten und hat darüber hinaus mehrere tätliche Übergriffe unter anderem zum Nachteil seiner Eltern begangen.
4. Den getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die übrigen Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel nicht gegeben sind. Insoweit ist der Sachverständige vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass die übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB aus forensisch-psychiatrischer Sicht zweifelsfrei vorlägen ([X.] 45).
5. Die im Hinblick auf die [X.] der Maßregel getroffenen Feststellungen waren mit aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO), denn infolge des rechtsfehlerhaften Verständnisses zum Hangbegriff sind die dazu getroffenen Feststellungen ihrerseits nicht tragfähig.
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6. Das Verschlechterungsverbot steht einer Nachholung der [X.] nicht entgegen
(§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; [X.], Beschlüsse vom 26. Januar 2017

1 [X.], [X.], 239 und vom 25. No-vember 2015

1 StR 379/15, [X.], 113;
Urteil vom 10. April 1990

1 StR 9/90, [X.]St 37, 5, 9).
Raum Graf Radtke

Bär

Hohoff
10

Meta

1 StR 367/17

23.08.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2017, Az. 1 StR 367/17 (REWIS RS 2017, 6268)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 6268

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 367/17

3 StR 386/13

1 StR 604/16

1 StR 646/16

1 StR 482/15

1 StR 379/15

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