Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.11.2011, Az. XII ZR 78/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1148

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

XII ZR 78/11
Verkündet am:
23. November 2011
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
EG[X.] Art. 19, 20; [X.] § 1599
Zum anwendbaren Statut im Fall des sog. scheidungsakzessorischen [X.] nach §
1599 Abs.
2 [X.].

BGH, Urteil vom 23. November 2011 -
XII ZR 78/11 -
Kammergericht [X.]

AG Pankow/Weißensee

-
2
-
Der XII. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 23.
November 2011 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Hahne,
die Richterin Weber-Monecke
und
die Richter Dr.
Klinkhammer, Schilling und Dr.
Nedden-Boeger

für Recht erkannt:
Die Revision gegen
das Urteil des 3.
Senats -
Senat für Familien-sachen
-
des [X.] in [X.] vom 8.
Dezember 2010 wird auf Kosten des [X.]n zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer
vom [X.]n abgege-benen Vaterschaftsanerkennung.
Die Klägerin ist die Mutter des am 22.
Mai 2004 geborenen Kindes I.
Im Zeitpunkt der Geburt lebte sie mit ihrem früheren Ehemann in Scheidung. Diese drei Genannten sind [X.] Staatsangehörige.
Am 12.
Juli 2004 erkannte der [X.], der die [X.] Staatsangehö-rigkeit besitzt, die Vaterschaft des Kindes durch Jugendamtsurkunde an. Die Klägerin und ihr damaliger Ehemann erklärten
dazu ihre
Zustimmung.
Später wurde die erste Ehe geschieden. Die Parteien des [X.] heirateten 2006 1
2
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-
3
-
und trennten sich 2008. Seither bestreitet der [X.] seine biologische
Vater-schaft.
Das Standesamt hat die Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung beim Geburtseintrag des Kindes
unter Hinweis auf entgegenstehendes polni-sches Abstammungsrecht abgelehnt. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der [X.] die Vaterschaft wirksam anerkannt habe. Die Vorinstanzen
haben der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich der Beklag-te mit der
zugelassenen
Revision, mit der er die Klageabweisung weiter [X.].

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
Für das Verfahren ist gemäß Art.
111 Abs.
1 [X.] noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anzuwenden, weil der Rechtsstreit vor [X.] Zeitpunkt eingeleitet worden
ist
(vgl. Senatsbeschluss vom 3.
November 2010 -
XII
ZB
197/10
-
FamRZ 2011, 100).

I.
Das [X.] hat zur Begründung seiner in FPR 2011, 410 veröffentlichten Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die für die [X.] maßgebliche Rechtsordnung bestimme sich nach der Kollisi-onsnorm des Art.
19 EG[X.]. Knüpfe man gemäß Art.
19 Abs.
1 Satz
1 EG[X.]
an das [X.] oder gemäß Art.
19 Abs.
1 Satz
2 EG[X.] an das [X.] an, komme [X.]s 4
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6
7
-
4
-
Recht zur Anwendung, wonach die
qualifizierte Vaterschaftsanerkennung
des [X.]n gemäß §
1599 Abs.
2 [X.] wirksam sei. Knüpfe man hingegen ge-mäß Art.
19 Abs.
1 Satz
3 EG[X.] an das [X.] an, komme polni-sches Recht zur Anwendung, wonach die
Vaterschaftsanerkennung
unwirksam sei, weil das [X.] Recht eine
qualifizierte Vaterschaftsanerkennung
wäh-rend bestehender Ehe ohne vorherige Vaterschaftsanfechtung nicht kenne. [X.] den grundsätzlich gleichrangigen [X.] des Art.
19 Abs.
1 EG[X.] müsse die für das Kind günstigste gewählt werden. Das
sei nach dem [X.] grundsätzlich diejenige Rechtsordnung, die dem Kind einen Vater frühest möglich zuordne. [X.] sich hierbei kein Unterschied zwischen den in Frage kommenden Rechtsordnungen, sei nach dem Grundsatz der höchsten Abstammungswahrscheinlichkeit diejenige Rechtsordnung vorzu-ziehen, deren Regelungen dem Kind zu seinem "wirklichen"
Vater verhelfe, also
zu demjenigen Vater, für dessen biologische Vaterschaft die höchste Wahr-scheinlichkeit spreche. Das sei nach
einer
abgegebenen qualifizierten Vater-schaftsanerkennung, der
alle Beteiligten zugestimmt hätten,
derjenige
Mann, der die Vaterschaft anerkannt habe, weshalb hier das [X.] Recht [X.] sei.

II.
Das hält einer rechtlichen Überprüfung
im Ergebnis stand.

1. a) In der Ausgangslage bei der Geburt des Kindes war dieses nach beiden hier in Frage kommenden Rechtsordnungen nicht vaterlos: Sowohl nach [X.]m Recht (§
1592 Nr.
1 [X.]) wie
auch nach dem vom Berufungsge-richt festgestellten [X.]n Abstammungsrecht
bestand seit der Geburt
die rechtliche Vaterschaft des damaligen
[X.]n
Ehemanns
der Klägerin auf-8
9
-
5
-
grund bestehender Ehelichkeitsvermutung.
Wegen der insoweit übereinstim-menden [X.] bedurfte es einer kollisionsrechtlichen Festlegung
des Abstammungsstatuts
zu dem Zeitpunkt noch nicht.
b) [X.] trat erstmals mit der am 12.
Juli 2004 erklärten
qualifizierten
Vaterschaftsanerkennung auf. Denn ob
durch diese Rechtshandlung ein Statuswechsel eintrat
und die Vater-schaft des [X.]n begründet wurde, wird durch die in Frage kommenden Rechtsordnungen unterschiedlich beantwortet.
Nach der inländischen Sachnorm des §
1599 Abs.
2 [X.], deren gesetz-liche Voraussetzungen das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, wäre die vom [X.]n erklärte Vaterschaftsanerkennung wirksam. Dadurch wäre
der Statuswechsel eingetreten und es bestünde eine
Vaterschaft des [X.].
Nach den [X.]n [X.]
hingegen
wäre die vom [X.]n er-klärte Vaterschaftsanerkennung nicht möglich, da das vom Berufungsgericht festgestellte [X.] Recht eine Vaterschaftsanerkennung eines [X.] bestehender Ehe und daraus folgender Ehelichkeitsvermutung, solange diese nicht angefochten ist,
nicht kennt. Somit wäre weiterhin der frühere polni-sche Ehemann als Vater anzusehen.
Für die Wirksamkeit der qualifizierten Vaterschaftsanerkennung
kommt es somit darauf an, welche der in Frage kommenden Rechtsordnungen
zur An-wendung berufen ist.

2. Bei der Bestimmung des Abstammungsstatuts ist zu beachten, dass die qualifizierte Vaterschaftsanerkennung nach §
1599 Abs.
2 [X.]
aus zwei Komponenten besteht und nicht nur die Anerkennung der Vaterschaft, sondern 10
11
12
13
14
-
6
-
auch die Beseitigung der bestehenden Vaterschaft beinhaltet (sogenannter scheidungsakzessorischer Statuswechsel).
Durch dieses
zum 1.
Juli
1998 eingeführte Verfahren eröffnet das Gesetz einen erleichterten Wechsel der väterlichen Abstammung, der im Gegensatz zur vorausgegangenen Rechtslage keiner Mitwirkung des (Familien-)Gerichts und auch keiner Beteiligung des Kindes mehr bedarf. Der Statuswechsel beruht vielmehr weitgehend auf dem entsprechenden Willen der (rechtlichen) Eltern und eines anerkennungsbereiten Dritten. Anstelle der gerichtlichen Überprüfung der biologischen Vaterschaft ist die vom Gesetz vorausgesetzte hinreichende Wahrscheinlichkeit der Nichtvaterschaft des Ehemannes bei einer Geburt des Kindes nach Anhängigkeit des Scheidungsantrags getreten. Diese Regelung hat die nach früherer Rechtslage -
nach der Scheidung
-
erforderliche Anfech-tung der Ehelichkeit (nunmehr: Vaterschaft) ersetzt und fasst diese mit der an-schließenden Anerkennung zusammen. Nach der früheren Rechtslage war zur Beseitigung der bestehenden Vaterschaft ein gerichtliches (Anfechtungs-)Ver-fahren erforderlich, an dem vor allem auch das von dem Statuswechsel be-troffene Kind notwendig zu beteiligen war und das eine gerichtliche Prüfung der biologischen Vaterschaft voraussetzte (zur Entstehung und rechtspolitischen Kritik s. [X.]/Rauscher [X.]
[2011] §
1599 Rn.
4
ff.; [X.] Neues Kindschaftsrecht Rn.
70
ff.
sowie [X.] FamRZ 1999, 7).
a) Die wesentliche Besonderheit der geltenden Regelung besteht somit darin, dass die mit der Geburt eingetretene Vaterschaft nunmehr ohne gerichtli-ches Verfahren beseitigt werden kann und die Neuregelung mit dem [X.] insoweit dieselben Rechtsfolgen hat wie ein -
auch nach heutiger Rechtslage noch mögliches
-
Anfechtungsverfahren.
Das zeigt sich etwa, wenn der anerkennende Dritte später seine Vaterschaft anficht. In diesem Fall lebt nicht etwa die Vaterschaft des früheren Ehemanns wieder auf, sondern wird 15
16
-
7
-
das Kind vaterlos ([X.]/Rauscher [X.]
[2011] §
1599 Rn.
111).
Es han-delt sich somit um einen besonders ausgestalteten Anfechtungstatbestand, der die Vaterschaft beseitigt ([X.] Neues Kindschaftsrecht Rn.
74).

Da die Regelung in §
1599 Abs.
2 [X.] das früher erforderliche Anfech-tungsverfahren ersetzt hat und in der Sache zu ähnlichen Wirkungen wie eine Vaterschaftsanfechtung führt, ist dementsprechend für das anwendbare Statut auf den Rechtsgedanken des Art.
20 EG[X.]
zurückzugreifen, der eine auf die Beseitigung der Abstammung zugeschnittene Regelung enthält. Die Vorschrift bezieht sich zwar auf die Anfechtung in einem Gerichtsverfahren und ist somit nicht unmittelbar anzuwenden. Sie enthält aber in der Sache eine allgemeine Regelung des Problems, dass mehrere in Betracht kommende Abstammungs-statute an die Beseitigung der rechtlichen Abstammung unterschiedliche Anfor-derungen stellen. Der in der Regelung zum Ausdruck kommende [X.] der Wahlfreiheit (dazu [X.]/Henrich [X.]
[2008] Art.
20 EG[X.] Rn.
12
ff.) ist auch für die Beseitigung der Abstammung durch übereinstimmen-de Erklärungen heranzuziehen. Diese ist der Sache nach mit einer Anfechtung der Vaterschaft in vereinfachter Form vergleichbar und ist bei der am 1.
Juli 1998 in [X.] getretenen Gesetzesänderung im Hinblick auf das internationale Privatrecht
nicht
berücksichtigt worden.
Nach Art.
20 Satz
1 EG[X.]
kann die Abstammung nach jedem Recht angefochten werden, aus dem sich ihre Voraussetzungen ergeben. Abzustellen ist hierbei auf die jeweilige zur Anfechtung berechtigte Person. Da sich die Vo-raussetzungen der Vaterschaft des früheren Ehemannes der Klägerin
-
wie oben ausgeführt
-
sowohl aus dem [X.]n wie auch aus dem [X.]n Recht ergaben, stand es sowohl der Klägerin als auch ihrem früheren Ehemann als Anfechtungsberechtigten offen, für die Beseitigung der Abstammung das [X.] Recht zu wählen. Demnach hatte insbesondere der frühere Ehemann 17
18
-
8
-
der Klägerin die Wahl, ob er sich statt eines nach [X.]m (oder [X.]m) Recht durchzuführenden Anfechtungsverfahrens an dem im [X.]n Recht erleichterten Statuswechsel nach §
1599 Abs.
2 [X.] beteiligte, indem er seine Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung durch den [X.]n erteilte und damit eine gerichtliche Vaterschaftsanfechtung entbehrlich
machte.
Demnach ergibt sich das anwendbare Statut im Hinblick auf die in dem Statuswechsel nach §
1599 Abs.
2 [X.] enthaltene Beseitigung der [X.] Abstammung aus dem Rechtsgedanken des Art.
20 EG[X.]. Die Klägerin und ihr früherer Ehemann übten die ihnen offen stehende Rechtswahl in [X.] Weise zugunsten des [X.]n Rechts aus, indem sie durch [X.] vor den zuständigen Stellen das Verfahren des scheidungsakzessorischen Statuswechsels nach §
1599 Abs.
2 [X.] durchgeführt haben.
b) Bei der Anerkennung der Vaterschaft durch den [X.]n und der
beseitigten Sperrwirkung der -
bisherigen
-
Vaterschaft (§
1594 Abs.
2 [X.]) handelt es sich schließlich um nachgelagerte Fragen, die sich nach der Beseiti-gung der Vaterschaft des früheren Ehemannes der Klägerin ergeben. Das auf die Anerkennung anwendbare Statut ergibt sich insoweit aus Art.
19 EG[X.]. Die in Frage kommenden Anknüpfungen, als Aufenthalts-
und Staatsangehörig-keitsstatut das [X.] Recht sowie als [X.] das [X.] Recht, führen insoweit mit der wirksamen Anerkennung zum selben Ergebnis. Ob die Beseitigung der Vaterschaft des früheren Ehemannes der Klägerin im Verfahren
nach §
1599 Abs.
2 [X.] vom [X.]n Recht anerkannt wird, ist nach dem anwendbaren [X.]n Internationalen Privatrecht gemäß Art.
20 EG[X.]
nicht ausschlaggebend. Denn insofern stellt die Beseitigung der [X.] Vaterschaft lediglich eine Vorfrage dar, die selbstständig anzuknüpfen ist. Dass dadurch die Gefahr eines hinkenden Verwandtschaftsverhältnisses ent-19
20
-
9
-
steht, ergibt sich schon aus der Konzeption der
Anknüpfungen in Art.
20 EG-[X.] und wird vom Gesetz bewusst in Kauf genommen.
Hahne

Weber-Monecke

KIinkhammer

Schilling

Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
AG [X.]-Pankow/Weißensee, Entscheidung vom 01.07.2009 -
23a F 1613/09 -

KG [X.], Entscheidung
vom 08.12.2010 -
3 UF 100/09 -

Meta

XII ZR 78/11

23.11.2011

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.11.2011, Az. XII ZR 78/11 (REWIS RS 2011, 1148)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1148

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XII ZR 78/11

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