Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.08.2017, Az. X ARZ 204/17

10. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 6583

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Gegenstand

Bestimmung des zuständigen Gerichts: Vorlage an den Bundesgerichtshof bei Abweichung von der Rechtsprechung eines anderen Senats desselben Oberlandesgerichts; ausschließlicher dinglicher Gerichtsstand für Klagen auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück nach dem Anfechtungsgesetz


Leitsatz

1. Das Oberlandesgericht hat eine Sache bei Bestimmung des zuständigen Gerichts auch dann dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn es von der Rechtsprechung eines anderen Senats desselben Oberlandesgerichts abweichen will.

2. Der ausschließliche dingliche Gerichtsstand ist nicht schon dann eröffnet, wenn der Kläger einen auf das Anfechtungsgesetz gestützten Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in eine Sache geltend macht.

Tenor

Zuständig ist das [X.].

Gründe

1

I. Die Kläger nehmen mit ihrer vor dem [X.] erhobenen Klage die beiden beklagten Gesellschaften bürgerlichen Rechts mit Sitz in [X.] auf Duldung der Zwangsvollstreckung nach dem Anfechtungsgesetz in zwei ihnen gehörende, im [X.] belegene Grundstücke in Anspruch.

2

Die Beklagten haben in der Klageerwiderung die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts [X.] mit der Begründung gerügt, für die Klagen sei das [X.] im ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand nach § 24 ZPO zuständig. Auf Antrag der Kläger hat sich daraufhin das [X.] für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Dieses hat seine Zuständigkeit ebenfalls verneint und das [X.] um Bestimmung des zuständigen Gerichts ersucht. Der 32. Zivilsenat dieses [X.] hat die Sache dem [X.] gemäß § 36 Abs. 3 ZPO vorgelegt. Es sieht sich an der Bestimmung des seiner Ansicht nach örtlich zuständigen Landgerichts [X.] durch die Entscheidung eines anderen Senats des [X.] Hamm (Beschluss vom 28. März 2002 - 27 W 7/02; [X.], 575) gehindert.

3

II. Die Vorlage ist zulässig.

4

Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat ein Oberlandesgericht, wenn es bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen [X.] oder des [X.]s abweichen will, die Sache dem [X.] vorzulegen. Diese Voraussetzung ist gegeben.

5

1. Das an sich zur Zuständigkeitsbestimmung berufene [X.] erachtet die vom [X.] beschlossene Verweisung für objektiv willkürlich und deshalb nicht bindend und möchte seiner Entscheidung zugrunde legen, dass § 24 ZPO nicht für Klagen auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück nach dem Anfechtungsgesetz gilt. Darin läge eine Abweichung von der genannten Entscheidung des 27. Zivilsenats desselben Gerichts.

6

Für die Zulässigkeit der Vorlage reicht es aus, dass die für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage nach Auffassung des vorlegenden [X.] entscheidungserheblich ist und dies in den Gründen des [X.] nachvollziehbar dargelegt wird. So verhält es sich hier. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass der [X.] die Frage ebenfalls als entscheidungserheblich ansieht. (vgl. [X.], Beschluss vom 26. August 2014 - [X.], [X.], 2015 Rn. 2 mwN).

7

2. Die Regelung in § 36 Abs. 3 ZPO gilt auch für beabsichtigte Abweichungen von der Rechtsauffassung eines anderen Senats desselben [X.] (ebenso Musielak/[X.]/[X.], ZPO, 14. Aufl., § 36 Rn. 10; [X.], ZPO, 23. Aufl., § 36 Rn. 18; [X.]/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 36 Rn. 10).

8

Soweit § 36 Abs. 3 S. 1 ZPO auf die Abweichung von einer Entscheidung "eines anderen" [X.] abstellt, liegt darin nach der Entstehungsgeschichte der Norm und ihrem Sinn und Zweck keine abschließende Regelung ihres Anwendungsbereichs.

9

Mit der im Rahmen des [X.] vom 22. Dezember 1997 ([X.]) eingeführten Regelung in § 36 Abs. 2 ZPO wurde die Bestimmungszuständigkeit in Konstellationen, in denen der [X.] das im Rechtszug zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht ist, vom [X.] auf [X.] der Oberlandesgerichte verlagert und zugleich in § 36 Abs. 3 ZPO eine Divergenzvorlage eingeführt. Dies dient dem Zweck, den [X.] von Routineaufgaben zu entlasten und zugleich dauerhaft die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten (vgl. den Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/9124, [X.], 45 f.).

Diese Zwecksetzung gebietet es entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen [X.] ([X.], Beschluss vom 10. März 2000 - 2 W 22/00, [X.], 1321), die Entscheidung einer in der Rechtsprechung umstrittenen Rechtsfrage durch den [X.] in allen Konstellationen zu ermöglichen, in denen dies nach § 36 ZPO a.F. möglich war. Hierzu gehört auch der Fall, dass eine Rechtsfrage zwischen verschiedenen Spruchkörpern desselben Gerichts umstritten ist.

III. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.

Die beiden mit der Sache befassten Landgerichte haben sich im Sinne dieser Vorschrift bindend für unzuständig erklärt; das [X.] durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO), das [X.] durch die seine Zuständigkeit abschließend verneinende Entscheidung vom 27. Januar 2017. Eine solche [X.] genügt den Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal "rechtskräftig" des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind ([X.], Beschluss vom 26. August 2014 - [X.], Rn. 3; Beschluss vom 19. Februar 2013 - [X.] 507/12, NJW-RR 2013, 764, 764 f. mwN).

IV. Örtlich zuständig ist das [X.], weil der Verweisungsbeschluss des Landgerichts [X.] entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend ist.

1. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache zuerst verwiesen worden ist.

Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch [X.] erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Als in diesem Sinne willkürlich erweist sich ein Verweisungsbeschluss dann, wenn er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und unverständlich erscheint und deshalb offensichtlich unhaltbar ist ([X.], Beschluss vom 9. Juli 2002 - [X.] 110/02, NJW-RR 2002, 1498, 1498 f.; [X.], Beschluss vom 9. Juni 2015 - [X.] 115/15, NJW-RR 2015, 1016 mwN in Rn. 9).

2. Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts [X.] nicht als willkürlich anzusehen.

a) Die Bindungswirkung entfällt nicht deswegen, weil das [X.] den Beklagten nicht die Gelegenheit gegeben hat, zu dem Verweisungsantrag der Kläger Stellung zu nehmen.

Die Beklagten haben bereits in der Klageerwiderung zu der für die Verweisungsentscheidung maßgeblichen Zuständigkeitsfrage Stellung genommen und für den Fall eines unterbleibenden Verweisungsantrags der Kläger einen Klageabweisungsantrag angekündigt. Der nachfolgende Verweisungsantrag der Kläger hat keine zusätzlichen Fragen aufgeworfen, zu denen eine ergänzende Anhörung der Beklagten erforderlich gewesen wäre.

b) Die Verweisung ist nicht deshalb als willkürlich anzusehen, weil das [X.] nicht näher begründet hat, weshalb es sich der Auffassung des 27. Zivilsenats des [X.] Hamm und nicht der in der obergerichtlichen Rechtsprechung und vor allem in der Fachliteratur verbreiteten Gegenposition angeschlossen hat.

aa) Entgegen der Auffassung des Landgerichts [X.] ist der Gerichtsstand des § 24 ZPO allerdings nicht schon dann eröffnet, wenn der Kläger einen auf das Anfechtungsgesetz gestützten Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in eine Sache geltend macht.

(1) Wie auch der 27. Zivilsenat des [X.] Hamm nicht verkannt hat, wird die genannte Konstellation vom Wortlaut des § 24 Abs. 1 ZPO nicht erfasst. Dieser setzt voraus, dass das Eigentum, eine dingliche Belastung oder ein Besitzrecht geltend gemacht wird. Dass die Klage auf Übertragung des Eigentums oder auf Einräumung einer dinglichen Belastung gerichtet ist, reicht hingegen nicht aus.

Ein Anspruch nach § 11 [X.] ist nicht auf eines der in § 24 Abs. 1 ZPO genannten Rechte gestützt, sondern auf einen der in §§ 3 ff. [X.] normierten Anfechtungstatbestände. Dass der Eigentümer mit der Klage verpflichtet werden soll, den Vollstreckungszugriff auf die Sache hinzunehmen, reicht für die Anwendung von § 24 Abs. 1 ZPO nicht aus ([X.], Urteil vom 11. Juli 1986 - 8 U 202/85, [X.] 1986, 1031; Urteil vom 17. Januar 2008 - 13 U 56/07, juris Rn. 13; BayObLG, Beschluss vom 25. Juli 2003 - 1Z [X.], juris Rn. 12; [X.] in [X.] ZPO, § 24 Rn. 8.1; Patzina in MünchKomm ZPO, 5. Aufl., § 24 Rn. 8; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 14. Aufl., § 24 Rn. 9; Vollkommer in [X.], ZPO, 31. Aufl., § 24 Rn. 9).

(2) Die Anwendung von § 24 Abs. 1 ZPO ist auch nicht durch den Sinn und Zweck der Vorschrift geboten.

Nach der [X.] soll eine Klage im Gerichtsstand des § 24 Abs. 1 ZPO jedenfalls bei [X.] in Bezug auf Grundstücke erforderlich sein, um Eintragungen im Grundbuch zu erleichtern ([X.], [X.], 575, 576). Diesem Aspekt kommt indes schon deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil er im Wesentlichen nur für die Vollstreckung der vom Kläger angestrebten Entscheidung von Bedeutung ist, nicht aber für das Erkenntnisverfahren. Die Vollstreckung obliegt ohnehin dem Kläger. Für diesen ergibt sich in der Regel keine wesentliche Erleichterung daraus, dass das Grundbuchamt, das für entsprechende Eintragungen zuständig ist, denselben Sitz hat wie das Prozessgericht.

Die Anwendung von § 24 Abs. 1 ZPO soll darüber hinaus geboten sein, damit der Kläger Vermögensverschiebungen ins Ausland besser begegnen kann ([X.], [X.], 575, 576). Dies vermag ebenfalls nicht zu überzeugen, weil für eine Anfechtungsklage in der Regel auch dann ein anderer Gerichtsstand zur Verfügung steht, wenn der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand nicht im Inland hat ([X.], Urteil vom 17. Januar 2008 - 13 U 56/07, juris Rn. 14 f.).

bb) Wie auch das vorlegende Gericht im Ansatz nicht verkennt, ist ein Verweisungsbeschluss jedoch nicht allein deshalb als willkürlich anzusehen, weil er von einer höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung oder von einer in der Literatur vorherrschenden Auffassung abweicht. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen ([X.], Beschluss vom 9. Juli 2002 - [X.] 110/02, NJW-RR 2002, 1498 f.).

Entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts bietet der Umstand, dass das [X.] seine Auffassung nicht näher begründet hat, keinen hinreichenden Anhaltspunkt für die Bejahung von Willkür.

Der [X.] hat bislang nicht abschließend entschieden, inwieweit ein Verweisungsbeschluss einer Begründung bedarf (vgl. [X.], Beschluss vom 26. August 2014 - [X.] Rn. 9; Beschluss vom 23. März 1988 - [X.], [X.], 943). Diese Frage bedarf auch im Streitfall keiner Entscheidung. Die Ausführungen des Landgerichts [X.] sind vor dem Hintergrund der von den Parteien angeführten Stimmen aus Rechtsprechung und Fachliteratur so zu verstehen, dass sich das Gericht die von den Beklagten angeführte Rechtsauffassung des 27. Zivilsenats des [X.] Hamm aus dem Beschluss vom 28. März 2002 zu eigen macht. Dies stellt jedenfalls deshalb eine nachvollziehbare Begründung dar, weil das [X.] im Bezirk des [X.] Hamm liegt und aus dem ihm vorliegenden Streitstoff nicht hervorging, dass die relevante Rechtsfrage innerhalb dieses Gerichts unterschiedlich beurteilt wird.

[X.]     

      

Gröning     

      

Grabinski

      

Hoffmann     

      

Kober-Dehm     

      

Meta

X ARZ 204/17

15.08.2017

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

vorgehend OLG Hamm, 4. April 2017, Az: I-32 SA 9/17, Vorlagebeschluss

§ 24 ZPO, § 36 Abs 3 S 1 ZPO, § 11 AnfG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.08.2017, Az. X ARZ 204/17 (REWIS RS 2017, 6583)

Papier­fundstellen: MDR 2017, 1383-1384 WM2017,1873 REWIS RS 2017, 6583


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ARZ 204/17

Bundesgerichtshof, X ARZ 204/17, 15.08.2017.


Az. 32 SA 9/17

Oberlandesgericht Hamm, 32 SA 9/17, 04.04.2017.


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