Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.06.2018, Az. 4 StR 144/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 8215

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Gegenstand

Täter-Opfer-Ausgleich bei vollendetem Tötungsdelikt


Leitsatz

Bei einem vollendeten Tötungsdelikt sind die Hinterbliebenen nicht „Verletzte“ im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2017 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] hat, wie der [X.] in seiner Antragsschrift vom 4. April 2018 im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2

Der näheren Erörterung bedarf nur die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB:

I.

3

1. Nach den Feststellungen des [X.]s kollidierte der infolge der Beschäftigung mit seinem Mobiltelefon abgelenkte Angeklagte, der in den frühen Abendstunden des 31. August 2016 mit seinem Klein-Lkw eine Kreisstraße befuhr, mit dem beleuchteten Pedelec des 82 Jahre alten        [X.]       , der ebenfalls auf dieser Straße unterwegs war. Obwohl er die Kollision wahrgenommen hatte und annahm, dass er einen Menschen erfasst und nicht unerheblich verletzt hatte, setzte er seine Fahrt ohne anzuhalten fort und rief auch keine Hilfe herbei. Damit wollte er vermeiden, für den von ihm schuldhaft herbeigeführten Unfall strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Er handelte dabei in dem Bewusstsein, dass        [X.]        möglicherweise schwer verletzt überlebt haben und bei unverzüglicher medizinischer Versorgung gerettet werden könnte, nahm aber dessen Versterben als Folge seiner Untätigkeit zumindest billigend in Kauf. Tatsächlich verstarb        [X.]        unmittelbar nach der Kollision ohne Rettungsmöglichkeit an seinen Verletzungen.

4

2. Wegen der Unfallfolgen hat der Angeklagte einen Betrag in Höhe von 25.000 € je zur Hälfte auf eigene und geerbte Ansprüche der beiden [X.], der Ehefrau und der Tochter des [X.], auf das Kanzleikonto des Nebenklägervertreters gezahlt.

5

Das [X.] hat eine Anwendbarkeit der § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB abgelehnt und die Zahlung des Geldbetrages an die [X.] nur bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt. Verletzter bzw. Opfer im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB könne, so die [X.], nur die durch die Straftat unmittelbar betroffene Person sein, also nur der Träger des den Schutzbereich der verletzten Norm bestimmenden Rechtsguts. Komme das Opfer durch die Tat zu Tode, sei ein Ausgleich im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB nicht mehr möglich.

II.

6

Dass das [X.] die Voraussetzungen von § 46a Nr. 1 StGB im vorliegenden Fall eines vollendeten Tötungsdelikts verneint hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Eine Einbeziehung der [X.], hier der Ehefrau und der Tochter des [X.], als Hinterbliebene in den Anwendungsbereich der Vorschrift kommt in einem derartigen Fall nicht in Betracht. Sie sind nicht „Verletzte“ im Sinne der Vorschrift.

7

1. Gemäß § 46a Nr. 1 StGB kann die Strafe gemildert werden, wenn der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt hat. Schon der Wortlaut der Vorschrift legt ein Verständnis dahin, dass auch die Hinterbliebenen eines durch ein fahrlässiges oder vorsätzliches Tötungsdelikt zu Tode gekommenen [X.] in ihren Anwendungsbereich einbezogen sein könnten, nicht nahe. Das ergibt sich zwar nicht allein aus der Verwendung der ohne nähere Eingrenzung und erkennbar synonym verwendeten Begriffe „Verletzter“ bzw. „Opfer“ (zum Wortlaut vgl. [X.]/[X.], 3. Aufl., § 46a Rn. 9). Die nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB im Ermessen des Tatrichters liegende Strafmilderung kann aber nur gewährt werden, wenn der Täter in dem Bemühen um „einen Ausgleich mit dem Verletzten“ Wiedergutmachung leistet oder ernsthaft erstrebt. Der strafzumessungsrelevante Ausgleich knüpft danach schon dem Wortlaut nach an die als Folge der jeweiligen Straftat entstandene Beziehung zwischen dem Täter und dem Träger des verletzten Rechtsguts an.

8

2. Eine Beschränkung der Anwendbarkeit des [X.] auf den unmittelbar durch die Straftat Verletzten – mit der Folge der Unanwendbarkeit von § 46a Nr. 1 StGB bei einem vollendeten Tötungsdelikt – ergibt sich zudem aus dem Willen des Gesetzgebers.

9

a) Bei der Verankerung des [X.] in § 46a Nr. 1 StGB hat sich der Gesetzgeber inhaltlich an die Definition des § 10 Abs. 1 Nr. 7 [X.] angelehnt, wonach die Erfüllung einer entsprechenden jugendrichterlichen Weisung einen förmlichen, tatsächlich praktizierten Ausgleich in direkter Konfrontation des [X.] mit der Situation des Opfers voraussetzt (vgl. Gesetzentwurf zum [X.], BT-Drucks. 12/6853, S. 21; Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/8588, S. 4; vgl. auch König/[X.], [X.], 1, 2; [X.], NStZ 1996, 312; [X.] in [X.]/Schoreit/Sonnen, [X.], 7. Aufl., § 10 Rn. 43). Schon das gesetzgeberische Konzept von § 10 Abs. 1 Nr. 7 [X.] für einen befriedenden Ausgleich setzte danach das Vorhandensein des unmittelbar geschädigten Opfers in Gestalt einer „greifbaren natürlichen Person“ ([X.], aaO, Rn. 49) notwendig voraus. Angesichts der ausdrücklichen Bezugnahme auf § 10 [X.] in den Materialien ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber bei der Übernahme des [X.] in das Erwachsenenstrafrecht von diesem Konzept des Ausgleichs zwischen Täter und unmittelbar Verletztem abgehen wollte. Für die Annahme, der Gesetzgeber hätte im Fall eines vollendeten Tötungsdelikts den Übergang der Opferstellung auf Hinterbliebene in Betracht gezogen, bieten die Gesetzesmaterialien danach ebenso wenig einen Anhalt wie für die Annahme, in einem solchen Fall seien die Hinterbliebenen – neben dem Getöteten – als zusätzliche Verletzte anzusehen.

b) Zu Unrecht beruft sich die Revision für ihre Auffassung, Hinterbliebene seien bei vollendeten Tötungsdelikten in den Täter-Opfer-Ausgleich einzubeziehen, auf § 395 Abs. 2 StPO. Durch diese Bestimmung hat der Gesetzgeber den Hinterbliebenen lediglich anstelle des Getöteten eine prozessuale Befugnis (zur Nebenklage) eingeräumt. Die Möglichkeiten eines [X.], eine Strafmilderung nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB zu erlangen, sollten dadurch erkennbar nicht erweitert werden (vgl. dazu [X.], Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung im Rahmen von § 46a StGB, 2014, [X.]). Hierfür spricht auch, dass in § 395 Abs. 1 StPO von der „verletzten Person“ die Rede ist, während in Absatz 2 weiteren Personen in abschließender Aufzählung nur die „gleiche Befugnis“ verliehen wird (vgl. dazu [X.]/[X.], 3. Aufl., § 395 Rn. 5).

c) Aus der mit Gesetz zur Einführung eines Hinterbliebenengeldes vom 17. Juli 2017 ([X.] I, [X.]) vorgenommenen Erweiterung der Ersatzansprüche Dritter bei Tötung durch § 844 Abs. 3 [X.] ergibt sich nichts anderes. Diese Neuregelung ist ersichtlich auf die bürgerlich-rechtlichen Ansprüche im Recht der unerlaubten Handlungen beschränkt und billigt dem Hinterbliebenen unter näher bestimmten Voraussetzungen unabhängig vom Nachweis einer medizinisch fassbaren Gesundheitsbeschädigung für dessen seelisches Leid eine Geldentschädigung zu (BT-Drucks. 18/11397, S. 8; vgl. dazu [X.]/[X.], [X.], 15. Aufl., § 844 Rn. 20).

3. Schließlich stehen auch Sinn und Zweck von § 46a Nr. 1 StGB einer erweiternden Auslegung entgegen. [X.] der gesetzgeberischen Intention setzt § 46a Nr. 1 StGB nach ständiger Rechtsprechung des [X.] einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein muss. Unverzichtbar ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift, dass das Opfer die Leistungen des [X.] als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 25. Juli 1995 – 1 [X.], [X.], 492; Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 [X.], NJW 2002, 3264; [X.], NStZ 2003, 410, 412 f. mwN). Dieser Zweck würde bei einer Einbeziehung mittelbar von der Tat Betroffener nach dem Tod des Opfers schon mit Blick auf die Unbestimmtheit des im Einzelfall in Betracht kommenden Personenkreises und die daraus für den kommunikativen Prozess folgenden praktischen Schwierigkeiten regelmäßig verfehlt.

[X.], bei dem der [X.] hinsichtlich der Strafmilderung nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB tatrichterliche Feststellungen zu einem kommunikativen Prozess mit dessen Eltern als Inhabern der Personensorge (§ 1627 [X.]) und Vertreter (§ 1629 [X.]) des – überlebenden – Opfers verlangt hat ([X.], Beschluss vom 31. Juli 2002 – 1 [X.], [X.]R StGB § 46a Begründung 1), ist insoweit anders gelagert.

Sost-Scheible     

        

[X.]     

        

Ri[X.] Bender ist im Urlaub
und daher gehindert zu
unterschreiben.

                                   

Sost-Scheible

        

Quentin     

        

Feilcke     

        

Meta

4 StR 144/18

06.06.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Passau, 12. Dezember 2017, Az: 12 Js 14609/16 - 2 Ks

§ 46a Nr 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.06.2018, Az. 4 StR 144/18 (REWIS RS 2018, 8215)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 319 REWIS RS 2018, 8215

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 178/19

4 StR 144/18

1 Ks 6 Js 5538/18

4 StR 489/18

05 Ns 8/21

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