Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.12.2019, Az. 3 StR 514/19

3. Strafsenat | REWIS RS 2019, 624

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Gegenstand

Fehlerhafte Strafzumessung: Minder schwerer Fall eines Diebstahls mit Waffen; strafschärfende Wertung des Fehlens eines Strafmilderungsgrundes; Absehen von der nachträglichen Gesamtstrafenbildung wegen Fehlens der Akten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. April 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im gesamten Strafausspruch,

b) soweit das [X.] von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen, Körperverletzung in zwei Fällen, Hausfriedensbruchs, Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen und Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt sowie im Übrigen freigesprochen. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen die Verurteilung. Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand.

3

a) [X.] hat wegen des Besitzes und des Erwerbs von Betäubungsmitteln, der Körperverletzung zu Lasten der Nebenklägerin sowie des Hausfriedensbruchs als Einzelstrafen jeweils Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt. Diese Strafaussprüche sind rechtsfehlerhaft, weil in den Urteilsgründen weder ausdrücklich noch nach dem Gesamtzusammenhang Umstände dargetan sind, welche die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung gemäß § 47 Abs. 1 StGB unerlässlich machen (vgl. allgemein [X.], Urteil vom 8. April 2004 - 3 [X.], [X.], 554; Beschluss vom 23. November 2017 - 1 StR 150/17, [X.]R StGB § 47 Abs. 1 Umstände 9).

4

b) Die verbleibenden beiden Einzelstrafen sind ebenfalls aufzuheben. Unabhängig davon, dass dem neuen Tatgericht so eine in sich stimmige Strafzumessung ermöglicht wird, sind die [X.] auch insofern bedenklich.

5

Die Annahme eines minder schweren Falles des Diebstahls mit Waffen (§ 244 Abs. 3 StGB) ist allein deshalb abgelehnt worden, weil es sich "bei dem mitgeführten Teppichmesser nicht um einen gewöhnlichen Alltagsgegenstand handelt" und von dem Messer ein ähnliches Verletzungspotential wie bei einem Einhandmesser ausgehe. Daraus ergibt sich nicht, dass bei der Prüfung eines minder schweren Falles die gebotene Gesamtwürdigung aller strafzumessungserheblichen Umstände vorgenommen worden ist (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Oktober 2017 - 3 [X.], NStZ-RR 2018, 104; Urteil vom 7. Januar 2015 - 2 [X.], juris Rn. 29).

6

Bei der verbleibenden Körperverletzung hat das [X.] zulasten des Angeklagten berücksichtigt, dass der Angriff den Geschädigten [X.]"ohne jegliche Veranlassung seinerseits" getroffen habe. Hierbei ist zu besorgen, dass die [X.] letztlich dem Fehlen eines Strafmilderungsgrundes strafschärfende Bedeutung beigemessen hat (s. [X.], Urteil vom 24. August 2016 - 2 [X.], [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Motiv 2 Rn. 17; Beschlüsse vom 8. Januar 2014 - 2 StR 514/13, juris Rn. 4; vom 15. Dezember 2016 - 3 [X.], juris Rn. 6).

7

c) Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Diese begegnet zudem auch für sich genommen Bedenken; denn eine nachträgliche Gesamtstrafe in Bezug auf frühere Strafen ist deshalb nicht gebildet worden, weil "die entsprechenden Akten nicht vorlagen". Das führt in dieser Allgemeinheit noch nicht dazu, dass von der grundsätzlich zwingenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB im tatgerichtlichen Urteil ausnahmsweise abgesehen werden darf (vgl. näher [X.], Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 4; Beschluss vom 10. November 2010 - 5 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 6 Rn. 4).

8

2. Die Urteilsgründe tragen nicht die Entscheidung, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen.

9

[X.] hat hierzu ausgeführt, dass "die begangenen Taten als [X.]en einzuordnen" seien; allein die Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen sei ausreichend, um eine Maßregel anzuordnen. Dieser Diebstahl stelle aber eine einmalige Ausnahme dar. Hieraus ist bereits nicht ersichtlich, ob die - nicht sachverständig beratene - [X.] damit die Gefahr künftiger erheblicher Taten im Sinne des § 64 Satz 1 StGB hat ablehnen wollen oder die Unterbringung als nach § 62 StGB unverhältnismäßig angesehen hat. Jedenfalls stehen die Erwägungen nach den gegebenen Umständen einer Anordnung nicht ohne Weiteres entgegen. Das [X.] hat nicht bedacht, dass der Angeklagte neben dem Diebstahl mit Waffen auch Körperverletzungsdelikte beging (vgl. dazu MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 64 Rn. 51). In einem der Fälle schlug er in alkoholisiertem Zustand einen Unbeteiligten, so dass dieser zu Boden stürzte, sich eine Platzwunde am Hinterkopf zuzog und im Krankenhaus behandelt werden musste. Hierbei handelt es sich nicht um eine "[X.]". Mangels weiterer Ausführungen ist nach den Urteilsgründen nicht auszuschließen, dass die Tat einen symptomatischen Zusammenhang mit einem Hang aufweist.

3. Ergänzend bemerkt der Senat, dass sich der Teilfreispruch lediglich auf die weitere Tat vom 20. Februar 2018 bezieht. Soweit der Angeklagte nach den Urteilsgründen auch insofern freigesprochen worden ist, als ihm die mehrfache Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren zur Last gelegt worden ist, bedarf es keines Freispruchs. Der Angeklagte ist wegen dieser angeklagten Taten, wenn auch unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt, verurteilt worden. Wegen ein und derselben Tat kann das Urteil nur einheitlich auf Verurteilung oder Freispruch lauten (s. [X.], Beschluss vom 24. Juli 2014 - 3 [X.], juris).

Schäfer     

        

Spaniol     

        

Hoch   

        

Anstötz     

        

Erbguth     

        

Meta

3 StR 514/19

10.12.2019

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mönchengladbach, 10. April 2019, Az: 32 KLs 5/18

§ 46 StGB, § 55 Abs 1 S 1 StGB, § 223 StGB, § 242 StGB, § 244 Abs 3 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.12.2019, Az. 3 StR 514/19 (REWIS RS 2019, 624)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 624

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2 StR 504/15

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