Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.02.2010, Az. VIII ZB 74/09

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 9369

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[X.]/09 vom 16. Februar 2010 in dem Rechtsstreit - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 16. Februar 2010 durch den Vorsitzenden [X.], die Richterin [X.], [X.] Achilles und [X.] sowie die Richterin [X.] beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1 wird der Beschluss der Zivilkammer 16 des [X.] vom 19. August 2009 in der Fassung des [X.] vom 2. Oktober 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-rückverwiesen. Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG). [X.]: Wertstufe bis 80.000 •. Gründe: [X.] Der Kläger nimmt den Beklagten zu 1 als Mieter der im Erdgeschoss so-wie der im ersten und zweiten Obergeschoss seines [X.]

in [X.]gelegenen Wohnungen, und zwar teilweise neben den Beklagten zu 2 und 3, auf Räumung sowie auf Zahlung rückständiger Mieten in Anspruch. In der dem Beklagten zu 1 am 26. Mai 2008 zugestellten Klageschrift war als An-schrift des [X.] die vorstehend bezeichnete Anschrift in [X.] [X.] - 3 - ben. Die Beklagten haben insbesondere mit Blick auf den vom Beklagten für sein Räumungsverlangen geltend gemachten Eigenbedarf im ersten Rechtszug mehrfach das Bestehen eines Wohnsit[X.] des [X.] in [X.] bestritten und vorgetragen, dass der Kläger seit Ende 2004 seinen ständigen Aufenthalt in der voll eingerichteten Gartengeschosswohnung des [X.]

in [X.] habe; die Adresse in [X.] unterhalte er dagegen nur aus [X.] Gründen, ohne dort seinen Hauptwohnsitz zu haben. Das Amtsgericht hat den Beklagten zu 1 durch Teilurteil vom 2. Juni 2009 teilweise zur Räumung und Zahlung verurteilt. Gegen das ihm am 8. Juni 2009 zugestellte Teilurteil hat sein Pro[X.]sbevollmächtigter am 8. Juli 2009 bei dem [X.] Berufung eingelegt und diese am 16. Juli 2009 [X.]. Auf die Verfügung des Vorsitzenden der Berufungskammer, dass be-absichtigt sei, die eingelegte Berufung als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht bei dem gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] zuständigen Gericht einge-legt worden sei, hat der Pro[X.]sbevollmächtigte des Beklagten zu 1 in einem am 7. August 2009 bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz darauf hingewiesen, dass der Kläger im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage sei-nen Wohnsitz in der

in [X.]

gehabt und dass der Beklagte zu 1 bereits im ersten Rechtszug den vom Kläger behaupteten Wohnsitz in [X.] mehrfach bestritten habe. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zu 1 durch den angefochtenen Beschluss mit der Begründung als unzulässig verworfen, dass sie nicht bei dem gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] zuständigen Gericht eingelegt worden sei; der Kläger habe sei-nen allgemeinen Gerichtsstand bei Rechtshängigkeit in [X.] gehabt. 2 Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde erstrebt der [X.] zu 1 die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. 3 - 4 - I[X.] 4 [X.] ist zulässig und begründet. 5 1. Die [X.] statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) Rechtsbe-schwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des [X.] ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Ein solcher Fall liegt unter anderem vor, wenn die Entschei-dung des Berufungsgerichts nach dem Beschwerdevorbringen Verfahrens-grundrechte des Beschwerdeführers verletzt und deshalb von Verfassungs we-gen der Korrektur bedarf. Das gilt namentlich dann, wenn die angefochtene Entscheidung darauf beruht, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt worden ist ([X.], 288, 296; 151, 221, 226 f.; Senatsbeschluss vom 16. Januar 2007 - [X.] ZB 75/06, NJW 2007, 1457, [X.]. 5 m.w.[X.]). Das gilt in gleicher Weise, wenn das Berufungsgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint und den Beschwerde-führer dadurch in seinem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechts-schutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsst[X.]tsprinzip) verletzt, das es den Gerichten verbietet, den [X.]en den Zugang zu einer in der [X.] eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 10. März 2009 - [X.] ZB 105/07, [X.], 1610, [X.]. 5 m.w.[X.]). [X.] rügt, dass das Berufungsgericht im angefochte-nen Beschluss mit keinem Wort darauf eingegangen sei, dass die Beklagten den vom Kläger behaupteten ausländischen Wohnsitz erstinstanzlich bestritten hätten. Das lasse darauf schließen, dass das Berufungsgericht entweder das genannte Vorbringen des Beklagten zu 1 nicht zur Kenntnis genommen oder aber in Kenntnis dieses streitigen Vorbringens zu der unzutreffenden und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Auffassung gelangt sei, dass der Gerichtsstand im Berufungsverfahren gleichwohl nicht (mehr) zu [X.] - 5 - fen sei. Dies erfordert zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.]. 7 2. [X.] ist begründet. 8 a) Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Beklagten zu 1 auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Das Berufungsgericht hat die Beru-fung des Beklagten zu 1 mit der nicht weiter ausgeführten Begründung als [X.] verworfen, dass die Berufung bei dem gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.], § 40 [X.] unzuständigen Gericht eingelegt worden sei, weil der Kläger seinen allgemeinen Gerichtsstand bei Rechtshängigkeit in [X.] gehabt habe. Bei dieser Feststellung hat es in gehörsverletzender Weise das erstinstanzliche Bestreiten des Beklagten zu 1 übergangen, wonach der Kläger seinen Wohnsitz nicht in [X.], sondern bereits seit Ende 2004 in [X.] unterhalten habe. Allerdings ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein [X.] das Vorbringen der [X.]en zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Denn es ist nicht verpflichtet, sich mit jedem [X.]vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Damit sich ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen lässt, müssen demnach besondere Um-stände deutlich gemacht werden, die zweifelsfrei darauf schließen lassen, dass tatsächliches Vorbringen einer [X.] entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist ([X.], 288, 300 m.w.[X.]). Ein solcher Schluss ist regelmäßig dann gerechtfertigt, wenn das Gericht auf [X.] eines erheblichen Tatsachenvortrags einer [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht ([X.] 86, 133, 146; [X.], [X.], 1762, 1763). So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat sich noch nicht einmal mit dem im Schriftsatz vom 7. August 2009 gehaltenen Sachvortrag des Beklagten zu 1 auseinander-gesetzt, in dem dieser detailliert darauf hingewiesen hatte, dass er den in der 9 - 6 - Klageschrift angegebenen ausländischen Wohnsitz des [X.] erstinstanzlich mehrfach bestritten habe. Wenn das Berufungsgericht trotz dieses schlechthin nicht zu übersehenden [X.]vorbringens seine Zuständigkeit gleichwohl nur mit der nicht näher erläuterten Feststellung verneint hat, dass der Kläger seinen allgemeinen Gerichtsstand bei Rechtshängigkeit in [X.] gehabt habe, lässt dies den sicheren Schluss zu, dass es sich mit dem entgegenstehenden [X.] des Beklagten zu 1 nicht befasst hat. Das gilt umso mehr, als be-reits das Amtsgericht auf Seite 32 seines Urteils das Vorbringen der Beklagten im Zusammenhang mit dem vom Kläger geltend gemachten Eigenbedarf dahin wiedergegeben hatte, dass der Kläger und seine Ehefrau ihren Hauptwohnsitz bereits Ende 2004 nach [X.] in die Gartengeschosswohnung im Hause

verlegt hätten. b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auch auf der darge-stellten Gehörsverletzung. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens des Beklagten zu 1 anders entschieden hätte (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 2003 - [X.], NJW 2003, 3205, unter [X.] m.w.[X.]). 10 Das [X.] hat die Berufung des Beklagten zu 1 als unzulässig verworfen, weil es für dieses Rechtsmittel keine eigene Zuständigkeit nach § 72 [X.], sondern eine Zuständigkeit des [X.] gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] angenommen hat. Nach letztgenannter Vorschrift, die auch auf Mietstreitigkeiten Anwendung findet (Senatsbeschluss vom 28. März 2006 - [X.] ZB 100/04, [X.], 404, [X.]. 9), sind die [X.]e zu-ständig für Berufungen gegen Entscheidungen der Amtsgerichte in [X.] über Ansprüche, die von einer oder gegen eine [X.] erhoben werden, welche ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgeset-11 - 7 - [X.] hatte. Diese Voraussetzungen hätten bei Berücksichtigung des übergange-nen Vorbringens nicht ohne nähere Sachprüfung bejaht werden können. 12 [X.]) Für die genannte Zuständigkeitsabgrenzung ist nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] regelmäßig der im Verfahren vor dem Amtsgericht unangegriffen gebliebene inländische oder ausländische Wohnsitz einer [X.] zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittel-gericht entzogen (Senatsbeschluss vom 10. März 2009 - [X.] ZB 105/07, [X.], 1610, [X.]. 8; [X.], Beschluss vom 22. Oktober 2009 - [X.], juris, [X.]. 5; jeweils m.w.[X.]). Entsprechendes gilt bei erstinstanzlichem Streit über den Wohnsitz, wenn sich der Berufungsführer in der Rechtsmittelinstanz dem in [X.] Instanz von ihm noch bestrittenen Vortrag seines Gegners zu einem inländi-schen oder ausländischen Gerichtsstand anschließt und er hierauf gestützt Be-rufung zum [X.] oder zum [X.] einlegt (Senatsbeschluss vom 28. März 2006, [X.]O, [X.]. 11 f.). Hält der Berufungsführer dagegen - wie hier - an seinem streitigen [X.] zum inländischen oder ausländischen Gerichtsstand einer der [X.]en fest, hat das angerufene Berufungsgericht die zur Begründung seiner Zustän-digkeit erforderlichen Tatsachen auf der Grundlage des streitigen Sachvortrags der [X.]en festzustellen. In diesem Fall obliegt es dem Rechtsmittelführer, der die Beweislast für die funktionelle Zuständigkeit des von ihm angerufenen [X.] und damit für den streitig gebliebenen Wohnsitz trägt, den Beweis zu erbringen, dass die Voraussetzungen für die Zuständigkeit des angerufenen Berufungsgerichts gegeben sind (Senatsbeschluss vom 28. März 2006, [X.]O, [X.]. 10, 13; [X.], Beschluss vom 19. September 2006 - [X.], [X.] 2006, 341, unter [X.]). 13 [X.]) Der Beklagte zu 1 hat im ersten Rechtszug einen bei Rechtshängig-keit bestehenden Wohnsitz des [X.] in [X.] mehrfach unter Vortrag ent-sprechender Indiztatsachen und dafür angetretener Beweise bestritten. [X.] - 8 - dest hat er - was einer Rechtsmittelzuständigkeit des [X.] nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. [X.] ebenfalls entgegengestanden hätte (vgl. Se-natsbeschluss vom 10. März 2009, [X.]O) - behauptet, dass der Kläger neben einem Wohnsitz in [X.] nach wie vor schwerpunktmäßig seinen Wohnsitz in [X.] gehabt habe (dazu Senatsbeschluss vom 28. März 2006, [X.]O, [X.]. 15). Dieses erhebliche Vorbringen hätte das Berufungsgericht nicht überge-hen, sondern auf seine sachliche Berechtigung überprüfen und - gegebenenfalls nach Beweiserhebung - die erforderlichen Feststellungen tref-fen müssen. II[X.] Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann nach alledem keinen [X.] haben. Da es tatsächlicher Feststellungen zum Wohnsitz des [X.] bei Eintritt der Rechtshängigkeit bedarf, ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). 15 Ball [X.] [X.] [X.] [X.] Vorinstanzen: AG [X.], Entscheidung vom [X.]/08 - LG [X.], Entscheidung vom 19.08.2009 - 316 [X.]/09 -

Meta

VIII ZB 74/09

16.02.2010

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.02.2010, Az. VIII ZB 74/09 (REWIS RS 2010, 9369)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9369

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