Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.07.2014, Az. V ZR 298/13

5. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 4282

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Gegenstand

Zahlungsklage eines Wohnungseigentümers gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft: Nachträgliche Klagehäufung in Eventualstellung bei Entschädigungsbegehren wegen eines Feuchtigkeitsschadens


Leitsatz

1. Stützt der Kläger seine Zahlungsklage mit dem Hauptantrag auf ein Schuldverhältnis und erst im Lauf des Rechtsstreits hilfsweise auf einen Vergleich über das Schuldverhältnis, ist dies als nachträgliche Klagehäufung in Eventualstellung anzusehen, die unter den Voraussetzungen von § 263 ZPO zulässig sein kann.

2. Haupt- und Hilfsantrag dürfen einander widersprechen oder sich gegenseitig ausschließen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 5. November 2013 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als mit der Zurückweisung der Berufung gegen das Urteil des [X.] vom 22. August 2012 zugleich die (erstmals in der Berufungsinstanz erhobene) Klage abgewiesen worden ist, die auf Zahlung von 3.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. November 2013 gerichtet ist.

Die Beklagte zu 18 wird verurteilt, an die Klägerin 3.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. November 2013 zu zahlen.

Die in den [X.] entstandenen Kosten werden wie folgt verteilt:

Die Gerichtskosten tragen zu 77 % die Klägerin und zu 23 % die Beklagte zu 18.

Die außergerichtlichen Kosten der [X.] zu 18 trägt die Klägerin zu 77 %, die der [X.] zu 1 bis 17 trägt sie insgesamt. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt zu 23 % die Beklagte zu 18. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Das Wohnungseigentum der Klägerin gehört zu der Anlage der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft (Beklagte zu 18). In der Wohnung der Klägerin wurde im Januar 2009 als Folge eines Feuchtigkeitsschadens ein Befall mit giftigen Schimmelpilzen festgestellt, der die Wohnung für einen Zeitraum von zwanzig Monaten unbewohnbar machte. Nachdem die Klägerin Schadensersatz bzw. Zahlung einer Entschädigung gemäß § 14 Nr. 4 WEG von der Wohnungseigentümergemeinschaft verlangt hatte, stimmten die Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 21. Juli 2010 mehrheitlich für folgenden Antrag:

„Der Versammlungsleiter stellt den Antrag, der (…) [Klägerin] pauschal 3.000 € von den verlangten 5.710,50 € zu erstatten, und die Option einzuräumen, sofern die [X.] bei einer Schadensersatzklage gegen den [X.] oder den Architekten rechtswirksam ihren Anspruch durchsetzen können, die restlichen Kosten inklusive der entgangenen Mieten einschließlich bis August 2010“.

2

Der Beschluss ist inzwischen bestandskräftig geworden. Die Klägerin verlangt von der Wohnungseigentümergemeinschaft Zahlung in Höhe von 8.900,96 € nebst Zinsen aufgrund der ihr entstandenen Schäden. In den Vorinstanzen ist die Klage ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte zu 18 beantragt, verfolgt die Klägerin ihren [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

I.

3

Das Berufungsgericht meint, die Klägerin habe in der Eigentümerversammlung ein Angebot auf Abschluss eines Vergleichs abgegeben. Sie habe sich den Vorschlag ihres Schwiegersohns, der zu der Beschlussfassung geführt habe, zu Eigen gemacht und der Wohnungseigentümergemeinschaft damit ein Vergleichsangebot unterbreitet. Diese habe das Angebot durch die Beschlussfassung angenommen. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch bestehe nicht, weil die Schadensersatzforderungen der Klägerin durch den [X.] erledigt seien. Die danach vereinbarte Zahlung von 3.000 €, auf die sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gestützt habe, sei nicht Gegenstand der Klage, weil der Vergleich einen neuen Klagegrund schaffe.

II.

4

Die Revision hat teilweise Erfolg.

5

1. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB ergebe, dass die Klägerin und die Wohnungseigentümergemeinschaft einen Vergleich geschlossen hätten, hält der eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle stand; sie ist nur darauf nachprüfbar, ob das Berufungsgericht Auslegungs- und Ergänzungsregeln oder Denk- oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände unbeachtet gelassen hat (st. Rspr., vgl. nur [X.], Urteil vom 16. Oktober 2009 - [X.], [X.], 146 Rn. 10). Solche Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.

6

a) Zu Unrecht beruft sich die Klägerin darauf, keine [X.] habe vorgetragen, dass sie, die Klägerin, der Wohnungseigentümergemeinschaft vor der Beschlussfassung einen Antrag auf Abschluss des Vergleichs gemacht habe. Denn das Berufungsgericht hat den von dem Amtsgericht im Rahmen der Beweisaufnahme festgestellten tatsächlichen Sachverhalt rechtlich gewürdigt; insoweit war es nicht an die Einschätzung der [X.]en gebunden. Es hat auch nicht verkannt, dass ein schlichter Antrag eines Wohnungseigentümers auf Beschlussfassung in der Regel keinen rechtsgeschäftlichen Charakter hat. Vielmehr ist es - ebenso wie das Amtsgericht, dessen Würdigung es sich angeschlossen hat - im Rahmen der einzelfallbezogenen tatrichterlichen Würdigung nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass das Verhalten der Klägerin (bzw. ihres Schwiegersohns, dessen Äußerungen sie sich zu Eigen gemacht habe) in der der Beschlussfassung vorangehenden Diskussion aus [X.] als rechtlich bindender Antrag zu verstehen war. Dass der Antrag in dem Protokoll der Eigentümerversammlung als solcher des Versammlungsleiters bezeichnet wird, ist aufgrund der Feststellungen zu den vorangehenden Abläufen unerheblich.

7

b) Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Beschlussfassung rechtlich zugleich als (stillschweigende) Annahme des Angebots ansieht; immerhin konnte der Antrag der Klägerin nur sofort angenommen werden (§ 147 Abs. 1 Satz 1 BGB), und nach der Würdigung der Vorinstanzen sollte auf der Eigentümerversammlung dem Wunsch der Klägerin entsprechend eine abschließende Regelung herbeigeführt werden.

8

c) Die Annahmeerklärung ist nicht gemäß § 181 BGB unwirksam, weil die Klägerin an der Beschlussfassung mitgewirkt hat. Das folgt schon daraus, dass Vertragspartnerin der Klägerin nicht sie selbst, sondern die Wohnungseigentümergemeinschaft ist. Ob die Klägerin an deren vorangehender interner Willensbildung mitwirken durfte, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

9

d) Schließlich wird von der Revision nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass der von der Klägerin nunmehr geltend gemachte Betrag nicht durch den Vergleich abgegolten ist oder einzelne Positionen enthält, die von dem Vergleich nicht erfasst werden.

2. Im Ergebnis zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen den [X.] in Höhe der im Vergleichswege vereinbarten Summe von 3.000 € abgewiesen.

a) Im Ausgangspunkt geht es allerdings zutreffend davon aus, dass die auf dem Vergleich beruhende Zahlungspflicht und die ursprüngliche Schadensersatz- bzw. Entschädigungsforderung unterschiedliche Streitgegenstände darstellen.

aa) Gegenstand des Rechtsstreits ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ein prozessualer Anspruch; er wird bestimmt durch den Klageantrag, in dem sich die von dem Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (vgl. nur [X.], Beschluss vom 10. Dezember 2002 - [X.], [X.]Z 153, 173, 175 mwN).

bb) Stützt sich der Kläger - wie hier - in erster Linie auf Schadensersatz- bzw. Entschädigungsansprüche und nur hilfsweise auf die Zahlungspflicht, die sich aus einem vor Klageerhebung geschlossenen außergerichtlichen Vergleich ergibt, ist der [X.] identisch; er wird jedoch regelmäßig auf zwei unterschiedliche Lebenssachverhalte gestützt. Zwar ist im Zweifel - und auch hier - davon auszugehen, dass der Vergleich das ursprüngliche Rechtsverhältnis nicht im Wege einer Novation ersetzen soll (vgl. nur [X.], Urteil vom 13. Juli 2004 - [X.], [X.], 1783 f. mwN). Die Verpflichtungen aus dem Schuldverhältnis und die in einem außergerichtlichen Vergleich über das Schuldverhältnis vereinbarten Verpflichtungen sind aber in der Regel als verschiedene prozessuale Lebenssachverhalte anzusehen, und zwar auch dann, wenn der Vergleich keine Novation herbeiführen soll ([X.]/[X.], BGB [2009], § 779 Rn. 38; [X.], [X.], 14. Aufl., § 7 IV; [X.], [X.] [1988], S. 431 ff.). So liegt es hier. Dem Hauptantrag zufolge beruht die Zahlungspflicht auf verschiedenen Positionen, die auf Schadensersatz- bzw. Entschädigungsrecht gestützt werden; nach dem Hilfsantrag beruht sie dagegen auf dem Vergleich, in dem eine pauschale Zahlung vereinbart worden ist. Wie es sich verhält, wenn die ursprüngliche Forderung nur inhaltlich umgestaltet werden soll (zu einer solchen Konstellation [X.], Urteil vom 7. März 2002 - [X.], [X.], 721 f. m. krit. [X.]. [X.]), kann dahinstehen.

b) Das Berufungsgericht verkennt jedoch, dass die Klägerin ihre Klage in zulässiger Weise um einen Hilfsantrag erweitert hat.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann das Revisionsgericht die Würdigung prozessualer Erklärungen einer [X.] uneingeschränkt nachprüfen und Erklärungen selbst auslegen. Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der [X.] zu erforschen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. nur [X.], Urteil vom 1. August 2013 - [X.], NJW 2014, 155 Rn. 30 mwN).

bb) Daran gemessen hat die Klägerin eine nachträgliche Klagehäufung in [X.] vorgenommen, indem sie sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hilfsweise auf die in dem Vergleich vereinbarte Zahlungspflicht berufen hat; denn sie hat damit erklärt, für den Fall einer Abweisung des [X.] eine Titulierung der im Vergleichswege vereinbarten Zahlungspflicht herbeiführen zu wollen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts dürfen Haupt- und Hilfsantrag einander wi[X.]prechen oder sich gegenseitig ausschließen ([X.], 71, 73 f.; [X.]/[X.], ZPO, 30. Aufl., § 260 Rn. 4 [X.] mwN). Eine nachträgliche Klagehäufung ist prozessual wie eine Klageänderung zu behandeln ([X.], Urteil vom 10. Januar 1985 - [X.], NJW 1985, 1841, 1842 mwN). Ihre Zulässigkeit ist an § 263 bzw. § 533 ZPO und nicht an § 264 Nr. 1 ZPO zu messen, wenn ursprüngliches Zahlungsbegehren und vergleichsweise vereinbarte Zahlung - wie hier - unterschiedliche Streitgegenstände darstellen (aA aus prozessökonomischen Überlegungen [X.] in [X.], 6. Aufl., § 779 Rn. 25; [X.]., [X.] [1988], 436).

cc) Weil das Berufungsgericht das Vorbringen nicht als nachträgliche Klagehäufung angesehen hat, hat es sich nicht mit der Frage befasst, ob diese sachdienlich im Sinne von § 533 Nr. 1 ZPO ist. Der [X.] kann diese Frage selbst entscheiden, da die hierbei zu berücksichtigenden Gesichtspunkte feststehen und zusätzliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind. Danach ist die Sachdienlichkeit gegeben; es ist ein Gebot der Prozessökonomie, dass die Klägerin die Zahlungspflicht aus dem Vergleich in dem bereits anhängigen Verfahren titulieren lassen kann, nachdem der Abschluss des Vergleichs auch für die Entscheidung über die ursprüngliche Zahlungspflicht von entscheidender Bedeutung ist und die erforderlichen Beweise erhoben worden sind. Aus dem gleichen Grund sind auch die Voraussetzungen von § 533 Nr. 2 ZPO erfüllt.

III.

Soweit die Revision Erfolg hat, ist das Urteil aufzuheben. Die Sache ist zur Endentscheidung reif. Der Zahlungsanspruch besteht in Höhe von 3.000 €. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 BGB von der Rechtshängigkeit der [X.] an. Der Antrag der Klägerin ist dahingehend auszulegen, dass sie 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz verlangt (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Februar 2013 - [X.], [X.], 509 f.).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO analog, § 565 Satz 1 i.V.m. § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

Stresemann                      Lemke                         Schmidt-Räntsch

                    Brückner                    Weinland

Meta

V ZR 298/13

04.07.2014

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Dortmund, 5. November 2013, Az: 1 S 316/12

§ 779 BGB, § 260 ZPO, § 263 ZPO, § 14 Nr 4 WoEigG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.07.2014, Az. V ZR 298/13 (REWIS RS 2014, 4282)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4282

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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