Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.11.2011, Az. 3 StR 244/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 1672

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Gegenstand

Nötigung eines Verfassungsorgans: Wiederaufleben der Strafbarkeit der einfachen Nötigung; fehlerhafte Annahme der Zuständigkeit des Gerichts


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 22. November 2010 wird

a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 23. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

b) das vorgenannte Urteil

aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte unter Freisprechung im Übrigen des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der versuchten Nötigung in zwei Fällen, der Volksverhetzung, der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten in 13 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, sowie der Beleidigung in fünf Fällen schuldig ist;

bb) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 5. der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe in Höhe von fünf Tagessätzen zu jeweils einem Euro verurteilt wird.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

2. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird die Kostenentscheidung in dem vorgenannten Urteil dahin geändert, dass der Angeklagte die Kosten des Verfahrens trägt, soweit er verurteilt ist; soweit er freigesprochen ist, fallen die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last.

Die weitergehende sofortige Beschwerde wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten der Revision und die Kosten der sofortigen Beschwerde zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in ni[X.]ht geringer Menge, versu[X.]hter Nötigung, versu[X.]hter Nötigung eines Mitglieds eines Verfassungsorgans, Volksverhetzung in zwei Fällen, öffentli[X.]her Aufforderung zu Straftaten in 13 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, und wegen Beleidigung in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstre[X.]kung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Vom Vorwurf des Widerstands gegen Vollstre[X.]kungsbeamte hat es den Angeklagten freigespro[X.]hen. Es hat ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt.

2

Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Re[X.]hts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sa[X.]hrüge - die Verfahrensrügen sind ni[X.]ht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] entspre[X.]henden Form erhoben ([X.], Urteil vom 21. Oktober 1969 - 5 StR 358/69) - den aus der [X.] ersi[X.]htli[X.]hen geringen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]). Seine sofortige Bes[X.]hwerde gegen die Kostenents[X.]heidung ist teilweise erfolgrei[X.]h.

3

1. Soweit der Angeklagte im Fall [X.] 23. der Urteilsgründe wegen Volksverhetzung verurteilt worden ist, stellt der [X.] das Verfahren auf Antrag des [X.] na[X.]h § 154 Abs. 2 [X.] ein.

4

2. Im Fall [X.] 5. der Urteilsgründe ändert der [X.] den S[X.]huldspru[X.]h in versu[X.]hte Nötigung und den Ausspru[X.]h über die [X.] gemäß dem Antrag des [X.] auf die gesetzli[X.]h niedrigste Strafe (§ 354 Abs. 1 [X.]).

5

a) Na[X.]h den Feststellungen des [X.]s übersandte der Angeklagte, der einen ihm persönli[X.]h unbekannten Heranwa[X.]hsenden von Justiz- und Polizeibehörden des [X.] uns[X.]huldig verfolgt wähnte, dem damaligen [X.] am 22. April 2007 eine E-Mail, in der er ihn - von dem Wuns[X.]h geleitet, der [X.] möge si[X.]h mit seinem Anliegen befassen - aufforderte, "zu dieser Sa[X.]he … umgehend und überzeugend Stellung [zu] nehmen". Für den Fall, dass er ni[X.]ht Stellung nehmen werde, drohte der Angeklagte damit, ihn zu töten. Der [X.] äußerte si[X.]h ni[X.]ht.

6

b) Die Feststellungen des [X.]s tragen eine Verurteilung wegen versu[X.]hter Nötigung eines Mitglieds eines Verfassungsorgans na[X.]h § 106 Abs. 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.], §§ 22, 23 StGB ni[X.]ht. Na[X.]h diesen Vors[X.]hriften wird bestraft, wer na[X.]h seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar dazu ansetzt, ein dort bezei[X.]hnetes Mitglied eines Verfassungsorgans re[X.]htswidrig mit Gewalt oder dur[X.]h Drohung mit einem empfindli[X.]hen Übel dazu zu nötigen, seine Befugnisse ni[X.]ht oder in einem bestimmten Sinne auszuüben. Da die erfolglose Aufforderung des Angeklagten ledigli[X.]h darauf zielte, der [X.] möge si[X.]h außerhalb seines Zuständigkeitsberei[X.]hs zu Maßnahmen ihm hierar[X.]his[X.]h ni[X.]ht na[X.]hgeordneter [X.] äußern, zielte sein Tatents[X.]hluss ni[X.]ht auf das Abnötigen einer Ausübung von Befugnissen im Sinne des § 106 StGB und setzte er ni[X.]ht zu einer Verwirkli[X.]hung dieses Straftatbestands an.

7

[X.]) Der [X.] ändert den S[X.]huldspru[X.]h in entspre[X.]hender Anwendung des § 354 Abs. 1 [X.] in eine Verurteilung wegen versu[X.]hter Nötigung, weil auszus[X.]hließen ist, dass weitere Feststellungen getroffen werden können, die zu einer anderen re[X.]htli[X.]hen Bewertung der Tat führten. Zielt der im Übrigen tatbestandsmäßige Nötigungsversu[X.]h ni[X.]ht auf die Ausübung oder Ni[X.]htausübung von Befugnissen im Sinne des § 106 StGB, sondern auf eine sonstige Handlung, Duldung oder Unterlassung, so lebt die ansonsten verdrängte Strafbarkeit na[X.]h § 240 StGB wieder auf (no[X.]h offen gelassen bei [X.], Urteil vom 23. November 1983 - 3 StR 256/83, [X.]St 32, 165, 177).

8

§ 265 [X.] steht einer Änderung des S[X.]huldspru[X.]hs ni[X.]ht entgegen, weil si[X.]h der Angeklagte gegen den Vorwurf der versu[X.]hten Nötigung ni[X.]ht anders als ges[X.]hehen hätte verteidigen können.

9

d) Der [X.] verhängt in Übereinstimmung mit dem Antrag des [X.] im Fall [X.] 5. der Urteilsgründe mit einer Geldstrafe in Höhe von fünf Tagessätzen zu jeweils einem Euro die na[X.]h § 40 StGB gesetzli[X.]h niedrigste Strafe (§ 354 Abs. 1 [X.]).

e) An der Änderung des S[X.]huldspru[X.]hs und der Festsetzung der gesetzli[X.]hen Mindeststrafe in entspre[X.]hender bzw. unmittelbarer Anwendung des § 354 Abs. 1 [X.] ist der [X.] ni[X.]ht dadur[X.]h gehindert, dass dem [X.] - was der [X.] wegen zu prüfen hat (vgl. [X.], Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 [X.], [X.]St 46, 238, 240 ff.) - für die Aburteilung eines Vergehens na[X.]h § 106 StGB gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 5 [X.] die sa[X.]hli[X.]he Zuständigkeit fehlte. Dies führt hier ni[X.]ht dazu, dass der [X.] den fragli[X.]hen S[X.]huldspru[X.]h aufheben und die Sa[X.]he insoweit gemäß § 355 [X.] an das Oberlandesgeri[X.]ht verweisen müsste; denn das [X.] hat seine Zuständigkeit ni[X.]ht "mit Unre[X.]ht" im Sinne dieser Vors[X.]hrift angenommen. Ob ein Geri[X.]ht seine Zuständigkeit fehlerhaft annimmt, bemisst si[X.]h ni[X.]ht na[X.]h dessen subjektiver re[X.]htli[X.]her Eins[X.]hätzung des Sa[X.]hverhalts, sondern na[X.]h der objektiven Re[X.]htslage (RG, Urteil vom 22. April 1882 - [X.]. 446/82, [X.], 309, 314 f.; Urteil vom 2. April 1940 - 4 [X.]/40, [X.], 139, 140; [X.], [X.] 1952, 118 [X.]. 5; [X.], [X.], 54. Aufl., § 355 Rn. 3). Weder im Zeitpunkt des Eröffnungsbes[X.]hlusses, in dem das [X.] die Tat im Ans[X.]hluss an die Anklages[X.]hrift zutreffend ni[X.]ht als versu[X.]hte Nötigung eines Mitglieds eines Verfassungsorgans wertete, no[X.]h im hier im Hinbli[X.]k auf § 270 [X.] maßgebli[X.]hen Zeitpunkt seiner Ents[X.]heidung über den im Rahmen der Hauptverhandlung na[X.]h seiner Überzeugung erwiesenen Sa[X.]hverhalt re[X.]htfertigten die re[X.]htsfehlerfrei getroffenen Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten na[X.]h § 106 StGB (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 1961 - 5 StR 246/61; Urteil vom 13. Dezember 1960 - 5 StR 341/60, [X.] 1962, 149; Bes[X.]hluss vom 19. August 1971 - 4 StR 304/71, [X.] 1972, 18 bei [X.]; [X.], aaO, § 338 Rn. 32 f.), so dass das [X.] für die Aburteilung der Tat objektiv zuständig war. Da auszus[X.]hließen ist, dass in einer erneuten Verhandlung no[X.]h Tatsa[X.]hen festgestellt werden könnten, die einen S[X.]huldspru[X.]h na[X.]h § 106 [X.] zu tragen vermö[X.]hten, ist der [X.] daher ni[X.]ht gehindert, gemäß § 354 Abs. 1 [X.] zu verfahren.

3. Im Übrigen gibt die Revision keinen Anlass zu einer Änderung des S[X.]huld- oder Strafausspru[X.]hs. Dass das [X.] in den Fällen [X.] 14., 15. und 17. bis 19. der Urteilsgründe im Zusammenhang mit der Strafzumessung das angedrohte Hö[X.]hstmaß der Strafe unzutreffend bezei[X.]hnet hat, führt ni[X.]ht zur Aufhebung der vom [X.] festgesetzten [X.]n. Der [X.] vermag auszus[X.]hließen, dass das [X.], das Strafen knapp über dem ri[X.]htig ermittelten Mindestmaß verhängt hat, bei einer korrekten Bezei[X.]hnung des Hö[X.]hstmaßes zu geringeren [X.]n gelangt wäre. Da der [X.] weiter auss[X.]hließen kann, dass das [X.] bei Wegfall der für Fall [X.] 23. der Urteilsgründe verhängten [X.] und bei Berü[X.]ksi[X.]htigung der gesetzli[X.]h niedrigsten Strafe im Fall [X.] 5. der Urteilsgründe zu einer anderen als der verhängten Gesamtstrafe gelangt wäre, hat au[X.]h der Ausspru[X.]h über die Gesamtstrafe Bestand.

4. Die sofortige Bes[X.]hwerde des Angeklagten gegen die Kostenents[X.]heidung des [X.]s hat insoweit Erfolg, als das [X.] von der Anwendung des § 467 Abs. 1 [X.] zugunsten des Angeklagten abgesehen hat. Im Übrigen ist sie unbegründet, weil die Kostenents[X.]heidung den gesetzli[X.]hen Vorgaben entspri[X.]ht.

5. Die verbleibenden Kosten des Revisionsverfahrens und die Kosten des Bes[X.]hwerdeverfahrens waren na[X.]h § 473 Abs. 1 [X.] dem Angeklagten aufzuerlegen, weil der geringe Teilerfolg eine Kostenteilung na[X.]h § 473 Abs. 4 [X.] ni[X.]ht re[X.]htfertigt.

[X.]

                     S[X.]häfer                                   Menges

Meta

3 StR 244/11

08.11.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dortmund, 22. November 2010, Az: 36 KLs 51/07

§ 22 StGB, § 106 StGB, § 240 StGB, § 354 Abs 1 StPO, § 355 StPO, § 120 Abs 1 Nr 5 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.11.2011, Az. 3 StR 244/11 (REWIS RS 2011, 1672)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1672

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Wird zitiert von

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3 StR 314/12

3 StR 314/12

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