Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.06.2020, Az. 2 BvC 37/19

2. Senat | REWIS RS 2020, 2853

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Gegenstand

Keine Gruppenbevollmächtigung (§ 2 Abs 3 Halbs 2 WahlPrG) im Wahlprüfungsverfahren vor dem BVerfG - zudem kein Anspruch auf Beistandszulassung eines Gruppenbevollmächtigten für übrige Wahleinspruchsführer im verfassungsgerichtlichen Wahlprüfungsverfahren - hier: Ablehnung eines Eilantrags im Wahlprüfungsverfahren - Ablehnung einer Beistandszulassung - A-limine-Abweisung mehrerer Wahlprüfungsbeschwerden


Tenor

Der Antrag auf Zulassung des Beschwerdeführers zu 2. als Beistand der Beschwerdeführer zu 1. und 3. bis 20. wird abgelehnt.

Die Wahlprüfungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu 1. und 3. bis 20. wird gemäß § 24 des Gesetzes über das [X.] verworfen.

Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführer zu 1. und 3. bis 20. auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Beschwerdeführers zu 2. wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer zu 2. wendet sich im eigenen Namen und als "Gruppenbevollmächtigter" der weiteren Beschwerdeführer mit der Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Zurückweisung eingelegter [X.] durch die Beschlüsse des [X.] vom 9. Mai 2019 und vom 24. Oktober 2019. Er begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, "die 65 Mitglieder des [X.] mit sogenanntem '[X.]' - die erst nach Schließung der Wahllokale am [X.] und Feststellung der sog. 'Überhänge' den [X.]parteien ohne erneute Wahlhandlung zugewiesen wurden - so lange aus der parlamentarischen Willensbildung des [X.] auszuschließen, bis die Streitfrage in der Hauptsache entschieden ist".

2

1. Im November 2017 legte der Beschwerdeführer zu 2. im eigenen Namen und als "Gruppenbeauftragter" der weiteren Beschwerdeführer Einspruch gegen die am 24. September 2017 durchgeführte Wahl zum 19. [X.] ein. Zur Begründung trug er insbesondere vor, dass die Listenwahl, das Zweistimmensystem sowie das sogenannte "[X.]" und die Regelungen zum Ausgleich von "Überhangmandaten" verfassungswidrig seien. Zudem fehle vor allem den Regelungen über die Festlegung der [X.]zahl und über die Sitzverteilung im [X.] die erforderliche Normenklarheit. Im März 2018 beantragte der Beschwerdeführer zu 2. den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem er das nunmehr auch im hiesigen Verfahren begehrte Rechtsschutzziel verfolgte. Sodann stellte er mit am 9. Januar 2019 beim [X.] eingegangenem Schreiben zusätzlich den Antrag, die Zahl der [X.]e in [X.] um mindestens einen Sitz zurückzuführen, nachdem mit dem Ausscheiden des direkt gewählten [X.] [X.] dort ein Überhangmandat entfallen sei. Zur Begründung trug er vor, dass trotz des Wegfalls eines Überhangmandats die Abgeordnete [X.] dem [X.] [X.] nachgefolgt sei, obwohl das [X.] die Nachfolge von [X.] in Überhangmandate untersagt habe.

3

2. Der [X.] wies den Einspruch, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie den Antrag vom 9. Januar 2019 mit angegriffenem Beschluss vom 9. Mai 2019 zurück.

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a) Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] bestehe der [X.] vorbehaltlich der sich aus dem Gesetz ergebenden Abweichungen aus 598 [X.]. Die Gesamtzahl der Sitze könne sich erhöhen. Eine solche Erhöhung sehe § 6 Abs. 5 Satz 2 [X.] vor. Die hiernach ermittelte Mitgliederzahl von 709 [X.] des 19. [X.] sei die gesetzliche Mitgliederzahl.

5

b) Soweit gerügt werde, dass einzelne Regelungen des [X.] gegen das Grundgesetz verstießen, sei darauf hinzuweisen, dass der [X.] im Wahlprüfungsverfahren die Verfassungsmäßigkeit der für die Wahl geltenden Rechtsvorschriften nicht überprüfe. Eine derartige Kontrolle sei dem [X.] vorbehalten. Jedoch bestehe kein Anlass für Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in Frage gestellten Regelungen.

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c) Der Antrag vom 9. Januar 2019 sei unbegründet. Der Erwerb des Bundestagsmandats der [X.] [X.] nach dem Ausscheiden des (direkt gewählten) [X.] [X.] sei gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 [X.] erfolgt. Dabei bestünden keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Die angeführten Argumente im Hinblick auf die Entscheidung des [X.]s zur "Nachfolge in Überhangmandate" ([X.] 97, 317 ff.) könnten nicht auf die geltende Rechtslage übertragen werden.

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3. Mit Schreiben an den [X.] vom 21. August 2019 ergänzte der Beschwerdeführer zu 2. den Einspruch dahingehend, dass er sich erneut gegen die "[X.] in Überhangmandate" wende. Es werde beantragt, nach dem Ausscheiden der direkt gewählten [X.] [X.] aus dem [X.], der von der Landesliste der [X.] die Abgeordnete [X.] nachgefolgt war, den Mandatsausgleich neu zu berechnen und mindestens um ein [X.] zu kürzen.

8

4. Mit angegriffenem Beschluss vom 24. Oktober 2019 wies der [X.] diesen Einspruch zurück. Die Nachfolge der [X.] [X.] im [X.] sei gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 [X.] erfolgt, an dessen Verfassungsmäßigkeit keine Zweifel bestünden.

9

1. Der Beschwerdeführer zu 2. hat im Namen aller Beschwerdeführer mit am 25. Mai 2019 beim [X.] eingegangenem Schriftsatz einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und mit am 3. Juni 2019 eingegangenem Schriftsatz eine Wahlprüfungsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.] vom 9. Mai 2019 erhoben.

a) Er sei als "Gruppenbevollmächtigter" nach § 2 Abs. 3 [X.] benannt. Dem Wahlprüfungsausschuss des [X.] hätten die Vollmachten vorgelegen. Das [X.] habe im Eilverfahren 2 BvQ 33/18 ([X.] 149, 374 ff.) die Gruppenvollmacht im [X.] akzeptiert.

b) Es werde die Aufhebung des Beschlusses des [X.] vom 9. Mai 2019 sowie eine Wiederholung der [X.] begehrt, da die [X.] vom 24. September 2017 unter schweren Verfassungsverstößen und mandatsrelevanten Verfahrensfehlern leide.

aa) 2017 hätten insgesamt 410 Abgeordnete nicht direkt gewählt werden können, da zu den 299 Listenmandaten 46 Überhang- und 65 [X.]e hinzugekommen seien. Die Unmittelbarkeit der Wahl sei nur bei den 299 direkt gewählten [X.] gegeben. Das [X.] habe eine bloße Parteienwahl ausgeschlossen.

bb) Das "negative Stimmgewicht" trete nach der Neuregelung von § 6 [X.] häufiger auf als je zuvor. Das [X.] habe ein "negatives Stimmgewicht" jedoch für verfassungswidrig erklärt. Da es nur bei gespaltener Abstimmung möglich sei, müsse die Rechtsprechung des [X.]s dahingehend verstanden werden, dass das "[X.]" unzulässig sei.

cc) Die Regelung des Ausgleichs von Überhangmandaten sei verfassungswidrig. Wenn die Zahl der Mandate zum Ausgleich für Überhänge aufgestockt werden solle, erfordere das eine eigenständige Wahlentscheidung. Wer das Wahlergebnis ausgleiche, verfälsche es. Erschwerend komme hinzu, dass die Zahl der [X.]e höher sei als der Überhang. Dies widerspreche der Rechtsprechung, nach der ein Wahlsystem frei von sinnwidrigen Effekten sein müsse. Den 65 nachgeschobenen Mandaten fehle die [X.] Legitimation.

dd) Der gesetzlichen Regelung zur Ermittlung der Zahl und der Verteilung der Sitze auf die Parteien fehle die erforderliche Normenklarheit. Der [X.] setze sich damit über die Anordnung des [X.]s im Urteil vom 3. Juli 2008 ([X.] 121, 266 <316>) hinweg, mehr Normenklarheit zu schaffen. Diese fehle nach wie vor bezogen auf § 1 Abs. 1 Satz 2, § 6, § 27 Abs. 1 Satz 1 und § 48 [X.].

ee) Das [X.] habe die [X.] in Überhangmandate untersagt. Darüber habe sich der Gesetzgeber hinweggesetzt. Werde ein Direktmandat vakant, müsse die Zahl der [X.]e angepasst werden.

c) Zur Begründung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verweist der Beschwerdeführer zu 2. darauf, dass die Antragsteller sich bereits damit abfinden müssten, dass an der Wahl der Bundeskanzlerin und des Bundestagspräsidenten 65 weder unmittelbar noch frei gewählte Abgeordnete teilgenommen hätten. Deren [X.]e gründeten nicht auf einer Entscheidung des Wahlvolkes. Daher liege ein wichtiger Grund vor, der eine vorläufige Regelung dringend gebiete. Es sei den Antragstellern nicht zumutbar, bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu warten. Im Laufe einer Legislaturperiode gebe es zahlreiche Angelegenheiten von herausragender Bedeutung. Es sei daher besser, die 65 [X.] mit strittigem [X.] von der parlamentarischen Willensbildung zu Unrecht auszuschließen, als sie zu Unrecht daran teilnehmen zu lassen.

2. Nach Eingang der Wahlprüfungsbeschwerde haben die Beschwerdeführer zu 3., 4. und 19. Vollmachten für den Beschwerdeführer zu 2. vorgelegt.

3. Mit am 20. November 2019 beim [X.] eingegangenem Schriftsatz hat sich der Beschwerdeführer zu 2. im Namen aller Beschwerdeführer auch gegen den Beschluss des [X.] vom 24. Oktober 2019 gewandt. In der Weigerung, nach dem Ausscheiden der [X.] [X.] auch das [X.] Ausgleichskontingent entsprechend zurückzuführen, liege eine verfassungswidrige Willkürhandlung.

Der sinngemäß gestellte Antrag auf Zulassung des Beschwerdeführers zu 2. als Beistand der übrigen Beschwerdeführer ist abzulehnen ([X.]). Die Wahlprüfungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu 1. und 3. bis 20. ist vor diesem Hintergrund unzulässig und wird nach § 24 [X.] einstimmig verworfen (I[X.]). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Beschwerdeführers zu 2. hat keinen Erfolg (II[X.])

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Wahlprüfungsbeschwerde sind vom Beschwerdeführer zu 2. im eigenen und im Namen der übrigen Beschwerdeführer erhoben worden. Hinsichtlich der Vertretung der übrigen Beschwerdeführer durch den Beschwerdeführer zu 2. liegen dabei die Voraussetzungen einer Prozessvertretung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht vor, da der Beschwerdeführer zu 2. - soweit ersichtlich - weder als Rechtsanwalt zugelassen noch Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule ist.

An dem Fehlen einer wirksamen Prozessvertretung durch den Beschwerdeführer zu 2. ändert nichts, dass er im Einspruchsverfahren als Bevollmächtigter im Sinne des § 2 Abs. 3 Halbsatz 2 [X.] benannt wurde. Die dort geregelte Bevollmächtigung bei gemeinschaftlichen Einsprüchen ist im [X.]sgesetz nicht vorgesehen. Gemäß § 18 [X.] gelten für das Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde die Vorschriften des [X.]sgesetzes. Die für den Wahleinspruch vorgesehene Möglichkeit der Bevollmächtigung gemäß § 2 Abs. 3 Halbsatz 2 [X.] findet im Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde gemäß Art. 41 Abs. 2 GG, § 13 Nr. 3, § 48 [X.] keine Anwendung.

Vor diesem Hintergrund ist die Einreichung des [X.] sowie der Wahlprüfungsbeschwerde durch den Beschwerdeführer zu 2. im Namen aller Beschwerdeführer als Antrag auf Zulassung des Beschwerdeführers zu 2. als Beistand im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 4 [X.] auszulegen (vgl. zu einer dementsprechenden Auslegung auch [X.] 8, 92 <94>; 68, 360 <361>).

2. Diesem Antrag ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 4 [X.] nicht zu entsprechen.

a) Nach § 22 Abs. 1 Satz 4 [X.] kann auf Antrag ein Beistand zugelassen werden. Dieser ist nach § 22 Abs. 2 [X.] zu bevollmächtigen (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 13. Juli 2016 - 2 BvC 66/14 -, Rn. 2). Die Zulassung als Beistand, die in das pflichtgemäße Ermessen des [X.]s gestellt ist, kommt dabei nur in Betracht, wenn sie objektiv sachdienlich und subjektiv notwendig ist (vgl. [X.] 8, 92 <94>; 68, 360 <361>). Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn es dem Beschwerdeführer unzumutbar wäre, sich durch einen Bevollmächtigten nach § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] vertreten zu lassen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. April 2018 - 2 BvR 492/18 -, Rn. 1). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist vom Beschwerdeführer substantiiert darzulegen (vgl. [X.]K 13, 171 <180 f.>).

b) Nach dieser Maßgabe kommt die Zulassung des Beschwerdeführers zu 2. als Beistand der übrigen Beschwerdeführer nicht in Betracht. Hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 1., 5. bis. 18. und 20. fehlt es schon an der Vorlage einer Vollmacht im Sinne des § 22 Abs. 2 [X.]. Im Übrigen ist von den Beschwerdeführern insgesamt nicht dargetan worden, dass es ihnen unzumutbar wäre, sich durch eine der in § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] genannten Personen vertreten zu lassen. Schließlich folgt angesichts der Regelung des § 18 [X.] kein Anspruch auf Zulassung als Beistand nach § 22 Abs. 1 Satz 4 [X.] daraus, dass der Beschwerdeführer zu 2. im Wahleinspruchsverfahren als "Gruppenbevollmächtigter" benannt wurde. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Senats im Verfahren 2 BvQ 33/18 vom 24. Juli 2018 ([X.] 149, 374 ff.). In diesem Beschluss ist keine Entscheidung über die Zulassung des Beschwerdeführers zu 2. als Beistand der übrigen Beschwerdeführer ergangen.

1. Die Wahlprüfungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu 1. und 3. bis 20. [X.] ist deshalb unzulässig, so dass sie gemäß § 24 [X.] verworfen werden kann. Die Beschwerdeführer zu 1. und 3. bis 20. haben die Wahlprüfungsbeschwerde nur durch den Beschwerdeführer zu 2. erheben lassen. Dessen Verfahrenshandlungen werden jedoch erst dann wirksam, wenn und sobald er als Beistand zugelassen wird (vgl. [X.] 8, 92 <94 f.>). Weil eine solche Zulassung hier abzulehnen war, sind auch die Verfahrenshandlungen des Beschwerdeführers zu 2. nicht wirksam, die er für die weiteren Beschwerdeführer vorgenommen hat.

2. Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Beschwerdeführer zu 1. und 3. bis 20. (vgl. [X.] 7, 99 <109>; 105, 197 <235>).

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Beschwerdeführers zu 2. hat keinen Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat jedoch keinen Erfolg, wenn der Antrag in der Hauptsache unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. [X.] 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang hat das [X.] lediglich die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Verfahren in der Hauptsache aber Erfolg hätte, mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Verfahren in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 122, 342 <361>; 131, 47 <55>; stRspr). Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 104, 23 <27>; 132, 195 <232 Rn. 86>; stRspr).

2. Nach dieser Maßgabe ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Erfolg zu versagen. Dabei kann dahinstehen, inwieweit die Wahlprüfungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2. von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Denn jedenfalls aufgrund der Folgenabwägung scheidet der Erlass einer einstweiligen Anordnung aus.

a) Dem gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Beschwerdeführer zu 2. den (vorläufigen) Ausschluss von 65 [X.] aus der parlamentarischen Willensbildung begehrt, liegt in der Hauptsache die Geltendmachung der Ungültigkeit der [X.] 2017 aufgrund von Wahlfehlern in Gestalt verfassungswidriger Normen des [X.] zugrunde. [X.] die einstweilige Anordnung nicht, hätte das Hauptsacheverfahren aber Erfolg, würden die betroffenen [X.] trotz des Vorliegens von Wahlfehlern und einer daraus sich eventuell ergebenden Ungültigkeit der [X.] oder Unwirksamkeit der Erlangung der Bundestagsmandate jedenfalls bis zum Abschluss des [X.]s an der parlamentarischen Willensbildung teilnehmen. [X.] hingegen die einstweilige Anordnung, bliebe das Hauptsacheverfahren aber erfolglos, würden diese [X.] in der Zwischenzeit von der parlamentarischen Willensbildung ausgeschlossen, obwohl ihre Wahl zum [X.] verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre.

b) Die Folgenabwägung führt dazu, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht kommt.

aa) Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass einer einmal durch eine Wahl hervorgebrachten Volksvertretung grundsätzlich ein im Demokratiegebot wurzelnder Bestandsschutz zukommt (vgl. [X.] 89, 243 <253>; 103, 111 <134>; 121, 266 <311 f.>; 129, 300 <344>; stRspr). Demgemäß führt sogar das rechtskräftig festgestellte Vorliegen eines Wahlfehlers im Wahlprüfungsverfahren nicht automatisch zur Ungültigerklärung der Wahl. Vielmehr setzt dies zum einen voraus, dass der [X.] entfaltet (vgl. [X.] 1, 430 <433>; 21, 196 <199>; 48, 271 <280>; 89, 243 <254>; 89, 266 <273>; 121, 266 <310 f.>; stRspr). Zum anderen unterliegt auch dann die Wahlprüfungsentscheidung des [X.]s noch dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs (vgl. [X.] 121, 266 <311>; 123, 39 <87 f.>). Grundsätzlich ist daher das Erfordernis des Bestandsschutzes einer gewählten Volksvertretung mit den Auswirkungen des festgestellten Wahlfehlers abzuwägen (vgl. [X.] 89, 243 <253>; 103, 111 <135>; 121, 266 <311>; 129, 300 <345>; stRspr). Der Eingriff in die Zusammensetzung der gewählten Volksvertretung durch eine wahlprüfungsrechtliche Entscheidung muss trotz des Interesses an der Erhaltung der gewählten Volksvertretung gerechtfertigt sein.

Vor diesem Hintergrund ist hinsichtlich der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im [X.] durch einen Eingriff in die Zusammensetzung des [X.] besondere Zurückhaltung geboten. Steht das Vorliegen eines Wahlfehlers noch nicht fest, kommt dem im Demokratiegebot wurzelnden Bestandsschutz der gewählten Volksvertretung besondere Bedeutung zu.

bb) [X.] dessen ist für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hier kein Raum. Nach den vorgenannten Maßstäben kommt dem Bestandsschutz des gewählten [X.] ein erhebliches Gewicht zu. Hingegen ist kein diesen Bestandsschutz überwiegendes Interesse erkennbar, das es rechtfertigen würde, schon vor einer Entscheidung über die Wahlprüfungsbeschwerde ausnahmsweise Abgeordnete von der Teilnahme an der parlamentarischen Willensbildung, die durch das freie Mandat aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich garantiert ist (vgl. [X.] 80, 188 <217 f.>; 130, 318 <342>; 140, 115 <149 ff. Rn. 91 ff.>), auszuschließen. Der vom Beschwerdeführer zu 2. vorgetragene Umstand, dass die gegebenenfalls fehlerhaft gewählten [X.] auch weiterhin an politischen Entscheidungen von herausgehobener Bedeutung teilnehmen können, vermag hieran für sich genommen nichts zu ändern.

Etwas Anderes kann auch den Ausführungen des Beschwerdeführers zu 2. nicht entnommen werden. Letztlich beschränkt er sich - abgesehen von dem allgemeinen Hinweis auf die besondere Bedeutung parlamentarischer Entscheidungen - auf die Erwägung, es sei besser, 65 Abgeordnete mit strittigem [X.] von der parlamentarischen Willensbildung zu Unrecht auszuschließen, als sie zu Unrecht daran teilnehmen zu lassen. Warum der möglicherweise fehlerhafte Ausschluss von 65 [X.] mit [X.] der möglicherweise unzulässigen weiteren Beteiligung dieser [X.] an der parlamentarischen Willensbildung vorzuziehen sein soll, erschließt sich nicht. Dem steht der im Demokratieprinzip wurzelnde Bestandsschutz der gewählten Volksvertretung entgegen. Damit setzt sich der Beschwerdeführer zu 2. aber nicht hinreichend auseinander. Auch ansonsten sind Gründe, die ausnahmsweise ein Zurücktreten des Interesses am Bestandsschutz der gewählten Volksvertretung zu rechtfertigen vermögen, nicht ersichtlich.

Meta

2 BvC 37/19

09.06.2020

Bundesverfassungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvC

Art 41 Abs 2 GG, § 22 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 22 Abs 1 S 4 BVerfGG, § 22 Abs 2 BVerfGG, § 24 BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 48 BVerfGG, § 2 Abs 3 Halbs 2 WahlPrG, § 18 WahlPrG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.06.2020, Az. 2 BvC 37/19 (REWIS RS 2020, 2853)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2853

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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