Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.02.2019, Az. 3 StR 400/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2019, 10113

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Notwehr: Umfang der Rechtfertigung bei der Abwehr eines Angriffs mit einer unberechtigt in Besitz genommenen und mitgeführten Waffe


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. Februar 2018

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte

aa) des unerlaubten Erwerbs einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von [X.] in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer solchen Waffe schuldig ist und

bb) im Übrigen freigesprochen wird;

b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von [X.] zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s verabredete der Nebenkläger [X.]    mit dem Angeklagten ein Treffen in dessen Geschäftsräumen, bei dem der Nebenkläger Auskünfte über eine Beteiligung des Geschäftspartners des Angeklagten an der vermuteten Tötung seines verschwundenen [X.] erhalten und zugleich Schulden des Geschäftspartners einfordern wollte. Der Angeklagte fühlte sich von dem Nebenkläger bedroht und hatte dies bereits einige Tage zuvor der Polizei mitgeteilt. Etwa eine Stunde vor dem Eintreffen des [X.] nahm er aus dem Schreibtisch seines Geschäftspartners dessen Pistole [X.], weil er - zutreffend - annahm, dass der Nebenkläger bewaffnet erscheinen würde, und eine Eskalation befürchtete. Als dieser und kurz darauf auch dessen [X.]wie angekündigt gegen 18:00 Uhr eintrafen, forderte der aggressiv auftretende Nebenkläger die Begleichung von Schulden des Geschäftspartners des Angeklagten; dieser warf dem Nebenkläger vor, Schutzgeld zu fordern, und griff zum Telefon, um die Polizei zu rufen. Daraufhin riss ihm der Nebenkläger das Telefon aus der Hand, während sein Bruder ein auf dem Schreibtisch liegendes Klappmesser ergriff und es dem Angeklagten drohend vorhielt. Dieser wich zurück, zog die Pistole, schoss zweimal in den [X.] und rief, dass sie verschwinden sollen. Dabei traf ein Streifschuss den Nebenkläger am Schienbein. [X.]ging mit schnellen Schritten mit dem Messer auf den Angeklagten zu und forderte ihn auf, die Pistole fallen zu lassen. Nunmehr schoss der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz dreimal aus einer Entfernung von 50 bis 80 cm auf [X.], um dessen lebensbedrohlichen Messerangriff abzuwehren. Während [X.]von drei Schüssen tödlich getroffen zu [X.] sank, griff nun auch der Nebenkläger zu seiner Pistole, die er in einer Ledertasche mitführte. Um dem erwarteten Angriff zuvorzukommen, versuchte der Angeklagte, auf den Nebenkläger zu schießen; weil seine Waffe jedoch wegen einer Funktionsstörung versagte, warf er sich auf den Nebenkläger und brachte ihn zu [X.]. Als der Nebenkläger daraufhin den Angeklagten am Hals würgte, schlug dieser mit seiner Waffe auf ihn ein, bis es ihm schließlich gelang, den Nebenkläger am [X.] zu fixieren und die Polizei zu rufen. [X.]verstarb noch am Ort des Geschehens an den Folgen eines [X.]. Der Nebenkläger erlitt neben der Verletzung am Schienbein multiple Gesichtsfrakturen und Riss- bzw. Quetschwunden im Gesicht.

3

Das [X.] hat das gesamte festgestellte Verhalten des Angeklagten dahin gewertet, dass er sich wegen Führens einer Selbstladekurzwaffe nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.] strafbar gemacht habe. [X.] hierzu habe er durch die Schüsse auf [X.]und das weitere gewaltsame Einwirken auf den Nebenkläger tatbestandlich die Delikte des Totschlags, des versuchten Totschlags sowie der gefährlichen Körperverletzung verübt, die allerdings durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt seien.

4

2. Während die Annahme der Rechtfertigung der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte durch Notwehr rechtlicher Prüfung standhält, begegnen die Würdigung des Geschehens als Führen einer Selbstladekurzwaffe und die konkurrenzrechtliche Bewertung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

5

a) Das Führen einer Waffe setzt nach Anlage 1 Abschnitt 2 Nr. 4 zum [X.] das Ausüben der tatsächlichen Gewalt über diese außerhalb der eigenen Wohn- und Geschäftsräume, des eigenen befriedeten Besitztums oder einer Schießstätte voraus. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nahm der Angeklagte die Pistole indes in den mit seinem Geschäftspartner betriebenen Geschäftsräumen in Besitz und setzte sie allein dort ein. Er erfüllte damit den Tatbestand des Erwerbs und tateinheitlichen Besitzes einer Selbstladekurzwaffe gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.].

6

b) Hinsichtlich des Einsatzes der Schusswaffe zum Zweck der Notwehr hat das [X.] nicht bedacht, dass dem Angeklagten in der unmittelbaren [X.] der Einsatz der unberechtigt in Besitz genommenen Pistole nicht verwehrt war, da ihm kein anderes zur Abwehr der Angriffe geeignetes Mittel zur Verfügung stand. Nach § 32 StGB waren daher nicht nur die fahrlässige Körperverletzung (durch die Schienbeinverletzung infolge der Warnschüsse in den [X.]), der Totschlag, der versuchte Totschlag und die gefährliche Körperverletzung gerechtfertigt, sondern auch der Verstoß gegen das Waffengesetz, soweit er unmittelbar mit den Verletzungshandlungen zusammenfiel (vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. August 2010 - 2 [X.], [X.]R StGB § 222 Pflichtverletzung 10; vom 26. Oktober 1990 - 2 [X.], juris Rn. 7).

7

c) Nicht gerechtfertigt sind indes der Erwerb und Besitz der Schusswaffe vor Eintritt der [X.]. Insoweit lagen - entgegen der Revision - auch die Voraussetzungen eines rechtfertigenden (§ 34 StGB) oder entschuldigenden (§ 35 StGB) Notstands nicht vor. Denn zu dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte die Waffe an sich nahm, lag noch keine gegenwärtige Gefahr vor, die der Angeklagte nur durch das Aufnehmen der Waffe hätte abwenden können. Da der Nebenkläger sein Erscheinen und den voraussichtlichen Zeitpunkt telefonisch angekündigt hatte, bestand auch (noch) keine Lage, die unmittelbar in eine konkrete Gefahr hätte umschlagen können. Dem Angeklagten, der sich der abstrakten Gefahrenlage bewusst war, wäre es zu diesem Zeitpunkt möglich gewesen, dem Treffen aus dem Weg zu gehen. Der von der Revision vermissten Auseinandersetzung mit der Frage eines Irrtums über die Voraussetzungen des § 35 StGB bedurfte es nicht. Den Urteilsfeststellungen lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass der Angeklagte irgendwelche relevanten tatsächlichen Umstände nicht oder fälschlich angenommen haben könnte; angesichts des Tatgeschehens liegt ein solcher Irrtum auch sonst fern. Ein bloßer Bewertungsirrtum wäre von § 35 Abs. 2 StGB nicht erfasst (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 35 Rn. 17).

8

d) Zwischen dem tateinheitlichen Erwerb und Besitz der Waffe einerseits und den durch ihren Einsatz begangenen - hier durch Notwehr gerechtfertigten - Straftaten (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.], § 212 Abs. 1 sowie § 212 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, § 229 StGB) andererseits besteht - wie bereits mit der Anklageschrift vorgeworfen - Tatmehrheit (vgl. [X.], Urteile vom 16. März 1989 - 4 StR 60/89, [X.]R StGB § 52 Abs. 1, Handlung, dieselbe 17; vom 15. April 1998 - 2 [X.], juris Rn. 5). Die bloße Möglichkeitsvorstellung bei der Inbesitznahme der Waffe, diese später gegebenenfalls zur Verteidigung einzusetzen, vermag Erwerb und Besitz der Waffe nicht zu einem einheitlichen Tatgeschehen mit den mit der Waffe begangenen Delikten gegen Leib und Leben zu verknüpfen. Es bedurfte daher eines (Teil-)Freispruchs hinsichtlich der vorgeworfenen durch Notwehr gerechtfertigten Straftaten.

9

3. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte dagegen nicht anders hätte verteidigen können.

4. Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs, zumal das [X.] wegen der irrigen Annahme nur einer materiellrechtlichen Tat den Schuldumfang auf die Phase des gerechtfertigten Handelns erstreckt hat.

5. Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer des [X.]s zurück, da eine Zuständigkeit der [X.] nicht mehr begründet ist.

6. [X.] ist damit gegenstandslos geworden.

Schäfer     

        

Wimmer     

        

Ri[X.] [X.] befindet
sich im Urlaub und ist
deshalb gehindert zu
unterschreiben.

                                   

Schäfer

        

Berg     

        

Hoch     

        

Meta

3 StR 400/18

20.02.2019

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 20. Februar 2019, Az: 3 StR 400/18, Beschluss

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 32 StGB, § 52 StGB, § 212 StGB, § 224 StGB, § 52 Abs 1 Nr 2 Buchst b WaffG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.02.2019, Az. 3 StR 400/18 (REWIS RS 2019, 10113)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 10113


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 3 StR 400/18

Bundesgerichtshof, 3 StR 400/18, 20.02.2019.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 380/11 (Bundesgerichtshof)

Gefährliche Körperverletzung durch Gebrauch einer Schusswaffe in Notwehr: Strafbarkeit des Besitzes und des Führens der …


4 StR 561/14 (Bundesgerichtshof)

Revision in Strafsachen: Inbegriffsrüge wegen nicht erfolgter Einbeziehung von in Augenschein genommenen Lichtbildern in die …


4 StR 635/16 (Bundesgerichtshof)

Rechtfertigung einer Schussabgabe durch Notwehr: Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffs


2 StR 380/11 (Bundesgerichtshof)


4 StR 561/14 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 21/21

Zitiert

2 StR 118/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.