Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 28.07.2021, Az. 2 BvR 1282/21

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2021, 3707

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erlass einer einstweiligen Anordnung im Verfassungsbeschwerdeverfahren: Einstweilige Untersagung des Vollzugs einer Auslieferung an die Russische Föderation - potentielle politische Verfolgung im Zielstaat, mangelnde Gesamtwürdigung der dortigen Haftbedingungen - Folgenabwägung


Tenor

Die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der [X.] wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.

Dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers wird aufgegeben, dem [X.] binnen zwei Wochen eine den Anforderungen des § 22 Absatz 2 [X.]sgesetz entsprechende Vollmacht im Original vorzulegen.

Die [X.] wird mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt.

Gründe

1

Zur [X.] wird die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der [X.] gemäß § 32 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.

2

1. Das [X.] kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 [X.] vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>).

3

Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. [X.] 42, 103 <119>). Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 89, 38 <43 f.>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das [X.] grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).

4

2. Nach diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen.

5

a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es erscheint vielmehr möglich, dass die angegriffene Entscheidung des [X.], mit der die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig erklärt wurde, den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Dem angegriffenen Beschluss lässt sich weder eine eigenständige Auseinandersetzung mit dem detaillierten Vortrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Gefahr einer politischen Verfolgung im Zielstaat noch eine Gesamtwürdigung der Haftbedingungen, die den Beschwerdeführer nach seiner Auslieferung wahrscheinlich erwarten werden, entnehmen (vgl. m.w.N. Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1832/19 -, Rn. 41 f., und [X.] , [X.], Urteil vom 20. Oktober 2016, Nr. 7334/13, § 75, § 114, §§ 124 f. und §§ 138 f.). Es ist auch nicht erkennbar, dass das Gericht eine eigene Gefahrenprognose vorgenommen hat, um die Belastbarkeit der Zusicherungen der [X.] Behörden einschätzen zu können (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 30. Oktober 2019 - 2 BvR 828/19 -, Rn. 44 m.w.N.).

6

b) Die nach § 32 Abs. 1 [X.] erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Beschwerdeführer überstellt würde, sich später aber herausstellte, dass die Überstellung rechtswidrig war, wiegen schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn die Überstellung einstweilen untersagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass sie ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Denn im erstgenannten Fall wäre dem Beschwerdeführer eine erfolgreiche Geltendmachung seiner Einwände gegen die Überstellung voraussichtlich nicht mehr möglich. Demgegenüber könnte der Beschwerdeführer, sollte sich die geplante Überstellung als rechtmäßig erweisen, zu einem späteren Zeitpunkt an die [X.] Behörden übergeben werden. Sein Aufenthalt in [X.] würde sich lediglich bis zu einem solchen späteren Termin verlängern.

Meta

2 BvR 1282/21

28.07.2021

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Düsseldorf, 5. Juli 2021, Az: III - 4 AR 57/21, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 28.07.2021, Az. 2 BvR 1282/21 (REWIS RS 2021, 3707)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3707


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 1282/21

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1282/21, 08.12.2021.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1282/21, 28.07.2021.


Az. 4 AR 57/21

Oberlandesgericht Düsseldorf, 4 AR 57/21, 05.07.2021.


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