Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.07.2016, Az. 2 StR 18/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 7862

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:200716U2STR18.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR
18/16
vom
20. Juli 2016
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

-
2
-
[X.]er 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 20. Juli 2016,
an der
teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. [X.]r. Fischer,

[X.] am [X.]
Prof. [X.]r. [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
[X.]r. [X.],
[X.] am [X.]
[X.],

[X.] beim [X.]

in der Verhandlung,
Oberstaatsanwältin beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreterinnen
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwalt

als Vertreter des [X.]

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts Aachen
vom 23. September 2015

a)
in den [X.] der Urteilsgründe aufgehoben und der Angeklagte insoweit freigesprochen; die diesbezügli-chen Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse;
b)
im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen.

3.
[X.]ie weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

-
4
-
Gründe:
[X.]as [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefoh-lenen in 15 Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] in 13 Fällen sowie wegen sexuel-len Missbrauchs von [X.] unter Einbeziehung mehrerer Einzel-geldstrafen aus den [X.] vom 25. und 28. November 2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt
sowie angeordnet, dass die mit Strafbefehl vom 28. November 2014 ausgesprochene Einziehung der si-chergestellten Schreckschusspistole und des Teleskopschlagstockes aufrecht-erhalten bleibt. Ferner hat das [X.] den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.] in zwei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von [X.] in 23 Fällen zu einer
weiteren
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Im Übrigen hat
es den Angeklagten freigesprochen.
[X.]ie auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts ge-stützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem [X.] ersichtlichen
Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

I.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s lebte der Angeklagte bis zum 5. Mai 2015 mit seinen fünf Kindern und deren Mutter, der Zeugin M.

,
in einer Wohnung in [X.].

. [X.]as Zusammenleben wurde durch mehrere Auf-
enthalte der Zeugin M.

im Frauenhaus unterbrochen, die den gemeinsamen
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-
Haushalt zunächst alleine, ab Januar 2014 auch wiederholt mit ihren Kindern verließ.

Unterbrochen durch diese
Frauenhausaufenthalte seiner Familie manipu-lierte der Angeklagte in der [X.] von 1. Januar 2014
bis 3. Mai 2015
in [X.] 25
Fällen am Penis seines im September 2000 geborenen [X.].

.
Im gleichen [X.]raum führte er in insgesamt 26 Fällen einen seiner
Finger oder sein erigiertes Geschlechtsteil in den Anus des Jungen und in insgesamt drei Fällen auch in den Anus seiner im März 2003 geborenen Tochter Mi.

ein.
[X.]abei vollzog er jeweils
mehrfach ein-
und ausführende Bewegungen.

2. Im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines minder schweren
Falls in den [X.], 11-19 und 52-54 der Urteilsgründe sowie der Strafzumessung im engeren Sinne hat das [X.] zu Gunsten des Angeklagten dessen Teilgeständnis berücksichtigt. Zu Lasten hat es eingestellt, dass er vielfach und zum Teil
einschlägig vorbelastet ist und sich auch nach der Verbüßung einer Haftstrafe nicht davon hat abhalten lassen, wieder straffällig zu werden. [X.]ar-über hinaus hat das Gericht die in zahlreichen Fällen tateinheitliche Verwirkli-chung von zwei
Straftatbeständen sowie die in den Fällen der analen Penetra-tion hohe Intensität der Tatausführung
strafschärfend berücksichtigt, da jeweils wiederholende ein-
und ausführende Bewegungen erfolgt
seien. [X.]as Landge-richt
hat daher 17 Einzelstrafen von jeweils vier Jahren und sechs Monaten, 25 Einzelstrafen von jeweils zwei Jahren und zwölf Einzelstrafen von jeweils einem Jahr verhängt.
Bei Bildung der beiden Gesamtfreiheitsstrafen hat die [X.] wie-derum das Teilgeständnis zu Gunsten des Angeklagten eingestellt. Zu seinen Lasten hat es berücksichtigt, dass er sich über einen langen [X.]raum zum Nachteil zweier Geschädigter
schuldig gemacht habe. Unter Erhöhung der je-4
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weiligen Einsatzstrafe von vier Jahren und sechs Monaten hat die [X.] auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren (unter Einziehung der [X.] aus zwei Vorverurteilungen)
und eine solche von fünf Jahren erkannt.

II.
1. a) [X.]er Schuldspruch in den [X.] der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. [X.]er Angeklagte ist insoweit freizusprechen.
[X.]as [X.] ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte seinen [X.] J.

zwischen dessen
ersten und zweiten Aufenthalt im Frauenhaus in
der [X.] vom 13. Februar 2014 bis 1. April 2014 mindestens einmal wöchentlich und damit in mindestens neun Fällen veranlasst
habe, zu ihm ins Wohnzimmer zu kommen, sich zu entkleiden und auf der Schlafcouch Platz zu nehmen. [X.]a-bei habe er in fünf Fällen einen seiner Finger oder seinen Penis in den Anus des Jungen eingeführt (Fälle 2-6 der Urteilsgründe) und in vier Fällen an des-sen Glied manipuliert (Fälle 7-10 der Urteilsgründe).
[X.]ies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. [X.]as [X.] hat sich zwar rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass es mindestens einmal wöchentlich zu einem sexuellen Übergriff des Angeklagten auf seinen [X.] kam
und dass auch dann, wenn
einzelne Wochen aufgrund der Aufenthalte im Frauenhaus um einige Tage verkürzt waren, angesichts des großzügig bemessenen [X.] noch von einem
sexuellen Übergriff in dem verbleibenden [X.]-raum auszugehen ist.
[X.]anach ergeben sich aber für
den [X.]raum vom 13. Februar bis 1. April 2014 nur rund sechseinhalb Wochen, mithin sieben sexuelle Übergriffe. Unter Zugrundelegung der auf die Angaben des Geschädigten gestützten Überzeu-7
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gung der [X.], dass es häufiger zur analen Penetration als zur bloßen Manipulation am Glied
des Jungen
gekommen ist, beruht eine über vier Fälle der analen Penetration
und drei Fälle der Manipulation hinausgehende [X.] des Angeklagten daher nicht mehr auf einer tragfähigen Beweisgrundlage.
[X.]ie Verurteilung des Angeklagten in den Fällen
6 und 10 der [X.] war aufzuheben. [X.]a der Senat ausschließt, dass in einer neuen [X.] noch Feststellungen getroffen werden könnten, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen insgesamt neun Fällen in diesem [X.]raum zu tragen vermögen, spricht er den Angeklagten insoweit mit der entsprechenden Kosten-folge frei (§ 354 Abs. 1, § 467 Abs. 1 StPO).
b)
[X.]ie Überprüfung des Schuldspruchs
aufgrund der Revisionsrechtferti-gung hat im verbleibenden Umfang keinen Rechtsfehler zum Nachteil des [X.] ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. [X.]er Strafausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a)
[X.]ie
Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ihm ob-liegt es, auf der Grundlage seines in der Hauptverhandlung gewonnenen Ge-samteindrucks alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunk-te
festzustellen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. In die Strafzu-messungsentscheidung des Tatgerichts kann das Revisionsgericht nur eingrei-fen, wenn sie Rechtsfehler aufweist, weil die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen
rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder weil die Strafzumessung

auch unter Berücksichtigung des weiten tatrich-terlichen Ermessens

nicht mehr als gerechter Schuldausgleich angesehen werden kann. Nur in diesem Rahmen kann eine Verletzung des Gesetzes im Sinne von § 337 Abs. 1 StPO vorliegen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 10. April 1987

[X.], [X.]St 34, 345, 349).
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b) Gemessen hieran weist die Strafzumessung des angefochtenen Ur-teils durchgreifende Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf, die zur [X.] zwingen. [X.]ie
Ausführungen des [X.]s zur Strafrahmenwahl wie auch im Rahmen der konkreten Strafzumessung lassen besorgen, dass das Gericht die erforderliche Gesamt-würdigung nicht in [X.] Weise vorgenommen hat, weil ein [X.] die Tat prägender Gesichtspunkt erkennbar nicht berücksichtigt wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 14.
Mai 1993

2 [X.], [X.] 1994, 17).
[X.]as [X.] hat ersichtlich nicht in seine Bewertung eingestellt, dass die abgeurteilten Taten Bestandteil einer Tatserie waren, weshalb die [X.] des Angeklagten gesunken sein kann. Werden Taten gleichförmig in Serie begangen, kann sich daraus eine Verminderung des [X.] der Folgetaten ergeben, wenn auf Grund des inneren Zusammenhangs auf eine herabgesetzte Hemmschwelle geschlossen werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 15. Mai 1991

2
StR 130/91, [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 8; [X.] vom 22. [X.]ezember 2011

4 [X.], [X.], 151, 152; [X.] vom 12. November 2008

2 StR 355/08, [X.], 72).
[X.]a die Schuld des [X.] in Bezug auf die [X.] durch eine Mehrheit von Taten erhöht werden kann, ist es möglich,
auch diesen
Umstand schon bei der [X.] und bei der Erwägung mit in Betracht zu ziehen, ob jeweils ein minder schwerer Fall bejaht werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 30.
November 1971

1 [X.], [X.]St 24, 268, 271; Beschluss vom 6.
Juni 1994

5 [X.]/94

juris Rn.
4; Urteil vom 28. März 2013

4 [X.]/12

juris Rn.
23).
[X.]er Senat kann angesichts der Höhe der betroffenen Einzelstrafen nicht ausschließen, dass deren Bemessung auf diesem Rechtsfehler beruht.
[X.]er [X.] hebt aber auch die für die ersten Taten verhängten Einzelstrafen auf, um 15
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dem neuen Tatrichter eine insgesamt ausgewogene, aufeinander abgestimmte Strafzumessung zu ermöglichen. [X.]adurch verlieren auch die Aussprüche über die Gesamtstrafen
wie auch die Anordnung der Aufrechterhaltung der Einzie-hung ihre Grundlage.
3.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Bildung der beiden Gesamtstrafen auch für sich genommen rechtlichen Bedenken
begegnet.
Zwar hat das [X.] bedacht, dass es sich vorliegend als Zufall darstellt, dass die vom Angeklagten im Rahmen einer Tatserie verwirklichten Straftaten nicht im Wege einer einzigen Gesamtstrafe geahndet werden konnten.
[X.] aber

wie hier

die Zäsurwirkung einer einzubeziehenden Vor-verurteilung zur Bildung zweier Gesamtstrafen, muss das Gericht einen sich daraus möglicherweise für den Angeklagten ergebenden Nachteil infolge eines zu hohen Gesamtstrafübels ausgleichen. [X.]abei muss es nicht nur darlegen, dass es
sich dieser Sachlage bewusst gewesen ist, sondern auch erkennen lassen, dass es das Gesamtmaß der Strafen für [X.] gehalten hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. November 1995

4 [X.], [X.]St 41, 310, 313, vom 14. November 1995

4 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs.
1 Satz
1 Zäsurwirkung 11, vom 30. Januar 1996

1 [X.]/95

juris Rn.
14
und vom 17.
April 2008

4
StR 118/08, [X.], 234;
Urteil vom 12.
Februar 2015

4 StR 408/14

juris Rn. 7).
[X.]em wird das [X.] mit seiner nur formelhaften Erwägung, es ha-b-gesetzt, dass insgesamt eine gerechte Bestrafung des Angeklagten erreicht Vor dem Hintergrund, dass die höchste verwirkte [X.] und sechs Monate beträgt, erscheint die Bildung zweier Ge-samtstrafen, die in der Summe
zwölf Jahre
ausmachen,
auch unter Berücksich-18
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tigung
des Umstands, dass mehrere Einzelgeldstrafen aus Vorverurteilungen einbezogen wurden, nicht mehr
als [X.].

4. Sollte der neue Tatrichter erneut eine Gesamtstrafe unter Einbezie-hung des Strafbefehls vom 28. November 2014 bilden, weist der Senat auf Fol-gendes hin:
[X.]er Aufrechterhaltung der in dem einbezogenen Strafbefehl des Amtsge-richts [X.]üren vom 28. November 2014 angeordneten Einziehung einer [X.] und eines Teleskopschlagstockes
bedarf es nicht. [X.]iese Einzie-hung ist bereits erledigt, da das Eigentum an den betreffenden Gegenständen 21
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-
mit der Rechtskraft des Strafbefehls nach § 74e StGB auf den Staat überge-gangen war
([X.], Beschluss vom 10. August 2010

3 [X.]/10

juris Rn.
4
mwN). Im Tenor des neuen Urteils kann lediglich klar gestellt werden, dass die frühere Verurteilung insoweit erledigt ist ([X.], Beschluss vom 21. April 2005

3 [X.]/05

juris Rn.
8).
Fischer Ri[X.] Prof. [X.]r. [X.] Eschelbach

ist aus tatsächlichen Gründen

an der Unterschrift gehindert.

Fischer

[X.] [X.]

Meta

2 StR 18/16

20.07.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.07.2016, Az. 2 StR 18/16 (REWIS RS 2016, 7862)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7862

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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