Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.11.2012, Az. VII B 105/12

7. Senat | REWIS RS 2012, 1348

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Gegenstand

(Nichtanwendung des § 93 InsO (Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters) auf die Haftungsinanspruchnahme durch den Fiskus nach §§ 69, 34 AO)


Leitsatz

1. NV: Der Haftung nach § 69 i.V.m. § 34 AO steht nicht entgegen, dass nach § 93 InsO die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann. Denn die Sperrwirkung dieser Norm erstreckt sich nur auf die Haftung des Gesellschafters aus § 128 HGB.  

2. NV: Eine Änderung der Rechtsprechung ist nicht deshalb veranlasst, weil der Gesetzgeber den Haftungsanspruch nach §§ 69, 34 AO in § 93 InsO nicht ausdrücklich berücksichtigt hat. Für eine Neubewertung des gesetzgeberischen Willens besteht angesichts des klaren Ausnahmecharakters des § 93 InsO keine Veranlassung. Dort geht es allein darum, Forderungen der Gläubiger gegen die Gesellschaft gebündelt einzuziehen. Der Anspruch des Fiskus nach §§ 69, 34 AO beruht dagegen auf einer eigenständigen abgabenrechtlichen Haftung des gesetzlichen Vertreters, der auf besonderen, den handelsrechtlichen Normen fremden Merkmalen --vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung steuerrechtlicher Pflichten-- beruht und auch inhaltlich abweichend ausgestaltet ist.

Tatbestand

1

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als Geschäftsführer und persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft ([X.]) wegen rückständiger Lohnsteuern und Nebenabgaben der [X.] in Haftung genommen, nachdem über das Vermögen der [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Im Einspruchs- und Klageverfahren gegen den Haftungsbescheid machte der Kläger vergeblich geltend, gemäß § 93 der Insolvenzordnung ([X.]) könne seine persönliche Haftung nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Im Übrigen fehle für eine Haftung auch das Verschulden, da er zum Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne noch mit der weiteren Duldung von Überziehungen seitens der Sparkasse und mit einem ausreichend hohen Abschlag auf eine von einem seriösen Investor zugesagte Einlage in die [X.] habe rechnen können.

2

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage --bis auf eine hier nicht interessierende Reduzierung der [X.] ab. Weder das Vertrauen in die weitere Duldung der Überziehung des [X.] noch auf die Einzahlung der Einlage könne den Vorwurf der grob fahrlässigen Pflichtverletzung entfallen lassen. Auch stehe der Haftung nach § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung ([X.]) nicht entgegen, dass nach § 93 [X.] die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann. Denn die Sperrwirkung dieser Norm erstrecke sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur auf die Haftung des Gesellschafters aus § 128 des Handelsgesetzbuchs (HGB).

3

Gegen das Urteil hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Seiner Auffassung nach ist die Rechtsprechung zur Nichtanwendung des § 93 [X.] auf die Haftungsinanspruchnahme eines Gesellschafters nach §§ 69, 34 [X.] im Hinblick darauf, dass sie nicht alle Gesichtspunkte hinsichtlich Ziel und Zweck der [X.] berücksichtige, überprüfungsbedürftig.

Entscheidungsgründe

4

II. [X.] ist unbegründet. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) noch besteht die Notwendigkeit zur Rechtsfortbildung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O.

5

1. Die Rechtssache hat --mangels [X.] nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung.

6

Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsfähig und klärungsbedürftig ist (vgl. Beschluss des [X.] --[X.]- vom 26. Juli 2011 VII B 3/11, [X.], 2079, m.w.N.). Anders als der Kläger meint, ist die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt.

7

Der Kläger selbst hat zutreffend darauf hingewiesen, der Senat habe bezugnehmend auf die Entstehungsgeschichte des § 93 [X.] bereits entschieden, die Sperrwirkung des § 93 [X.] erstrecke sich nur auf die Haftung des [X.]ers gemäß § 128 HGB. Der außergesellschaftsrechtliche [X.] nach § 69 AO kann danach auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom [X.] geltend gemacht werden (Senatsbeschluss vom 2. November 2001 VII B 155/01, [X.], 1, [X.], 73).

8

Die Senatsrechtsprechung stimmt überein mit derjenigen des [X.] ([X.]), die den Regelungsbereich des § 93 [X.] auf die gesetzliche akzessorische Haftung des [X.]ers für gegen die [X.] gerichtete Ansprüche, also im Bereich der Kommanditgesellschaft nur auf dessen Verpflichtung gemäß § 161 Abs. 2, §§ 128 ff, § 176 HGB beschränkt. Die Rechtswirkungen dieser Vorschrift [X.] der [X.] unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte sowie den Inhalt und Zweck der gesetzlichen [X.] erstrecken sich nicht auf solche Ansprüche, die deshalb gegen die [X.]er bestehen, weil diese aus einem von den handelsrechtlichen Haftungsbestimmungen unabhängigen Rechtsgrund, insbesondere einer rechtlich selbständigen eigenen Verpflichtung, für die Verbindlichkeit der [X.] einzustehen haben. § 93 [X.] soll sicherstellen, dass die allen [X.] gleichermaßen eröffnete gesellschaftsrechtliche Haftung der [X.]er auch im Insolvenzverfahren der Gesamtheit der Gläubiger zugutekommt. Im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger schließen diese insolvenzrechtlichen Vorschriften aus, dass sich einzelne Gläubiger durch einen schnelleren Zugriff [X.] verschaffen. Der Anspruch des Fiskus nach §§ 69, 34 AO beruht dagegen auf einem eigenständigen, von § 161 Abs. 2 i.V.m. § 128 HGB unabhängigen abgabenrechtlichen [X.], der besondere, den handelsrechtlichen Normen fremde Merkmale --vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung steuerrechtlicher [X.] enthält und auch inhaltlich abweichend ausgestaltet ist (vgl. [X.]-Urteil vom 4. Juli 2002 IX ZR 265/01, [X.]Z 151, 245, [X.], 786).

9

2. Einen Anlass, diese Rechtsprechung zu überdenken oder fortzuentwickeln sieht der Senat --auch unter Berücksichtigung des [X.] nicht. Insbesondere ergibt sich ein solcher nicht aus dem Grundsatz "Insolvenzrecht geht vor Steuerrecht" bzw. "Gleichstellung aller Gläubiger" oder aus einer gewissermaßen geläuterten Beurteilung des Willens des Gesetzgebers, der "offensichtlich allenfalls die rechtsgeschäftliche Sonderbemühung eines Gläubigers der [X.] um eine persönliche Haftung des [X.]ers außerhalb der handelsrechtlichen Regelungen von der Sperrwirkung (des § 93 [X.]) ausnehmen wollte", weil er sonst den Haftungsanspruch nach §§ 69, 34 AO in § 93 [X.] ausdrücklich berücksichtigt hätte.

a) Erwägungen zur Konkurrenz von Insolvenz- und Steuerrecht hat schon der [X.] wegen der Besonderheiten des steuerrechtlichen Anspruchs als nicht durchschlagend angesehen, die Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters auf den abgabenrechtlichen Haftungsanspruch auszudehnen ([X.]-Urteil in [X.]Z 151, 245, [X.], 786). Für eine Neubewertung des gesetzgeberischen Willens besteht angesichts des klaren Ausnahmecharakters des § 93 [X.] keine Veranlassung: Der Gesetzgeber wollte nicht regeln, dass und welche Haftungsansprüche gegen die [X.]er aus der Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters ausgenommen sind, sondern die anderweitig nicht bestehende treuhänderische Befugnis des Insolvenzverwalters schaffen, die Forderungen der [X.]sgläubiger gegen die [X.] gebündelt einzuziehen, um einen Wettlauf der Gläubiger bei der Inanspruchnahme der persönlich haftenden [X.]er zu verhindern, den Haftungsanspruch der Gläubiger der Masse zuzuführen und auf diese Weise den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger auf die [X.]erhaftung auszudehnen (Senatsbeschluss vom 11. März 2008 VII B 214/06, [X.], 129; [X.]-Urteil vom 9. Oktober 2008 IX ZR 138/06, [X.]Z 178, 171). Dadurch sollte verhindert werden, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] mangels Masse abgewiesen werden muss, obwohl ein persönlich haftender [X.]er über ausreichendes Vermögen verfügt (vgl. BTDrucks 12/2443 S. 140). Was sich an dieser Zielsetzung des Gesetzgebers zwischenzeitlich geändert haben sollte, erschließt sich dem Senat nicht.

b) Der Kläger hat auch keine Gerichtsentscheidungen oder Literaturmeinungen aufgeführt, die eine neuerliche Befassung des Senats mit der Rechtsfrage erforderlich erscheinen lassen. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, inwieweit sich aus der Entscheidung des [X.] in [X.]Z 178, 171 Zweifel ergeben sollen, ob der [X.] "tatsächlich noch die Auffassung vertritt, die Finanzverwaltung könne ungeachtet des § 390 [X.] Ansprüche aus §§ 69, 34 AO gegen den persönlich haftenden [X.]er durchsetzen". Die Behauptung, diese Auffassung konterkariere "die zwei vom [X.] in [X.] Entscheidung hervorgehobenen Grundsätze, nämlich den der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung und den der Vermeidung der Armut und der Abweisung mangels Masse trotz vermögenden [X.]ers", entbehrt jeglicher Grundlage, zumal es in jener Entscheidung nicht um den Haftungsanspruch des Fiskus, sondern um das Anfechtungsrecht des jeweiligen Insolvenzverwalters bei Insolvenz von Kommanditgesellschaft und persönlich haftendem [X.]er ging.

Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass sich auch das [X.] der Auffassung des Senats angeschlossen hat. Es hat eine Haftung nach § 150 Abs. 4 des [X.] - unter Bezugnahme auf die [X.] und [X.]-Rechtsprechung aus dem Regelungsbereich des § 93 [X.] ausgenommen, weil diese Rechtsgrundlage für die Haftung des früheren [X.]ers einer OHG für Zahlung von Beiträgen an die Berufsgenossenschaft nicht an die persönliche Haftung des OHG-[X.]ers nach § 128 HGB bzw. des ausgeschiedenen OHG-[X.]ers i.V.m. § 160 HGB anknüpft, sondern ein eigenständiger [X.] des Beitragsrechts der gesetzlichen Unfallversicherung ist, der in keinerlei Beziehung zu den speziellen Regelungen der [X.]erhaftung nach dem HGB steht (Urteil vom 27. Mai 2008 B 2 U 19/07 R, [X.]schrift für das gesamte Insolvenzrecht 2008, 1390).

3. Mit der Rüge, das [X.] sei rechtsfehlerhaft von einem grob fahrlässigen Pflichtenverstoß des [X.] ausgegangen, indem es weder eine langfristig geduldete Überziehung der [X.] noch einen konkret in Aussicht stehenden Zahlungseingang als hinreichend verlässliche Grundlagen für ein Vertrauen in das Fortbestehen einer dadurch über längere [X.] gewährleisteten Zahlungsfähigkeit angesehen habe, macht der Kläger keinen der in § 115 Abs. 2 [X.]O abschließend genannten Zulassungsgründe geltend. Der Frage, ob einem gesetzlichen Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO der Vorwurf einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung zur Begründung eines Haftungsanspruchs nach § 69 AO gemacht werden kann, kommt deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Beurteilung eines Verschuldens des gesetzlichen Vertreters von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt (vgl. Senatsbeschluss vom 26. April 2010 VII B 194/09, [X.], 1610).

Meta

VII B 105/12

15.11.2012

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 16. April 2012, Az: 15 K 4108/09, Urteil

§ 93 InsO, § 69 AO, § 34 AO, § 128 HGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.11.2012, Az. VII B 105/12 (REWIS RS 2012, 1348)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1348

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12 Sa 175/15

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