Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.03.2016, Az. VI ZR 467/14

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 14117

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[X.]:[X.]:BGH:2016:220316UVIZR467.14.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL

VI ZR 467/14

Verkündet am:

22. März 2016

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 823 Aa, § 249 Bb
Hat eine -
mangels wirksamer Einwilligung
-
rechtswidrig ausgeführte [X.] zu einer Gesundheitsbeschädigung des Patienten geführt, so ist es Sache der [X.] zu beweisen, dass der Patient ohne den rechtswidrig ausgeführten Eingriff dieselben Beschwerden haben würde, weil sich das Grundleiden in mindestens ähnlicher Weise ausgewirkt haben würde (im [X.] an Senatsurteil vom 5.
April 2005 -
VI
[X.], [X.], 942).
BGH, Urteil vom 22. März 2016 -
VI ZR 467/14 -
OLG [X.]

LG
[X.]

-
2
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Der VI.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2016 durch [X.] und Offenloch und die Richterin-nen Dr. [X.],
Dr. Roloff
und Müller
für Recht erkannt:
Auf die Revision der
Kläger wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 22. Oktober 2014 im Kosten-punkt und insoweit aufgehoben, als die Klage abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsrechtszu-ges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Kläger nehmen die Beklagte
aus ererbtem Recht ihrer Tochter [X.] im Wege der offenen Teilklage auf ein Schmerzensgeld in sowie auf Schadensersatz, Feststellung und Ersatz vorgerichtlicher Kosten in Anspruch.
Bei der am 3. April 2001 geborenen und am 24. Mai 2013 während des Rechtsstreits verstorbenen [X.] wurde noch im Jahr ihrer Geburt ein gutartiger Hirntumor festgestellt. Dieser wurde in der Neurochirurgischen Klinik der [X.] operiert, konnte aber nicht vollständig entfernt werden. Postoperativ 1
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verblieb eine Hemiparese rechts. Nachdem sich [X.] zunächst gut entwickelt [X.], stellte sich am 19. September 2002 heraus, dass die zystischen Tumorantei-le stark zugenommen hatten. Die Kläger holten Rat bei den Direktoren der [X.] der Universitäten [X.] und [X.] ein. Beide hielten die weitreichende Entfernung des Tumors
nicht für einen gangbaren Weg. Sie rieten, lediglich eine eventuelle Fensterung (Drainierung)
der Zyste beim Voroperateur in [X.] durchführen zu lassen.
Am 21. November 2002 kam es im Klinikum der [X.] zu
einer zwei-ten [X.] durch den zwischenzeitlich verstorbenen Operateur. Der [X.] setzte sich über die von den Klägern erklärte Einwilligung, die nur die Fens-terung der Zyste betraf, hinweg und beabsichtigte, den Tumor soweit wie [X.] oder gar vollständig zu entfernen. Ein [X.]sbericht existiert nicht. Der Tumor wurde vollständig entfernt. [X.]
erlitt durch die [X.] schwere Nerven-
und Gefäßverletzungen und litt bis zu ihrem Tod unter einer schweren Tetra-plegie mit fast vollständiger Lähmung, Fehlstellungen der Hand-
und [X.] und
einer Schluckstörung. Sie war blind und konnte nicht sprechen.
Das [X.] hat der
Klage
stattgegeben.
Auf die Berufung der [X.] hat das Berufungsgericht das Urteil des [X.]s dahin geändert, dass die Beklagte unter Aufrechterhaltung der Verurteilung zu Schadensersatz und Feststellung und unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung eines [X.] Kosten verurteilt wurde. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen
die
Kläger ihre Ansprüche weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung -
soweit hier noch erheblich -
ausgeführt, das Fehlen der elterlichen Einwilligung habe die Tumorresektion rechtswidrig gemacht, sei aber noch nicht ohne weiteres
haftungsbegründend. [X.] habe die Beklagte nur werden können, wenn der Eingriff für die geltend gemachten Schäden kausal geworden sei. Mit dieser Frage habe sich das [X.] nicht befasst. Sie müsse nach der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme differenziert beantwortet werden. Die Sachverständige habe mitgeteilt, die tiefgreifende apallische Schädigung habe auf der Tumorresektion beruht. Das begründe aber keine umfassende Verant-wortlichkeit der [X.].
Deren Inanspruchnahme
sei nur insoweit möglich, als
die Schädigung über die Beeinträchtigungen hinausreiche, die ohne die Re-sektion vorgelegen
hätten. Diese Beeinträchtigungen beschränkten sich nicht auf die bereits präoperativ vorhandene Hemiparese, sondern erstreckten sich auch auf die Folgen, die eingetreten wären, wenn
der Tumor nicht abgetragen worden wäre.
Insoweit lasse sich freilich keine Gewissheit erlangen. Nach den Darle-gungen der Sachverständigen seien
nur Spekulationen möglich. Die dabei vor-handenen
Unsicherheiten wirkten sich zu Lasten
der beweispflichtigen Kläger aus. Deren Annahme, die Beweislast liege bei der [X.], weil der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens im Raum
stehe, treffe nicht zu. Es oblie-ge den Klägern darzutun und zu beweisen, dass die Resektion condicio sine qua non für die geltend
gemachten Schäden gewesen sei. Von daher sei der tatsächlichen,
von Erblindung und Lähmung gekennzeichneten Schädigung eine Entwicklung gegenüberzustellen, wie sie die Sachverständige für den un-5
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günstigsten, nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszu-schließenden Fall beschrieben habe. Insofern müsse man davon ausgehen, dass es lediglich zu einer Verzögerung im Schadensverlauf gekommen wäre. Der Tumor wäre weiter gewachsen und hätte bereits nach wenigen Jahren die schwerwiegenden und letztlich letalen Folgen hervorgerufen, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits seien.
Die Unsicherheit in der Beurteilung des
Ursachenzusammenhangs wür-de sich nur dann nicht auswirken, wenn es zu einem groben operativen Fehler gekommen wäre. Davon könne nicht ausgegangen werden.
Die beschränkte Zurechenbarkeit der postoperativen Schädigung ziehe der immateriellen Einstandspflicht der [X.] deutliche Grenzen.
Der nach Zeit und
Umfang begrenzte Schaden, den die Beklagte unter differenzhypothe-tischen Gesichtspunkten zu ersetzen habe, rechtfertige lediglich ein Schmer-

II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Nachprüfung nicht
stand.
1. Unbegründet ist allerdings die gegen die Erwägungen des Berufungs-gerichts zum Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers gerichtete Verfah-rensrüge der Revision. Von einer näheren Begründung hierzu wird gemäß §
564 Satz 1 ZPO abgesehen.
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2.
Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein über die [X.] nicht verneint werden, § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB.
a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Entfernung des Tumors rechtswidrig, nämlich ohne die erforderliche Einwilligung der Kläger erfolgt. Das Berufungsgericht hat ferner festgestellt, dass die postoperativ fest-stellbare apallische Schädigung der Tochter der Kläger kausal auf der Tumor-resektion beruhte.

b) Unter diesen Umständen durfte das Berufungsgericht die Kläger nicht für verpflichtet halten, zudem darzulegen und zu beweisen, dass die geltend gemachten Schäden -
die [X.] hinweggedacht -
nicht ohnehin aufgrund der Grunderkrankung ihrer Tochter eingetreten wären.

[X.]) Hat eine rechtswidrig ausgeführte [X.] zu einer Gesundheits-beschädigung des Patienten geführt, so ist es Sache des beklagten Arztes zu beweisen, dass der Patient ohne den rechtswidrig ausgeführten Eingriff diesel-ben Beschwerden haben würde, weil sich das Grundleiden in mindestens ähnli-cher Weise
ausgewirkt haben würde (Senat, Urteile
vom 13. Januar 1987 -
VI
ZR 82/86, [X.], 667, 668; vom 5. April 2005 -
VI [X.], [X.], 942; vgl. auch Senat, Urteile vom 7. Oktober 1980 -
VI [X.], [X.], 209, 214; vom 6. Dezember 1988 -
VI ZR
132/88, [X.], 153, 156).
Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach der Schädiger zu bewei-sen hat, dass sich ein hypothetischer Kausalverlauf bzw. eine Reserveursache ebenso
ausgewirkt haben würde,
wie
der tatsächliche Geschehensablauf (Se-nat, Urteil vom 5. April 2005, [X.]O).
[X.]) Das hat das Berufungsgericht verkannt. [X.] hat es den Klägern den Beweis dafür auferlegt, dass eine Fensterung der Zyste nicht zu 11
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denselben Beeinträchtigungen geführt hätte, wie die tatsächlich durchgeführte rechtswidrige [X.]. Richtigerweise trägt insoweit die Beklagte die Darle-gungs-
und Beweislast.

c) Auf die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe es zu Unrecht abgelehnt, den Klägern im Hinblick auf das Fehlen des [X.]sberichts [X.] zuzubilligen, kommt es wegen der die Beklagte treffenden Beweislast nicht mehr an.

III.
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist auf-zuheben und mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und [X.] und der geltend gemachten

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Nebenansprüche an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, §
563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
[X.]
Offenloch
[X.]

Roloff
Müller

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 04.06.2013 -
2 O 8/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 22.10.2014 -
5 U 806/13 -

Meta

VI ZR 467/14

22.03.2016

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.03.2016, Az. VI ZR 467/14 (REWIS RS 2016, 14117)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14117

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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