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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Asylverfahren; Überstellung nach Italien; systemische Mängel; drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
Ein Asylbewerber darf nur dann nicht an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat aufgrund systemischer Mängel, d.h. regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
I.
Der Kläger, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2009 über den Seeweg nach [X.] ein und stellte dort einen Asylantrag. Im Juli 2009 stellte er in [X.] einen weiteren Asylantrag und entzog sich der Überstellung nach [X.]. Auf seinen am 1. Oktober 2010 in [X.] gestellten Asylantrag überstellten ihn die [X.] Behörden im Juli 2011 nach [X.]. Im November 2011 wurde der Kläger in [X.] aufgegriffen und stellte erneut einen Asylantrag. Dem Übernahmeersuchen des [X.] ([X.]) stimmten die [X.] Behörden im Februar 2012 zu. Daraufhin entschied das [X.] mit Bescheid vom 7. Mai 2012, dass der Asylantrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung des [X.] nach [X.] an. Das Verwaltungsgericht hat seiner dagegen gerichteten Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.
II.
Die Beschwerde, mit der der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie einen Gehörsverstoß des Berufungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) rügt, hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,
"welchen rechtlichen Anforderungen der Begriff der 'systemischen Mängel' unterliegt, insbesondere welcher Wahrscheinlichkeits- und Beweismaßstab für die Annahme erforderlich ist, dass für einen Asylbewerber eine tatsächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der [X.] ausgesetzt zu werden."
Diese Frage rechtfertigt mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie lässt sich, soweit sie nicht bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] geklärt ist, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung und des nationalen Prozessrechts ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.
Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der im vorliegenden Verfahren (noch) maßgeblichen Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist ([X.] [X.] Nr. L 50 S. 1) - [X.] - wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des [X.] als zuständiger Staat bestimmt wird. Wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 und 4 ergibt, besteht einer der [X.] der [X.] in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das [X.] gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten [X.] die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der [X.] und dem Protokoll von 1967 sowie in der [X.] finden ([X.] - [X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 - [X.]. [X.]/10 und [X.]. [X.]/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, [X.] Rn. 78 f. = NVwZ 2012, 417). Daraus hat der Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der [X.] ([X.]) sowie mit der [X.] und der [X.] steht ([X.] a.a.[X.] Rn. 80).
Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der [X.], der [X.] und der [X.] würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann ([X.] a.a.[X.] Rn. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des [X.] an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die [X.], 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln ([X.] a.a.[X.] Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 [X.] zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar ([X.] a.a.[X.] Rn. 86 und 94).
Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der [X.] zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 [X.] ausgesetzt zu werden ([X.] a.a.[X.] Rn. 106 und [X.]; ebenso Urteil der [X.] vom 14. November 2013 - [X.]. [X.], [X.] - NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der [X.] vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten [X.] nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann ([X.] - [X.], Urteil vom 10. Dezember 2013 - [X.]. [X.]/12, [X.] - NVwZ 2014, 208 Rn. 60). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch Art. 3 Abs. 2 der Neufassung der Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 ([X.] [X.] L Nr. 180 S. 31) - Dublin-III-Verordnung - zugrunde.
Der [X.] hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in [X.] in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems der Sache nach bejaht ([X.] - [X.], Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, [X.] und [X.] - NVwZ 2011, 413) und in [X.] insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ("systemic failure") abgestellt ([X.], Entscheidungen vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10, [X.] u.a./[X.] und [X.] - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4. Juni 2013 - Nr. 6198/12, [X.] u.a./[X.] - Rn. 66; vom 18. Juni 2013 - Nr. 53852/11, [X.]/[X.] und [X.] - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27. August 2013 - Nr. 40524/10, [X.]/[X.] und [X.] - Rn. 176 und vom 10. September 2013 - Nr. 2314/10, [X.]/[X.] und [X.] - Rn. 138).
Für das in [X.] - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der [X.] Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 [X.] bzw. Art. 3 [X.]. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der [X.] sowie mit der [X.] und der [X.], die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 [X.] 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. = [X.] 451.902 Europ. [X.] u. Asylrecht Nr. 39) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt ([X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 - [X.]. [X.]/10 und [X.]. [X.]/10 - a.a.[X.] Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen [X.] strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der [X.] Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der [X.] zuständigen Mitgliedstaat aus. Diesen Maßstab hat das Berufungsgericht der angefochtenen Entscheidung erkennbar zugrunde gelegt.
2. Mit der [X.] macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe zusammen mit seiner Ankündigung vom 8. Oktober 2013, dass erwogen werde, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 130a VwGO zu entscheiden, darauf hingewiesen, dass der 3. Senat des Gerichts in vergleichbaren Fällen ebenso entschieden habe. Trotz entsprechender Aufforderung habe das Berufungsgericht die damals noch nicht abgesetzten Entscheidungen des anderen Senats nicht zugänglich gemacht und auch die Frist zur Stellungnahme nicht verlängert. Die [X.] greift nicht durch.
Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Die Verwertung tatsächlicher Feststellungen aus anderen Verfahren für den zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreit unterliegt - nicht anders als andere tatsächliche Feststellungen - dem Gebot des rechtlichen Gehörs (Urteil vom 8. Februar 1983 - BVerwG 9 [X.] 847.82 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 132 = [X.] 1983, 184). Dagegen verstößt ein Gericht, wenn es anstelle einer eigenen Beweiserhebung auf Entscheidungen mit umfangreichen tatsächlichen Feststellungen verweist, ohne die Entscheidungen den Beteiligten so zugänglich zu machen, dass sie sich dazu hätten äußern können. Zieht ein Gericht aber andere Entscheidungen nur als bestätigenden Beleg dafür heran, dass andere Gerichte die Lage (einer bestimmten Gruppe) in einem Land tatrichterlich in ähnlicher Weise gewürdigt und deshalb rechtlich die gleichen Schlussfolgerungen gezogen haben, unterliegen solche Bezugnahmen nicht den besonderen Anforderungen des § 108 Abs. 2 VwGO (Urteil vom 22. März 1983 - BVerwG 9 [X.] 860.82 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 133; Beschluss vom 12. Juli 1985 - BVerwG 9 [X.]B 104.84 - [X.] 310 § 103 VwGO Nr. 8 = NJW 1986, 3154).
An diesem Maßstab gemessen erweist sich die [X.] als unbegründet. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Lage der Asylbewerber in [X.] unter Auswertung verschiedener Quellen selbstständig tatrichterlich gewürdigt. Es hat die in dem Schreiben vom 8. Oktober 2013 genannten Entscheidungen des 3. Senats des Oberverwaltungsgerichts des [X.] ausweislich der Entscheidungsgründe nicht verwertet. Daher ist nicht ersichtlich, wie die angefochtene Entscheidung durch die - sicherlich prozessual ungeschickte - Vorgehensweise des Berufungsgerichts das rechtliche Gehör des [X.] hätte verletzen können. Denn die Auskunftsquellen als Grundlagen der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts waren dem Kläger mit dem gerichtlichen Schreiben vom 8. Oktober 2013 bekannt gegeben worden, so dass er sich dazu äußern konnte.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Meta
19.03.2014
Bundesverwaltungsgericht 10. Senat
Beschluss
Sachgebiet: B
vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 14. November 2013, Az: 4 L 44/13, Beschluss
§ 27a AsylVfG 1992, Art 3 MRK, Art 103 Abs 1 GG, Art 4 EUGrdRCh, § 86 Abs 1 VwGO, § 108 Abs 1 S 1 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, Art 3 Abs 1 S 2 EGV 343/2003, Art 10 Abs 1 EGV 343/2003, Art 19 Abs 2 EGV 343/2003, Art 3 Abs 2 EUV 604/2013
Zitiervorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19.03.2014, Az. 10 B 6/14 (REWIS RS 2014, 6988)
Papierfundstellen: REWIS RS 2014, 6988
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
10 B 35/14 (Bundesverwaltungsgericht)
Asylverfahren; Einwände gegen Überstellung an zuständigen Mitgliedstaat; systemische Mängel und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im …
6 B 170/18 (Verwaltungsgericht Magdeburg)
Unklare Erfolgsaussichten einer Klage gegen die Abschiebung nach Ungarn
Abschiebungsanordnung nach Italien wegen unbeantwortetem Wiederaufnahmeersuchen
Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Ungarn