Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2016, Az. 1 BvR 243/16

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2016, 13003

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Substantiierungsanforderungen (§§ 23 Abs 2 S 2, 92 BVerfGG) bei der Geltendmachung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) bzgl der gerichtlichen Überprüfung einer Rechtsverordnung - hier: Berliner Kappungsgrenzenverordnung


Gründe

I.

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind zivilgerichtliche Entscheidungen über eine Mieterhöhung und mittelbar gegen die [X.] Verordnung über die so genannte Kappungsgrenze für Mieterhöhungen gemäß § 558 Abs. 3 Satz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).

2

1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer einer 56 m

3

Nach Auffassung des [X.] gilt für die vom Beschwerdeführer begehrte Mieterhöhung die Kappungsgrenze gemäß § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB. Sie sei auf dem gesamten Stadtgebiet von [X.] durch die Verordnung zur Senkung der Kappungsgrenze gemäß § 558 Abs. 3 Satz 3 BGB (Kappungsgrenzen-Verordnung) vom 7. Mai 2013 (GVBl S. 128) von 20 % auf 15 % reduziert worden. Daher könne der Beschwerdeführer nur die bereits anerkannte und vom Amtsgericht zugesprochene und keine darüber hinausgehende Mieterhöhung verlangen.

4

2. Die Vorschriften des § 558 Abs. 3 BGB über Mieterhöhungen bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete sind durch das am 1. Mai 2013 in [X.] getretene Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Mietrechtsänderungsgesetz) vom 11. März 2013 ([X.]) geändert worden und lauten seitdem wie folgt:

(1)

(2) …

(3)

(4) bis (6) …

5

Die [X.] Kappungsgrenzen-Verordnung lautet wie folgt:

Auf Grund des § 558 Absatz 3 Satz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 ([X.] [X.] 42, 2909; 2003 [X.] 738), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 20. April 2013 ([X.] [X.] 831), wird verordnet:

§ 1 Gebietsbestimmung

[X.] ist eine Gemeinde im Sinne § 558 Absatz 3 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in der die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist.

§ 2 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

(1) Diese Verordnung tritt am Tag nach der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für [X.] in [X.].

(2) Mit Ablauf des 10. Mai 2018 tritt diese Verordnung außer [X.].

6

Die Ausweisung des gesamten Stadtgebiets als eine Gemeinde im Sinne des § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB begründete der Senat von [X.] damit, dass sich die ortsüblichen [X.] in einzelnen Wohnungssegmenten nicht einheitlich entwickelt hätten. Insbesondere Mieten für kleine Wohnungen bis 40 m

7

Hierauf bezogene Bedenken des Beschwerdeführers gegen die Verfassungsmäßigkeit der Kappungsgrenzen-Verordnung teilte der [X.] nicht. Auch wenn der [X.] Senat das gesamte Stadtgebiet global ausgewiesen habe, habe er sich bei Erlass der Verordnung noch im Rahmen des ihm vom Gesetzgeber zuerkannten [X.] bewegt. Eine nach einzelnen Stadtbezirken differenzierende Betrachtungsweise sei nicht geboten gewesen.

8

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

9

Die Auslegung von § 558 Abs. 3 Satz 3 BGB durch den [X.] verletze seinen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Der [X.] habe zu weitgehende Beurteilungsspielräume des Verordnungsgebers in Bezug auf die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB angenommen. Der [X.] Senat sei unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu einer Differenzierung nach einzelnen Stadtbezirken verpflichtet gewesen. Eine Globalausweisung des gesamten Stadtgebiets sei nicht erforderlich gewesen, weil nicht alle Stadtteile in gleicher Weise von Wohnungsnot betroffen seien. Aus örtlicher Sicht sei die Annahme fernliegend, dass beispielsweise eine in [X.] bestehende [X.] jederzeit einen ansonsten ausgeglichenen Wohnungsmarkt in [X.] bedrohen könne. Überhaupt erscheine wenig plausibel, eine Metropole mit 3,4 Millionen Einwohnern als eine Gemeinde im Sinne von § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB einheitlich so zu behandeln, als ob auf dem gesamten Stadtgebiet gleichermaßen ein Mangel an Mietwohnungen herrsche.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine grundsätzlichen Fragen auf und ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt.

Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig, weil ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht (§§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz [X.]).

1. Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungs-beschwerde hat der Beschwerdeführer sich mit dieser inhaltlich auseinander-zusetzen (vgl. [X.] 82, 43 <49>; 86, 122 <127>; 88, 40 <45>; 105, 252 <264>; 130, 1 <21>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. [X.] 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>; 130, 1 <21>). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen Rechtsprechung des [X.] bereits vor, der die angegriffenen Gerichtsentscheidungen folgen, so ist der behauptete [X.] in Auseinandersetzung mit den vom [X.] entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. [X.] 77, 170 <214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>; 130, 1 <21>; stRspr).

2. a) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht, soweit der Beschwerdeführer die Verletzung seines Anspruchs auf wirkungsvollen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG rügt, weil der [X.] dem Verordnungsgeber einen zu weitgehenden Spielraum bei der Auslegung und Anwendung der Tatbestandsmerkmale des § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB zugestanden habe. Der Beschwerdeführer gibt insoweit schon nicht die einschlägige Rechtsprechung des [X.] wieder und geht von einem unzutreffenden verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab aus.

Die Notwendigkeit der Anerkennung einer fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen untergesetzliche Rechtssätze folgt zwar aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Auch die Rechtssetzung durch die Exekutive in Form von Rechtsverordnungen und Satzungen ist Ausübung öffentlicher Gewalt und daher in die Rechtsschutzgarantie einbezogen (vgl. [X.] 31, 364 <367 f.>; 115, 81 <92>). Dies schließt jedoch nicht aus, dass durch den Gesetzgeber eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume die [X.] durch die Fachgerichte einschränken (vgl. [X.] 15, 275 <282>; 61, 82 <111>; 84, 34 <53 ff.>; 88, 40 <56>; 103, 142 <157>; 113, 273 <310>; 129, 1 <21 f.>; stRspr). Die Exekutive kann aufgrund so genannter normativer Ermächtigung Entscheidungsbefugnisse haben (vgl. [X.] 49, 89 <139 f.>; 61, 82 <114 f.>; BVerfGK 16, 418 <433>). Wann und in welchem Umfang dies der Fall ist, haben die Fachgerichte durch Auslegung der betreffenden gesetzlichen Regelung zu ermitteln (vgl. [X.] 49, 89 <139 f.>; 84, 34 <49 f.>; BVerfGK 16, 418 <434> m.w.N.). Für die Kontrolle dieser Entscheidungsbefugnisse durch das [X.] gelten dann diejenigen Maßstäbe entsprechend, die bei der Überprüfung von [X.] des Gesetzgebers zugrunde zu legen sind (vgl. [X.] 53, 135 <145>; 106, 1 <17>; stRspr).

Diesen Prüfungsmaßstab vollzieht die Beschwerdebegründung nicht nach, indem sie die allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot für die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Rechtsverordnungen gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG heranzieht. Dies greift schon deshalb zu kurz, weil mit der Verfassungsbeschwerde die Verordnungsermächtigung in § 558 Abs. 3 Satz 3 BGB als solche nicht angegriffen wird. Auch die weiteren Ausführungen lassen nicht erkennen, dass der Beschwerdeführer vom richtigen Prüfungsmaßstab ausgeht, indem er die Grundsätze zur Ermittlung von Beurteilungsspielräumen der Verwaltung bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe heranzieht. Auch dabei geht es zwar um eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte; allerdings ist der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab bei der Normsetzung ein anderer, weil es hier nicht um Einzelfallentscheidungen, sondern den Erlass abstrakt-genereller Regelungen geht.

b) Auch dass der [X.] durch die Anwendung der von ihm angenommenen Beurteilungsspielräume des Verordnungsgebers auf den konkret zu entscheidenden Fall, also die Subsumtion der [X.] Kappungsgrenzen-Verordnung unter § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB, gegen Grundrechte des Beschwerdeführers verstoßen haben könnte, wird von ihm nicht schlüssig dargelegt. Insoweit fehlt es an Vortrag dazu, dass die angegriffene Entscheidung auf der behaupteten Grundrechtsverletzung beruhen könnte.

Selbst wenn der Verordnungsgeber unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit oder wegen der in § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB angelegten Differenzierung zwischen der Gemeinde insgesamt und Teilen von ihr verpflichtet gewesen sein sollte, nach einzelnen Stadtbezirken zu differenzieren und eine "Globalausweisung" des gesamten Stadtgebiets nicht vornehmen durfte, kann der Verfassungsbeschwerde kein Erfolg beschieden sein. Denn der Beschwerdeführer hat nicht dargelegt, dass die in seinem Eigentum befindliche, im Stadtteil [X.] gelegene Wohnung von einer differenzierten Gebietsausweisung profitiert hätte. Aus der Beschwerdebegründung ist nicht zu ersehen, dass nicht auch in [X.] die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen im Sinne von § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB besonders gefährdet ist. Dass die Kappungsgrenzen-Verordnung mit Blick auf einen anderen Stadtteil mit den Vorgaben von § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht in Einklang stehen mag, kann der Verfassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Denn selbst eine stattgebende Entscheidung würde nicht ohne weiteres dazu führen, dass der Beschwerdeführer in den Genuss der gesetzlichen Regelkappungsgrenze von 20 % gemäß § 558 Abs. 3 Satz 1 BGB käme. Vielmehr hätte das [X.] dann zu prüfen, ob nicht lediglich eine Unvereinbarkeitserklärung der Kappungsgrenzen-Verordnung und deren vorläufige Weitergeltung bis zu einer Neuregelung in Betracht kommt, um das Entstehen einer unerträglichen Regelungslücke zu vermeiden (vgl. [X.] 125, 175 <256> m.w.N.; zur Anwendbarkeit auf Rechtsverordnungen vgl. [X.], in: [X.]/Schmidt-Bleibtreu/[X.]/[X.], [X.], § 95 Rn. 36 m.w.N.)

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 243/16

14.04.2016

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 4. November 2015, Az: VIII ZR 217/14, Urteil

Art 19 Abs 4 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 558 Abs 3 S 1 BGB, § 558 Abs 3 S 2 BGB, § 558 Abs 3 S 3 BGB, KappGrV BE

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2016, Az. 1 BvR 243/16 (REWIS RS 2016, 13003)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 2872 REWIS RS 2016, 13003


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 243/16

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 243/16, 14.04.2016.


Az. VIII ZR 217/14

Bundesgerichtshof, VIII ZR 217/14, 04.11.2015.


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Wird zitiert von

1 BvL 1/18, 1 BvL 4/18, 1 BvR 1595/18

9 CN 1/18

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