Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.05.2016, Az. 1 StR 43/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 11396

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Gegenstand

Betäubungsmittelverfahren: Auswirkungen von fehlenden Feststellungen zum Wirkstoffgehalt auf den Schuld- und Strafausspruch


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. August 2015, soweit es sie betrifft, aufgehoben

a) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den [X.], [X.], [X.]I, [X.] und [X.]I der Urteilsgründe,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafen,

c) im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: Den Angeklagten U.  wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei tatmehrheitlichen Fällen und wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren, den Angeklagten [X.]  wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und den Angeklagten M.  (unter Freispruch im Übrigen und unter Einbeziehung einer rechtskräftigen Strafe) wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren. Bei dem Angeklagten U.  hat die [X.] zudem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und einen [X.] von zwei Jahren Freiheitsstrafe angeordnet. Die Angeklagten erzielen jeweils mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen bleiben ihre Revisionen aus den Gründen der jeweiligen Antragsschrift des [X.] ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die Feststellungen tragen die Schuldsprüche. Zwar hat das [X.] nur in den Fällen [X.] und [X.] der Urteilsgründe konkrete Feststellungen zu der Menge des [X.] der jeweiligen Betäubungsmittel getroffen. Dieser Rechtsfehler betrifft aber nicht die jeweiligen Schuldsprüche, denn angesichts des An- und anschließenden Verkaufs jeweils ganz erheblicher Mengen von Betäubungsmitteln in den [X.], [X.], [X.] und [X.]I (ein bis vier Kilogramm Amphetamin, ein Kilogramm Heroin) ist auszuschließen, dass im Einzelfall die Grenze zur nicht geringen Menge unterschritten wurde (vgl. hierzu auch [X.], Urteil vom 24. Februar 1994 – 4 [X.], NJW 1994, 1885; [X.]/[X.]/[X.], BtMG, 8. Aufl. 2016, Vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 214).

3

Der Schuldspruch wird auch im [X.] von den Feststellungen getragen, denn der vereinbarte Ankauf bezog sich mit 300 g Heroin jedenfalls nach der Vorstellung der hieran beteiligten Angeklagten auf durchschnittliche Betäubungsmittel und damit eine nicht geringe Menge. Ob die Qualität des schließlich gelieferten Rauschgifts von der vereinbarten Qualität nach unten abweicht, ist für den Schuldspruch des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerheblich (vgl. [X.], Urteil vom 14. April 1999 – 3 StR 22/99, NJW 1999, 2683, 2684 mwN; vgl. auch [X.], Beschluss vom 26. Oktober 2005 – [X.], [X.]St 50, 252).

4

2. Die Strafzumessung hält in den [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.]I der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Wie dargelegt fehlt es in diesen Fällen an der Feststellung des [X.] der jeweiligen Betäubungsmittel und damit an der Feststellung eines bestimmenden Strafzumessungsgrundes. Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des [X.] werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge des Rauschgifts bestimmt. Für eine sachgerechte schuldangemessene Festsetzung der Strafen im Betäubungsmittelstrafrecht kann auf nähere Feststellungen zum Wirkstoffgehalt deshalb regelmäßig nicht verzichtet werden (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 7. Dezember 2011 – 4 [X.], [X.], 339 und vom 6. August 2013 – 3 [X.], [X.], 703, je mwN). Stehen die Betäubungsmittel nicht für eine Untersuchung der Wirkstoffkonzentration zur Verfügung, ist diese – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – unter Berücksichtigung der sicher festgestellten Umstände (Herkunft, Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren etc.) durch eine „Schätzung“ festzulegen ([X.] aaO; [X.]/[X.]/[X.] aaO, Vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 331 ff. mwN).

5

Eine derartige Festlegung ist auch nicht in den Fällen entbehrlich, in denen die [X.] jeweils zu Gunsten der Angeklagten davon ausgegangen ist, dass Monate später aufgefundene Betäubungsmittel mit konkret ermittelten [X.] nicht ausschließbar aus vorher festgestellten Taten stammen (Fälle [X.] und [X.]I). Denn damit hat die [X.] von ihrem bisherigen Ausgangspunkt aus ersichtlich nur nach dem Zweifelsgrundsatz einen Schluss zu Gunsten der Angeklagten ziehen, nicht aber zu deren Lasten die Wirkstoffkonzentration bestimmen wollen.

6

Die in den [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.]I der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen können deshalb nicht bestehen bleiben. Dies zieht die Aufhebung der jeweils verhängten Gesamtfreiheitsstrafen nach sich.

7

3. Die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe bei dem Angeklagten U.  entzieht der für sich gesehen rechtsfehlerfreien Bestimmung des [X.]es eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB die Grundlage. Die neue [X.] wird hierüber neu zu entscheiden haben.

8

4. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Die neue [X.] wird Feststellungen zu den jeweiligen [X.] der Betäubungsmittel zu treffen haben und kann auch sonst ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

Raum                        [X.]
              Fischer                           Bär

Meta

1 StR 43/16

12.05.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mannheim, 21. August 2015, Az: 5 KLs 808 Js 5287/14

§ 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 30a Abs 1 BtMG, § 30a Abs 2 Nr 2 BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.05.2016, Az. 1 StR 43/16 (REWIS RS 2016, 11396)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11396

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