Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.02.2022, Az. V ZR 15/21

5. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 1305

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Gegenstand

Heilung des Zustellungsmangels bei Zustellung lediglich einer einfachen Abschrift des Urteils


Leitsatz

Wird einer Partei entgegen § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO statt einer beglaubigten Abschrift lediglich eine einfache Abschrift des Urteils zugestellt, wird der darin liegende Zustellungsmangel geheilt, wenn keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehen. Das ist jedenfalls bei einer Übermittlung der Urteilsabschrift an das besondere elektronische Anwaltspostfach des Rechtsanwaltes der Partei anzunehmen.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 18. Dezember 2020 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Herausgabe eines Pkw, hilfsweise auf Zahlung in Anspruch. In der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] hat er beantragt, die Beklagte durch Versäumnisurteil zu verurteilen. Nachdem das [X.] die mündliche Verhandlung geschlossen und eine Entscheidung am Ende des [X.] angekündigt hatte, hat es die Sache am selben Tag wieder aufgerufen. In dem mit vollem Rubrum versehenen Protokoll heißt es: „Im Namen des Volkes ergeht das folgende Versäumnisurteil:“; daran schließt sich ein Urteilstenor an, mit dem der Klage stattgegeben worden ist.

2

Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist vom Gericht ein als „Abschrift des Protokolls vom 4. Mai 2020“ bezeichnetes Dokument an das besondere elektronische Anwaltspostfach übermittelt worden; am 11. Mai 2020 hat er das dazugehörige elektronische Empfangsbekenntnis zurückgesandt. Am 9. Juni 2020 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegenüber dem [X.] erklärt, seines Erachtens sei allein durch die Übersendung des Protokolls der mündlichen Verhandlung keine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils erfolgt. Daraufhin ist ihm am 10. Juni 2020 eine beglaubigte Abschrift des Protokolls zugestellt worden.

3

Den am 18. Juni 2020 eingegangenen Einspruch gegen das Versäumnisurteil hat das [X.] wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen. Das [X.] hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, will die Beklagte die Aufhebung des Versäumnisurteils und die Klageabweisung erreichen.

Entscheidungsgründe

I.

4

Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat das [X.] den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen. Dieser sei nicht in der Frist des § 339 Abs. 1 ZPO eingelegt worden. Das Versäumnisurteil sei wirksam, auch wenn es entgegen § 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO außerhalb der mündlichen Verhandlung verkündet worden sei. Die Einspruchsfrist habe am 11. Mai 2020 mit der Zustellung des im Protokoll enthaltenen Urteils begonnen. Es sei zwar verfahrensfehlerhaft, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten entgegen § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO lediglich eine einfache Protokollabschrift erhalten habe. Dieser Mangel sei aber nach § 189 ZPO geheilt worden. Die Vorschrift erfasse nach ihrem Sinn und Zweck auch Mängel bei der Zustellung von Urteilen. Der Gesichtspunkt der Authentizität und Amtlichkeit des Urteils stehe einer Heilung nicht entgegen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe daran aufgrund der Zustellung an das besondere elektronische Anwaltspostfach nicht zweifeln können. Der Beklagten sei wegen des Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten zu Recht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden.

II.

5

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, dass der von der Beklagten eingelegte Einspruch gegen das Versäumnisurteil nicht in der Frist gemäß § 339 Abs. 1 ZPO eingelegt worden ist und daher gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen war. Die Zustellung des in dem Protokoll enthaltenen Versäumnisurteils am 11. Mai 2020 hat die zweiwöchige Einspruchsfrist in Lauf gesetzt; diese endete mit Ablauf des 25. Mai 2020 und damit vor dem Eingang des Einspruchs bei dem [X.] am 18. Juni 2020.

6

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass das Versäumnisurteil, gegen das sich der Einspruch der Beklagten richtet, wirksam geworden ist.

7

a) Ein Urteil wird allerdings erst durch seine förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Vorher liegt nur ein - allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender - Entscheidungsentwurf vor, der nicht Gegenstand einer die Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO in Lauf setzenden wirksamen Zustellung sein kann (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juni 1954 - [X.], [X.]Z 14, 39, 44; [X.], Urteil vom 12. März 2004 - [X.], [X.], 2019, 2020; Beschluss vom 21. Juni 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 1359 Rn. 14).

8

b) Das Versäumnisurteil ist entgegen der Ansicht der Revision jedoch wirksam verkündet worden.

9

aa) (1) Die Verkündung eines Urteils erfolgt grundsätzlich gemäß § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Verlesen der Urteilsformel. Ist bei der Verkündung von den [X.]en niemand erschienen, kann die Verlesung nach § 311 Abs. 2 Satz 2 ZPO durch Bezugnahme auf die schriftliche Urteilsformel ersetzt werden. Eine (weitere) Erleichterung besteht gemäß § 311 Abs. 2 Satz 3 ZPO bei der Verkündung von [X.], Anerkenntnis- und Verzichtsurteilen sowie von Urteilen, die die Folgen der Zurücknahme der Klage aussprechen. Diese Urteile können verkündet werden, auch wenn die Urteilsformel noch nicht schriftlich abgefasst ist. Die Verkündung erfordert dann lediglich die mündliche Mitteilung der Urteilsformel (HK-ZPO/[X.], 9. Aufl., § 311 Rn. 5; Musielak/[X.]/Musielak, ZPO, 18. Aufl., § 311 Rn. 3; [X.], ZPO, 23. Aufl., § 311 Rn. 8); bei Stattgabe der Klage in den Fällen des § 313b ZPO genügt die Bezugnahme auf den Klageantrag (§ 313b Abs. 2 Satz 4 ZPO).

(2) Durch das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] ist die Beachtung der Förmlichkeiten bei der Verkündung des Versäumnisurteils gemäß § 311 Abs. 2 Satz 3 ZPO nachgewiesen (§ 165 Satz 1 ZPO). Danach ist die Urteilsformel im [X.] an den erneuten Aufruf der Sache zur Aufzeichnung auf den Tonträger diktiert worden. Die Verkündung des Versäumnisurteils ist damit, was das Berufungsgericht zu Recht seiner Entscheidung zugrunde legt, durch mündliche Mitteilung der Urteilsformel erfolgt und gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO in dem Protokoll festgestellt.

[X.]) (1) [X.] steht auch nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Verkündung die mündliche Verhandlung bereits geschlossen war und es gemäß § 310 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO eines gesonderten Termins zur Verkündung eines nach § 310 Abs. 2 ZPO vollständig abgefassten Urteils bedurft hätte (vgl. [X.], Urteil vom 6. Februar 2004 - [X.], [X.]Z 158, 37, 39 f.; Beschluss vom 21. Juni 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 1359 Rn. 12 f.). Nach der Rechtsprechung des [X.] stehen Verkündungsmängel dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Sind deren Mindestanforderungen hingegen gewahrt, hindern auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen eines wirksamen Urteils nicht. Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt war oder von den [X.]en derart verstanden werden durfte und die [X.]en von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden ([X.], Urteil vom 12. März 2004 - [X.], [X.], 2019, 2020 mwN).

(2) Diese Mindestanforderungen sind hier eingehalten. Mit dem Wesen der Verlautbarung nicht unvereinbar ist nämlich sowohl ein Verstoß bei der ordnungsgemäßen Bekanntgabe des [X.] an die [X.]en (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juni 1954 - [X.], [X.]Z 14, 39, 46) als auch die Verletzung der Vorschrift des § 310 Abs. 2 ZPO (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Februar 2015 - [X.], NJW-RR 2015, 508 Rn. 6; Beschluss vom 2. März 1988 - [X.], [X.], 2046).

c) Rechtsfehlerfrei und von der Revision nicht angegriffen geht das Berufungsgericht weiter davon aus, dass die Sitzungsniederschrift zugleich das vollständige gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO zuzustellende Urteil darstellt. Das ist bei einem Versäumnisurteil, bei dem es gemäß § 313b Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe bedarf, der Fall, wenn das Protokoll - wie hier - neben der gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO festzustellenden Entscheidung des Gerichts die nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 - 4 ZPO erforderlichen Angaben enthält und von allen mitwirkenden Richtern unterschrieben ist (vgl. [X.], [X.] 2021, 1052 Rn. 4; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 339 Rn. 1).

2. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht ferner an, dass die Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO am 11. Mai 2020 begonnen hat.

a) Nach den getroffenen Feststellungen ist das Versäumnisurteil dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten allerdings unter Verletzung zwingender [X.] zugegangen.

aa) Ein Mangel der Zustellung ergibt sich allerdings nicht daraus, dass in dem (elektronischen) [X.] lediglich das Protokoll genannt und das darin enthaltene Versäumnisurteil nicht gesondert aufgeführt worden ist. Es ist nämlich nicht erforderlich, dass das [X.] den Inhalt des Dokuments aufschlüsselt; die Zustellung ist die Bekanntgabe eines bestimmten Dokuments (§ 166 BGB; vgl. [X.], [X.] 2021, 1052 Rn. 7; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 175 Rn. 9). Nach der Rechtsprechung des [X.] ist das zuzustellende Schriftstück in dem [X.] (lediglich) so ausreichend zu bezeichnen, dass seine Identität außer Zweifel steht ([X.], Beschluss vom 12. März 1969 - [X.], NJW 1969, 1297; Urteil vom 18. Mai 1994 - [X.], [X.], 1495; Beschluss vom 31. Mai 2000 - [X.], [X.], 606). Diesen Anforderungen genügt das [X.] vom 11. Mai 2020. Denn zweifelsfrei ergibt sich hieraus die Übermittlung des Protokolls vom 4. Mai 2020, in dem das Versäumnisurteil enthalten ist.

[X.]) Ein Zustellungsmangel folgt aber daraus, dass dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten entgegen § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO lediglich eine einfache Abschrift des Urteils zugestellt worden ist.

(1) Seit dem Inkrafttreten der Neufassung des § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 ([X.]) am 1. Juli 2014 werden Urteile den [X.]en von Amts wegen grundsätzlich in Abschrift zugestellt. Die Zustellung einer Ausfertigung des Urteils nach § 317 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist keine Voraussetzung (mehr) für den Beginn der Frist (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Februar 2018 - [X.], [X.] 2018, 1145 Rn. 4 zu § 544 ZPO).

(2) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO zuzustellende Abschrift des Urteils nach § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO von der Geschäftsstelle des Gerichts zu beglaubigen ist. Seit dem Inkrafttreten des [X.] ([X.] I 2001, [X.]) am 1. Juli 2002 ist im Gesetz zwar eine der Vorschrift des § 170 Abs. 1 ZPO aF entsprechende Regelung nicht mehr enthalten, nach der, wenn keine Ausfertigung zugestellt werden sollte, eine beglaubigte Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks zu übergeben war. Der Gesetzgeber geht aber trotz der Streichung des § 170 Abs. 1 ZPO aF weiterhin davon aus, dass Schriftstücke entweder in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift zuzustellen sind (vgl. [X.], Urteil vom 22. Dezember 2015 - [X.], [X.]Z 208, 255 Rn. 12; BT-Drucks. 14/4554 S. 16). Entsprechend dem Rechtszustand vor dem Inkrafttreten des [X.] ist die Beglaubigung einer zuzustellenden Abschrift gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO stets dann ausreichend, aber auch erforderlich, wenn das Gesetz keine andere Regelung enthält (vgl. [X.], Urteil vom 22. Dezember 2015 - [X.], aaO Rn. 10).

(3) Soll die Zustellung - wie hier - als elektronische Abschrift nach § 169 Abs. 4 Satz 1 ZPO bewirkt werden, erfolgt die Beglaubigung gemäß § 169 Abs. 4 Satz 2 ZPO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, dass das dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermittelte Schriftstück nicht mit einer solchen Signatur versehen war.

b) Weiter nimmt das Berufungsgericht zu Recht an, dass der Zustellungsmangel gemäß § 189 ZPO geheilt worden ist. Nach dieser Vorschrift gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender [X.] zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

aa) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten als richtigem Zustellungsadressaten nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO das in dem Protokoll enthaltene Versäumnisurteil tatsächlich zugegangen. Es mangelt auch nicht an dem bei einer Zustellung nach § 174 ZPO erforderlichen Willen, das angebotene Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen (vgl. [X.], Urteil vom 14. September 2011 - [X.], [X.]Z 191, 59 Rn. 16 mwN); die Feststellung dieses Willens ist notwendig, weil der Mangel des Empfangswillens bei einer Zustellung gegen [X.] nicht durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs im Sinne von § 189 ZPO geheilt werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Januar 2015 - [X.]/14, NJW-RR 2015, 953 Rn. 12 sowie Urteil vom 22. November 1988 - [X.], NJW 1989, 1154 zu § 187 ZPO aF). Der Empfangswille des Prozessbevollmächtigten der Beklagten steht aufgrund der Übermittlung des elektronischen [X.]ses nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO aF (§ 175 Abs. 4 ZPO nF) an das Gericht am 11. Mai 2020 außer Frage. Dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht erkannt hat, dass es sich bei dem Protokoll zugleich um das Versäumnisurteil handelt, steht dem auf das konkrete Schriftstück bezogenen [X.] nicht entgegen. Das [X.] hat die Zustellung schließlich auch mit dem für eine Heilung erforderlichen Zustellungswillen bewirken wollen (vgl. dazu [X.], Urteil vom 29. März 2017 - [X.], [X.]Z 214, 294 Rn. 35 mwN).

[X.]) Rechtsfehlerfrei ist schließlich die Annahme, dass § 189 ZPO auch eine von der Geschäftsstelle entgegen § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO veranlasste Zustellung einer einfachen statt einer beglaubigten Abschrift eines Urteils erfasst. Dies ist allerdings umstritten.

(1) Nach der neueren Rechtsprechung des [X.] wird der Mangel der unterbliebenen Zustellung einer beglaubigten Abschrift einer Klageschrift durch die von der Geschäftsstelle des Gerichts veranlasste Übermittlung einer einfachen Abschrift dieses Schriftstücks gemäß § 189 ZPO geheilt (vgl. [X.], Urteil vom 22. Dezember 2015 - [X.], [X.]Z 208, 255 Rn. 17 ff.; Urteil vom 13. September 2017 - [X.], [X.], 3721 Rn. 17; Urteil vom 21. Februar 2019 - [X.]/18, NJW 2019, 1374 Rn. 13). Gleiches gilt, wenn statt einer beglaubigten Abschrift die einfache Abschrift einer Nachweisurkunde im Sinne des § 750 Abs. 2 ZPO zugestellt wird (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Oktober 2016 - [X.], [X.], 411 Rn. 21 ff.; insoweit nicht abgedruckt in [X.]Z 212, 264). Geklärt ist damit, dass die Vorschrift des § 189 ZPO neben Mängeln des [X.] grundsätzlich auch solche des [X.] erfasst. Ob dies auch dann gilt, wenn statt einer beglaubigten lediglich eine einfache Abschrift eines Urteils zugestellt wird, hat der [X.] jedoch offengelassen (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Februar 2018 - [X.], [X.] 2018, 1145 Rn. 10; ebenso [X.], Beschluss vom 19. Juni 2019 - [X.], BeckRS 2019, 13264 Rn. 20).

(2) Überwiegend wird angenommen, dass der in der Übersendung einer einfachen statt einer beglaubigten Abschrift liegende Zustellungsmangel nach § 189 ZPO geheilt werden kann; dabei wird die Zustellung der Abschrift eines Urteils gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO allerdings nicht gesondert in den Blick genommen (vgl. [X.] ZPO/[X.] [1.12.2021], § 189 Rn. 6; HK-ZPO/[X.], 9. Aufl., § 189 Rn. 6; Musielak/[X.]/Wittschier, ZPO, 18. Aufl., § 189 Rn. 2; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 42. Aufl., § 169 Rn. 9 und § 189 Rn. 6; im Ergebnis ebenso: [X.], 6. Aufl., § 189 Rn. 12; aA weiterhin: [X.], ZPO, 23. Aufl., § 189 Rn. 16; [X.]/Schütze/Rohe, ZPO, 4. Aufl., § 189 Rn. 14; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 189 Rn. 9; [X.], NJW 2016, 1520; Rohe, [X.], 715, 716). Nur vereinzelt wird eine [X.] bei der Zustellung einer einfachen Urteilsabschrift überhaupt erörtert und unter Verweis auf den [X.] entweder abgelehnt (vgl. [X.], [X.] 2015, 1024 Rn. 45) oder angenommen (vgl. [X.], BeckRS 2020, 35781 Rn. 19; zustimmend: [X.], [X.], 154, 155; so wohl auch: [X.], [X.], 694, 695) beziehungsweise davon abhängig gemacht, dass die Authentizität und Amtlichkeit des Urteils zweifelsfrei sind (vgl. Anders/[X.]/[X.], ZPO, 80. Aufl., § 317 Rn. 4c).

[X.]) Richtigerweise wird auch dann, wenn einer [X.] entgegen § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO statt einer beglaubigten Abschrift lediglich eine einfache Abschrift des Urteils zugestellt wird, der darin liegende Zustellungsmangel nach § 189 ZPO geheilt, wenn keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehen. Das ist jedenfalls bei einer Übermittlung der Urteilsabschrift an das besondere elektronische Anwaltspostfach des Rechtsanwaltes der [X.] anzunehmen; denn diese ist als sicherer Übermittlungsweg ausgestaltet (vgl. § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO).

(1) Die Vorschrift des § 189 ZPO ist grundsätzlich weit auszulegen (vgl. [X.], Urteil vom 20. April 2018 - [X.], NJW-RR 2018, 970 Rn. 26; [X.], Urteil vom 29. März 2017 - [X.], [X.]Z 214, 294 Rn. 38; Urteil vom 12. März 2015 - [X.], [X.]Z 204, 268 Rn. 17; Urteil vom 27. Januar 2011 - [X.], [X.]Z 188, 128 Rn. 47). Dies beruht auf der Überlegung, förmliche [X.] nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen, sondern die Zustellung auch dann als bewirkt anzusehen, wenn der [X.] anderweitig, nämlich durch tatsächlichen Zugang erreicht worden ist. Zweck der Zustellung ist es, dem Adressaten angemessene Gelegenheit zu verschaffen, von einem Schriftstück Kenntnis zu nehmen und den Zeitpunkt der Bekanntgabe zu dokumentieren ([X.], Urteil vom 27. Januar 2011 - [X.], aaO). Ist die Gelegenheit zur Kenntnisnahme - wie hier - gewährleistet und steht der tatsächliche Zugang fest, bedarf es besonderer Gründe, die Zustellungswirkung entgegen dem Wortlaut der Regelung in § 189 ZPO nicht eintreten zu lassen ([X.], Urteil vom 22. Dezember 2015 - [X.], [X.]Z 208, 255 Rn. 21 f.; Urteil vom 27. Januar 2011 - [X.], aaO).

(2) Besondere, einer Heilung gemäß § 189 ZPO entgegenstehende Gründe bestehen in der hier zu beurteilenden Konstellation nicht.

(a) Nach dem Gesetzeswortlaut und dem aus den Gesetzesmaterialien ersichtlichen Willen des Gesetzgebers soll die Rechtsfolge des § 189 ZPO bei jeder fehlerhaften Zustellung eintreten können. Ziel der mit dem [X.] ([X.] I 2001, [X.]) geschaffenen Neuregelung war es, den Anwendungsbereich der Vorschrift - im Unterschied zu der bis dahin geltenden Fassung des § 187 Satz 2 ZPO aF - auszuweiten und auch solche Zustellungen zu erfassen, durch die der Beginn einer [X.] in Gang gesetzt wird (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Juli 2005 - [X.] 12/05, [X.], 3216, 3217; BT-Drucks. 14/4554 S. 25). Die [X.] besteht damit grundsätzlich auch bei der fehlerhaften Zustellung von Urteilen, ohne dass nach der Art des Zustellungsmangels unterschieden wird.

(b) Der Gesetzgeber hat durch die Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 189 ZPO der Rechtssicherheit gegenüber dem Interesse an der Einhaltung der formellen Anforderungen der Zustellung den Vorrang eingeräumt; der Mangel der Zustellung soll nicht zulasten der anderen [X.] gehen, wenn der tatsächliche Zugang feststeht (BT-Drucks. 14/4554 S. 25). Hierdurch wird gewährleistet, dass bei feststehender Kenntnis des Urteils Klarheit über den Ablauf der [X.] und die formelle Rechtskraft herrscht und sich der Streit der [X.]en nicht zu dieser Frage fortsetzt. Diesem Gesichtspunkt kommt bei der Zustellung eines Versäumnisurteils besondere Bedeutung zu. Denn § 339 ZPO enthält keine den Vorschriften der §§ 517, 548 ZPO vergleichbare Regelung, dass die Einspruchsfrist spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils beginnt; auch eine analoge Anwendung der entsprechenden Berufungs- und Revisionsregelungen scheidet aus (vgl. [X.], Urteil vom 7. Juli 1959 - [X.], [X.]Z 30, 299, 300; Urteil vom 21. Juni 1976 - [X.], NJW 1976, 1940). Würde eine Heilung nach § 189 ZPO bei Zustellung lediglich einer einfachen Abschrift des Versäumnisurteils grundsätzlich verneint, könnte der Rechtsstreit, wenn der Zustellungsmangel erst spät festgestellt wird, daher noch nach Jahren fortgesetzt werden müssen.

(c) Schließlich steht der Gesichtspunkt der Authentizität und Amtlichkeit des zuzustellenden Schriftstücks einer Heilung nicht entgegen.

(aa) Allerdings hat der [X.] erwogen, eine Heilung dann nicht zuzulassen, wenn durch die Zustellung einer Ausfertigung von vornherein jegliche Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit des zugestellten Schriftstücks ausgeschlossen sein sollen (vgl. [X.], Urteil vom 22. Dezember 2015 - [X.], [X.]Z 208, 255 Rn. 22). Dies beruhte auf der vormals besonderen Bedeutung der [X.] insbesondere für den Beginn von [X.] und [X.]. Die gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO aF erforderliche Zustellung einer Ausfertigung des Urteils konnte nach der Rechtsprechung des [X.] nicht durch die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des Urteils ersetzt werden. Es kam entscheidend auf die äußere Form und den Inhalt der zur Zustellung verwendeten Ausfertigung an; bei Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung war allein die Ausfertigung maßgeblich, weil nur sie nach außen in Erscheinung trat und die [X.] ihre Rechte nur anhand der Ausfertigung wahrnehmen konnte und musste (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Juni 2010 - [X.] 132/09, [X.]Z 186, 22 Rn. 15).

([X.]) Mit der Änderung des § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 ([X.]) hat der Gesetzgeber dagegen die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des Urteils als gesetzliche Regelform eingeführt. Eine Ausfertigung des Urteils ist nur noch in den Fällen des § 775 Nr. 1 und 2 ZPO sowie dann erforderlich, wenn aus dem Urteil die Zwangsvollstreckung betrieben werden soll (BT-Drucks. 17/12634 S. 30). Dabei wurde bewusst in Kauf genommen, dass der Abschrift nicht die gleiche Bedeutung wie der Ausfertigung des Urteils zukommt (vgl. [X.], Beschluss vom 29. September 1959 - [X.], NJW 1959, 2117, 2118) und diese das Urteil nicht nach außen im Rechtsverkehr vertritt (vgl. § 47 BeurkG). Dafür, dass der Gesetzgeber einerseits die Anforderungen an die Form des zuzustellenden Urteils herabsetzen, andererseits aber bei fehlender Beglaubigung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO einen nicht heilbaren Zustellungsmangel annehmen wollte, bestehen keine Anhaltspunkte.

([X.]) Voraussetzung einer Heilung nach § 189 ZPO ist allerdings, dass keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit des zuzustellenden Schriftstücks bestehen. Der [X.] wird nämlich nur dann erreicht, wenn dem Adressaten zuverlässig Kenntnis über den Inhalt des Dokuments und dessen Herkunft vermittelt wird. Dies erfordert es, dass die gerichtliche Entscheidung zweifelsfrei - schon durch ihre äußere Form - als solche zu identifizieren ist (vgl. [X.], Urteil vom 15. März 2007 - 5 StR 536/06, [X.]St 51, 257 Rn. 14). Deshalb genügt auch die bloße Unterrichtung über den Inhalt des zuzustellenden Dokuments nicht, um eine Heilung herbeizuführen (vgl. [X.], Urteil vom 20. April 2018 - [X.], NJW-RR 2018, 970 Rn. 30; [X.], Beschluss vom 4. Mai 2011 - [X.] 632/10, NJW-RR 2011, 1011 Rn. 11; Urteil vom 15. März 2007 - 5 StR 536/06, aaO); weder die bloße mündliche Überlieferung noch eine handschriftliche oder maschinenschriftliche Abschrift des Dokuments führen zur Heilung des Zustellungsmangels (vgl. [X.], Beschluss vom 12. März 2020 - [X.], [X.], 776 Rn. 25; Beschluss vom 7. Oktober 2020 - [X.] 167/20, NJW-RR 2021, 193 Rn. 12).

c) Hieran gemessen nimmt das Berufungsgericht zutreffend an, dass für den Prozessbevollmächtigten der Beklagten jedenfalls deshalb keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit des Versäumnisurteils bestehen konnten, weil die einfache Abschrift von dem Gericht auf einem sicheren Übermittlungsweg an das besondere elektronische Anwaltspostfach nach § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO übermittelt worden ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

[X.]     

      

Brückner     

      

Göbel 

      

Malik     

      

Laube     

      

Meta

V ZR 15/21

11.02.2022

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 18. Dezember 2020, Az: 3 U 88/20

§ 130a Abs 4 Nr 2 ZPO, § 169 Abs 2 S 1 ZPO, § 189 ZPO, § 317 Abs 1 S 1 ZPO, § 339 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.02.2022, Az. V ZR 15/21 (REWIS RS 2022, 1305)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1305 NJW 2022, 1816 REWIS RS 2022, 1305 MDR 2022, 875 REWIS RS 2022, 1305

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Zivilrechtsstreit: Zustellungsmangel bei Zustellung einer einfachen statt einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift und dessen Heilung


20 U 208/20 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


IV ZR 224/18 (Bundesgerichtshof)

Nichtzulassungsbeschwerde: Eigenständige Bestimmung der Höhe der Beschwer durch das Revisionsgericht; Zurückweisungsbeschluss ohne tatbestandliche Feststellungen oder …


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