Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.10.2018, Az. 3 StR 27/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 2269

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Gegenstand

Verunglimpfung des Staates: Strafbarkeit eines Liedes


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. September 2017 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer Verunglimpfung des Staates in Tateinheit mit Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der Sachrüge hat das Rechtsmittel den sich aus der Entscheidungsformel ergebenden Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s schrieb der Angeklagte ein mit "[X.]" betiteltes Lied im Musikstil des Rap und ließ davon ein professionell gestaltetes Musikvideo produzieren. Dieses zeigte den Angeklagten bei der Darbietung des Liedes, während fortlaufend Bilder oder kurze Videosequenzen eingeblendet oder auf den Oberkörper des Angeklagten projiziert wurden. Mit Kenntnis und Billigung des Angeklagten lud ein Dritter das Musikvideo am 14. Februar 2016 auf der Internetplattform "[X.]" in dem Kanal "[X.]" als "offizielles HD Musikvideo" hoch, so dass es für jedermann abrufbar war. Dem Angeklagten kam es darauf an, durch die von seinem Einverständnis getragene Veröffentlichung des Videos rechtsradikale Gruppierungen zu unterstützen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die pluralistische Demokratie der [X.] [X.] zu beseitigen und diese durch ein dem [X.] vergleichbares totalitäres Regime im Sinne einer Gewalt- und Willkürherrschaft zu ersetzen.

3

2. Das [X.] hat in der in dem Lied enthaltenen Textpassage "Wir wollen nur das [X.], behaltet eure scheiß [X.] lieber! Gekaufte Politiker, Päderasten und Genderspasten! Das ist, was die [X.] aus [X.] Menschen machte" in Verbindung mit den hierzu eingeblendeten Bildern von [X.], [X.], dem Logo der [X.] sowie einer sog. Drag-Queen ein Beschimpfen der [X.] [X.] im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB gesehen. Weitere Textpassagen, die auf "das [X.]", die "[X.]", in der man mit Fackeln durch die Straßen gelaufen sei, ([X.]) [X.] und - mittels zeitgleicher Einblendung historischer Aufnahmen unter anderem von marschierenden Soldaten und entsprechender Portraits mit einem schwarzen Balken über den Augen - [X.] Bezug nahmen, hat die [X.] als öffentliches Billigen und Verherrlichen der [X.] Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinne des § 130 Abs. 4 StGB gewertet.

II.

4

Die Verurteilung des Angeklagten wegen schwerer Verunglimpfung des Staates nach § 90a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB hat keinen Bestand.

5

Das [X.] hat allerdings zutreffend in den Blick genommen, dass bei der Prüfung des Tatbestands der Verunglimpfung des Staates gemäß § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB insbesondere bei politischer Kritik den Grundrechten der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG und der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG besondere Beachtung zukommt. Gerade das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert seine Bedeutung (vgl. nur [X.], Beschluss vom 15. September 2008 - 1 BvR 1565/05, [X.], 908 Rn. 13 mwN). Die [X.] ist jedoch davon ausgegangen, dass die Kunstfreiheit ebenso wie die Meinungsfreiheit ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen finde (Art. 5 Abs. 2 GG) und ihr Schutzbereich daher durch § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB beschränkt sei. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil das Grundrecht der Kunstfreiheit vorbehaltslos gewährleistet ist. Für die Kunstfreiheit gelten weder die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG noch die des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG ([X.], Beschluss vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68, [X.]E 30, 173, 191 ff.). Die Freiheit der Kunst findet ihre Grenzen allein in den Grundrechten Dritter und in anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern. Daraus folgt hier:

6

1. Die Kunstfreiheit geht der Meinungsfreiheit als spezielleres Grundrecht vor und ist daher vorrangig zu beachten ([X.], Beschlüsse vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68, [X.]E 30, 173, 191, 200; vom 3. Juni 1987 - 1 BvR 313/85, [X.]E 75, 369, 377). Dabei schließt die vorbehaltslos gewährleistete Kunstfreiheit eine Bestrafung nach § 90a StGB nicht generell aus. Im Lichte dieses Grundrechts darf aber der Schutz des Staates und seiner Symbole nach § 90a StGB nicht zu einer Immunisierung des Staates gegen Kritik und selbst gegen Ablehnung führen. Es bedarf daher stets einer einzelfallbezogenen Abwägung der widerstreitenden Verfassungsrechtsgüter, hier der Kunstfreiheit und des durch § 90a StGB geschützten Bestands des Staates und seiner verfassungsmäßigen Ordnung ([X.], Beschlüsse vom 3. November 2000 - 1 BvR 581/00, NJW 2001, 596, 597 f.; vom 7. März 1990 - 1 BvR 266/86 ua, [X.]E 81, 278, 292 f., 294).

7

2. Als Grundlage einer solchen Abwägung muss im Wege einer werkgerechten Interpretation ([X.], Beschluss vom 3. Juni 1987 - 1 BvR 313/85, [X.]E 75, 369, 376) unter Berücksichtigung der der Kunst eigentümlichen Strukturmerkmale ([X.], Beschluss vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68, [X.]E 30, 173, 188) der in der künstlerischen Einkleidung verborgene Aussagekern ermittelt werden. Bei der Auslegung mehrdeutiger Aussagen darf - wie bei dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (vgl. [X.], Beschlüsse vom 15. September 2008 - 1 BvR 1565/05, [X.], 908 Rn. 12 f.; vom 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98, [X.]E 114, 339, 349 mwN) - nicht die zu einer strafrechtlichen Sanktion führende Bedeutung zu Grunde gelegt werden, ohne vorher andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen auszuschließen.

8

3. Im Grundsatz hat das [X.] diese Maßstäbe zwar nicht verkannt und mit tragfähiger Argumentation ausgeschlossen, dass der Angeklagte mit der in Rede stehenden Textpassage etwa lediglich die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung habe kritisieren wollen.

9

Die [X.] hätte indes eine weitere, nicht fern liegende Deutungsmöglichkeit in ihre Erwägungen einbeziehen müssen: In der Äußerung "Gekaufte Politiker, Päderasten und Genderspasten!" in Verbindung mit Bildern von [X.], [X.], dem Logo der [X.] und einer Drag-Queen könnte auch eine - wenngleich überzogen formulierte und geschmacklose - politische Kritik zu sehen sein, die jedenfalls zum Teil an tatsächliche Geschehnisse anknüpft. Der Begriff "Päderast" in Verbindung mit dem [X.] ließe sich als Bezugnahme auf die Pädophilie-Debatte aus dem [X.] interpretieren, deren Gegenstand u.a. die im Parteiprogramm [X.] in den 1980er-Jahren enthaltene Forderung war, dass sexuelle Handlungen - unabhängig vom Alter der Beteiligten - nur noch bestraft werden sollten, wenn Gewalt angewendet oder angedroht oder Abhängigkeitsverhältnisse missbraucht werden. Der Ausdruck "Genderspast" in Verbindung mit der [X.] und einer Drag-Queen könnte als Kritik an der Gleichbehandlung sexueller Ausrichtungen, die jenseits des herkömmlichen Geschlechterverständnisses liegen, oder deren Einbeziehung in den politischen Minderheitenschutz gesehen werden. Mit der Verwendung des Begriffs "gekaufte Politiker" in Verbindung mit Bildern von [X.] und [X.] könnte - naheliegend - eine angenommene Bestechlichkeit von Politikern bis in [X.] hinein angeprangert worden sein.

Bedenken begegnet in diesem Zusammenhang auch die Argumentation des [X.]s, aus der Formulierung "Scheiß [X.]" im Zusammenhang mit den genannten Inhalten ergebe sich, dass der Angeklagte die [X.] in ihrer derzeitigen Form einer pluralistischen Demokratie ablehne. Allein eine solche Ablehnung führt nicht zur Strafbarkeit einer entsprechenden Äußerung. Denn das Grundgesetz baut zwar auf [X.], erzwingt diese jedoch nicht, so dass der Grundrechtsschutz auch dem zukommt, der die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen nicht teilt ([X.], Beschluss vom 28. November 2011 - 1 [X.], [X.], 1273 Rn. 18). Schließlich ist nicht rechtsbedenkenfrei, dass das [X.] eine aggressive Grundstimmung des Musikvideos mitberücksichtigt hat, die sich aus dem Sprechrhythmus und der Gestik einschließlich Schlagbewegungen ergebe. Denn bei der Ermittlung des [X.] eines Kunstwerks dürfen die Elemente der künstlerischen Einkleidung diesem nicht zugerechnet werden ([X.], Beschluss vom 3. November 2000 - 1 BvR 581/00, NJW 2001, 596, 597). Für die Musikrichtung des Rap sind Sprechrhythmus und schlagende Armbewegungen aber gerade typische Stilmerkmale.

4. Bei der im [X.] an die Ermittlung des [X.] vorzunehmenden Einzelfallabwägung der betroffenen Verfassungsrechtsgüter ist zu beachten, dass dem Staat kein grundrechtlicher Ehrenschutz zukommt. Rechtsgut des § 90a StGB ist der Bestand der [X.] [X.] und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung. Für eine Strafbarkeit nach § 90a StGB ist erforderlich, dass aufgrund der konkreten Art und Weise der in dem Kunstwerk zum Ausdruck kommenden Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der [X.], die Funktionsfähigkeit ihrer staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in [X.] zu gefährden ([X.], Beschluss vom 28. November 2011 - 1 [X.], [X.], 1273 Rn. 24). Dabei bezieht sich der Schutz des § 90a Abs. 1 StGB allein auf die [X.] selbst. Eine Herabwürdigung von Staatsorganen, einzelnen Politikern oder der Verwaltung reicht zur Erfüllung des Tatbestandes grundsätzlich nicht aus ([X.], Beschluss vom 9. Juli 2008 - 1 BvR 519/08, juris Rn. 50; vgl. auch [X.], Beschlüsse vom 18. August 2000 - 3 [X.], [X.], 643 f.; vom 7. Februar 2002 - 3 [X.], [X.], 592 Rn. 8).

5. Die Aufhebung des Schuldspruchs der (schweren) Verunglimpfung des Staates im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB zieht die Aufhebung der an sich [X.] Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Volksverhetzung nach § 130 Abs. 4 StGB nach sich (§ 353 Abs. 1 StPO; vgl. [X.], Urteile vom 28. September 2017 - 4 StR 282/17, juris Rn. 14; vom 29. August 2007 - 5 [X.], juris Rn. 51; vom 20. Februar 1997 - 4 [X.], [X.]R StPO § 353 Aufhebung 1). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können indes vollständig bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO).

III.

Für die neue Verhandlung weist der Senat im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Störung des öffentlichen Friedens nach § 130 Abs. 4 StGB auf die neuere Rechtsprechung des [X.] hin ([X.], Beschlüsse vom 22. Juni 2018 - 1 BvR 673/18, NJW 2018, 2858 Rn. 26, 31 ff.; 1 BvR 2083/15, NJW 2018, 2861 Rn. 23 ff.).

Die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] wird zudem Gelegenheit haben, auch eine Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu prüfen. Die Textpassage "Uns einte das [X.], reiner Siegeswille. (…) Keine Ketten mehr, die [X.]. Wir schlugen wie [X.] zu, ließen Würmer im Kompost winseln. [X.] hing an [X.], fraß sich an Renditen satt. Wir liefen mit Fackeln durch die Straßen in der [X.]. Räucherten die Nester aus, fackelten sie schließlich ab" könnte dahin verstanden werden, dass die Bevölkerungsgruppe der [X.] durch Verwendung der Begriffe "Zinsen" und "Renditen" sowie die inhaltliche Bezugnahme auf die [X.]spogromnacht konkludent als "Würmer im Kompost" und "[X.]" bezeichnet werden sollte. Dies könnte einen Angriff auf die Menschenwürde dieser Personen darstellen, weil sie mit der gleichsam zum Ausdruck gebrachten Freude über die Opfer der [X.]spogromnacht und die Vernichtung vermeintlicher Feinde [X.]s unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt wurden und ihnen das Lebensrecht in der [X.] Gemeinschaft abgesprochen wurde (vgl. MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 130 Rn. 55 mit zahlreichen wN). Die Grundrechte der Kunst- und Meinungsfreiheit stünden einer Bestrafung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB in diesem Fall nicht entgegen; denn diese müssen stets zurücktreten, wenn die Menschenwürde anderer als oberster Wert und Wurzel aller Grundrechte angetastet wird. Die Würde des Menschen ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ([X.], Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua, [X.]E 93, 266, 293).

Gericke     

        

Ri[X.] Dr. Tiemann
ist wegen Erkrankung
gehindert zu unterschreiben.

        

Berg   

                 

Gericke

                 
        

Hoch     

        

     Leplow     

        

Meta

3 StR 27/18

30.10.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dortmund, 18. September 2017, Az: 39 KLs 39/16

§ 90a Abs 1 Nr 1 StGB, Art 5 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.10.2018, Az. 3 StR 27/18 (REWIS RS 2018, 2269)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 2269

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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