3. Zivilsenat | REWIS RS 2000, 1342
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Die Berufung des Klägers gegen das am 09. Dezember 1998 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung von DM 20.000,00 abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Parteien dürfen die Sicherheit durch eine unbefristete und unbedingte Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder Sparkasse erbringen.
Tatbestand
Dem am ####1931 geborenen Kläger wurde durch den Beklagten zu 1) im Jahre 1982 im Zuge einer Hüftoperation linksseitig eine sogenannte Judet-Pfanne eingesetzt. Nachfolgend löste sich die Sockelpfanne, wodurch es zu einer Pfannenwanderung nach cranial kam. Anfang 1993 stellte sich der Kläger bei dem Beklagten zu 1) erneut zu einer Befundkontrolle vor. In den Krankenunterlagen heißt es diesbezüglich u.a. (Einlegeblatt 5):
In letzter Zeit vermehrt Anlaufschmerzen in li. Hüftgelenk. Er habe bei den ersten Schritten starke, in den li. Oberschenkel einschießende Schmerzen u. ein Instabilitätsgefühl.
Befund: Beinverkürzung li. 1 cm. Links hinkender Gang. ...
Diagn.: Dysplasiecoxarthrose, Zustand nach Versorg. mit einer TEP Judet, Pfannenlockerung.
Maßn.: baldmögliche stat. Aufnahme zum Pfannenwechsel u. und Rekonstruktion d. Pfannenlagers.
Aus von den Parteien unterschiedlich dargestellten Gründen kam es zu der geplanten stationären Aufnahme und Operation nicht. Am 02.11.1994 stellte sich der Kläger erneut bei dem Beklagten vor. Hierzu heißt es in den Krankenunterlagen u.a. (Einlegeblatt 6):
... Patient klagt über starke Belastungs- und Ruheschmerzen im li. Hüftgelenk. Er könne nur noch kurze Strecken laufen.
Klinisch findet sich eine Beinverkürzung links von etwa 2 cm.
Es besteht ein Duchenne-Hinken infolge einer muskulären Insuffizienz der Hüftmuskulatur. Bei der Bewegungsprüfung Stauchschmerz und Rotationsschmerz im Bereich der li. Leiste.
Somit eindeutige klinische Zeichen für eine Pfannenlockerung.
Diagnose: Dysplasiecoxarthrose, Z. n. Implantation einer zementfreien TEP Typ Judet, Pfannenlockerung und Pfannenwanderung.
Maßnahmen: Entfernung der gelockerten Pfanne und Implantation einer neuen Pfanne mit Fixierung im Becken.
Eine weitere Vorstellung bei dem Beklagten zu 1) erfolgte am 02.08.1995. Hierzu heißt es in den Krankenunterlagen u.a. (Einlegeblatt 6):
Herr D. bittet nochmals um eingehende Beratung hinsichtlich der notwendigen OP. Auf Grund der Rö.Befunde kann davon ausgegangen werden, daß der Schaft stabil im Femur sitzt, lediglich die Pfanne gelockert ist. Es wird die Auswechselung der gelockerten Pfanne gegen eine Sockelpfanne nach T empfohlen.
Dabei wird vereinbart, daß wir uns darum bemühen werden, die OP hier durchzuführen und Herr Professor T zur Durchführung der Pfannenimplantation nach Hamm kommt.
Ausführliche Aufklärung hinsichtlich möglicher Komplikationen, insbesondere Gefäßverletzungen und Läsionen des N. femoralis und N. ischiadicus.
Der Kläger wurde am 25.10.1995 stationär aufgenommen und von den Beklagten zu 1) und 2) operiert. In den Krankenunterlagen ist in diesem Zusammenhang u.a. folgendes vermerkt:
27.10. Pat. ist von der Intensivstation zurück. Er hat den Eingriff gut überstanden.
30.10. Pat. hat eine Parese des N. ischiadicus li. laut Chefarzt dreimal tgl. Elektrostimulation.
15.11. Pat. darf mit Unterarmgestützen aufstehen und gehen. Weiterhin keine Besserung der Ischiadicuslaesion, ebenfalls Parese der Ischiocuralmuskulatur links.
24.11. laut Chefarzt keine Revision des N. ischiadicus. Pat. ist mittlerweile mit Hilfe der Peronaeusschiene und der UAG selbständig gut mobilisiert.
27.11. zur Spitzfußprohylaxe wird eine Unterschenkelorthese als Nachtlagerungsschiene angefertigt. ...
29.11. auf Wunsch des Pat. am 30.11. Vorstellung in der Neurochirurgie der K Klinik bei Herrn Prof. Dr. C.
30.11. Lt. Prof. C z.Zt. keine o.p. Revision indiziert. Abwarten und neurolog. Kontrolle.
14.02.1996 WV zur Befundkontrolle.
Zurück aus der Kur berichtet Herr D., daß sich die Ischiocuralmuskulatur erhebl. erholt hat. Der Unterschenkel kann wieder gegen die Schwere angebeugt werden. Bewegungen des Fußes sind noch nicht möglich. ... Die Beweglichkeit der Hüfte ist gut, er kann ohne Beschwerden sitzen, auch Schuhe Strümpfe anziehen usw.
21.02.1996 ... nochmalige Überprüfung des Muskelbefundes einschl. IT-Kurven:
Die Ischiocuralmuskulatur li. hat sich klinisch sehr gut erholt, somit ist das Kniegelenk muskulär wieder stabilisiert.
Von seiten des li. Hüftgelenkes völlig beschwerdefrei. ... Nach wie vor besteht eine Paralyse der Unterschenkelmuskulatur mit Plegie der Fußheber-/-Senker und der Zehenheber– und –senker. ...
17.04.1996 ... Herr D. ist mit der jetzigen Situation unzufrieden, weil er mit einer weiteren Erholung der Muskelfunktion des Unterschenkels gerechnet hatte. ...
Der Kläger klagt nach wie vor über eine Parese im linken Ober-/Unterschenkelbereich sowie eine Verschlimmerung seiner Herzrhythmusstörungen. Beim Gehen ist der Kläger auf Unterarmgehhilfen sowie auf eine Peronaeusfeder am linken Unterschenkel angewiesen. Das linke Bein kann nicht belastet werden.
Der Kläger hat behauptet, seine Beschwerden seien auf einen Behandlungsfehler anläßlich der Operation zurückzuführen. Diese Schädigung sei bei ordnungsgemäßen Vorgehen zu verhindern gewesen. Seine Herzrhythmusstörungen seien ebenfalls Folge der Operation. Durch seine Gehbehinderung und durch die hierdurch bedingte Überbelastung des Herzens habe sich eine Herzkammer mindestens um 2 cm erweitert. Vor dem Eingriff sei er nicht hinreichend über die möglichen Risiken aufgeklärt worden. Bei entsprechender Aufklärung hätte er die Operation nicht durchführen lassen.
Der Kläger hat beantragt,
1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, das den Betrag von 100.000,00 DM nicht unterschreiten sollte, zuzüglich 4 % Zinsen ab dem 26.10.1995 zu zahlen;
2.
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche materiellen Schäden ud immaterielle Schäden insoweit zu ersetzen, als diese derzeit nicht vorhersehbar sind.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben jegliche Behandlungsfehler in Abrede gestellt und behauptet, der Eingriff sei ordnungsgemäß durchgeführt worden.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Außerdem hat es den Sachverständigenn mündlich vernommen. Sodann hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, Behandlungsfehler seien nicht feststellbar; der Kläger sei auch sachgerecht aufgeklärt worden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den erstinstanzlichen Sach- und Streitstand, das schriftliche Gutachten des Sachverständigen, die Protokolle zur mündlichen Verhandlung sowie auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er wiederholt und vertieft den erstinstanzlichen Sachvortrag, behauptet insbesondere, die Reimplantation der Sockelpfanne hätte bereits 1994 durchgeführt werden müssen, und beantragt,
1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Senats gestellt wird, zuzüglich 4 % Zinsen ab dem 24.08.1996 zu zahlen,
2.
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm alle materiellen und weiteren immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm auf Grund der Behandlung durch die Beklagten entstanden sind, insbesondere auf Grund der im Jahre 1994 unterbliebenen Hüftgelenksoperation, auf Grund der am 26.10.1995 durchgeführten Operation und auf Grund der Behandlung nach dieser Operation, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise Vollstreckungsnachlaß.
Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, das der Sachverständige im Senatstermin mündlich erläutert hat.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Krankenunterlagen, die schriftliche Zusammenfassung des Sachverständigen, das Protokoll und auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 3. Mai 2000 Bezug genommen.
Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Auch aufgrund der ergänzenden Beweisaufnahme hat der Kläger den ihm obliegenden Beweis nicht erbracht, daß die Behandlung durch die Beklagten zu 1 und 2 bzw. im Hause der Beklagten zu 3 allgemein unsachgemäß erfolgte.
1. Der Kläger hat nicht bewiesen, daß der Beklagte zu 1 ihn unsachgemäß nicht bereits im Jahr 1994 operierte. Dabei kann es letztlich dahin gestellt bleiben, aus welchen Gründen diese Operation nicht bereits zu diesem früheren Zeitpunkt erfolgte.
Ein Behandlungsfehler des Beklagten zu 1 könnte – wenn überhaupt – nur dann angenommen werden, wenn er den Kläger entweder nicht über die Notwendigkeit der Operation als solche ausreichend aufgeklärt hätte oder die Operation aus Gründen unterblieben wäre, die seinem Bereich zuzuordnen sind. Da der Kläger insoweit dem Beklagten einen ärztlichen Behandlungsfehler unterstellt, hat er nach allgemeinen Beweisregeln die Beweislast für ein unsachgemäßes Vorgehen des Beklagten zu 1. Für diesen in zweiter Instanz erstmals aufgegriffenen Vorwurf hat der Kläger indes keinen Beweis angeboten. Soweit er in diesem Zusamenhang Sachverständigenbeweis anbietet, ist dieses Beweismittel zur Feststellung der hier beweisbedürftigen Tatsachen untauglich.
Durch den erstinstanzlichen Sachvortrag und auch durch die Krankenunterlagen wird der Sachvortrag des Klägers nicht gestützt. Erstinstanzlich hat der Kläger vorgetragen, der Beklagte zu 1 habe ihn dringend zu einem Pfannenwechsel geraten (Bl.52, 75), der im Laufe des Jahres 1995 vorgenommen werden sollte. Das entspricht den Eintragungen in den sog. Einlegeblättern, in denen schon für den 08.01.1993 die baldmöglichste stationäre Aufnahme zum Pfannenwechsel und für den 02.11.1994 die Entfernung der gelockerten Pfanne und Implantation einer neuen Pfanne vermerkt ist. Im Schreiben an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 10.11.1994 heißt es u.a., daß die erneute operative Behandlung des linken Hüftgelenkes dringend erforderlich sei. Es spricht bei dieser Sachlage nichts dafür, daß der Beklagte zu 1 schuldhaft die Operation verzögert hat, etwa weil bestimmte erforderliche Knochenspäne nicht zur Verfügung standen.
Darüber hinaus ist dem Kläger durch die verzögerte Operation kein weiterer Schaden entstanden. Auch wurde durch die Verzögerung die Operation aus 1995 nicht risikoträchtiger oder sonstwie erschwert. Richtig ist sicherlich, daß die bereits im Jahr 1982 implantierte sog. Judet-Pfanne sich gelockert hatte und nach cranial wanderte. Richtig ist ebenfalls, daß nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X die Pfanne um so weiter wandert, je länger man zuwartet. Dazu, ob sich durch die Zeitverzögerung um etwa 1 Jahr ein Nachteil zu Lasten des Klägers ergeben hat, hat sich dieser Sachverständige nicht geäußert. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Q, der dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren als kundiger und erfahrener Sachverständiger bekannt ist, ist der Zustand in 1993 und in 1995 in etwa vergleichbar. Der Sachverständige hat die Röntgenaufnahmen verglichen, einen prinzipiellen Unterschied jedoch nicht erkennen können. Weil hierauf nur eine geringe zusätzliche Wanderung nach cranial zu sehen war, war die Operation 1995 nicht schwieriger als eine solche, die etwa bereits 1993 vorgenommen worden wäre.
2. Die Operation am 26.10. 1995 wurde nicht fehlerhaft durchgeführt. Der Kläger hat den ihm obliegenden Beweis fehlerhaften Handelns der Beklagten nicht geführt. Auch insoweit folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Q. Dessen Ausführungen stehen im Einklang mit denen des Sachverständigen Prof. Dr. X, der dem Senat ebenfalls aus zahlreichen Verfahren hinlänglich bekannt ist.
Die Indikation zu der erneuten Hüftoperation und zum Austausch der Sockelpfanne lag vor. Daran zweifelt der Kläger offenbar auch selbst nicht, behauptet darüber hinaus – wie ausgeführt - sogar, die Operation sei verspätet erfolgt. Der Sachverständige Dr. Q hat vor dem Senat ausgeführt, daß an der Indikation nicht zu zweifeln sei. Subjektiv hatte der Kläger Beschwerden. Objektiv wurde das Pfannenlager immer größer. In einem solchen Fall ist auch bei geringeren klinischen Erscheinungen die Indikation zur Operation gegeben. Deshalb lag die Indikation bereits 1993 vor, erst recht 1995. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Zustand gegenüber 1993 nicht gebessert, sondern durch die leichte Wanderung nach cranial – wie ausgeführt – ggfs. ein wenig verschlechtert.
Die Implantation der sog. T-Sockelpfanne erfolgte fehlerfrei und sachgemäß.
Weder der Sachverständige Prof. Dr. X noch der Sachverständige Dr. Q haben in Bezug auf die Implantation der Sockelpfanne als solche ein unsachgemäßes Vorgehen feststellen können. Die Perforation des Pfannenstiels und die Tangierung des Nervus ischiadicus sind eine exclusive Komplikation der Sockelpfanne, die sich jedoch nicht verwirklicht hat. Das zur Abklärung dieses Aspektes erstellte Computertomogramm zeigt, daß der Pfannenstiel regelrecht sitzt und hierdurch der Nervus ischiadicus nicht perforiert wurde.
Angesichts des sachgerechten Sitzes der Pfanne kann es offen bleiben, ob eine postoperative Kontrolle hätte erfolgen sollen oder müssen. Sie wäre jedenfalls ohne therapeutische Konsequenzen geblieben.
Soweit der Kläger infolge der Operation eine Beeinträchtigung des Nervus ischiadicus erlitten hat, worauf seine heutigen Beschwerden im wesentlichen zurückzuführen sind, folgt hieraus ebenfalls nicht ein irgendwie geartetes unsachgemäßes Vorgehen der Beklagten. Ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X ist der Schaden nicht auf eine fehlerhafte Lagerung zurückzuführen. Soweit in diesem Zusammenhang die Beinverlängerung als Schadensursache diskutiert wird, war diese jedenfalls wegen der Pfannenwanderung nach cranial indiziert. Ein unsachgemäßes Vorgehen haben die Sachverständigen nicht konstatiert.
Der Sachverständige Dr. Q und wohl auch der Sachverständige Prof. Dr. X gehen davon aus, daß die Schädigung des Nerven am ehesten durch den Einsatz des sog. Hohmann-Haken und damit durch Hakenzug hervorgerufen wurde. Der Einsatz des Hohmann-Haken ist bei einer solchen Hüftoperation jedoch zwingend. Anhaltspunkte dafür, daß der Hakenzug fehlerhaft erfolgte, bestehen nicht. Aus dem Schaden als solchen kann nicht auf ein unsachgemäßes Vorgehen geschlossen werden. Eine Nervschädigung, wie sie auch der Kläger erlitten hat, ist eine mit einer Hüftoperation dieser Art verbundene typische Komplikation und nicht in jedem Fall trotz aller Sorgfalt vermeidbar. Fehlerhaft war es dabei auch nicht, die Operation unter Belassung des Schaftes durchzuführen. Die alternative Möglichkeit der Aufspaltung des Knochenrohrs hätte den Eingriff nur entschieden vergrößert.
3. Fehler lassen sich auch nicht im Rahmen der Nachsorge feststellen. Ausweislich der Krankenunterlagen hat der Beklagte zu 1 am 30.10.1995 eine dreimal-tägliche Elektrostimulation verordnet. Ausweislich des Anordnungsblattes wurde diese sogar am 27.10.1995 erstmalig verordnet („Badeabteilung (Elektrotherapie)“). Zwar ist der Medizinischen Dokumentation – Unterpunkt Physikalische Therapie – eine Elektrotherapie des linken Unterschenkels nur für den 30./31.10.1995 zu entnehmen; der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung jedoch so verstanden, daß einmal täglich eine Elektrostimulation erfolgte. Das entspricht nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Q dem Standard in Fällen dieser Art, wenn Nervläsionen postoperativ festzustellen sind.
Ebenso wenig war es fehlerhaft, nicht sofort ein neurologisches Konsil einberufen und einen Neurologen hinzugezogen zu haben. Ein Neurologe hätte kausal keine anderen Maßnahmen verordnen und durchführen können, als sie der Beklagte zu 1 verordnet hat. Wichtig war die Verordnung einer Orthese zur Vermeidung eines Spitzfußes. Diese wurde nach den Krankenunterlagen am 27.11.1995 verordnet. Ein Spitzfuß hat sich beim Kläger auch nicht eingestellt. Auch der später konsultierte Neurochirurg Prof. Dr. C hat in dem Schreiben vom 01.12.1995 keinen Anlaß zu weitergehenden Maßnahmen - etwa zu einer Revisionsoperation - gesehen und im Prinzip nur weiteres Abwarten empfohlen. Dem Schreiben ist nicht zu entnehmen, daß in der Zwischenzeit etwas versäumt worden sein könnte.
Selbst wenn die Elektrotherapie weniger als einmal täglich durchgeführt worden wäre, hätte der Kläger nicht bewiesen, daß ihm hierdurch ein Schaden entstanden ist. Beweiserleichterungen kommen dem Kläger insoweit nicht zu. Der Sachverständige hat diese Maßnahmen so charakterisiert, daß deren Wirkung nicht bewiesen sei, man das nur mache, weil man dem Patienten zeigen wolle, daß man überhaupt etwas mache. Man mache das vornehmlich aus juristischem, nicht aus medizinischemn Anlaß. Bei dieser Sachlage kann ein eventuelles Versäumnis nicht als medizinisch unverständlich und deshalb als grob fehlerhaft bezeichnet werden. Wenn die Wirksamkeit von Elektrostimulationen, die in erster Linie auf den Muskel, nicht auf den Nerven zielen, nicht gesichert ist, steht nicht fest, daß dem Kläger durch ein – unterstelltes – Unterlassen kausal ein Schaden entstanden ist, er heute bei Durchführung der geplanten Therapie heute besser stünde. Gleiches gilt auch für die Durchführung von Krankengymnastik.
4. Der Kläger hat in die Operation wirksam eingewilligt. Die durchgeführte Aufklärung war ordnungsgemäß.
a. Im konkreten Fall kann dahin gestellt bleiben, wie weit im einzelnen über die T-Pfanne konkret aufzuklären war, weil sie erst seit geraumer Zeit im Einsatz war. Ein besonderes, mit dem Einsatz konkret dieser Sockelpfanne verbundenes Risiko über die spezifische Möglichkeit der Nervschädigung durch den Stiel der Pfanne ist nicht erkennbar und hat sich beim Kläger nicht verwirklicht. Die aufgetretene Nervenläsion durch Hakenzug ist vielmehr einer Totalendoprothesenoperation immanent und mag sich im gewissen Maße verstärken, wenn man den Schaft beläßt. Das ist aber nicht nur bei der T-Pfanne der Fall. Insoweit handelt es sich nicht um eine neue, noch nicht erprobte Behandlungsmethode, sondern nur um eine Modifikation des Prothesenmaterials.
Nicht ausreichend war indes die Aufklärung am 02.08.1995. Soweit in den Einlegeblättern vermerkt ist, es sei eine ausführliche Aufklärung hinsichtliche möglicher Komplikationen, insbesondere Läsionen des N. femoralis und N. ischiadicus erfolgt, ist diese Aufklärung nicht ausführlich genug. Der Beklagte zu 1 hat im Senatstermin ausgeführt, er habe nicht im einzelnen darauf hingewiesen, wie sich die Nervschädigungen auswirken. Er habe nur gesagt, da würden Nerven laufen, die gefährdet seien. Das reicht für eine sachgerechte Grundaufklärung nicht. Hierzu ist es zumindest erforderlich, darauf hinzuweisen, daß die Nerschädigungen zu vorübergehenden, aber auch zu bleibenden Lähmungen führen können.
Inhaltlich sachgerecht war jedoch die Aufklärung am Vortage der operativen Intervention. Der Kläger hat vor dem Landgericht eingeräumt, daß mit dem Arzt Dr. G ein ausführliches Gespräch über die Komplikationen einer Hüftoperation anhand des bei den Krankenunterlagen liegenden Aufklärungsformulars geführt worden sei. Dieses Merkblatt hatte der Kläger zuvor selbst gelesen. Hierdurch wird deutlich, daß der Kläger eine ausreichende Grundaufklärung erfahren hat. Das Aufklärungsgespräch anhand des verwendeten Formulars gab dem Kläger ein allgemeines Bild von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums. In dem Formular heißt es u.a. ausdrücklich, daß es in seltenen Fällen zu einer Nervenschädigung mit einer mehr oder wenigen schweren Lähmung des Beines kommen kann. Der aufklärende Arzt hat zudem noch einmal handschriftlich festgehalten, daß über Nervschädigungen gesprochen worden sei. Aus diesen Formulierungen ist hinreichend deutlich, daß auch schwerere Lähmungen des Beines auftreten können. Dabei ist aus den Umständen ersichtlich, daß diese Lähmungen auch von Dauer sein können.
Soweit der Kläger auf seine Fehlvorstellung verweist, ergab sich für den aufklärenden Arzt keine Verpflichtung zu weiteren aufklärenden Maßnahmen. Der Hinweis des Klägers auf Lähmungen am Zeh, die bei der Voroperation bereits aufgetreten waren, sind aus dem Empfängerhorizont nicht zwingend so zu verstehen, daß der Kläger in der Vorstellung verweilte, neue evtl. auftretende Lähmungen müßten dann einen ähnlich geringfügigen Charakter haben.
Der Senat hat keinen begründeten Zweifel daran, daß der aufklärende Arzt zur Durchführung des Aufklärungsgesprächs persönlich und fachlich geeignet war. Die gegenteilige Behauptung der Berufung erfolgte offenbar ins Blaue hinein. Der Kläger selbst hat vor der Kammer des Landgerichts im einzelnen den Ablauf des Gesprächs anhand des Merkblatts geschildert, dessen Inhalt sich der Dokumentation entnehmen läßt und das Einzeichnungen und zusätzliche handschriftliche Eintragungen enthält. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß der Kläger die so erläuterten Hinweise auf die Komplikationsmöglichkeiten und Risiken deshalb nicht verstanden haben kann, weil dem aufklärenden Arzt die Qualifikation hierfür gefehlt haben könnte.
Im konkreten vorliegenden Fall war desweiteren kein gesonderter Hinweis darüber erforderlich, daß bei einer Zweitoperation das Risiko gegenüber der Erstoperation leicht erhöht war. Der Sachverständige Prof. Dr. X hat das Risiko von Nervschädigungen bei nicht voroperierten Patienten mit etwa 1% angegeben, bei voroperierten Patienten mit 2 – 3% (Bl. 151). Angesichts dieses Risikoprofils bei einer Zweitoperation stellt sich die konkrete Aufklärung nicht als verharmlosend dar (vgl. BGH VersR 1992, S. 960, 961 –Rezidivstruma -).
Nach Auffassung des Senats ist vorliegend die Aufklärung nicht verspätet erfolgt. Der Kläger hatte auch nach dem Aufklärungsgespräch am Vorabend noch genügend Gelegenheit, sich mit seiner offenbar anwesenden Ehefrau im einzelnen zu besprechen und auch gegen eine Operation auszusprechen. Der richtige Zeitpunkt des Aufklärungsgespräch ist nicht generell, sondern unter Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen Umstände zu bestimmen. Dabei gilt als Grundsatz, daß die Aufklärung so früh wie nötig zu erfolgen hat. Sie wird in der Regel schon in dem vorbereitenden Gespräch zu erfolgen haben, in dem die geplante Operation besprochen und u.U. der Operationstermin festgelegt wird (vgl. etwa BGH VersR 1992 S. 960, 961). Ein solches Gespräch hat vorliegend auch stattgefunden. Der ohnehin bereits voroperierte und – wie die Lähmung am Zeh zeigt – jedenfalls im gewissen Grad auch kundige Kläger wurde ausweislich der Dokumentaion über den Verlauf der Operation und nach den Ausführungen des Beklagten zu 1 auch zumindest über die Gefahr von Nervschäden aufgeklärt. Der Senat glaubt dem Beklagten zu 1 auch ohne ausdrückliche Vernehmung als Partei, daß im Zuge des Vorgespräches auch über Risiken gesprochen wurde. Seine Aussage wird gestützt durch die Dokumentation sowie durch die Erläuterung im Senatstermin, die für ihn eher nachteilig, deshalb aber ehrlich war. Wenn demnach der ohnehin nicht völlig kenntnislose Kläger in dem Vorgespräch wenn auch keine wirksame Aufklärung erfahren hat, so wurde er dennoch bereits (noch einmal) auf die Möglichkeit von Nervschäden hingewiesen. Auf dieser Basis und im gewissen Grad „vorgewarnt“ konnte er nach dem sachgerechten Gespräch am Vortag der Operation noch ausreichend das Für und Wider abwägen.
b. Selbst bei einer nicht sachgerechten oder verspäteten Aufklärung fehlte es jedenfalls an einem Entscheidungskonflikt, den der Kläger nicht plausibel gemacht hat. Hierauf haben die Beklagten bereits in erster Instanz und in der Berufungsbeantwortung gesondert noch einmal hingewiesen. Selbst bei sachgerechter Aufklärung hätte der Kläger seine Einwilligung in den konkreten Eingriff und gerade auch durch die Beklagten zu 1 und 2 erteilt. Dies ist gerade und trotz der in der Berufung und teilweise auch schon in erster Instanz gegenteiligen Ausführungen in dem konkreten Rechtsstreit zur Überzeugung des Senats zweifelsfrei der Fall. Denn der Kläger hat vor der Kammer darauf hingewiesen, daß es nicht einmal eines Aufklärungsgesprächs über die Risiken und Komplikationsmöglichkeiten des geplanten Eingriffs bedurft hätte, weil er zu dem Beklagten zu 1 vollstes Vertrauen hatte (Bl. 80). Zur Überzeugung des Senats läßt sich der fehlende Entscheidungskonflikt und die Bereitschaft zur Einwilligung in den Eingriff unabhängig von einem Aufklärungsgespräch kaum deutlicher dokumentieren. Diese innere Einstellung des Klägers wird bestätigt durch das Verhältnis des Klägers zu dem Beklagten zu 1, wie es sich auch der Krankendokumentation entnehmen läßt. Der Kläger wurde mindestens seit 1982 von dem Beklagten zu 1 ständig betreut, der auch die erste Operation vornahm, die offenbar zur Zufriedenheit des Klägers erfolgte. Nachfolgend stellte sich der Kläger regelmäßig bei dem Beklagten zu 1 wieder vor und plante mit ihm auch die erneute Operation. Diese Verbindung zwischen Arzt und Patient über einen so langen Zeitraum belegt das vom Kläger dargestellte enge Vertrauensverhältnis. Da es bis zum Tage der Operation keinerlei Vorkommnisse gab, die dieses Vertrauensverhältnis hätten erschüttern können, ist der Senat davon überzeugt, daß der Kläger noch am Vortag der Operation und auch am Operationstag selbst auf der Basis dieses Vertrauens unabhängig von einer Aufklärung zu dem geplanten Eingriff gerade durch den Beklagten zu 1 und damit auch durch den Beklagten zu 2 entschlossen war. Indiziell mag für diese Einstellung des Klägers auch der Umstand sprechen, daß er sogar gern zeitlich früher von dem Beklagten zu 1 operiert worden wäre. Soweit der Kläger darauf verwiesen hat, bei einem – tatsächlich erfolgten – Hinweis auf Beinlähmungen hätte er sich das noch einmal überlegt und evtl. „Schiß gekriegt“ (Bl. 81), ist das angesichts des zeitlich unmittelbar zuvor (Bl. 80) geäußerten uneingeschränkten Vertrauensverhältnisses zu dem Beklagten zu 1 wenig nachvollziehbar.
6. Das Urteil beschwert den Kläger mit mehr als DM 60.000,-.
Meta
23.08.2000
Oberlandesgericht Hamm 3. Zivilsenat
Urteil
Sachgebiet: U
Zitiervorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 23.08.2000, Az. 3 U 64/99 (REWIS RS 2000, 1342)
Papierfundstellen: REWIS RS 2000, 1342
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
3 U 48/05 (Oberlandesgericht Hamm)
Haftung wegen Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit einer Hüftoperation
3 U 16/01 (Oberlandesgericht Hamm)
3 U 90/03 (Oberlandesgericht Hamm)
3 U 90/00 (Oberlandesgericht Hamm)
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