Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.07.2010, Az. 5 StR 555/09

5. Strafsenat | REWIS RS 2010, 5100

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STRAFRECHT RECHTSBEUGUNG

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Gegenstand

Strafverfahren: Erforderlichkeit der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters


Leitsatz

Zur unerlässlichen Mitwirkung eines dritten Berufsrichters in einem wegen komplexer Rechtsbeugungsvorwürfe umfangreichen und schwierigen Strafverfahren .

Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Juni 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung verurteilt. Gegen den Angeklagten M. hat es eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, gegen den Angeklagten [X.] eine solche von einem Jahr und acht Monaten. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sind jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt worden.

[X.]

2

Das [X.] hat seiner Verurteilung im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde gelegt:

3

Der Beschwerdeführer M. führte als [X.] am Amtsgericht den Vorsitz in einer Schöffengerichtssache gegen [X.] vor dem [X.]. [X.] wurde zur Last gelegt, als Nachlasspfleger in sechs Fällen Nachlassvermögen in Höhe von insgesamt etwa 400.000 € veruntreut zu haben. Am 30. Juni 2005 verurteilte ihn das Schöffengericht unter Vorsitz des Beschwerdeführers M. schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. M. war nach dem Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts lediglich noch für die Erledigung dieses schöffengerichtlichen Verfahrens zuständig, dessen Hauptverhandlung am 16. Dezember 2004 begonnen hatte. Im Übrigen (90 %) war er an das [X.] [X.]/Oder abgeordnet. Der Beschwerdeführer [X.] ist Oberstaatsanwalt und nahm als [X.] der Staatsanwaltschaft [X.]/Oder an der überwiegenden Anzahl der [X.]e teil.

4

[X.] ließ sich im Strafverfahren unter anderem von Rechtsanwalt [X.] verteidigen. Darüber war der Beschwerdeführer M. von Beginn an sehr ungehalten, weil er [X.] verdächtigte, an der Vortat des [X.] beteiligt gewesen zu sein. Er rechnete daher damit, dass [X.] Konfliktverteidigung betreiben würde, „um von seiner eigenen Tatbeteiligung abzulenken sowie die Aufklärung des Sachverhalts zu verzögern und zu erschweren“ ([X.]). Er war deshalb bestrebt, „[X.] möglichst rasch der Beteiligung an den Taten des [X.] zu überführen und ihn auf diese Weise auch aus dem gegen [X.] anhängigen Strafverfahren auszuschließen“ ([X.]). Seine im April 2004 erfolgte Vorlage an das [X.] mit dem Ziel, [X.] gemäß §§ 138a, 138c StPO als Tatbeteiligten auszuschließen, war ohne Erfolg geblieben ([X.]). Deshalb beschloss er, „selbst gegen Rechtsanwalt [X.] zu ermitteln und ihn mit Zwangsmaßnahmen zu überziehen“ ([X.]). Dabei war ihm bekannt, dass sowohl gegen [X.] als auch gegen [X.] Ehefrau C. von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Geldwäsche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren. Der auch für das Verfahren gegen [X.] zuständige Dezernent, Staatsanwalt B., erhob später, im Juni 2006, gegen [X.] und [X.] wegen Geldwäsche Anklage. Zum Ausgang dieses Verfahrens hat die [X.] keine Feststellungen getroffen.

5

In dem Schöffengerichtsverfahren wurde der Beschwerdeführer M. am 24. März 2005 (7. [X.]) durch [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Begründet wurde das Ablehnungsgesuch maßgeblich mit der Berichterstattung des früheren Direktors des [X.] im Oder-Spree-Fernsehen vom Vortag. Dieser nahm als [X.] an einer Vielzahl der Sitzungstage teil und kommentierte über diesen Sender „tendenziös zu Lasten“ des Angeklagten [X.] und des Verteidigers Rechtsanwalt [X.] das Prozessgeschehen; dabei verfügte er aus Sicht der Verteidigung [X.] über Informationen, die er nur von M. erlangt haben konnte ([X.] 29).

6

Am 7. April 2005 (8. [X.]) wurde der Beschwerdeführer M. erneut abgelehnt. Grund dafür war seine wörtliche Äußerung ([X.]): „Hier gilt doch nicht die StPO, hier gilt doch die [X.]. Die kennen Sie doch? Die kennt nur einen Paragraphen und der heißt: Der Strafprozess beginnt mit der Vollstreckung, alles weitere bestimmt der Vorsitzende!“ Mit der Wendung „[X.]“ meinte M. eine sogenannte „Hüttenstädter Prozessordnung“, mit der er Rechtsanwalt [X.] die Macht des Vorsitzenden demonstrieren wollte ([X.]). Die [X.] wurden am 11. April 2005 ([X.]) und 21. April 2005 ([X.]) jeweils durch M. s Vertreterin zurückgewiesen.

7

Ebenfalls am achten [X.] überreichte der als Zeuge vernommene Rechtsanwalt [X.] Ablichtungen eines Kaufvertrags über die Veräußerung seines Kraftfahrzeugs an [X.] Der Beschwerdeführer M. nahm an, dass der Kaufvertrag rückdatiert worden sei, erhob sich, „warf seine Robe nach hinten, deutete auf den Zeugen [X.] und rief: 'Sie sind festgenommen!'. Er hatte bereits vor dieser Sitzung den Entschluss gefasst, den Zeugen [X.], [X.] und dessen Ehefrau festnehmen zu lassen, und dies mit [X.] besprochen, weil er sichergehen wollte, dass dieser die entsprechenden Haftbefehlsanträge stellen würde“ ([X.]). Entsprechend erhielt der Beschwerdeführer M. vom Beschwerdeführer [X.] drei vorbereitete schriftliche Anträge, mit denen dieser die Anordnung der Untersuchungshaft gegen [X.] wegen Untreue sowie gegen [X.] und [X.] wegen Geldwäsche und Begünstigung, bezüglich [X.] auch wegen uneidlicher Falschaussage beantragte. Sämtliche Anträge waren auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr sowie bei [X.] zusätzlich auf Fluchtgefahr gestützt. Der Beschwerdeführer M. vergab für die Haftbefehlsanträge betreffend [X.] und [X.] gerichtliche Aktenzeichen mit Gs-Registerzeichen, beschloss die Verbindung der Ermittlungsverfahren gegen [X.] und [X.] mit dem von ihm geführten Strafverfahren gegen [X.] und ordnete antragsgemäß Untersuchungshaft gegen alle drei an. [X.] und [X.] wurden im Sitzungssaal, [X.] acht Minuten später an ihrer Arbeitsstelle festgenommen.

8

Beiden Beschwerdeführern war bewusst, dass M. für eine eigenmächtige Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen und noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren ebenso wenig zuständig war wie für den Erlass von Haftbefehlen in diesen Ermittlungsverfahren. Sie wollten insbesondere „in Kenntnis des Fehlens tragender Haftgründe im Umgang mit einer vermeintlichen Konfliktverteidigung ein Exempel statuieren“ und gingen davon aus, dass „der Erlass der Haftbefehle durch einen anderen [X.], ebenso wie die Beantragung der Haftbefehle durch einen anderen Vertreter der Staatsanwaltschaft höchstwahrscheinlich nicht zu erreichen gewesen wäre“ ([X.]/37).

9

Am 14. April 2005 (9. [X.]) wurden [X.] und [X.] als Zeugen vernommen. Zwischenzeitlich war es auf Betreiben von Staatsanwalt B. zu Unterredungen mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt gekommen, in deren Folge Staatsanwalt B. am 14. April 2005 die Entlassung von [X.] aus der Untersuchungshaft anordnete. Am folgenden Tag beschloss der Beschwerdeführer M. „in den Straf- und Ermittlungsverfahren“ gegen B. und C. [X.]owie [X.], dass die Haftbefehle gegen den Angeklagten [X.]owie die „Beschuldigte“ [X.] aufgehoben werden, weil sich im Hinblick auf die Entlassung des „Beschuldigten“ [X.] der weitere Vollzug der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig darstelle ([X.]); am selben Tag ordnete er ihre Entlassung an und hob später auch den Haftbefehl gegen [X.] sowie den Verbindungsbeschluss auf.

B.

Die Revisionen haben bereits mit [X.]. Zu Recht beanstanden die Beschwerdeführer, dass die [X.] unter Verstoß gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 [X.] mit nur zwei Berufsrichtern besetzt gewesen ist. Die fehlerhafte Besetzung des erkennenden Gerichts hat als absoluter Revisionsgrund die Aufhebung des Urteils zur Folge (§ 338 Nr. 1 StPO).

I. Den Rügen liegt folgender prozessualer Sachverhalt zugrunde:

1. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Beschwerdeführer unter dem 30. August 2007 Anklage wegen gemeinschaftlich begangener Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zum [X.] [X.]/Oder erhoben. Den zunächst ergangenen Nichteröffnungsbeschluss hat das [X.] am 29. Juli 2008 auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgehoben und das Hauptverfahren vor dem [X.] Potsdam eröffnet. Das [X.] hat mit Beschluss vom 6. Februar 2009 nach § 76 Abs. 2 Satz 1 [X.] von der Mitwirkung eines dritten [X.] ohne Angabe von Gründen abgesehen; den von den Beschwerdeführern jeweils vor ihrer Vernehmung zur Sache erhobenen [X.], gestützt auf eine unvertretbare reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 [X.], hat das [X.] (in der für die Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung) zurückgewiesen und zur Begründung mitgeteilt: „[X.] hält sich für ordnungsgemäß besetzt. Eine willkürliche Entscheidung über die Besetzung ist nach hiesiger Meinung nicht erkennbar.“

2. Den bestreitenden Beschwerdeführern wurden durch die Anklageschrift „mehrere evidente Rechtsverstöße“, begangen zum Nachteil der Eheleute [X.]owie des Rechtsanwalts [X.], als einheitliche Tat der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zur Last gelegt. Im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung belief sich der Umfang der Leitakte bereits auf mehr als 900 Seiten.

Überdies oblag der [X.] die Aufklärung des komplexen Ausgangsverfahrens gegen [X.], das ursprünglich zum [X.] angeklagt, aber mit Blick auf die zu erwartende Rechtsfolge vor dem Schöffengericht eröffnet worden war. Unter dem Vorsitz des Beschwerdeführers M. war darüber mehr als ein halbes Jahr an 14 [X.]en auch unter Hinzuziehung eines Sachverständigen verhandelt worden. Die Hauptaktenbände umfassten etwa 1.600 Seiten, wurden ebenso wie die Hauptakten der Ermittlungsverfahren gegen [X.] und [X.] (Umfang etwa 800 Seiten) als [X.] beigezogen und in der Darstellung der Beweismittel in der Anklageschrift berücksichtigt. Nach dem – durch die Gegenerklärung unwidersprochen gebliebenen (vgl. zur Bedeutung der Revisionsgegenerklärung [X.], 296, 300) – [X.] umfassten allein die beigezogenen Verfahrensakten – ersichtlich nebst Beiakten – insgesamt mehr als 7.000 Seiten.

3. In der Hauptverhandlung gegen die beiden Beschwerdeführer traten vor dem [X.] neben den Verteidigern zwei Nebenkläger mit jeweils einem anwaltlichen Beistand auf. Die [X.] terminierte zunächst sechs [X.]e und lud dazu 13 Zeugen; insgesamt verhandelte sie anschließend noch an vier weiteren Tagen bis zur Urteilsverkündung.

II. Den Besetzungsrügen kann der Erfolg nicht versagt werden. Durch die Verhandlung und Entscheidung in der Besetzung mit nur zwei Berufsrichtern hat die [X.] § 76 Abs. 2 Satz 1 [X.] verletzt, weil der Umfang der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines dritten [X.] notwendig machte.

1. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 [X.] beschließt die – nicht als Schwurgericht zuständige – große [X.] bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, dass sie in der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt ist, es sei denn, nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache erscheint die Mitwirkung eines dritten [X.] erforderlich. Bei dieser Entscheidung steht der [X.] kein Ermessen zu; sie hat die Dreierbesetzung zu beschließen, wenn diese nach dem vorgenannten Maßstab notwendig erscheint. Jedoch ist dem Tatgericht bei der Auslegung der gesetzlichen Merkmale ein weiter Beurteilungsspielraum eröffnet, der die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hat ([X.]St 44, 328, 334; [X.], 56; [X.], 250, 251; [X.]/[X.], [X.]. § 76 [X.]. 4). Maßgebend für die Bewertung des Umfangs der Sache sind etwa die Zahl der Angeklagten, Verteidiger und erforderlichen Dolmetscher, die Anzahl der angeklagten Taten, der Zeugen sowie anderer Beweismittel, namentlich die Notwendigkeit von Sachverständigengutachten, der Umfang der Akten sowie die voraussichtliche Dauer der Hauptverhandlung ([X.]R [X.] § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3).

2. Bleibt im Einzelfall zweifelhaft, welche Gerichtsbesetzung für die sachgerechte Verfahrensbehandlung geboten ist, gebührt der Dreierbesetzung wegen ihrer gegenüber der reduzierten Besetzung strukturellen Überlegenheit, die sich bereits vor der 1993 erfolgten Einführung des § 76 Abs. 2 [X.] bewährt hatte, der Vorrang (vgl. [X.]St 44, 328, 334; [X.], 170). Die Beteiligung mehrerer Berufsrichter neben dem Vorsitzenden ist besonders geeignet, Aufgaben insbesondere auch in der Hauptverhandlung sachgerecht aufzuteilen, den Tatsachenstoff intensiver zu würdigen und schwierige Rechtsfragen besser zu bewältigen (vgl. [X.] aaO; BTDrucks 12/1217 S. 46 f.). Die Besetzung der [X.] hat so unmittelbaren Einfluss auf die Qualität des Erkenntnisverfahrens; eine reguläre Besetzung der [X.] ermöglicht insbesondere eine straffe, effektive – und damit auch ressourcenschonende – Verhandlungsführung. Die Würdigung des Tatsachenstoffs und der Rechtsfragen durch drei [X.] gewährleistet ferner die von der einzigen Tatsacheninstanz im Rechtszug geforderte hohe Qualität tatgerichtlicher Erkenntnis (BTDrucks aaO).

Der [X.] merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Rechtspraxis, soweit ersichtlich, den gebotenen sensiblen Umgang der großen [X.]n mit der [X.] derzeit nicht widerspiegelt; anders ist ihre oftmals überwiegende, bei manchen [X.]en ausschließliche Inanspruchnahme nicht erklärlich (vgl. BTDrucks 14/2777 S. 2 f.; 14/3831 [X.]; 16/3038 [X.]). Der [X.] hielte es demgegenüber grundsätzlich für angezeigt, den der Beurteilung des Tatrichters unterstehenden Rechtsbegriff des Umfangs der Sache auch dahingehend weiter zu konturieren, dass jedenfalls bei einer im Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens absehbaren Verhandlungsdauer von wenigstens zehn [X.]en von der Mitwirkung eines dritten [X.] grundsätzlich nicht abgesehen werden darf (vgl. zu dieser Schwelle [X.]St 52, 355, 362; [X.] in [X.][X.], [X.]. § 229 [X.]. 2; [X.] in [X.][X.], [X.]. § 275 [X.]. 2). Ausnahmen mögen insbesondere bei weniger komplexen Verfahren möglich sein, wenn deren Umfang etwa allein durch eine Vielzahl für sich jeweils ganz einfach gelagerter Fälle bedingt ist.

3. Der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO wegen eines Verstoßes gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 [X.] liegt jedenfalls bei einer auf sachfremde Erwägungen gestützten Besetzungsentscheidung oder bei einem unvertretbaren Überschreiten des [X.] durch das Tatgericht vor. Unter solchen Voraussetzungen ist die Anordnung reduzierter Besetzung objektiv willkürlich (vgl. [X.]St 44, 328, 333 ff.; [X.]R [X.] § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; [X.], 56; [X.] in [X.][X.], [X.]. § 76 [X.] [X.]. 16; [X.] in [X.]. § 76 [X.] [X.]. 3; [X.]/[X.] aaO § 76 [X.]. 5; Schlothauer StV 1993, 147, 150). Diese Voraussetzungen sind hier nach den Kriterien sowohl des Umfangs als auch der Schwierigkeit der Sache erfüllt.

Nur scheinbar waren nach dem konkreten Anklagesatz wenige Rechtsbeugungshandlungen aufzuklären, die an drei [X.]en begangen wurden. Von Beginn an war evident, dass tatgerichtliche Feststellungen allein dieser Verfahrenshandlungen unzureichend sein würden. Gerade wegen der tatbestandlich gebotenen Bewertung der Verfahrensfehler im Rahmen des § 339 StGB war ersichtlich auch die aufwendige Rekonstruktion weiter Teile und Hintergründe des für sich bereits komplexen Ausgangsverfahrens vor dem Schöffengericht unerlässlich (§ 244 Abs. 2 StPO). Nur auf diese Weise konnte die [X.] ausschließen, dass die angeklagten Handlungen nicht etwa sachgerecht, vertretbar oder letztlich gar geboten waren.

Im Zeitpunkt der Besetzungsentscheidung lag daher auf der Hand, dass die von der Staatsanwaltschaft beigezogenen umfangreichen, mehrere tausend Seiten umfassenden Verfahrensakten aus dem zudem in der Sache komplizierten Strafverfahren gegen [X.] einschließlich der Ermittlungsakten der Verfahren gegen Rechtsanwalt [X.] und [X.] auszuwerten waren. Anhand dessen waren insbesondere die Hintergründe der von den Beschwerdeführern vermuteten Beteiligung von [X.] und [X.] an den Taten des [X.] durch die [X.] aufzuklären.

Der so ohnehin bereits erhebliche und komplexe Verhandlungsumfang wurde weiter geprägt durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen, sämtlich anwaltlich beratenen Verfahrensbeteiligten, die voraussehbar jeweils unterschiedliche Interessen verfolgten. Dabei zeichnete sich schon durch die ausführlichen gegensätzlichen Gerichtsentscheidungen über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Auseinandersetzung über streitige, mindestens teilweise nicht alltägliche Rechts- und Verfahrensfragen ab. Diese Gesichtspunkte wurden hier auch nicht etwa entkräftet durch eine einfach gelagerte Beweisaufnahme (vgl. [X.]St 44, 328, 335 f.; [X.]R [X.] § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; [X.], 170, 171). Vielmehr ließen auch die drohenden dienstrechtlichen Folgen einer Verurteilung für die nicht geständigen Beschwerdeführer von Anfang an erkennen, dass eine aufwendige und kontroverse Beweisaufnahme zu bewältigen sein würde.

Nach all dem war die Besetzungsentscheidung ebenso wie der nicht näher begründete, den [X.] zurückweisende Gerichtsbeschluss nicht mehr vertretbar. Die [X.] hätte auf den Einwand hin die Besetzungsentscheidung aufheben müssen ([X.], 170, 171). Das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 1 StPO hat die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur Folge, über die eine große [X.] in nicht reduzierter Besetzung zu entscheiden haben wird.

C.

Auf die sonstigen erhobenen Verfahrensrügen und die – nicht etwa zu einer begünstigenden Durchentscheidung führenden – sachlichrechtlichen Beanstandungen der Revisionen der Beschwerdeführer kommt es danach nicht mehr an. Der [X.] sieht jedoch mit Blick auf das weitere Verfahren Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:

I. Die von der [X.] getroffenen Feststellungen zum Verfahren gegen [X.] vor dem [X.] sind – möglicherweise gar infolge der reduzierten [X.]besetzung – derart zusammenhanglos und lückenhaft, dass sie eine sachlichrechtliche Überprüfung einiger der den Beschwerdeführern zur Last gelegten Verfahrenshandlungen für den [X.] weitgehend nicht ermöglichen würden. Dies gilt namentlich für eine willkürliche Annahme von Haftgründen.

Darüber hinaus stellen Verfahrensrügen des Beschwerdeführers M. die Feststellungen zu ihm vorgeworfenen rechtsbeugerischen Verfahrenshandlungen teilweise in Frage. Dies gilt beispielsweise für die Feststellung der Haftgründe gegen Rechtsanwalt [X.], wie für die Initiative des Beschwerdeführers M. in dem gegen diesen betriebenen Ausschließungsverfahren nach §§ 138a ff. StPO.

II. Der [X.] merkt andererseits an: Im Gewicht von Verfahrensverstößen kann ein tragfähiges Indiz für eine sachwidrige Motivation im Sinne des § 339 StGB liegen. Weitere Indizien können sich aus den festzustellenden Begleitumständen ergeben.

1. Die [X.] geht zu Recht davon aus, dass Rechtsbeugung auch durch den Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden kann (vgl. [X.]St 42, 343, 344; 47, 105, 109; [X.]R StGB § 339 Rechtsbeugung 6; jeweils m.w.N.). Um nicht in jedem Rechtsverstoß bereits eine „Beugung“ des Rechts zu sehen, enthält das Tatbestandsmerkmal ein normatives Element; erfasst werden sollen davon nur elementare Verstöße gegen die Rechtspflege, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise zugunsten oder zum Nachteil einer [X.] von Recht und Gesetz entfernt (vgl. [X.]St 32, 357, 364; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345; 47, 105, 109 ff.; [X.]R StGB § 339 Rechtsbeugung 7; [X.], Beschluss vom 29. Oktober 2009 – 4 [X.] [X.]. 10) und dadurch die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss ([X.]St 42, 343, 346, 351; [X.]R StGB § 339 Rechtsbeugung 6).

2. Für die Erfüllung des ungeschriebenen tatbestandlichen Regulativs der konkreten Gefahr einer sachfremden Entscheidung (vgl. [X.]St 32, 357, 364) kann es sprechen, wenn ein [X.] eine Entscheidung zum Nachteil einer [X.] unter bewusster Begehung eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers trifft. Ein derartiger schwerwiegender Verstoß kann in einer willkürlichen Zuständigkeitsbegründung als Missachtung des rechtsstaatlich besonders bedeutsamen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedenfalls dann liegen, wenn diese eine Verletzung weiterer wesentlicher grund- oder konventionsrechtlicher Rechtspositionen des Betroffenen bewirkt.

a) Der Beschwerdeführer M. war nach den bislang getroffenen Feststellungen für die Anordnung von Untersuchungshaft gegen [X.] und [X.] nicht zuständig. Nach der Geschäftsverteilung war M. im Jahre 2005 ausschließlich für die Erledigung des bereits rechtshängigen [X.] gegen [X.] zuständig.

aa) Die von ihm beschlossene Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Ermittlungsverfahren gegen [X.] und [X.] mit dem beim [X.] rechtshängigen Verfahren gegen [X.] konnte eine Zuständigkeit nicht begründen. Die allein in Betracht kommende Verfahrensverbindung nach § 4 StPO war dem Angeklagten verschlossen. Es fehlte bereits an der erforderlichen Anklage (vgl. [X.], [X.] Aufl. § 4 [X.]. 4); nicht einmal ein entsprechender – freilich dafür nicht genügender – Verbindungsantrag des Beschwerdeführers [X.] als [X.] der Staatsanwaltschaft war gestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre alleinige Dispositionsbefugnis über die Ermittlungsverfahren noch nicht verloren (vgl. [X.] in [X.][X.], [X.]. § 4 [X.]. 3).

bb) Entgegen der Auffassung der Revision ergeben die bisherigen Feststellungen auch keine Zuständigkeit des Beschwerdeführers M. aus § 125 Abs. 1 StPO.

Als gegenüber § 162 Abs. 1 StPO speziellere Regelung ist danach vor Erhebung der öffentlichen Klage für den Erlass eines Haftbefehls grundsätzlich jeder [X.] bei dem Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist (vgl. auch [X.] in [X.][X.], [X.]. § 125 [X.]. 5). Im Falle verschiedener Gerichtsstände können daher auch mehrere [X.] unterschiedlicher örtlich zuständiger Amtsgerichte zuständig sein, sofern deren Verhältnis nicht durch eine Zuständigkeitskonzentration nach § 58 [X.] geregelt worden ist. Indes bestimmt § 125 Abs. 1 StPO nicht, wie sich die Zuständigkeit verschiedener [X.] desselben in Betracht kommenden Gerichtsstands zueinander verhält. Die Annahme der Revision, aus § 125 Abs. 1 StPO folge die gleichrangige unmittelbare Zuständigkeit jedes [X.]s dieses Amtsgerichts, ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.

Über den im Einzelfall nach § 125 StPO konkret zuständigen [X.] haben die Bestimmungen der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte Regelungen zu treffen (vgl. [X.] 19, 52, 59 f.; 20, 336, 344; 25, 336, 346). Auf diese Weise wird gewährleistet, dass der einzelne konkret zuständige [X.] generell vorbestimmt ist, und verhindert, dass er ad hoc und ad personam bestimmt wird. Durch den Jahresgeschäftsverteilungsplan des [X.] wurde die Zuständigkeit für ermittlungsrichterliche Befugnisse ausdrücklich zwei namentlich benannten [X.]n und weiteren Vertretern, nicht jedoch dem ausschließlich noch für das Schöffengerichtsverfahren gegen [X.] zuständigen Beschwerdeführer M. zugewiesen. Die bisherigen Urteilsfeststellungen belegen damit eine zureichende generelle Bestimmung auch des nach § 125 Abs. 1 StPO zuständigen [X.]s.

Der Ermittlungsrichter ist funktionell für sämtliche amtsgerichtliche Entscheidungen im Verfahren zur Vorbereitung der öffentlichen Klage und damit auch für die Anordnung der Untersuchungshaft nach § 125 Abs. 1 StPO zuständig, sofern keine abweichende Regelung im Geschäftsverteilungsplan getroffen worden ist (vgl. [X.] in [X.] für [X.] [1990] [X.], 213; [X.] aaO § 162 [X.]. 13, § 125 [X.]. 2; [X.] aaO § 162 [X.]. 16). Eine nähere Regelung eines Zuständigkeitsbereiches für den „Haftrichter“ im Geschäftsverteilungsplan ist regelmäßig entbehrlich, wenngleich als Spezialzuweisung möglich; der Strafprozessordnung ist ebenso wie dem Gerichtsverfassungsgesetz der Begriff und damit eine eigenständige regelungsbedürftige funktionale Zuständigkeit des „[X.]“ fremd.

cc) Von diesem Rechtsverständnis ging, soweit aus den bisherigen Feststellungen ersichtlich, auch der Beschwerdeführer M. aus. Er stützte seine Anordnung gerade nicht auf § 125 StPO; anderenfalls hätte es der offensichtlich rechtswidrigen Verbindung der Verfahren nicht bedurft.

b) Bei alledem erfolgte die Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Zusammenhang mit der Anordnung einer Freiheitsentziehung und berührte damit zugleich das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), die zudem durch [X.]vorbehalt (Art. 104 Abs. 2 GG) verfahrensrechtlich besonders abgesichert ist (vgl. [X.] in von Mangoldt/[X.]/Starck, GG Band [X.]. Art. 104 [X.]. 13; ferner Art. 5 MRK).

III. Zur Revision des Beschwerdeführers [X.] merkt der [X.] ergänzend an:

Die [X.] legt ihm zur Last, „sich als Mittäter einer Rechtsbeugung schuldig gemacht zu haben“, indem er „aus sachfremden Erwägungen“ und „in Absprache mit dem Beschwerdeführer M. die Anträge auf Erlass der Haftbefehle“ in der Kenntnis gestellt hat, dass „keine tragenden Haftgründe gegeben waren“ ([X.] 89).

1. Die Annahme mittäterschaftlichen Handelns des Beschwerdeführers [X.] (§ 25 Abs. 2 StGB) begegnet vor dem Hintergrund der getroffenen Urteilsfeststellungen rechtlichen Bedenken. Als Mittäter handelt, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung des anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des einen [X.] erscheint ([X.]St 40, 299, 301; [X.], StGB 57. Aufl. § 25 [X.]. 12 ff.). Erforderlich zur gebotenen Abgrenzung zur Teilnahme ist eine wertende tatrichterliche Gesamtschau. Daran fehlt es hier. Allein die – durch die [X.] wiederholt und gar apodiktisch angeführte – Tatmotivation des Beschwerdeführers [X.] trägt den für die Täterschaft notwendigen Willen zur Tatherrschaft noch nicht. Ob der Umfang seiner Beteiligung in Form der gestellten [X.] als notwendige Voraussetzung der Haftanordnungen für sich erhebliches Gewicht im Sinne einer objektiven Mitbeherrschung des Geschehens aufweist und daher ein tragfähiges Indiz für die Mittäterschaft darstellt, erscheint – ungeachtet der maßgeblichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt [X.] und [X.] – jedenfalls nicht eindeutig. Sollte das neue Tatgericht keine weitergehenden Feststellungen namentlich zu einer gemeinsamen Tatplanung unter erheblicher Mitwirkung des Beschwerdeführers [X.] treffen können, so kann – bei entsprechendem Vorsatz – eine Beihilfe zur Rechtsbeugung in Betracht kommen.

2. Die knappen und wenig differenzierten Erörterungen der [X.] lassen indes selbst bei mittäterschaftlicher Erfolgszurechnung besorgen, dass dem Beschwerdeführer [X.] ein zu weiter [X.] zur Last gelegt wurde. Auch bei Mittätern ist zunächst nach dem jeweils zurechenbaren Erfolgs- und Handlungsunwert zu differenzieren (vgl. Schäfer/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. [X.]. 479). Namentlich Ausführungen zum angenommenen Handlungsunwert sind bislang – anders als beim Beschwerdeführer M. – unterblieben. Diese waren aber gerade auch im Blick auf die hinter der Bestrafung des Beschwerdeführers M. nur wenig zurückbleibende verhängte Sanktion unentbehrlich.

[X.]                                   Raum                                   Schneider

                       König                                [X.]

Meta

5 StR 555/09

07.07.2010

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Potsdam, 19. Juni 2009, Az: 24 KLs 22/08 - 456 Js 47221/05, Urteil

§ 76 Abs 2 S 1 GVG, § 339 StGB, § 338 Nr 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.07.2010, Az. 5 StR 555/09 (REWIS RS 2010, 5100)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5100

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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