Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.10.2012, Az. XI B 51/12

11. Senat | REWIS RS 2012, 2345

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Gegenstand

Rüge einer überlangen Verfahrensdauer


Leitsatz

1. NV: Die Rüge der überlangen Verfahrensdauer erfordert Ausführungen dazu, inwieweit das angefochtene Urteil anders ausgefallen wäre, wenn das FG zu einem früheren Zeitpunkt entschieden hätte.

2. NV: Eine solche Rüge kann nur auf die Dauer des gerichtlichen Verfahrens, nicht (auch) auf die Dauer des Einspruchsverfahrens gestützt werden.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, wendet sich mit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Finanzgerichts ([X.]), mit der das [X.] die Anerkennung von steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen eines PKW [X.] an einen Abnehmer in [X.] und eines PKW [X.] an einen Abnehmer in [X.] nach § 4 Nr. 1 Buchst. [X.]. § 6a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für das Streitjahr 1998 versagt hat.

2

Das [X.] hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe hinsichtlich der streitgegenständlichen PKW jedenfalls keinen hinreichenden [X.] für das Vorliegen der Voraussetzungen der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen erbracht. Auch auf Grund der objektiven Beweislage stehe nicht fest, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG für die Lieferung der PKW [X.] und [X.] vorlägen. Die Klägerin könne sich schließlich nicht auf den Vertrauensschutz gemäß § 6a Abs. 4 UStG berufen. Denn die Frage des [X.] stelle sich erst dann, wenn der Unternehmer seinen --im Streitfall nicht erfüllten-- Nachweispflichten gemäß §§ 17a ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung nachgekommen sei.

3

Gegen das Urteil des [X.] wendet sich die Klägerin mit der auf Verfahrensmängel gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.

Entscheidungsgründe

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Beschwerde ist teils unzulässig, teils unbegründet, so dass sie insgesamt als unbegründet zurückzuweisen ist (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 18. Oktober 2010 VI B 91/10, [X.], 280, m.w.N.).

5

Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) ist die Revision u.a. zuzulassen, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 [X.]O). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 [X.]O dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O).

6

Die von der Beschwerde gerügten Verfahrensfehler [X.] von § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O liegen --soweit sie den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O entsprechend dargelegt worden sind-- nicht vor.

7

1. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes; § 96 Abs. 2 [X.]O) ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht unter dem Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung. Eine solche liegt vor, wenn das [X.] seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (vgl. [X.] vom 25. Januar 2008 [X.], [X.], 608; vom 18. September 2009 IV B 140/08, [X.], 220, unter b).

8

Die Beteiligten haben die Frage, ob die Klägerin die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung der behaupteten innergemeinschaftlichen Lieferungen der PKW [X.] und [X.] ordnungsgemäß nachgewiesen hat, schriftsätzlich kontrovers erörtert. Die Abweisung der Klage als unbegründet wegen nicht erfüllter Nachweispflichten erfolgte daher für die Klägerin nicht überraschend. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (vgl. z.B. [X.] vom 25. Mai 2000 VI B 100/00, [X.], 1235; vom 13. Juli 2012 IX B 3/12, [X.], 1635, unter 3.a).

9

2. Die weitere Rüge der Klägerin, das [X.] sei von Amts wegen gemäß § 76 Abs. 1 [X.]O verpflichtet gewesen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht, da die Rüge nicht den formellen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O entspricht.

Da die Sachaufklärungspflicht dazu dient, die Spruchreife der Klage herbeizuführen, hat das [X.] nur das aufzuklären, was aus seiner materiell-rechtlichen Sicht entscheidungserheblich ist (vgl. z.B. [X.] vom 5. August 2011 III B 144/10, [X.], 1915, Leitsatz 2, unter [X.]; vom 28. Juni 2011 IX B 11/11, [X.], 1891; vom 18. Juli 2012 V B 99/11, nicht veröffentlicht --n.v.--, juris, unter [X.]). Um einen [X.] hinreichend darzulegen, hätte die von einem Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin vortragen müssen, welche konkreten Tatsachen das [X.] habe aufklären und welche genau bezeichneten Beweise es von Amts wegen habe erheben müssen, weshalb sie nicht von sich aus entsprechende Beweisanträge gestellt hat und weshalb sich die Beweiserhebung dem [X.] auch ohne besonderen Antrag als erforderlich habe aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweisaufnahme --auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des [X.]-- zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.] vom 29. Januar 2010 III B 50/09, [X.], 919; vom 18. Juli 2012 V B 99/11, n.v., juris, unter [X.]). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Sachaufklärungsrüge ist auch nicht geeignet, Beweisanträge oder Fragen zu ersetzen, die eine fachkundig vertretene Beteiligte selbst in zumutbarer Weise in der mündlichen Verhandlung beim [X.] hätte stellen können (vgl. z.B. [X.] vom 18. April 2012 I B 123/11, [X.], 1299, Leitsatz 2; vom 18. Juli 2012 V B 99/11, n.v., juris, unter [X.]). Ein umsichtiger [X.] muss vielmehr stets gewärtigen, dass das Gericht die Beweismittel abweichend würdigt, und ist deshalb gehalten, vorsorglich alle von ihm für zweckmäßig erachteten Beweisanträge zu stellen und ihre Ablehnung gegebenenfalls rechtzeitig zu rügen (vgl. z.B. [X.] in [X.], 1299, unter [X.]; vom 18. Juli 2012 V B 99/11, n.v., juris, unter [X.]).

Die Klägerin hat weder dargelegt noch ist es aus dem Sitzungsprotokoll des [X.] ersichtlich, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] Beweisanträge gestellt hat.

3. Auch die von der Klägerin erhobene Rüge einer überlangen Verfahrensdauer rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.

a) Macht ein Beschwerdeführer den Verfahrensmangel einer überlangen Verfahrensdauer geltend, so sind schlüssige Ausführungen dazu erforderlich, inwieweit das angefochtene Urteil anders ausgefallen wäre, wenn das [X.] zu einem früheren Zeitpunkt entschieden hätte (vgl. z.B. [X.] vom 31. August 2010 III B 95/09, [X.], 2294; vom 26. Oktober 2011 IV B 139/10, [X.], 263, unter [X.]); hieran fehlt es. Im Übrigen kann im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde eine solche Rüge nur auf die Dauer des gerichtlichen Verfahrens, nicht (auch) auf die Dauer des [X.] gestützt werden (vgl. [X.] vom 26. September 2007 VII B 75/07, [X.], 126; in [X.], 263, unter [X.]). Des Weiteren ist durch die Rechtsprechung geklärt, dass eine überlange Verfahrensdauer keine Verwirkung des Steueranspruchs nach sich ziehen kann (vgl. z.B. [X.] vom 14. Juli 2010 VIII B 83/09, [X.], 1848; in [X.], 263, unter [X.]).

b) Eine abweichende rechtliche Beurteilung folgt auch nicht aus dem von der Klägerin angeführten Urteil des [X.] ([X.]) vom 2. September 2010 46344/06 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2010, 3355). Der [X.] stellte darin insbesondere fest, dass das dortige Gerichtsverfahren allein vor dem Oberverwaltungsgericht fast acht Jahre anhängig war (vgl. Urteil in NJW 2010, 3355, Rz 44). Davon abweichend wendet sich die Klägerin im Streitfall gegen das fast zehn Jahre dauernde Verwaltungsverfahren vor dem [X.]. Das anschließende Gerichtsverfahren vor dem [X.] dauerte hingegen circa zwei Jahre und zehn Monate.

4. Soweit sich die Ausführungen der Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung gegen die materielle Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung richten, wird damit keiner der in § 115 Abs. 2 [X.]O abschließend aufgeführten Zulassungsgründe dargetan, sondern nur, dass das [X.] nach Auffassung der Klägerin falsch entschieden habe. Die Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung vermag die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 [X.]O grundsätzlich nicht zu begründen (vgl. z.B. [X.] vom 6. November 2008 XI B 172/07, [X.] 2009, 617; vom 1. April 2011 XI B 75/10, [X.], 1372, m.w.N.).

5. Von einer weiteren Begründung des Beschlusses sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O).

Meta

XI B 51/12

12.10.2012

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 21. März 2012, Az: 3 K 1430/09, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 4 Nr 1 Buchst b UStG 1993, § 6a Abs 1 UStG 1993

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.10.2012, Az. XI B 51/12 (REWIS RS 2012, 2345)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2345

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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