Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 19.03.2014, Az. 2 BvQ 9/14

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2014, 6967

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung einer einstweiligen Anordnung: Chancengleichheit politischer Parteien und staatliche Neutralitätspflicht


Gründe

1

Die Antragstellerin sieht sich durch Äußerungen der Oberbürgermeisterin der [X.] [X.] im Vorfeld der [X.] und Kommunalwahlen 2014 in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit politischer [X.]en verletzt.

I.

2

1. Die Antragstellerin will als politische [X.] zur Europawahl am 25. Mai 2014 und zu den am selben Tag stattfindenden Kommunalwahlen in [X.] antreten. Ihr wurde von der [X.] [X.] zur Durchführung einer [X.] am 18. Januar 2014 zunächst die Nutzung der Festhalle [X.]-[X.] erlaubt, der Zulassungsbescheid jedoch noch vor der Veranstaltung mit der Begründung widerrufen, die Antragstellerin habe nicht offengelegt, dass es sich bei der [X.] um ihren [X.] handele. Außerdem kam es in der Öffentlichkeit zu Protesten gegen den geplanten [X.] der Antragstellerin.

3

2. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte die [X.] [X.] auf ihrer Internetseite eine Presseerklärung mit der Überschrift "OB [X.] und [X.] fordern Verbot der [X.] - Oberbürgermeisterin Charlotte [X.] und [X.], Dezernent für Umwelt, Migration und Recht, haben nach dem geglückten Verhindern des [X.]-[X.]es in [X.] ein Verbot der [X.] gefordert." und folgendem Wortlaut:

"Wir hatten in diesem konkreten Fall die rechtliche Möglichkeit, den Mietvertrag mit der [X.] für die [X.] in [X.] zu widerrufen, da uns die [X.] hinsichtlich der geplanten Veranstaltung arglistig täuschen wollte", erklärten Charlotte [X.] und [X.]. Damit sei zwar für diesen Einzelfall ein juristischer Weg gefunden worden, die [X.]-Veranstaltung zu verhindern, das generelle Problem bleibe jedoch weiterhin bestehen. [X.] und [X.]: "Die [X.] ist keine verbotene [X.]. Ihr stehen daher die gleichen Rechte wie [X.] [X.]en zu - auch was die Nutzung öffentlicher [X.]n betrifft." Der [X.] werde nun voraussichtlich in einer anderen Stadt stattfinden, das Problem werde verlagert. "Der Missstand, dass die [X.] in diesem [X.] Land ihre Veranstaltungen durchführen darf, bleibt bestehen. Wir brauchen daher endlich ein Verbot der [X.]", erklärten [X.] und [X.]. Unabhängig davon sei die [X.] aber erleichtert, dass der [X.] der [X.] nicht in [X.] stattfinden werde. "Wir wollen in [X.] keine Nazis. Wir sind eine weltoffene Stadt, die eine lebendige Willkommenskultur pflegt und in der Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus keinen Platz haben", sagten [X.] und [X.].

4

3. Die Antragstellerin ersuchte hiergegen erfolglos um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Das Verwaltungsgericht und das [X.] bewerteten die Presseerklärung als sachliche Äußerung ohne erkennbaren [X.]. Die Presseerklärung behandele eine kommunale Angelegenheit. Auch die Äußerung zum Verbot der Antragstellerin sei auf das konkret geschilderte kommunale Problem bezogen und daher von der Verbandskompetenz der Gemeinde gedeckt.

5

4. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung will die Antragstellerin erreichen, dass die [X.] [X.] es unterlässt, öffentlich ein Verbot der Antragstellerin zu fordern. Sie sieht sich durch die Äußerungen der Oberbürgermeisterin in ihrem Recht auf Chancengleichheit politischer [X.]en in der Vorwahlzeit verletzt (Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG). Insbesondere habe die Oberbürgermeisterin nicht die Kompetenz, ein [X.]verbot zu fordern, da es sich hierbei um eine allgemeinpolitische Angelegenheit handele. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit und regierungsamtlicher Warnungen, die auch auf kommunale Organe übertragbar seien, erforderten für die Äußerungen der Oberbürgermeisterin zudem eine gesonderte Rechtsgrundlage, an der es hier fehle.

6

5. Die [X.] [X.] ist der Ansicht, die Pressemitteilung sei als spezifisch ortsbezogene Erklärung von ihrem kommunalpolitischen Mandat gedeckt (Art. 117 Abs. 2 und 3 der [X.], § 1 und § 5 Abs. 1 und 2 [X.]). Es sei keine weitere gesetzliche Ermächtigung erforderlich. Die [X.] und ihre Organe hätten zudem weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart allgemeinpolitische Erklärungen zu Wählergruppen und [X.]en einschließlich ihrer Programme abgegeben und damit in den [X.] und Kommunalwahlkampf eingegriffen. Das werde auch in Zukunft so sein. Außerdem habe sie die Presserklärung mittlerweile von ihrer Internetseite entfernt. Eine Erforderlichkeit der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Abwehr schwerer Nachteile sei vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.

7

6. Die Presseerklärung wurde von der [X.] [X.] zunächst nur von der Seite der aktuellen Meldungen und nicht aus der Rubrik Pressearchiv entfernt. Nachdem die Antragstellerin hierauf aufmerksam gemacht hatte, entfernte die [X.] [X.] die Presseerklärung am 13. März 2014 vollständig von ihrer Internetseite. Die Antragstellerin hält die Ausführungen der [X.] [X.] vor diesem Hintergrund für unglaubwürdig und gibt an, ihren [X.] zu kommunalen Einrichtungen im laufenden Wahlkampf verstärkt einfordern und notfalls gerichtlich durchsetzen zu wollen. In diesem Zusammenhang bestehe die Gefahr einer erneuten Forderung nach einem Verbot der Antragstellerin durch die [X.] [X.].

II.

8

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

9

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch nur begründet, wenn eine vorläufige Regelung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum allgemeinen Wohl dringend geboten ist (vgl. [X.] 108, 238 <245 f.>; stRspr).

2. Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hier nicht vor. Es ist gegenwärtig nicht davon auszugehen, dass durch künftige Äußerungen der [X.] [X.] und ihrer Organe der Antragstellerin ein schwerer Nachteil, geschweige denn dem gemeinen Wohl ein Schaden droht.

Das Recht politischer [X.]en auf Chancengleichheit bei Wahlen (Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG) wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen [X.] in den Wahlkampf einwirken (vgl. [X.] 44, 125 <146>). Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit staatlichen Informationshandelns ist stets erforderlich, dass es sich innerhalb des dem jeweiligen Organ zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiches hält (vgl. [X.] 44, 125 <149>). Die besondere staatliche Neutralitätspflicht in der Vorwahlzeit und die sich daraus ergebenden Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit gelten auch für kommunale Organe (BVerwGE 104, 323 <326 f.>).

Die Gemeinden sind im Rahmen ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) befugt, Angelegenheiten der örtlichen [X.] im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Verbandskompetenz der Gemeinden beschränkt sich damit auf diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen [X.] wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen ([X.] 79, 127 <151>).

Aufgrund der Stellungnahme der [X.] [X.] ist davon auszugehen, dass sie sich ihrer Neutralitätspflicht sowie der Grenzen ihres kommunalpolitischen Mandats bewusst ist. Dass die [X.] [X.] die Pressemitteilung vollständig von ihrer Internetseite entfernt hat, spricht dafür, dass sie die besondere Gefährdungslage der [X.]en in der Vorwahlzeit berücksichtigt. Es ist nicht zu erwarten, dass die [X.] [X.], wie von der Antragstellerin befürchtet, bis zum Wahltag am 25. Mai 2014 sich in einer Weise äußern wird, die dem nicht Rechnung trägt (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 17. September 2013 - 2 [X.] -, juris, Rn. 7, 8). Die Absicht der Antragstellerin, ihr Zulassungsrecht zu kommunalen Einrichtungen erneut einzufordern, ist vor diesem Hintergrund nicht ausreichend, eine Wiederholungsgefahr zu begründen (vgl. [X.] 110, 77 <90 f.>).

Meta

2 BvQ 9/14

19.03.2014

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

Art 21 Abs 1 GG, Art 38 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 19.03.2014, Az. 2 BvQ 9/14 (REWIS RS 2014, 6967)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6967

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Referenzen
Wird zitiert von

10 C 6/16

B 9 E 20.141

Zitiert

2 BvE 4/13

Zitieren mit Quelle:
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