Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.10.2018, Az. KRB 60/17

Kartellsenat | REWIS RS 2018, 3078

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Gegenstand

Kartellbußgeldsache: Möglichkeit der sofortigen Vernehmung eines Zeugen und Reichweite der Aufklärungspflicht des Tatrichters; Anforderungen an die Begründung des einen Beweisantrag ablehnenden Beschlusses - Flüssiggas III


Leitsatz

Flüssiggas III

1. Die Möglichkeit, einen (präsenten) Zeugen sofort zu vernehmen, kann - auch wenn § 245 Abs. 2 StPO im Bußgeldverfahren unanwendbar ist - ein Umstand sein, der für die Reichweite der Aufklärungspflicht des Tatrichters bedeutsam und bei der Ermessensausübung nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zu berücksichtigen ist.

2. Rechtlich und tatsächlich komplexe Kartellbußgeldverfahren zählen grundsätzlich nicht zu den von § 77 Abs. 3 OWiG erfassten Regelfällen. Vielmehr ist in derartigen Kartellbußgeldsachen - zumindest wenn es um zentrale Fragen geht - in dem ablehnenden Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) zu begründen, weshalb die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Nebenbetroffenen wird das Urteil des 4. Kartellsenats des [X.] vom 30. März 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Kartellsenat des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat gegen die [X.] wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Verbot des § 1 GWB, begangen durch Geschäftsführer ihrer Komplementärin, eine Geldbuße in Höhe von sieben Millionen [X.]uro, zahlbar in vier Raten, festgesetzt. Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die [X.] die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensbeanstandung [X.]rfolg.

I.

2

Nach den Urteilsfeststellungen war die [X.] in ein flächendeckendes Kartell von Versorgungsunternehmen auf dem bundesweiten Flüssiggasmarkt für [X.] eingebunden, das eine [X.] traf. Die [X.] gehörte - wie gesondert verfolgte weitere [X.] - zu den führenden Anbietern von Flüssiggas für private wie gewerbliche [X.]ndverbraucher und war Mitglied im [X.] (D. ), dem größten Interessenverband [X.] Flüssiggasunternehmen mit im Jahr 1996 ca. 80 und im Jahr 2005 noch ca. 52 Mitgliedern. Die Anzahl der [X.]-[X.]ndverbraucher belief sich im Jahr 1996 auf rund 420.000 und sank bis zum [X.] auf etwa 406.000. Die Nutzung [X.] erfolgte unter anderem in Tankanlagen zu Heizzwecken. Die [X.] vermietete überwiegend Flüssiggastanks an ihre [X.]ndabnehmer. [X.]in geringerer Teil der belieferten Tanks stand im [X.]igentum der Kunden.

3

Schon in den 1970er Jahren schlossen sich die führenden Versorgungsunternehmen zu regionalen [X.]ansportgemeinschaften zusammen, um steigende [X.]ansportkosten für die Ausfuhr des Flüssiggases zu senken. Bereits die Kooperationspartner in diesen [X.] hatten abgesprochen, sich keine Kunden "abspenstig zu machen". [X.]twa in den Jahren 1995 bis 1997 kam es zu einer "Neuaufstellung" der regional verstreut agierenden Ausfuhrkooperationen. Unter Zusammenführung von deren Ausfuhrgeschäft in Gemeinschaftsunternehmen erfolgte die Gründung der in den alten Bundesländern tätigen f.                                  und der in den neuen Bundesländern tätigen f. (Ost)                              sowie der deutschlandweit agierenden [X.]. Die beiden zuerst genannten Gesellschaften wurden im [X.] zu einer Kommanditgesellschaft f. verschmolzen. Die [X.]               , eine aus der [X.]                         hervorgegangene Tochtergesellschaft der [X.]n, war bis dahin als Kommanditistin an der f. (Ost) beteiligt. In der f. war die K.                eine der [X.]. Diese weitere Tochtergesellschaft der [X.]n behielt die Gesellschafterstellung auch nach der Zusammenlegung der [X.] im [X.] bei.

4

In den Zusammenkünften und Unterredungen, die den bundesweiten Gründungen von f. und [X.].   vorausgingen, versprachen die Vertreter und Verhandlungsführer der Gründungsgesellschafterinnen einander zumindest stillschweigend einen Bestandskundenschutz auch in den neuen [X.]. Dieser "Nichtangriffspakt" hatte einen allgemeinen - auch kooperationsübergreifenden ("über Kreuz") - Verzicht auf Wettbewerb in Bezug auf Bestandskunden zum Gegenstand und erfasste [X.]ndverbraucher von Flüssiggas, die ein [X.] bereits beliefert hatte. Hierbei handelte es sich um ca. 80 Prozent der Flüssiggaskunden. Die assoziierten Kooperationspartnerinnen der Ausfuhrgemeinschaften ohne Gesellschafterstellung traten diesen auf der Basis des ihnen bekannten Bestandskundenschutzes bei.

5

Zur Optimierung und Sicherung des Bestandskundenschutzes bestand im Rahmen der Ausfuhrkooperationen ein Meldewesen. Sofern ein Versorgungsunternehmen eine Auslieferung an einen Kunden begehrte, der in den Datenbanken für einen anderen Versorger erfasst war, informierte die f. - wie auch die [X.].   - hierüber beide Unternehmen. Diese "Wettbewerbsmeldungen" schufen eine gegenseitige potentielle und praktizierte Kontrolle der [X.]er. Als Folge der [X.] fand ein wirksamer Preiswettbewerb um Bestandskunden der an ihr beteiligten Versorgungsunternehmen weithin nicht mehr statt. Wie ebenfalls angestrebt schuf das Kartell unter den ihm angehörenden, überregional orientierten Flüssiggasunternehmen ferner einen erhöhten, nicht markt- und wettbewerbskonformen [X.], Kundenstämme und Unternehmensbeteiligungen zu erwerben sowie neue Tochtergesellschaften zu gründen.

6

Im Tatzeitraum ab 1997 setzten bei der [X.]n, die ihre Kunden über die [X.] mit Flüssiggas beliefern ließ, der vorsätzlich handelnde Geschäftsführer ihrer Komplementärin [X.]und ab [X.]nde 2001 dessen Nachfolger [X.]die [X.] um. Der im Jahr 2010 verstorbene [X.]war bis Oktober 2001 zugleich eine der Leitungspersonen der [X.] . Zumindest bis zu den Durchsuchungen durch das [X.] Anfang Mai 2005 setzten die Leitungspersonen der [X.]er die festgestellte [X.] weiter um.

II.

7

Die Rechtsbeschwerde hat mit einer Verfahrensrüge [X.]rfolg, mit der die Rechtsbeschwerdeführerin die rechtswidrige Ablehnung eines auf die Vernehmung des Zeugen [X.]gerichteten Beweisantrags geltend macht. Auf die weiteren Verfahrensrügen und die Sachrüge kommt es daher nicht mehr an.

8

1. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

9

Mit Beweisantrag vom 5. Dezember 2014 beantragte die [X.] erstmals, ihren langjährigen Vertriebsleiter und Prokuristen [X.]als Zeugen zu vernehmen. Dies lehnte das [X.] zunächst mit der Begründung ab, der Antrag beinhalte keine konkreten [X.] und es fehle an der erforderlichen Konnexität zwischen [X.] und Beweismittel. In einem ergänzenden Beschluss stützte es die Ablehnung auch darauf, dass die Beweiserhebung zur [X.]rforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei.

In der Hauptverhandlung am 29. Januar 2015 stellte die [X.] sodann einen weiteren Beweisantrag, der sich erneut auf die Vernehmung des - an diesem Hauptverhandlungstag anwesenden, von der [X.]n über einen Gerichtsvollzieher geladenen und damit präsenten - Zeugen [X.]richtete. [X.]r sollte insbesondere Folgendes bekunden: Die [X.] sei aktiv durch Mitarbeiter des Außendienstes an die Bestandskunden (Kunden, die bereits einmal Flüssiggas bei einem anderen Unternehmen bezogen haben) anderer Unternehmen herangetreten, um diese als Kunden zu gewinnen. [X.]r habe nie gegenteilige Anweisungen ausgegeben. Vielmehr habe er alle seine Mitarbeiter - beispielhaft finden sich in dem Antrag acht Namen - stets ausdrücklich angehalten, den Wettbewerbern aus dem Kreis der D. Mitglieder und f. -Gesellschafter, insbesondere den gesondert verfolgten [X.]n, Bestandskunden abzuwerben. Gemeinsam mit der Geschäftsleitung der [X.]n habe er Strategien entwickelt, wie solche Bestandskunden anderer Flüssiggasunternehmen des D.  als Kunden gewonnen und abgeworben werden können, so z.B. das Zählermodell oder die [X.]inrichtung von Netzversorgungen.

Diesen Antrag (und weitere Beweisanträge) der [X.]n lehnte das [X.] mit Beschluss vom 5. Februar 2015 gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ab. Zur Begründung teilte es - unter Anwendung von § 77 Abs. 3 OWiG - lediglich mit, dass es die begehrten Beweiserhebungen zur Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen des ihm zustehenden [X.]rmessensspielraums nicht - zumindest nicht mehr - für erforderlich halte. Auch die Aufklärungspflicht gebiete die Vernehmung des Zeugen nicht. Hiergegen erhobene Gegenvorstellungen der Verteidigung blieben erfolglos.

In den Urteilsgründen ist zur Begründung, weshalb das [X.] die beantragte Vernehmung des Zeugen [X.]abgelehnt hat, ausgeführt, dass dessen [X.]inweihung wie die [X.]inweihung weiterer Personen in die [X.] schon wegen der damit verbundenen Mitwisserschaft aus der Sicht der Kartellanten auf Leitungsebene riskant und für die Umsetzung der Absprache in den Versorgungsunternehmen letztlich auch nicht notwendig gewesen sei. So verwundere es nicht, wenn diese Personen keine [X.]n selbst trafen, keine Kenntnis von solchen Absprachen besaßen oder hätten erlangen müssen und keine entsprechenden Anweisungen erhielten oder erteilten. [X.] Beweiserhebungen seien zur [X.]rforschung der Wahrheit nicht erforderlich gewesen (vgl. [X.]). Im Übrigen heißt es ([X.]): "Soweit die [X.] allgemein gehaltene [X.]rinnerungen von Vorgesetzten behauptet, Bestandskunden mit Niedrigpreisen abzuwerben, waren diese mit Blick auf die langjährig praktizierte wettbewerbliche Zurückhaltung allenfalls geeignet, die Abwerbung von Bestandskunden freier Anbieter (den "Restwettbewerb") zu fördern, oder sie wurden seitens der Mitarbeiter auf das Verhalten gegenüber hartnäckig nachfragenden [X.] gemünzt."

2. Die Verfahrensrüge, mit der die Beschwerdeführerin die rechtswidrige Ablehnung ihres Beweisantrags vom 29. Januar 2015 rügt, ist zulässig erhoben. Die Beschwerdeführerin trägt die notwendigen Tatsachen vor, die dem [X.] die Prüfung ermöglichen, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn dem Beschwerdevorbringen sind der vollständige Inhalt des Beweisantrags und des ihn ablehnenden Gerichtsbeschlusses sowie die Umstände zu entnehmen, die den Beschluss fehlerhaft machen (vgl. dazu [X.], OLGSt StPO § 244 Nr. 25; [X.], [X.] 2010, 105 juris Rn. 6; SVR 2007, 151, 152; [X.]/[X.], OWiG, 5. Aufl., § 77 Rn. 50; [X.]/[X.], OWiG, 2. Aufl., § 77 Rn. 31). Ob die Verfahrensrüge auch den weiteren Anforderungen an eine allgemeine Aufklärungsrüge genügen muss, kann hier dahinstehen. Denn dem [X.] ist ausreichender Sachvortrag dazu zu entnehmen, warum sich das Tatgericht zu der begehrten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen.

Die Beschwerdeführerin musste für die Zulässigkeit ihrer Verfahrensrüge wegen der zugleich erhobenen Sachrüge den Urteilsinhalt nicht vortragen. Ist der gerichtliche Ablehnungsbeschluss - wie hier - mit einer Kurzbegründung nach § 77 Abs. 3 OWiG versehen, zählen zu den fehlerrelevanten Umständen auch die Urteilsgründe. Denn das Tatgericht hat im Urteil nachprüfbar zu begründen, weshalb die beantragte Beweiserhebung zur [X.]rforschung der Wahrheit nicht erforderlich war (vgl. BT-Drucks. 10/5083, [X.]; BayObLGSt 2003, 7, 9; [X.]/[X.] in [X.], OWiG, 17. Aufl., § 77 Rn. 26; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 77 Rn. 43). Die Urteilsgründe hat der [X.] allerdings bereits auf die Sachrüge der [X.]n zur Kenntnis zu nehmen.

3. Die Verfahrensrüge ist begründet. Die Verfahrensweise des [X.]s war rechtsfehlerhaft, denn sie kann sich nicht auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG stützen.

a) [X.]in durchgreifender Rechtsfehler liegt bereits darin, dass dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen ist, dass die beantragte Vernehmung des Zeugen [X.]nach dem pflichtgemäßen [X.]rmessen des [X.]s - das den Sachverhalt nach dem bisherigen [X.]rgebnis der Beweisaufnahme für geklärt hielt - zur [X.]rforschung der Wahrheit nicht erforderlich war (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Im [X.] an einen Gerichtsbeschluss mit einer Kurzbegründung nach § 77 Abs. 3 OWiG muss den Urteilsgründen zumindest im Zusammenhang zu entnehmen sein, weshalb die zusätzlich beantragte Beweiserhebung an der Überzeugung des Gerichts nichts geändert hätte und für die Aufklärung entbehrlich war (vgl. [X.], [X.], 302, 303; [X.], [X.] 1991, 1192, 1193; [X.]/[X.] in [X.], OWiG, 17. Aufl., § 77 Rn. 26).

Dies lassen die Urteilsgründe mit Blick auf die geltend gemachten [X.] nicht erkennen. Das Urteil verhält sich nur zur fehlenden Kenntnis von der [X.] und zu unterbliebenen Weisungen des Zeugen an Außendienstmitarbeiter, nicht an Kunden anderer [X.]er heranzutreten. Das [X.] übergeht hiermit die unter Beweis gestellten Behauptungen, dass die [X.] Bestandskundenwettbewerb auch gegenüber anderen D. -Mitgliedsunternehmen inklusive den f. -Gesellschafterinnen betrieben habe und der Zeuge seine Mitarbeiter im Vertrieb stets zur Abwerbung der Kunden angehalten habe. Hiermit setzen sich die weiteren pauschalen Ausführungen des [X.]s, die auf die Abwerbung von Kunden der freien Anbieter abstellen ([X.]), ebenfalls nicht auseinander. Zudem ist unklar, ob sich diese Ausführungen überhaupt auf den Zeugen [X.]beziehen.

b) Auch in der Sache liegen die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen [X.]vom 29. Januar 2015 nicht vor. Die Ablehnung einer Beweiserhebung aufgrund der vorweggenommenen Beweiswürdigung nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG setzt voraus, dass die Grundlagen für die bereits gewonnene Überzeugung so verlässlich sind, dass die Möglichkeit, diese Überzeugung könne durch eine weitere Beweisaufnahme erschüttert werden, vernünftigerweise auszuschließen ist (vgl. BayObLGSt 1994, 67, 69; [X.], [X.], 49; [X.], [X.], 634, 635; KG, [X.], 416). [X.]ntscheidend ist die - auch für einen Beweisermittlungsantrag maßgebliche - Amtsaufklärungspflicht gemäß § 77 Abs. 1 OWiG (vgl. [X.]/[X.], 5. Aufl., § 77 Rn. 16; [X.]/[X.] in [X.], OWiG, 17. Aufl., § 77 Rn. 11, 14). Daher hängt die Pflicht des Tatrichters, den Sachverhalt weiter zu erforschen, einmal davon ab, wie gesichert das Beweisergebnis erscheint. Ihr Umfang orientiert sich aber auch am Gewicht dessen, was mit zusätzlichen [X.]rmittlungen noch bewiesen werden könnte (vgl. [X.], Beschluss vom 23. November 2004 - [X.], [X.]/[X.] D[X.]-R 1469, 1470 - nicht verlesener Handelsregisterauszug; [X.] OWiG/[X.], [X.]., § 77 Rn. 16; [X.]/[X.] in [X.], OWiG, 17. Aufl., § 77 Rn. 11).

Das festgestellte [X.] der [X.]n hat das [X.] den Urteilsgründen zufolge aus dem von Zeugen bestätigten unterbliebenen Bestandskundenwettbewerb durch die [X.].   -Gesellschafterinnen und durch andere f. -Gesellschafterinnen abgeleitet. Die beantragte Vernehmung des langjährigen Vertriebsleiters und Prokuristen der [X.]n ließ demgegenüber direkten Aufschluss über deren eigenes [X.] erwarten. Das behauptete [X.] der [X.]n spräche im Falle seiner [X.]rwiesenheit indiziell gegen den vorgeworfenen [X.]. Der Zeuge [X.], zu dessen Tätigkeiten nach dem [X.] die Führung und Steuerung der Vertriebsmitarbeiter im Innen- und Außendienst sowie die Planung und Durchführung von [X.] gehörten, war damit ein tatrelevanter, zentraler [X.]ntlastungszeuge. Die Vernehmung dieses Zeugen war unter [X.] zwingend geboten (vgl. zu [X.]ntlastungszeugen allgemein auch BayObLGSt 1996, 180, 181; KG, StraFo 2012, 22; [X.], [X.], 219, 220; [X.], [X.], 260; [X.]/[X.] in [X.], OWiG, 17. Aufl., § 77 Rn. 14), zumal es sich mit Blick auf die Höhe der möglichen Geldbuße und den Verfahrensgegenstand um eine Sache von hervorgehobener Bedeutung handelt (§ 77 Abs. 1 Satz 2 OWiG).

c) Des Weiteren sprach auch die Präsenz des [X.]ntlastungszeugen für dessen Vernehmung. Im Bußgeldverfahren ist § 245 Abs. 2 StPO nach allgemeiner Auffassung zwar unanwendbar (vgl. [X.], [X.], 35, 37; [X.], StPO, 26. Aufl., § 245 Rn. 9; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 245 Rn. 8; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 77 Rn. 1, 12; [X.]/[X.] in [X.], OWiG, 17. Aufl., § 77 Rn. 27). Dessen Rechtsgedanke, die Wahrheitserforschung zu stärken (vgl. näher [X.], StPO, 26. Aufl., § 245 Rn. 1), ist aber zumindest in Sachen von gesteigerter Bedeutung nicht ohne Relevanz. Vielmehr kann auch die Möglichkeit, einen Zeugen sofort zu vernehmen, ein Umstand sein, der für die Reichweite der Aufklärungspflicht des Tatrichters bedeutsam und bei der [X.]rmessensausübung zu berücksichtigen ist.

d) Hinzu kommt, dass das vorliegende Kartellbußgeldverfahren aufgrund seiner rechtlichen und tatsächlichen Komplexität, die auch in der Dauer der Hauptverhandlung zum Ausdruck kommt, nicht zu den von § 77 Abs. 3 OWiG erfassten Regelfällen zählt, in denen Beweisanträge mit einer bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt werden dürfen. Zumindest wenn es in derartigen Kartellbußgeldsachen um zentrale Fragen geht, ist bereits in dem ablehnenden Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) zu begründen, aus welchen Gründen die beantragte Beweiserhebung zur [X.]rforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist.

[X.]iner Vorwegnahme der gesamten, den Urteilsgründen vorbehaltenen Beweiswürdigung bedarf es dazu nicht. Die für die Ablehnung wesentlichen Überlegungen sind aber so weit zu benennen, dass den Verfahrensbeteiligten ermöglicht wird, ihr weiteres Prozessverhalten auf die der Ablehnung zugrunde liegende Auffassung einzurichten, und das Rechtsbeschwerdegericht die antizipatorische Würdigung auf Rechtsfehler überprüfen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 3 [X.], [X.], 109, 110; [X.], StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 165; MüKoStPO/[X.]üg/[X.], § 244 Rn. 173). [X.]in solches Vorgehen wahrt das rechtliche Gehör der (Neben-) Betroffenen. Zugleich dient die Begründung des Beschlusses, in dem die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte in [X.] nachvollziehbar darzulegen sind, der Selbstkontrolle des Tatrichters.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] darauf hin, dass auch der Bußgeldausspruch der rechtlichen Überprüfung nicht standgehalten hätte. Der Günstigkeitsvergleich gemäß § 4 Abs. 3 OWiG wies einen Rechtsfehler zu Lasten der [X.]n auf. Denn die Mehrerlösschätzung - und damit die Bestimmung des Bußgeldrahmens gemäß § 81 Abs. 2 GWB 1999 - entsprach aus den Gründen der [X.]sbeschlüsse vom heutigen Tag in den Sachen [X.], [X.]/16 und [X.] nicht den rechtlichen Anforderungen.

[X.]     

      

Meier-Beck     

      

Raum   

      

[X.]     

      

Hohoff     

      

Meta

KRB 60/17

09.10.2018

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 30. März 2015, Az: V-4 Kart 7/10 (OWi)

§ 77 Abs 2 Nr 1 OWiG, § 77 Abs 3 OWiG, § 244 Abs 6 StPO, § 245 Abs 2 StPO, § 81 GWB 1999

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.10.2018, Az. KRB 60/17 (REWIS RS 2018, 3078)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 3078

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