LG Stuttgart, Beschluss vom 27.10.2021, Az. 11 O 486/21

11. Zivilkammer | REWIS RS 2021, 1550

UNLAUTERER WETTBEWERB FLIEGENDER GERICHTSSTAND

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Gegenstand

Keine Anwendbarkeit des sog. "fliegenden Gerichtsstandes" gem. § 14 Abs. 2 S.2 UWG bei virtuellen Sachverhalten.


Tenor

Das [X.] erklärt sich für örtlich unzuständig.

Der Rechtsstreit wird auf Antrag des [X.] an das [X.] verwiesen.

Gründe

1

Die Entscheidung beruht auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das angegangene Gericht ist örtlich unzuständig, da der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand i. S. von § 14 Abs. 2 S. 1 UWG im [X.] hat und der sog. fliegende Gerichtsstand gem. § 14 Abs. 2 [X.] UWG nach § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG für den hier rein virtuellen Sachverhalt nicht gilt (vgl. bereits Hinweis des Gerichts vom 11.10.2021, [X.] f.).

2

Die vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 15.10.2021 vorgebrachten Argumente ([X.] ff.) vermögen die Kammer im Ergebnis nicht zu überzeugen. Vielmehr erachtet die Kammer die vom [X.] (Beschluss vom 16.02.2021, 20 W 11/21, Rn. 19 ff., juris) formulierte Kritik an der vom [X.] erstmals bereits in seinem Beschluss vom 15.01.2021 vertretenen, erheblichen Einschränkung des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG für stichhaltig (so jetzt auch [X.], in: [X.], ZPO, 34. Aufl. 2022, § 32 Rn. 10; ebenso z. B. Moteijl/[X.], [X.], 699 Rn. 39, die als Beamte im [X.] mit der Erstellung des [X.] befasst waren sowie [X.], [X.], 713, 717, Rn. 26 ff., insb. Rn. 30).

3

Die vom Kläger genannten weiteren Entscheidungen der [X.] und [X.] (sowie nunmehr [X.], [X.] 2021, 27788, Rn. 4, sowie [X.], Beschluss vom 08.10.2021, 6 W 83/21, Rn. 18, juris) greifen die Argumentation zur einschränkenden Auslegung lediglich auf, setzen sie fort und vertiefen sie.

4

Der Wortlaut von § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG ist indes eindeutig und weicht von jenem des § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG gerade ab. Ausweislich der jeweiligen Gesetzesbegründungen hat der Gesetzgeber die Regelungen in § 13 UWG einerseits und § 14 UWG andererseits bewusst unterschiedlich ausgestaltet. Vor diesem Hintergrund gebieten auch Sinn und Zweck der Neuregelung keine vom Wortlaut abweichende weitere Einschränkung oder teleologische Reduktion (so auch [X.], [X.], 713, 717, Rn. 30):

5

Bei der Beschränkung des [X.] in § 13 UWG ging es darum, das ausufernde [X.] zu begrenzen, das bei einfach und automatisiert festzustellenden [X.] gegen die zahlreichen Informationspflichten rein aus Gebührenerzielungsinteresse um sich griff. Hierbei hatte der Gesetzgeber ausdrücklich nur „Verstöße im Online-​Handel“ und zwar „gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten“ im Blick ([X.]. 19/12084, [X.]). Dies findet sich dementsprechend auch im Gesetzeswortlaut wieder.

6

Der zunächst angedachte, fast vollständige Ausschluss des fliegenden Gerichtsstands in § 14 UWG beruhte hingegen auf anderen Gründen. Insoweit führte der Gesetzgeber eine allgemeine „Missbrauchsgefahr“ an, da sich der Kläger insb. bei Verstößen im [X.] durch die Möglichkeit, quasi „überall“ hiergegen vorgehen zu können, „etliche Vorteile sichern“ könne. So könne er sich ein Gericht aussuchen, das besonders klägerfreundlich sei oder bereitwillig einstweilige Beschlussverfügungen ohne Anhörung des Gegners erlasse oder hohe Streitwerte festsetze. Mit der Androhung einer Klage an einem weit entfernten Ort könne zudem oft die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung erreicht werden ([X.]. 19/12084, S. 35 f.). Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands sodann „auf die in diesem Zusammenhang besonders missbrauchsanfälligen Verstöße beschränkt, die auf Telemedien oder im elektronischen Geschäftsverkehr begangen werden“ ([X.]. 19/22238, [X.]). Von Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten war an dieser Stelle, anders als bei § 13 UWG, gerade nicht die Rede. Dies ist auch folgerichtig, weil die dargestellten allgemeinen Missbrauchsgefahren des fliegenden Gerichtsstands bei allen [X.]-​Verstößen gleichermaßen bestehen.

7

Dem steht auch nicht der vom Kläger zitierte, persönlich verfasste Beitrag des Berichterstatters der [X.]/CSU-​Fraktion [X.] ([X.], 984, 986) entgegen. Eine positive und dezidierte Aussage, dass der Gesetzgeber nur und allein die Fälle des § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG im Blick hatte, lässt sich dem Beitrag gerade nicht entnehmen. So heißt es lediglich, dass die Regierungsfraktionen „vor allem“ den Musterfall eines einfachen Verstoßes vor Augen hatten, der nur zum Zweck der Abmahnung unter Androhung einer Vertragsstrafe per [X.] automatisiert ermittelt werde. Man werde „kaum“ andere Beispiele finden als die Verstöße gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten im [X.]. Der Gesetzgeber müsse sich aber auch aus seiner Sicht „die Frage gefallen lassen, warum er in beiden Regelungen unterschiedliche Formulierungen gewählt bzw. warum er nicht einfach auf § 13 IV Nr. 1 UWG verwiesen hat“. Wie oben dargestellt und auch von [X.] einleitend in seinem Beitrag ausgeführt, äußerte der Gesetzgeber allerdings umfassende Kritik an der Geltung des fliegenden Gerichtsstands im Lauterkeitsrecht in verschiedenen Fallkonstellationen. Diese Kritik greift losgelöst von den beispielhaft angeführten Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten und belegt die andersartige Stoßrichtung der Einschränkung in § 14 UWG.

8

Den vom Kläger anhand von mehreren [X.], die zu vermeintlich „grotesken Ergebnissen“ führten, geäußerten Bedenken wegen Wertungswidersprüchen bei medienübergreifenden Verstößen (Schriftsatz vom 15.10.2021, [X.], 3, 7) lässt sich schließlich anderweitig begegnen. So bietet sich bei solchen medienübergreifenden Verstößen wegen des vom Gesetzgeber in den Blick genommenen Missbrauchspotentials des fliegenden Gerichtsstands im Falle von [X.]-​Verstößen ausnahmsweise eine einschränkende Auslegung an, wonach die Neuregelung auf rein „virtuelle“ Verstöße beschränkt wird. Wird der Verstoß also nicht ausschließlich im [X.], sondern auch auf anderen Verbreitungswegen verwirklicht, und handelt es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand, ist die Neuregelung nicht anwendbar ([X.], [X.], 713, 717, Rn. 31; so auch bereits [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], UWG, 39. Aufl. 2021, § 14 Rn. 21).

9

Auf den hilfsweise gestellten Verweisungsantrag des [X.] ([X.]) hat sich das angegangene Gericht daher nach Gewährung rechtlichen Gehörs für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Gericht zu verweisen. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 15.10.2021 ([X.]) die örtliche Zuständigkeit gerügt.

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Meta

11 O 486/21

27.10.2021

LG Stuttgart 11. Zivilkammer

Beschluss

Sachgebiet: O

§ 14 UWG, § 281 ZPO

Zitier­vorschlag: LG Stuttgart, Beschluss vom 27.10.2021, Az. 11 O 486/21 (REWIS RS 2021, 1550)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1550

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Fliegender Gerichtsstand, § 14 Abs. 2 S.3 UWG


Referenzen
Wird zitiert von

5 U 65/22

38 O 42/23

Zitiert

6 W 83/21

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