Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.12.2016, Az. 1 StR 487/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 1243

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:071216B1STR487.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 487/16

vom
7. Dezember
2016
in der Strafsache
gegen

wegen
sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

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2
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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 7. Dezember
2016
auf Antrag des [X.] und nach Anhörung des Beschwerdeführers
gemäß §§
206a Abs. 1, 349 Abs.

2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 1. Juni 2016 wird
a) das Verfahren insoweit eingestellt, als der Angeklagte im
[X.] der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB aF verurteilt worden ist; die ausscheidbaren Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen insoweit der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahingehend [X.], dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 200 Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbe-gründet verworfen.
3. Der Angeklagte
hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen not-wendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 201 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und 1
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drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.

I.
Das Verfahren war gemäß § 206a Abs. 1 StPO einzustellen, soweit der Angeklagte in [X.] der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB aF
verurteilt worden ist.
Zwar erfüllt das unter [X.] der Urteilsgründe geschilderte Verhalten des Angeklagten
zwischen dem 1. Januar 1993 und dem 31. Januar 1997 den Tatbestand des nach § 2 Abs. 3 StGB anwendbaren § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB in der bis zum 31. März 1998
gültigen
Fassung. Jedoch war die Tat bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Jahr 2013 bereits
verjährt. §
176 Abs.
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StGB aF sah nämlich als Rechtsfolge Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor, so dass nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB die fünfjährige Verjährungsfrist galt. Da die Verjährung nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB aF
bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des Opfers ruhte, begann die Verjährungsfrist
erst am
18. Geburtstag des Opfers, dem 12. Dezember 2003, zu laufen und war im Jahr 2013 bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens bereits verstrichen.
Dieses von Amts wegen zu
beachtende Verfahrenshindernis gebietet die Einstellung des Verfahrens im
[X.] nach § 206a Abs. 1 StPO und führt zu einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs.
Es kommt dadurch zum Wegfall der für [X.] verhängten [X.]. Der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten hat dennoch Bestand, da der Senat in 2
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Anbetracht der für die übrigen Taten verhängten 200 [X.] neun Monaten sowie
zwei Jahren und acht Monaten ausschließen kann, dass die Gesamtfreiheitsstrafe ohne die in Wegfall geratene Einzelfreiheitsstra-fe niedriger ausgefallen wäre.

II.
Im Übrigen ist die Revision aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift vom 30. September 2016 ausgeführten Gründen unbegründet.
[X.] Erörterung bedarf hier nur die Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 6 StPO:
Die Revision rügt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit, indem diese am 1. Juni 2016 nach Ausschluss gemäß § 171b Abs. 3 Satz 2 G
sei.
Die Rüge ist nicht nach § 171b Abs. 5 [X.] ausgeschlossen. Nach §
171b Abs. 5 [X.] i.V.m. § 336 Satz
2 StPO ist die gerichtliche Entscheidung darüber der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen, ob die in § 171b Abs. 1 bis 4 [X.] normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall vorlagen. Dies hindert jedoch nicht die [X.] der Frage, ob eine generelle Befugnis besteht, die Öffentlichkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts auszuschließen (vgl. bzgl. Verlesung der Anklageschrift: [X.], Urteil vom 21. Juni 2012

4 [X.], [X.]St 57, 273 ff.
Rn. 7; bzgl. der Schlussanträge: [X.], Beschluss vom 12. November 2015

2 [X.], [X.], 180).
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Die Rüge ist jedoch unbegründet. Nach § 171b Abs. 3 Satz 2 [X.] ist Abs.
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[X.]
genannten Straftaten auszuschließen, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen des
§ 171b Abs. 1 oder 2 [X.] oder des § 172 Nr. 4 [X.] ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.
Vorliegend war die Öffentlichkeit in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern an vorangegangenen Sitzungstagen nach § 171b Abs. 1 und 3 [X.]

während Zeugenvernehmungen und der vom Verteidiger vorgetragenen Einlassung des Angeklagten

zeitweise ausgeschlossen gewe-sen. Für diesen Fall bestimmt § 171b Abs. 3 Satz 2 [X.] einen zwingenden

auch das letzte Wort des Angeklagten. Dies gebieten Sinn und Zweck der [X.].
Der Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b [X.] dient dem Schutz sowohl der Intimsphäre der Prozessbeteiligten als auch der von Zeugen. Um-stände aus dem persönlichen Lebensbereich, insbesondere aus dem Sexual-bereich, sollen in der Regel nicht öffentlich erörtert werden müssen (vgl. BT-Drucks. 10/5305, [X.]). Dies soll nicht nur den Zeugen schützen, sondern ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist nach § 171b Abs. 1 Satz 1 [X.] vielmehr auch dann vorgesehen, wenn allein der Angeklagte
dies zum Schutz seines persönli-chen Lebensbereichs beantragt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. September 2014

1 [X.]/14
und vom 12. November 2015

2 [X.], [X.], 180).
§ 171b Abs. 3 Satz 2 [X.] sieht einen zwingenden Ausschluss der [X.] den Schlussanträgen für den Fall vor, dass die Öffentlichkeit 10
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bereits im Verlauf der Hauptverhandlung nach § 171b Abs. 1 oder 2 [X.] oder § 172 Nr. 4 [X.] ausgeschlossen war. In den Schlussanträgen wird nämlich typischerweise der Inhalt der Hauptverhandlung, mithin auch die den persönli-chen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten oder Zeugen betreffenden Um-stände, erneut aufgerollt (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 17 f.). Dies gilt
für das letzte Wort ebenso wie für die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidi-gung. Auch der Angeklagte kann sich
in seinem letzten Wort auf Beweiserhe-bungen aus der Hauptverhandlung beziehen, die den persönlichen Lebensbe-reich eines Prozessbeteiligten oder Zeugen betreffen. Eine Differenzierung
zwi-schen den Schlussanträgen der Prozessbeteiligten und dem letzten Wort des Angeklagten ist deshalb unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks dieser Vorschrift nicht veranlasst. Im Übrigen wurde von einer Beschränkung des [X.] auf einzelne Abschnitte der Plädoyers, in denen die betreffenden Umstände erörtert werden, bewusst abgesehen, da eine entspre-chende Teilung praktisch nicht durchführbar wäre (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S.
18). Für das letzte Wort gilt Gleiches.
Vor allem spricht jedoch für den Ausschluss der Öffentlichkeit nach §
171b Abs. 3 Satz 2 [X.] auch während des letzten Wortes des Angeklagten, dass dieser andernfalls im letzten Wort eingeschränkt sein könnte. Sinn und Zweck des letzten Wortes nach § 258 Abs. 2 und 3 StPO ist es, dem Angeklag-ten zu ermöglichen, auch noch im letzten Augenblick vor der Urteilsverkündung für ihn günstige Umstände gegenüber dem Gericht vorzubringen (vgl. [X.], Urteil vom 31. März 1987

1 [X.], [X.], 423). Hierbei könnte der Angeklagte in öffentlicher Sitzung
gehemmt sein, wenn es sich um Umstände handelt, die seinen persönlichen Lebensbereich betreffen, und über die er sich zuvor nur in nicht-öffentlicher Sitzung geäußert hat. Dies soll § 171b Abs. 3 Satz 2 [X.] jedoch gerade verhindern (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Novem-ber 2015

2 [X.], [X.], 180).
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Dieser Auslegung von § 171b Abs. 3 Satz 2 [X.] steht auch nicht der

auch im Rahmen von § 258 Abs. 1 StPO davon, dass nach Schluss der Be-h-Konkretisierung der Reihenfolge dahingehend dar, dass dem Angeklagten

auch im Falle einer Erwiderung der Staatsanwaltschaft

das letzte Wort zu-s-
daher bereits der Wortlaut dafür, das letzte Wort des Angeklagten, das bei einem nicht-verteidigten Angeklagten kaum von seinem Schlussantrag getrennt werden kann, als Unterfall der der 2. Strafsenat, der bei einem contra legem unterbliebenen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 2 [X.] ein Beruhen des Straf-ausspruchs auf diesem Verfahrensfehler nicht ausschließen konnte, da nicht ngekl., wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden, Ausführungen gemacht hät-e-schluss vom 12. November 2015

2 [X.], [X.], 180).

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III.
In Anbetracht des nur geringen Teilerfolgs der Revision hält der Senat es nicht für unbillig, den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten sowie den im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu belasten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 4 StPO).
Raum Graf Jäger

Radtke Fischer
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Meta

1 StR 487/16

07.12.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.12.2016, Az. 1 StR 487/16 (REWIS RS 2016, 1243)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1243

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1 StR 433/14

1 StR 487/16

4 StR 623/11

2 StR 311/15

1 StR 212/14

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