Bundessozialgericht, Urteil vom 24.02.2011, Az. B 14 AS 81/09 R

14. Senat | REWIS RS 2011, 9147

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB 2 bei Strafgefangenen - Ersatzfreiheitsstrafe gem § 43 StGB - Einrichtungsbegriff - Ausnahme bei Aufnahme eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses)


Leitsatz

Wer eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt, hält sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung auf und ist unabhängig von gewährten Vollzugslockerungen grundsätzlich von Leistungen nach dem SGB 2 ausgeschlossen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des [X.] vom 7. Oktober 2009 und des [X.] vom 6. November 2008 insoweit aufgehoben, als der Bescheid vom 8. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2007 für den Zeitraum vom 4. Mai bis 31. Mai 2007 aufgehoben wurde. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Die Revision des [X.] wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des [X.] hat der Beklagte 1/5 zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ([X.]) vor dem Hintergrund des Aufenthalts des [X.] in einer Justizvollzugseinrichtung zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe sowie über die Gewährung von Leistungen während der Haftzeit.

2

Mit [X.] vom [X.] bewilligte der Beklagte dem Kläger [X.] ([X.]) für die [X.] bis 31.5.2007 in Höhe von monatlich 641,56 [X.] einschließlich Kosten der Unterkunft. Der Bewilligungsbescheid enthielt den Hinweis, der Kläger müsse unter der von ihm benannten Adresse erreichbar sein. Für den Fall seiner Ortsabwesenheit sei er verpflichtet, den [X.]raum und die Dauer der Abwesenheit mit seinem persönlichen Ansprechpartner bei dem Beklagten vorab abzustimmen. Eine unerlaubte Abwesenheit könne zum Wegfall und zur Rückforderung des [X.] führen.

3

Am [X.] teilte die Justizvollzugsanstalt (JVA) [X.] dem Beklagten die Inhaftierung des [X.] vom 21.4. bis zum [X.] mit. Der Kläger wohnte ab dem [X.] im Freigängerheim. Ausgang erhielt er nur für bestimmte Erledigungen wie Behördengänge, Bankgeschäfte oder Verrichtungen in der eigenen Wohnung. In der JVA führte er Reinigungsarbeiten durch. Hätte er außerhalb der JVA eine Beschäftigung gefunden, hätte er diese nach Auskunft der JVA ausüben können und von morgens bis Arbeitsende Ausgang erhalten.

4

Der Beklagte hob aufgrund der Mitteilung der JVA den Leistungsbescheid vom [X.] mit [X.] vom 15.5.2007 ab Haftantritt für die laufende Bewilligungsperiode bis 31.5.2007 auf. Dieser [X.] wurde bestandskräftig.

5

Am 19.6.2007 wurde der Kläger aus der Haft entlassen. Er stellte am 29.6.2007 bei dem Beklagten einen Fortzahlungsantrag. Mit [X.] vom [X.] bewilligte ihm der Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] für die [X.] vom 20.6. bis zum 30.11.2007.

6

Mit [X.] vom [X.] hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom [X.] nochmals weitergehend teilweise für einen hier nicht mehr streitgegenständlichen [X.]raum und für den [X.]raum ab Haftbeginn am 21.4.2007 vollständig auf. Auf die Widersprüche des [X.] gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom [X.] und gegen den Bewilligungsbescheid vom [X.] änderte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2007 den [X.] vom [X.] insoweit ab, als der Kläger für die [X.] der Inhaftierung 50 [X.] weniger zu erstatten habe. Im Übrigen wurden die Widersprüche als unbegründet zurückgewiesen. Nach Auffassung des Beklagten hatte der Kläger während der gesamten [X.] der Inhaftierung vom 21.4. bis einschließlich 19.6.2007 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem [X.].

7

Die hiergegen erhobene Klage war teilweise erfolgreich. Das Sozialgericht [X.] hat den [X.] vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2007 insoweit aufgehoben, als - trotz Verlegung des [X.] in das Freigängerheim - für den [X.]raum vom 4.5. bis 31.5.2007 die ursprüngliche Leistungsbewilligung aufgehoben und die Leistungen zurückgefordert worden waren. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

8

Das [X.] ([X.]) [X.] hat die von beiden Beteiligten eingelegte Berufung mit Urteil vom [X.] zurückgewiesen. Als streitgegenständlich hat das [X.] nur den [X.]raum ab 21.4.2007 angesehen. Der Beklagte habe die Bewilligung von Leistungen für den [X.]raum vom 21.4. bis 3.5.2007 zu Recht aufgehoben. In dieser [X.] sei der Kläger von Leistungen ausgeschlossen gewesen, weil er sich in einer Einrichtung zum Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung aufgehalten habe. Dies gelte ungeachtet der Tatsache, dass es sich vorliegend um die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe gehandelt habe. Mit der Verhängung einer Geldstrafe nach Tagessätzen sei zugleich die Ersatzfreiheitsstrafe richterlich verfügt. Der Kläger habe die vorgeschriebene Verpflichtung, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich seien, unverzüglich mitzuteilen, zumindest grob fahrlässig verletzt. Aufgrund der Hinweise im Bewilligungsbescheid zur Erreichbarkeit habe er gewusst bzw wissen müssen, dass er während der [X.] der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe unter seiner bisherigen Adresse nicht erreichbar sein würde und dies dem Beklagten mitteilen müssen. Etwas anderes gelte aber für die [X.] ab dem [X.], in der der Kläger im Freigängerheim untergebracht gewesen sei. Zwar sei die Ausnahmeregelung des § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 2 [X.] nach ihrem reinen Wortlaut nicht einschlägig, da der Kläger in dieser [X.] nicht unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts mindestens 15 Stunden in der Woche erwerbstätig gewesen sei. Nach dem vom [X.] ([X.]) vertretenen funktionalen Einrichtungsbegriff sei aber nur maßgebend, ob es dem Kläger aufgrund der objektiven Struktur der Einrichtung möglich gewesen wäre, eine solche Erwerbstätigkeit auszuüben. Im Übrigen bestehe kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen für den [X.]raum vom 1.6. bis 19.6.2007, da der Kläger erst am 29.6.2007 einen Fortzahlungsantrag gestellt habe und für [X.]en vor Antragstellung keine Leistungen zu erbringen seien.

9

Gegen das Berufungsurteil haben sowohl der Kläger als auch der Beklagte die vom [X.] zugelassene Revision eingelegt. Beide rügen eine Verletzung des § 7 Abs 4 [X.].

Der Kläger ist der Ansicht, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 4 Satz 2 [X.] greife vorliegend nicht, weil es sich bei der von ihm zu verbüßenden Ersatzfreiheitsstrafe nicht um eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung handele. Im Übrigen habe er nicht grob fahrlässig gehandelt, als er die Inhaftierung nicht mitgeteilt habe, denn seine Festnahme sei für ihn überraschend erfolgt. Im Übrigen habe er auch Anspruch auf Gewährung von Leistungen für den [X.]raum vom 1.6. bis 19.6.2007.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.]s [X.] vom 7. Oktober 2009 und das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 6. November 2008 zu ändern
und den [X.] vom 8. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2007 aufzuheben, soweit für den [X.]raum vom 21. April bis zum 3. Mai 2007 Leistungen zurückgefordert werden, sowie
den [X.] vom 5. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2007 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die [X.] vom 1. Juni bis 19. Juni 2007 die Regelleistung nach dem [X.] in gesetzlicher Höhe zu gewähren, sowie
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.]s [X.] vom 7. Oktober 2009 und das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 6. November 2008 insoweit aufzuheben, als der [X.] vom 8. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2007 für die [X.] vom 4. Mai bis 31. Mai 2007 aufgehoben wurde, sowie
die Revision des [X.] zurückzuweisen.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, mit dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 [X.] sollten alle Personen von Leistungen ausgeschlossen sein, die in stationären Einrichtungen untergebracht sind. Nach der gesetzlichen Vorschrift solle nur für solche Personen eine Ausnahme gemacht werden, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich erwerbstätig sind. [X.] man auch der Neuregelung des § 7 Abs 4 [X.] den zur alten Rechtslage vom [X.] entwickelten funktionalen Einrichtungsbegriff zugrunde, verbleibe für § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 2 [X.] kein Anwendungsbereich mehr.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet, während die Revision des [X.] insgesamt unbegründet ist (§ 170 Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz ). Der ursprüngliche Bescheid des Beklagten vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2007, mit dem die Bewilligung von Leistungen nach dem [X.] für den [X.]raum der Inhaftierung des [X.] aufgehoben worden war, erweist sich als rechtmäßig, sodass der Kläger nicht beschwert ist (§ 54 Abs 2 SGG). Das [X.] ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger gemäß § 7 Abs 4 [X.] von Leistungen ausgeschlossen war, solange er sich im Regelvollzug befand, ungeachtet der Tatsache, dass er "nur" eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßte. Entgegen der Ansicht des [X.] galt der Leistungsausschluss aber auch, nachdem der Kläger in ein Freigängerheim verlegt worden war. Der Beklagte war deshalb nicht verpflichtet, für den [X.]raum vom 4.5. bis [X.] Leistungen zu erbringen .

1. Streitgegenstand ist der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2007, den der Kläger im Revisionsverfahren nur noch für den [X.]raum seiner Inhaftierung vom 21.4. bis zum [X.] angreift. Zutreffend haben die Vorinstanzen insoweit angenommen, dass der Zulässigkeit der Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom [X.] nicht die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom 15.5.2007 teilweise entgegensteht (vgl § 77 SGG). Im Hinblick auf den Aufhebungszeitraum ab dem 21.4.2007 hat der Beklagte mit seinem Bescheid vom [X.] einen neuen Verwaltungsakt erlassen, der den ursprünglichen Aufhebungsbescheid vom 15.5.2007 im Sinne einer einheitlichen und von der ursprünglichen Entscheidung unabhängigen Entscheidung ersetzt hat (sog Zweitbescheid, vgl [X.] Urteil vom [X.] - B 3 P 8/04 R - [X.], 57 = [X.]-1300 § 48 [X.] 6).

Der weitere Streitgegenstand ergibt sich aus dem Bewilligungsbescheid vom [X.], mit dem Leistungen nach der Haftentlassung ab dem [X.] bewilligt wurden, während der Kläger auch weiterhin noch Leistungen während der Haftzeit vom 1.6. bis [X.] begehrt.

2. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom [X.] ist auch insoweit rechtmäßig, als die ursprüngliche Leistungsbewilligung durch Bescheid vom 24.11.2006, die sich auf den [X.]raum vom 1.12.2006 bis [X.] bezog, ab dem 21.4.2007 bis zum Ende des [X.] am [X.] aufgehoben worden ist.

Gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ([X.]) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] 2 [X.] iVm § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] 1 [X.], § 330 Abs 3 Satz 1 [X.] ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom [X.]punkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

Die genannten Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, denn durch die Inhaftierung des [X.] am 21.4.2007 ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, die sich auf die mit Bescheid vom 24.11.2006 erfolgte Leistungsbewilligung auswirkt. Der Kläger war ab diesem [X.]punkt gemäß § 7 Abs 4 Satz 2 [X.] idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom [X.] (<[X.]>, [X.] 1706) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ausgeschlossen, solange er sich im Regelvollzug der [X.] befand. Dieser Leistungsausschluss greift ungeachtet der Tatsache ein, dass der Kläger vorliegend eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßte (dazu unter a). Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen galt der Leistungsausschluss auch weiterhin, nachdem der Kläger ab dem [X.] in das Freigängerheim verlegt worden war (dazu unter b). Auch die subjektiven Voraussetzungen für die Aufhebung und die Rückforderung der gewährten Leistungen für den streitigen [X.]raum vom 21.4. bis zum [X.] lagen vor (dazu unter c).

a) Gemäß § 7 Abs 4 [X.] in der vom 1.8.2006 bis 27.8.2007 geltenden Fassung erhielt Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht war, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistungen oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezog. Nach Satz 2 war dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Die Voraussetzungen des [X.] nach § 7 Abs 4 Satz 2 [X.] liegen hier vor, denn der Umstand, dass der Kläger in der JVA eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 Strafgesetzbuch (StGB) verbüßte, führt nicht dazu, dass der Leistungsausschluss nach der genannten Norm auf ihn keine Anwendung findet (vgl [X.] Niedersachsen-Bremen Urteil vom [X.] AS 89/10 -; [X.] in GK-[X.], Stand Juli 2010, § 7 Rd[X.] 86.1; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand April 2010, § 7 Rd[X.] 207; [X.]/[X.], [X.] 2007, 1, 7). Auch ein Gefangener, der eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt, hält sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung auf (vgl [X.], [X.], Kommentar, 3. Aufl 2011, § 1 Rd[X.] 3). Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der Kläger ausdrücklich nur zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist und nicht zu einer Freiheitsstrafe, die ohnehin unter einem Mindestmaß von einem Monat nicht hätte verhängt werden dürfen (§ 38 Abs 2 StGB) und unter sechs Monaten grundsätzlich nicht verhängt werden soll (§ 47 Abs 1 StGB). Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall, dass die Geldstrafe nicht gezahlt wird, erfolgt zwar allein auf Anordnung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde (§ 459e Abs 1 Strafprozessordnung iVm § 451 Abs 1 StPO). Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, die Ersatzfreiheitsstrafe sei keine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung iS von § 7 Abs 4 Satz 2 [X.]. Dies ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Ersatzfreiheitsstrafe in der (nicht abschließenden) Aufzählung der verschiedenen Vollzugsformen richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 16/1410, 20) nicht aufgeführt ist.

Hintergrund für den fehlenden Ausspruch der Ersatzfreiheitsstrafe im Falle der Nichtzahlung der Geldstrafe im Strafurteil ist nämlich, dass der Maßstab der Umrechnung zwischen Geldstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe im Gesetz bereits bestimmt ist und dem Strafrichter insoweit kein Raum für eine eigene Entscheidung verbleibt (§ 43 Satz 2 StGB, vgl dazu [X.] in [X.] Kommentar, StGB, 12. Aufl 2006, § 43 Rd[X.] 5 mwN). Die Ersatzfreiheitsstrafe tritt damit als echte Strafe ohne rechtsgestaltenden Akt an die Stelle der Geldstrafe (vgl [X.] NJW 2006, 3626; BGHSt 20, 13, 16). Aus diesem Grund erfordert auch Art 104 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz (GG), wonach über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der [X.] zu entscheiden hat, keinen ausdrücklichen Ausspruch im Strafurteil. Durch die Bestimmung der Zahl der Tagessätze erklärt der Strafrichter zugleich die Vollstreckung einer bestimmten Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe für zulässig (vgl [X.] aaO). Daraus folgt, dass bei jeder Verurteilung zu einer Geldstrafe die Ersatzfreiheitsstrafe bei Nichtzahlung der Geldstrafe mitgedacht und mitverhängt wurde, sie ist damit eine "echte" Freiheitsstrafe. Somit ist auch die Ersatzfreiheitsstrafe eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung iS des § 7 Abs 4 Satz 2 [X.]. Dies ist im Übrigen auch zwingend, um dem von [X.] wegen geforderten [X.]vorbehalt zu genügen.

b) Die wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 [X.] durch den Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 4 [X.] wegen der Verbüßung der ([X.] galt auch weiterhin für den [X.]raum ab dem [X.], ab dem der Kläger in das Freigängerheim verlegt wurde und dort [X.] in Form von Ausgang erhielt (vgl § 11 Abs 1 [X.] 2 Strafvollzugsgesetz <[X.]> iVm Art 125a Abs 1 GG bzw nunmehr § 9 Abs 2 [X.] 2 des 3. Buchs - Strafvollzug - des Gesetzbuchs über den Justizvollzug in [X.] vom [X.], [X.], 545). Die [X.] führen nicht dazu, dass der Kläger sich nicht mehr in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhielt.

Der Senat hat zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 [X.] in der ursprünglichen, bis zum 31.7.2006 geltenden Fassung entschieden, dass die Unterbringung in einer stationären Einrichtung als Fall der gesetzlichen Fiktion der Erwerbsunfähigkeit ausgestaltet worden ist (Urteil vom [X.] - [X.]/7b [X.] - [X.], 88 = [X.]-4200 § 7 [X.] 7 Rd[X.] 16; [X.], 241). Diese Fiktion könne nur mit der Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbsarbeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden. Die Zuweisung von Hilfebedürftigen zum System des [X.] oder dem Sozialhilferecht nach dem [X.] ([X.]II) entscheide sich im Rahmen des § 7 Abs 4 [X.] mithin nicht anhand der individuellen Leistungsfähigkeit bzw Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen. Es komme vielmehr ausschließlich auf die objektive Struktur und Art der Einrichtung an. Sei diese so strukturiert und gestaltet, dass es dem dort Untergebrachten nicht möglich sei, aus der Einrichtung heraus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die den zeitlichen Kriterien des § 8 [X.] genüge, so sei der Hilfebedürftige dem [X.]II zuzuweisen.

Dagegen hatte der Senat bislang keinen Fall zu entscheiden, in dem § 7 Abs 4 [X.] idF des [X.] Anwendung fand. In der bereits genannten Grundsatzentscheidung vom [X.] ([X.]/7b [X.]) wurde lediglich angedeutet, dass der funktionale Einrichtungsbegriff auch mit der Neufassung des § 7 Abs 4 Satz 3 [X.] 2 [X.] vereinbar sei. Nach der dort normierten Rückausnahme kann abweichend von § 7 Abs 4 Satz 1 [X.], der den grundsätzlichen Leistungsausschluss bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung enthält, Leistungen nach dem [X.] auch erhalten, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.

Ob der vom [X.] entwickelte funktionale Einrichtungsbegriff in Bezug auf die Rechtslage nach dem [X.] weiterer Modifizierungen bedarf, ist an dieser Stelle nicht zu entscheiden. Die ausdrückliche und spezielle Regelung bezüglich der Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen im Rahmen des § 7 Abs 4 [X.] lässt jedenfalls erkennen, dass diese Einrichtungen eine Sonderstellung einnehmen. Nach § 7 Abs 4 Satz 2 [X.] nF ist nach der Definition des Gesetzgebers der Aufenthalt in einer solchen Einrichtung dem Aufenthalt "in einer stationären Einrichtung" gleichgestellt. Es ist also nicht mehr zu prüfen, ob es sich bei einer JVA um eine stationäre Einrichtung handelt. Diese gesetzgeberische Entscheidung wird auch durch die Gesetzesbegründung belegt, wonach es Ziel ist, Personen in diesen Einrichtungen vom Leistungsbezug nach dem [X.] auszuschließen (vgl BT-Drucks 16/1410, 20). Es kommt folglich bei den Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen nicht mehr darauf an, ob sie nach ihrer Art die Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von vornherein ausschließen. Die Weichenstellung zwischen den Leistungssystemen erfolgt in diesem Fall somit ausnahmsweise nicht anhand der objektiven Struktur der Einrichtung im Einzelfall, sondern generalisiert für alle unter § 7 Abs 4 Satz 2 [X.] fallenden Einrichtungen, weil sich der Aufenthalt in diesen Einrichtungen wesentlich von dem Aufenthalt in anderen stationären Einrichtungen unterscheidet. Insbesondere bedarf es in einer JVA für jede Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer vorherigen, im Ermessen stehenden Gestattung durch die Anstalt (vgl § 39 Abs 1 [X.]). Vor dem Hintergrund der Rechtslage nach dem [X.] kommt es deshalb für die Frage, ob [X.]-Leistungen bezogen werden können, auch nicht darauf an, ob [X.] gewährt werden. Nur soweit einem Antragsteller auf Leistungen nach dem [X.] die Aufnahme eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses erlaubt wird, kann er gemäß § 7 Abs 4 Satz 3 [X.] 2 [X.] wiederum leistungsberechtigt sein. Diese Rückausnahme gilt auch im Falle des Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung. Ihre Voraussetzungen liegen im konkreten Fall aber nicht vor, denn der Kläger führte in der JVA Reinigungsarbeiten aus und war damit nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig.

c) Steht somit fest, dass der Kläger während der gesamten [X.] der auf den Leistungszeitraum entfallenden Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe (21.4. bis [X.]) von Leistungen nach dem [X.] ausgeschlossen war, so war der entsprechende Leistungsbescheid vom 24.11.2006 insoweit aufzuheben. Die Aufhebung nach § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] 2 [X.] kommt allerdings nur insoweit in Betracht, als der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Die Feststellungen des [X.], der Kläger habe seine durch § 60 Abs 1 Satz 1 [X.] 2 Sozialgesetzbuch [X.] vorgeschriebene Verpflichtung, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen, zumindest grob fahrlässig verletzt, sind im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung eines Tatsachengerichts darüber, ob leichte oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt (vgl zur Abgrenzung [X.]E 42, 184, 187 = [X.]100 § 152 [X.] 3), vom Revisionsgericht nur in engen Grenzen überprüft werden kann. Die Prüfung ist insbesondere darauf beschränkt, ob sich der Tatrichter der Unterschiede der Begriffe "leichte Fahrlässigkeit" und "grobe Fahrlässigkeit" bewusst gewesen und er mithin von einem zutreffenden Begriff der groben Fahrlässigkeit ausgegangen ist (vgl [X.]E 47, 180 = [X.] 2200 § 1301 [X.] 8; [X.]E 48, 190 = [X.] 2200 § 1301 [X.] 11; [X.]E 62, 32 = [X.]100 § 71 [X.] 2; [X.]E 88, 96 = [X.] 3-3800 § 2 [X.] 10). Die Würdigung des [X.], der Kläger habe vor dem Hintergrund des ausdrücklichen Hinweises auf die vom Leistungsempfänger sicherzustellende Erreichbarkeit gewusst bzw hätte wissen müssen, dass er während der [X.] der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe unter seiner bisherigen Adresse nicht erreichbar war und er dies dem Beklagten hätte mitteilen müssen, lässt nicht den Schluss zu, das [X.] habe den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt.

3. Soweit der Kläger auch für die [X.] nach Beendigung des ursprünglichen Bewilligungsabschnitts ab dem [X.] bis zur Haftentlassung am [X.] die Gewährung der Regelleistung nach § 20 [X.] beansprucht, ist er auch für diesen [X.]raum gemäß § 7 Abs 4 [X.] von Leistungen nach dem [X.] dem Grunde nach ausgeschlossen. Insoweit kommt es nicht mehr darauf an, dass es für die Bewilligung von Leistungen ab dem [X.] bereits an einem Fortzahlungsantrag fehlte (vgl § 37 Abs 1 [X.], hierzu jüngst [X.] Urteile vom 18.1.2011 - [X.] [X.]/10 R und [X.] AS 29/10 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 14 AS 81/09 R

24.02.2011

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Mannheim, 26. November 2008, Az: S 6 AS 51/08, Urteil

§ 7 Abs 4 S 1 SGB 2 vom 20.07.2006, § 7 Abs 4 S 2 SGB 2 vom 20.07.2006, § 7 Abs 4 SGB 2 vom 24.03.2006, § 7 Abs 4 S 3 Nr 2 SGB 2 vom 20.07.2006, § 43 StGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 24.02.2011, Az. B 14 AS 81/09 R (REWIS RS 2011, 9147)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9147

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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